Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 ORA ET LABORA
1.1 Ursprung
1.2 Christentum
1.3 Glanz und Gloria
1.4. Einfluss
1.5 Hohe Kunst
1.6 Weißstickerei
1.7. Savoir vivre
1.8. Rückbesinnung
1.9. „ Durch die Blume“
1.10. Natur als Maßstab
1.11. Neue Zeiten
2. Künstlerische Arbeit
2.1. Wie es dazu kam
2.2. und was daraus wurde
Danksagung
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Einleitung
„…Handarbeitstechniken können nicht veralten, nur das, was man mit ihnen schafft, kann altmodisch werden.“ Dieser Satz von Jutta Lammèr aus „Das große Ravensburger Lexikon der Handarbeiten“ ist der eigentliche Leitfaden meiner Arbeit.
Mit Nadel und Faden zu arbeiten war schon immer meine liebste Tätigkeit und im Laufe der Zeit habe ich bald gelernt, dass speziell sticken mehr als nur eine Freizeitbeschäftigung ist.
Nach einer kurzen Übersicht über Handarbeit im Allgemeinen und Sticken speziell auch historisch betrachtet, beschreibe ich meine künstlerisch-praktische Arbeit. Detaillierte Materialangaben sowie die Beschreibung der Arbeitsvorgänge in den verschiedenen Sticktechniken erläutere ich anschließend.
Der Wandbehang soll mit der Vielfalt der Farben und Techniken die Thematik der immerwährenden Aktualität des Stickens belegen.
1 ORA ET LABORA
1.1 Ursprung
Die Frage nach dem Ursprung der Stickerei wurde nicht nur unter historischen sondern auch unter technischen Gesichtspunkten erörtert.
Die Wiege der Stickkunst ist aller Wahrscheinlichkeit nach in China zu suchen, wo auch die Weberei schon 3000 v. Chr. bekannt war. Das älteste bestickte Gewebe bzw. Gewebefragment stammt aus der Shang-Dynastie (1556–1051 v Chr).
Auf welchem Weg die Stickerei in unser Gebiet gelangte, ist laut fachkundigen Aussagen rein spekulativ. „… sie konnte nur in einem Bereich produziert werden, der aufgrund seines politischen Gewichts die erforderlichen wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Ausübung handwerklicher Tätigkeit und vor allen Dingen für die Entfaltung schöpferischer Leistung schuf.“1
In unserem Gebiet ist Stickerei seit etwa 600 v. Chr. bekannt und jedes gefundene Stück ist als Dokument für geschichtlichen und politischen Zusammenhang zu werten. Museen für Ur- und Frühgeschichte zeugen mit ihrem Ausgrabungsfundus darüber, dass Nadeln mit Öhren bereits in der Eiszeit in Verwendung waren und dass Menschen im Paläolitikum Nadeln aus Holz, Knochen oder Horn und später aus Bronze oder Kupfer benützten.
1.2 Christentum
Als besondere Entwicklungszeit der Textilkunst ist das Vordringen des Christentums anzusehen: Die Kopten (Christen in Ägypten) bestatteten ihre Toten in gewebte und bestickte Gewänder, welche dank des trockenen Wüstensands noch heute gut erhaltene Funde darstellen. Antwerpen beherbergt eine der weltweitgrößten und bedeutendsten Sammlung koptischer Textilien. Kostbarkeiten aus zartem Gewebe mit gestickten arabischen Kalligrafien zeugen von der Geschichte Ägyptens, der Präsenz der Römer und dem Einfluss des islamischen Glaubens.
Dass die koptischen Webereien und Stickereien auch in den folgenden Jahrhunderten Einfluss auf die Kunst hatten, ist sowohl in den Werken von Matisse und Picasso als auch in der kubistischen Kunst sichtbar, wo die Ornamente damaliger Zeit abstrahiert wieder zu finden sind.
