Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffsdefinition und -verwendung
3. Die Bedeutung von Zins- und Wucherverbot im Mittelalter und deren Auswirkung auf die wirtschaftliche Praxis
3.1. Grundlagen von Zins- und Wucherverbot in der Theorie
3.1.1. Der Ursprung der kirchlichen Usuralehre
3.1.2. Zins- und Wucherverbot ab dem 12. Jahrhundert
3.2. Zins- und Wucherverbot in der wirtschaftlichen Praxis
3.2.1. Umgehungsgeschäfte
3.2.2. Das Zins- und Kreditgeschäft im Spiegel des Wucherverbots
4. Fazit
5. Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Zins und Wucher waren in der durch materielle Güter geprägten frühmittelalterlichen Wirtschaft und Gesellschaft nur bedingt ein relevantes Thema. Dies änderte sich je- doch mit der ökonomischen Entwicklung des Hoch- und Spätmittelalters und dem da- mit entstandenen Kapitalmarkt. Den Kredit in unterschiedlichster Gestalt gab gewis- sermaßen schon immer. Doch jene Zeit ab dem 12. Jahrhundert n. Chr. war Beginn eines Wandels der feudalen Wirtschaft und die Kirche aber auch weltliche Herrscher sahen sich gezwungen diese Entwicklung kontrollieren zu wollen. Die Kirche tat dies mit einem Verbot des Wuchers und der Strafandrohung bei Missachtung dessen.
Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie sich das Kreditwesen unter Berücksichtigung der kirchlichen Wucherlehre entwickelte und, welche Auswirkungen das Verbot in der Realität hatte.
Die vorliegende Arbeit behandelt die Frage auf welchen Pfeilern das Zinsverbot gebaut worden ist, was es genau umfasst und warum die Zinslehre der Kirche in der Form existierte. Des Weiteren soll die Frage nach der Relevanz jener für die mittelalterliche Wirtschaft in der Praxis beantwortet und der letztendliche Effekt der kirchlichen Wucherlehre herausgearbeitet werden.
Dazu sollen zu Beginn die Begriffe an sich und deren Verwendung thematisiert wer- den. Im Hauptteil der Arbeit soll in der ersten Hälfte auf den Ursprung der kirchlichen Wucherlehre und deren Ausprägung und Festlegung ab dem 12. Jahrhundert einge- gangen werden. In der zweiten Hälfte soll jene Theorie auf deren Wirksamkeit in der Praxis untersucht werden. Zuerst sollen Umgehungsstrategien genannt werden und da- nach eine Darstellung des mittelalterlichen Kreditwesens im Spiegel des Zins- und Wucherverbotes folgen, um mit einem abschließenden Fazit enden zu können.
2. Begriffsdefinition und -verwendung
Das Wort Zins ist aus dem lateinischen „census“ entstanden, welches ursprünglich die Bedeutung für „Abschätzung“ hatte. Des Weiteren kann es im breiteren Sinne mit „Steuerkataster“, „Vermögen“ und „Abgabe“ übersetzt werden. Die letztgenannte Be- deutung „Abgabe“ hat sich im Mittelalter durch das Wort „Zins“ durchgesetzt, wel- ches für Natural- und Geldabgaben, aber auch für besitzrechtliche, personenrechtliche und hoheitsrechtliche Abgaben und somit für Abgaben sämtlicher Art stand.1
Für die Verwendung im Sinne eines Geldkapitalzinses waren in der römischen Antike jedoch eher die Begriffe „fenus“ und „usu aeris“ vorgesehen.2 Letztere Bezeichnung setzte sich als „usura“ im Mittelalter als kirchensprachlichen Terminus technicus für den verbotenen Zins, den sogenannten Wucher, durch.3 Darunter verstand man zu- nächst den verbotenen Darlehenszins, während Begriffe wie „census“ und „reditus“ den gestatteten Pacht-, Leihe- und Mietzins betrafen.4 Da die kirchlichen und auch weltlichen Gesetze gegen den Wucher inhaltlich den Bestimmungen gegen Betrug im Handel Nahe standen, ist eine eindeutige Abgrenzung