Als zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Erfindung des Radios den ersten großen Umbruch im Machtgefüge der Musikindustrie einleitete, reagierten die damaligen Machtakteure so, wie es sich auch bei den nachfolgenden Machtumbrüchen beobachten lässt.
Damals lag der größte Anteil der Macht bei den Musikverlagen, die diese als Inhaber der Druck- und Aufführungsrechte ihrer Künstler sowohl auf den Künstler (durch vertragliche Einschränkungen) als auch auf den Konsumenten (durch ein eingeschränktes Musikangebot) ausübten. Musiker traten auf, wo man ihnen vor- schrieb, dass sie auftreten sollen. So lag in Konzertbesuchen die einzige Möglichkeit für Musikliebhaber, Musik zu konsumieren. Die Verbreitung von Radiostationen befreite die Musik, ihre Hörer und Urheber von einigen Einschränkungen der Machtakteure, deren erste Reaktion auf diese Entwicklung Ignoranz war. Der oligopolistische Charakter des Musikmarktes bot den einzelnen etablierten Marktteilnehmern Sicherheit in Form von Markteintrittsbarrieren und den Luxus einer überschaubaren Zahl marktinterner Konkurrenten. Eine Erfindung wie das Radio erschien ihnen nicht als potenzielle Gefahr und noch weniger als ursächliche Grundlage, aus welcher ernst zu nehmende neue Marktteilnehmer resultieren könnten. Diese Fehleinschätzung wurde sichtbar, als die Umsatzzahlen der Live- Einnahmen zurückgingen, da der Musikkonsum über das Radio den Konsumenten sowohl zeitlich als auch örtlich und finanziell weniger band.
Die Erfindung des Radios war ein neuer Machtfaktor, der die Musikindustrie unvorbereitet, aber nicht überraschend traf und die erste große Krise zur Folge hatte. Aus dieser Systemstörung resultierte eine Verschiebung und Umverteilung der Machtverhältnisse, welche die etablierten Marktakteure zu einer Reaktion zwang. Nach ersten Versuchen, die Bedrohung zu bekämpfen, resignierten die Musikverlage und stabilisierten das System wieder, indem sie mit den Radiostationen kooperierten, den Störfaktor in ihr eigenes System integrierten und so ihre Vormachtstellung wieder festigen konnten.
Ähnliche Vorgänge konnte man im Laufe der jungen Geschichte der Musikindustrie schon wiederholt beobachten. In meiner Bachelorarbeit möchte ich eben diese Vorgänge strukturiert aufzeigen und eine sozioökonomische Betrachtung der aktuellen Machtverhältnisse in der Musikindustrie und deren mögliche Verschiebung durch die fortschreitende Digitalisierung anstellen.
Inhaltsverzeichnis (Table of Contents)
- 1. Einleitung
- 2. Die Ebenen der Macht
- 2.1 Der Wandel der Macht nach Michel Foucault
- 2.2 Die Ressourcen der Macht nach Pierre Bourdieu
- 2.3 Das Ausüben von Macht nach Michael E. Porter
- 2.4 Wettbewerbskräfte und Kapital - Machtakteure und Machtressourcen
- 3. Die ersten beiden Paradigmenwechsel in der Musikindustrie
- 3.1 Überblick über bisherige technische Innovationen
- 3.2 Entwicklungen innerhalb bestehender Paradigmen
- 3.3 Der Wechsel zwischen kulturellen Paradigmen
- 3.3.1 Die Jazz-Revolution
- 3.3.2 Die Rock'n'Roll-Revolution
- 4. Die Machtverhältnisse in der traditionellen Musikindustrie
- 4.1 Der Wertschöpfungsprozess, Wettbewerbskräfte und ihre Machtressourcen
- 4.1.1 Der Künstler
- 4.1.2 Der Musikverlag
- 4.1.3 Die Verwertungsgesellschaften
- 4.1.4 Die Plattenfirma
- 4.1.5 Der Rezipient
- 4.2 Die Machtinstrumente in der traditionellen Musikindustrie