Die Zeit der Kopten ist nur ein Teil der ägyptischen Kunstgeschichte, nach der Stadtgründung von Alexandria durch Alexander dem Großen, dominierte ab dem 4. Jhdt. v. Chr. die griechisch-hellenistische (332–30 v Chr) Kultur und im ersten Jhdt. v. Chr. breitete sich dann das römische Weltreich (30 v Chr–395 n Chr) aus. Zwischen dem 4. und 7. Jhdt. (395– 640) herrschten die Byzantiner, danach kamen die Araber (638–644) die zum islamischen Kulturraum gehörten. Alle diese Kulturen trugen zur Entwicklung der Stickerei bei und führten, mit ihren verschiedenen Fertigkeiten zur Motiv- und Verarbeitungsweise, Änderungen herbei. Spätägyptische Gräberfunde zeugen von der Kunst des Stickens der Assyrer auf prunkvolle Gewänder, von den farbigen Stickereien der Babylonier und von bunt bestickten Leinengewändern der Phrygier, die den Nordwesten Kleinasiens bewohnten. Die Griechen und Römer sahen in ihnen die Erfinder des Stickens, woraus die Bezeichnung „opus phrygium“ zurückzuführen ist.2
Zu dieser Zeit war Wollstoff die Grundlage und Leinenfäden oder gezwirnte Wollfäden wurden für Ketten- und Stielstich verwendet. Aus China oder Indien sprechen die Funde von einer weit entwickelten Stickkunst, wo schon auf Seide im Kettenstich gearbeitet wurde. Im sibirischen Altai-Gebirge wurden hochentwickelte Näharbeiten mit Rosshaar auf verschiedenen Gewebearten – nicht zu vergessen Filz – gefunden.
1.3 Glanz und Gloria
Im Mittelmeerraum wurde der Grundstock für (Seiden-) Stickerei durch die dort angesiedelten Araber gelegt. Seidenstickerei blieb bis in die Neuzeit ein wichtiger Produktionszweig in Italien.
Glanzvollstes Zeugnis dieser Zeit ist ein, in der Hofwerkstatt von Palermo, hergestellter Krönungsmantel von Roger II. (1113–1154). Es ist ein Zeugnis der Zeit um 1171 als die Normannen (ursprüngliche Wikinger) Sizilien eroberten und die dort lebenden Araber in Tiraz (königliche Werkstätten) arbeiten ließen.
Dieses mit 11 kg Perlen und mit anderen Kostbarkeiten bestickte Erbgut der Stickereikunst ist in der Schatzkammer von Wien zu besichtigen.
Die politische Unabhängigkeit ab dem 14. Jhdt von Florenz, Genua, Pisa, Siena und Venedig ermöglichte die Entstehung von Handel und Gewerbe womit auch technische und stilistische Neuerungen freien Raum hatten. Einen großen Einfluss auf die weitere Entfaltungsmöglichkeit in der Stickerei hatten die im 13. und 14. Jhdt. entstandenen Zünfte. Falls Sticker ihren Wohnsitz in der Stadt und ihr Gewerbe angemeldet hatten, durften sie als freie Künstler arbeiten, sonst wurden sie der Zunft der Schneider oder Maler zugeordnet, womit auch sie zu den elitären Handwerkern zählten. Auch zu dieser Zeit wurden die Hof- und Klosterwerkstätten mit Stickereien beauftragt, der Einfluss der Nonneklöster auf die Ausübung und Verbreitung der Stickerei sollte nicht unterschätzt werden.3
Ora et labora (= bete und arbeite) war im Sinne der Klosterregeln. Technisch voll ausgereifte Lasur- und Malerstickereien wurden auch von einer großen Anzahl „Laienhelferinnen“ gefertigt, da die Aufträge von Königen und Fürsten – speziell die der Grafen von Burgund – so umfangreich waren, dass falls die Klöster den Wünschen nicht nachkommen konnten, die Höfe der regierenden Fürsten eigene Sticker beschäftigten. Die Stickereien wurden damals mit farbiger Seide in Spaltstich auf goldenen Untergrund gearbeitet und die Sticker wurden oft von namhaften Malern wie Giotto (1337) oder Botticelli (1445–1510) inspiriert.4
Burgunderfürsten haben sogar Pferdeschabracken und ein Zelt aus Satin mit den Wappen aller Länder die zu Burgund gehörten und mit seinem aufgestickten Wahlspruch anfertigen lassen. Die Sticharten sind zu dieser Zeit sehr vielseitig: Klosterstich, Hexen-, Flach-, Kreuzstich und Überfangstiche mit Wolle oder farbiger Seide, Blattstich, Kettenstich, Festonstiche mit Leinenfaden und viele Über- und Unterstiche mit Goldfäden.
Weißstickerei, Stickerei mit farbiger Seide und Perlen auf Leinen, versetzte Flachstiche und Anlegertechniken mit Gold und Silber wurden sowohl im Norden Europas als auch von Sizilien bis England ausgeführt.
Ende des 15. Jhdt. erreichte die europäische Stickkunst ihren Höhenpunkt, die Reliefstickerei stand in ihrer Blüte. Bei dieser Technik wurden die Motive zuvor mit Draht, Papier, Stoff oder sogar Elfenbein unterlegt, die Zwischenräume wurden in versenkter Anlegertechnik mit Goldfaden betont und nicht selten mit echten Perlen verziert.