nicht immer möglich. Der durch Betrug erworbene Gewinn, eigentlich „turpe lucrum“, konnte ebenso als „usura“ also Wucher bezeichnet werden.5 Der sogenannte Preiswucher, also die Überschreitung ei- nes regulierten mehr oder weniger gerechten Preises, „pretium iustum“, war ein wei- terer Bestandteil der mittelalterlichen Wucherregelungen, spielt aber für das Thema dieser Arbeit, da es sich hier nicht um Zinsen im engeren Sinne handelt, keine Rolle.6 Im Bereich des Handels wurde versucht die Wuchergesetzgebung der Kirche zu um- gehen, sodass Formulierungen wie man „kaufte Geld gegen Geld“ oder der Unter- scheidung zwischen Hauptgut und Gesucht in vielen mittelalterlichen Verträgen, Ur- kunden etc. zu finden sind.7 Der heutige Begriff „Wucher“ leitet sich aus dem althoch deutschen „wuohhar“ (Ertrag, Gewinn) ab und war im Mittelalter nicht der vorherr schende Terminus. Die mittelalterliche Definition des Wuchers besagt, dass alles, was über das Kapital hinaus gefordert werde, Wucher sei. Sie stammt vom Heiligen Amb- rosius und wurde in der Kirchenrechtssammlung Decretum Gratiani um 1140 nieder- geschrieben.8 In dem Verbot wurde sich auf das göttliche Recht im Alten Testament9 und die Worte Christi, die besagen, dass geliehen werden solle, ohne etwas zurückzu- erwarten10, gestützt.
Insofern sind die Termini „Zins“ und „Wucher“ in mittelalterlichen Quellen und somit hinsichtlich der Beschäftigung mit jenen nicht immer eindeutig voneinander abzugren- zen. Einerseits war die Bereicherung durch eine Abgabe bzw. ein Darlehen an eine andere Person verboten, andererseits bezog sich dieser Gewinn hauptsächlich auf ge- liehenes Geld und nicht zwangsläufig auf materielles Gut. Daher kann jedoch zumin- dest bei Zinsen von einer gestatteten Abgabe an den Verleiher gesprochen werden, während der Wucher eine unzulässige, ohne eigene Arbeit entstandene Bereicherung war und im kirchensprachlichen und -rechtlichen Kontext somit als Sünde zu bewer- ten war.
3. Die Bedeutung von Zins- und Wucherverbot im Mittelalter und deren Auswirkung auf die wirtschaftliche Praxis
3.1. Grundlagen von Zins- und Wucherverbot in der Theorie
3.1.1. Der Ursprung der kirchlichen Usuralehre
Das Zins- bzw. Wucherverbot ist keine reine Erfindung der christlichen Lehre im Mit- telalter. Schon zuvor existierte die kulturelle und gesellschaftliche Meinung, dass der Zins auf ein Darlehen zu vermeiden sei.11 Aristoteles‘ Theorie von der Unfruchtbarkeit des Geldes besagt, dass Geld nur als Wertmesser und Tauschmittel in Frage käme, der Zins hingegen das Geld selbst vermehrt.12 Die naturrechtliche Ablehnung der Verzin- sung von Kapital basiert insofern auf der Annahme der Widernatürlichkeit des sich selbst vermehrenden Geldes, also der Fruchtlosigkeit desselben.13 Die Usuralehre der Kirche stützt sich in einem hohen Maße auf die Bibel als Quelle. Im fünften Buch Mose wird die Forderung von Zinsen von Mitgliedern des eigenen Volkes, nicht jedoch jene von Fremden, untersagt.14 Letzterer Zusatz soll später hin- sichtlich der Juden als Geldverleiher thematisiert werden. Im dritten Buch Mose wird das Verbot Zinsen zu nehmen ebenfalls direkt formuliert.15 Das Evangelium nach Lu- kas im Neuen Testament erneuert jenes Tabu im Zuge der Thematik der Feindes- liebe.16 Den Mitmenschen soll ein Darlehen gewährt werden, ohne überhaupt von der sicheren Rückzahlung der geliehenen Summe, geschweige denn von einer Zinsgewäh- rung, auszugehen.17 Hier steht das Gebot der Nächstenliebe im Mittelpunkt der Argu- mentation.