- 4.2.1 Macht durch bestehende Netzwerkstrukturen
- 4.2.2 Macht durch Vertragsbindungen
- 4.3 Sicherheit durch vertikale und horizontale Integration
- 4.1 Der Wertschöpfungsprozess, Wettbewerbskräfte und ihre Machtressourcen
- 5. Die digitale Revolution als momentaner Paradigmenwechsel und die Reaktionen der Majors auf die resultierenden Neuerungen
- 5.1 Die Phase der Ignoranz
- 5.2 Die Phase des Erkennens
- 5.3 Die Phase der Bekämpfung
- 5.4 Die Phase der Resignation
- 6. Die Neustrukturierung des Machtnetzes der Musikindustrie
- 6.1 Der Machtverlust der Majors durch neue Möglichkeiten der Wertschöpfung
- 6.1.1 Neue Möglichkeiten zur Musikproduktion
- 6.1.2 Neue Möglichkeiten der Finanzierung
- 6.1.3 Neue Möglichkeiten in PR und Marketing
- 6.1.4 Neue Möglichkeiten der Musikdistribution
- 6.1.5 Neue Möglichkeiten der Lizenzverwaltung - Urheberrecht 2.0
- 6.2 Paradigmenimmanente Entwicklungen
- 6.2.2 Der Prosument und der Artrepreneur
- 6.2.3 Versuche der Majors ihre Machtposition zu stabilisieren
- 6.1 Der Machtverlust der Majors durch neue Möglichkeiten der Wertschöpfung
- 7. Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte (Objectives and Key Themes)
Diese Arbeit befasst sich mit der sozioökonomischen Betrachtung der Machtverhältnisse in der Tonträgerindustrie und deren möglichen Verschiebung durch die fortschreitende Digitalisierung. Sie untersucht die Veränderungen der Machtstrukturen in der Musikindustrie im Kontext der digitalen Revolution und analysiert die Auswirkungen auf die Akteure und die Wertschöpfungskette.
- Die Entwicklung der Machtverhältnisse in der Musikindustrie
- Der Einfluss der Digitalisierung auf die Machtstrukturen
- Neue Möglichkeiten der Wertschöpfung im digitalen Raum
- Die Rolle von Akteuren wie Künstlern, Plattenfirmen und Rezipienten
- Die Zukunft der Musikindustrie im digitalen Zeitalter
Zusammenfassung der Kapitel (Chapter Summaries)
Die Einleitung führt in das Thema ein und stellt die Relevanz der sozioökonomischen Betrachtung der Machtverhältnisse in der Musikindustrie im Kontext der digitalen Revolution dar. Anschließend werden verschiedene theoretische Konzepte der Macht und deren Anwendung in der Musikindustrie erläutert. Die Arbeit beleuchtet dann die ersten beiden Paradigmenwechsel in der Musikindustrie, die Jazz- und Rock'n'Roll-Revolution, und untersucht die Machtverhältnisse in der traditionellen Musikindustrie, indem sie die Akteure, ihre Machtressourcen und Machtinstrumente analysiert. Die digitale Revolution wird als momentaner Paradigmenwechsel betrachtet, und die Reaktionen der Majorlabels auf die resultierenden Neuerungen werden im Detail untersucht. Die Arbeit schließt mit einer Analyse der Neustrukturierung des Machtnetzes der Musikindustrie im digitalen Zeitalter und den neuen Möglichkeiten der Wertschöpfung. Der Fokus liegt dabei auf den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Machtverhältnisse und die Zukunft der Musikindustrie.
Schlüsselwörter (Keywords)
Tonträgerindustrie, Machtverhältnisse, Digitalisierung, Paradigmenwechsel, Wertschöpfung, Musikproduktion, Musikdistribution, Urheberrecht, Künstler, Plattenfirma, Rezipient, Prosument, Artrepreneur.
- Quote paper
- Julia Schnabel (Author), 2015, Die Machtverhältnisse in der Tonträgerindustrie und deren mögliche Verschiebung durch die Digitalisierung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/307867