Oft wurden Figuren auch „ aus Pflanzenfasern modelliert, mit Leinenfäden umwickelt, mit Seidentaft überzogen und anschließend mit farbigen Seiden-, Gold- und Silberfäden bestickt.“5
Die Reliefstickerei wurde durch das Streben der Gotik nach Ausdruckskraft und plastischem Naturalismus hervorgebracht, die Schönheit der Handstickerei vergangener Jahrhunderte wurde aber nicht mehr erreicht.
1.4. Einfluss
Durch den Handel Englands mit östlichen Ländern wurde der Einfluss osmanischer und arabischer Länder auch in der Stickerei sichtbar. Die Mauresken fanden Anwendung. Wie man weiß, „der Islam verbietet es seinen Gläubigen zu dekorativen Zwecken Menschen und Tiere darzustellen. Deshalb wurden abstrakte, sich verschlingende Linien und Formen entwickelt, die auch keinen floralen Bezug mehr aufwiesen.“6
Die Mauresken wurden im Rahmen der Renaissance-Ornamentik weiterentwickelt und durch eingearbeitete Masken und Halbfiguren entstanden die Arabesken.
Europäische Eingangspforte für Schätze aus der islamischen Welt war Venedig, wo der materielle Reichtum und die damit einhergehende Kunst und Kultur einen grandiosen Höhepunkt erreichte. Die Technik der Woll-, Seiden- und Leinenstickerei wurde immer perfekter und da die Nachfrage durch den steigenden Wohlstand wuchs, gelangten viele Sticker zu hohem Ansehen, manche erfreuten sich sogar eines Vertrauensverhältnisses zu den Fürsten.
Grotesken, schwungvolle Dekorationen, fantasievolle Motive wurden oft in Vor- und Flachstichen ausgeführt, Applikationstechniken wurden erfunden und neuerlich wurde auch schwarze Seide auf unterlegten Goldfaden in Kreuzstichtechnik verwendet. Gobelinstickerei, Ornamente und viele symbolische Stickereien erleben auch im häuslichen Gebrauch einen Höhepunkt.
Ab Anfang des 16. Jhdt, als die Buchdruckerei erfunden wurde, schöpften sowohl die Kunst- und Seidensticker/innen als auch die Laien ihre Ideen aus unzähligen Vorlagebüchlein. Diese Modellbücher sind heute schöne und historische Unterlagen über die jahrhundertelange Entwicklung der Stickkunst.
Kreuzstickereien im deutschen Raum, maurische Stilrichtungen in Italien und Metallstickereien wurden immer beliebter und wurden für Ausstattungsgegenstände wie Bettwäsche, Handtücher, Kredenztücher oder Betthimmel verwendet. Sie verliehen den Räumen des Adels und des Bürgertums einen „ wohnlichen und zugleich repräsentativen Charakter. Auf diese Weise ist auch die Stickerei sichtbarer Ausdruck der wirtschaftlichen Bedeutung und des Reichtums dieser Schicht, die gleichzeitig Kulturträger ihrer Epoche war.“7
Die spanische Mode sei auch hier erwähnt, wo dem Personenerscheinungsbild große Bedeutung geschenkt wurde. Kostbar bestickte Hemdborten, Brusttücher, Schürzen und Schleier mit wertvollen Edelsteinen und Perlen, verzierte Ärmel, Mieder und Kurzmäntel sind Zeugen der spanischen Mode des 16. Jhdt.