In der Geschichte erfolgen aufgrund jener biblischen Lehre und speziell durch die ge- nannten Stellen eine Vielzahl von kirchlichen Beschlüssen und Gesetzen. Im Konzil von Elvira 306 und Nicäa 325 wurden Wucherverbote gegen den Klerus ausgespro- chen. Dies war nötig geworden, da Angehörige des Klerus in hohem Maße verzinste Darlehen vergaben und somit, besonders durch ihre Stellung, gegen das biblische Zins- verbot verstießen. Die Entlassung aus allen kirchlichen Ämtern war bei Missachtung des gefassten Beschlusses zu erwarten.18 Bis hier wurden die Laien hinsichtlich der Problematik des Wuchers ausgeklammert und ihnen drohten somit bei Zuwiderhand- lung auch keine Exkommunikation oder andere Sanktionen.
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1 Vgl. Sprandel, Rolf, Art. Zins. I. Wirtschaftsgeschichte, in: LMA² 9 (2003), Sp. 622.
2 Vgl. Kirshner, Julius, Art. Wucher, in: North, Michael (Hg.), Von Aktie bis Zoll. Ein historisches Lexikon des Geldes, München 1995, S. 430.
3 Vgl. ebd.
4 Vgl. Gilomen, Hans-Jörg, Art. Wucher, in: LMA² 9 (2003), Sp. 342.
5 Vgl. Jenks, Stuart, Von den archaischen Grundlagen bis zur Schwelle der Moderne (ca. 1000 bis 1450), in: North, Michael (Hg.), Deutsche Wirtschaftsgeschichte. Ein Jahrtausend im Überblick, München 2000, S.30.
6 Vgl. Schuler, Peter-Johannes: Art. „Zinsen“ in: Dinzelbacher, Peter (Hg.), Sachwörterbuch der Mediävistik, Stuttgart 1992, S. 919.
7 Vgl. Sprandel, Zins, Sp. 622.
8 Vgl. Kirshner, Wucher, S. 430.
9 Vgl. Ex 22,25; Lev 25, 35-37; Dtn 23, 19-26.
10 Vgl. Lukas 6, 35.
11 Vgl. Franke, Reiner, Die Entwicklung des (Darlehens-) Zinses in Frankreich. Eine rechts- und wirtschaftsgeschichtliche Untersuchung von der kanonischen Usuralehre des 13. Jahrhunderts bis zur Französischen Revolution, Berlin 1996, S. 25.
12 Vgl. ebd.
13 Vgl. Gilomen, Wucher, Sp. 341.
14 Dtn. 23, 20-21: „Du sollst von deinem Bruder nicht Zinsen nehmen, weder für Geld noch für Speise noch für alles, wofür man Zinsen nehmen kann. Von dem Ausländer darfst du Zinsen nehmen […].“
15 Lev 25, 35f.: „Wenn dein Bruder neben dir verarmt und nicht mehr bestehen kann, so sollst du dich seiner annehmen wie eines Fremdlings oder Beisassen, dass er neben dir leben könne; und du sollst nicht Zinsen von ihm nehmen noch Aufschlag, […]. Denn du sollst ihm dein Geld nicht auf Zinsen leihen noch Speise geben gegen Aufschlag.“
16 Lk 6, 35: „Liebet vielmehr eure Feinde; tut Gutes und leiht, wo ihr nichts dafür zu bekommen hofft.“
17 Vgl. Franke, Entwicklung, S. 27.
18 Vgl. ebd.