1.5 Hohe Kunst
Über die englische Stickerei des 16. und 17. Jhdt – Elisabetanische Stickerei genannt – bezogen auf Königin Elisabeth I. (1558–1603) sei erwähnt, dass zu keiner Zeit vorher oder nachher „ das weltliche Kostüm in England so sehr mit Stickereien verziert wurde, wie gerade in jener Epoche.“8
Die hohe Kunst des Stickens und die besondere Sorgfalt mit der Kostbarkeiten auch auf Decken, Vorhänge, Baldachine und Tischdecken angebracht wurden, sind in damaligen Katalogbeiträgen ersichtlich und zeugen von einem Reichtum der Motive und großem technischen Können. Die typischen Tier- und Pflanzenmotive wurden als Vorlage verbreitet und auch berühmte Bücher wie das „Common place book“ von Thomas Trevelyon (1608) oder das im deutschsprachigen Raum bekannte Musterbuch von Johannes Siebmacher (1597) „Schön neues Modellbuch von allerlei lustigen Mädeln nachzunehmen, zu wirken und zu strikken“ wurden verbreitet.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.1 Titel und Motive aus dem Modellbuch von Johannes Siebmacher
„ In den ersten Stichmusterbüchern war vor allem der Kreuzstich vorherrschend, in der Renaissance bevorzugte man die Ornamentik mit beliebten Gestalten der Mythologie. (…) Während des Barock passten sich dann die Stickmusterbücher abermals dem Zeitgeschmack an und boten Vorlagen von Blumen und allen möglichen Gegenständen, die man auf den Stoff zeichnen musste.“9
Leinenstickerei, Kloster- bzw. Hexenstich, Fischgrätenstich, Kett- und offener Festonstich, Flach- und Stielstich, Knötchen- und Spaltstich und Anlegerarbeiten sind nur einige der angewandten Methoden dieser Zeit. Behänge vom Prunkbett, Antependien oder Taufdecken mit Wappen, Kistenplatten und Tauftücher zeugen mit sagenhaft schönen Materialien wie Seiden, Taft, Brokat, Leinen, Seidenatlas oder Batist von der Hochblüte des Stichniveaus.
Auch Filetstickerei für den Hausgebrauch, Dekoration und Kleidung war im 17. Jhdt zum Beispiel in Italien sehr beliebt.
„Im Musterschatz dieser – in Italien als Lacis-Arbeiten bezeichneten – Netzstickereien lebten die schweren Formen der Renaissance-Dekoration weiter.“10
Doppelranken und stilisierte vegetabile Deko, Rhomben, Knospen, gegenständig heraldische Tiere und stilisierte Bäumchen waren beliebte Motive und sie wurden mit Seiden- oder meist weißen Leinenfäden in Stopf- und Schlingenstich gefertigt. Zick-Zack-Muster, Eicheln und Kandellaberbäumchen, Einhorn oder Hirsch und Adler wurden genau so als Motiv verwendet.
Männerkappen und Frauenhauben zeugen unter anderem von der hohen Stickkunst dadurch, dass die mit Gold- und Silberfaden bestickten und mit schwarzer Seidenstickerei variierten Werke kostbaren Goldschmiedearbeiten glichen.
1.6 Weißstickerei
Zu dieser Zeit stand auch die Weißstickerei in Mode, die aus der Piquetstickerei entstand und eigentlich eine Nachahmung der Spitze war. Daraus entwickelte sich dann die „Dresdner Stickerei“ oder die „Point de Saxe“ und die spätere auch heute wohlbekannten Varianten wie Loch- und Madeirastickerei. Zur Gruppe der Weißstickerei gehören noch die Ausschnittstickerei wie die Richelieustickerei, benannt nach dem französischen Kardinal Richelieu (1585–1642). In der Schweiz führte die Entwicklung der Weißstickerei zur Entstehung der weltberühmten „St. Gallner-Stickerei“ und im Norden entwickelte sich die bekannte „Hardanger-Stikerei“.
Nach dem Niedergang der Wirtschaft und dadurch auch der Künste nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) war eine Zeit Seiden- und Metallstickerei im Wiederaufbau, jedoch war in den protestantischen Gebieten kein Bedarf mehr an reich verzierten, kostbaren Parementen. Angesichts der allgemeinen Armut und der ständig wechselnden Kleiderordnung waren die schmückenden Stickereien hauptsächlich auf repräsentativen Gewändern des Adels anzutreffen. „ Die inhaltsreiche Figurenstickerei des Mittelalters, die schon in spätgotischer Zeit und zunehmend in der Renaissance in den Hintergrund trat, wurde im Barock und in der Rokokozeit nahezu gänzlich von ornamentalem Dekor verdrängt.“11
1.7. Savoir vivre
Im 17. Jhdt war die Lebensart, die Kunst und die Ansichten des französischen Hofes richtungsweisend für ganz Europa. Die für die Empfänge und die Feste vorgeschriebene „grande parure“ (Galakleidung) war gerade durch die Stickerei von besonderer Wichtigkeit. Außer Paris war Lyon Mittelpunkt des französischen Seidengewerbes.
„Einem Bericht des Roland de la Platiere zufolge, sollen dort 1778 auf diesem Sektor zwanzigtausend Menschen beschäftigt gewesen sein, davon alleine sechstausend als Sticker und Stickerinnen.“12
Abb. 2 habit à la francaise Abb. 3 bestickter Herrenanzug 1770/75
Als Muster verwendete man Nelken, Tulpen und Sonnenrosetten bis hin zu Spiralranken, Granatäpfel und orientalisierten Fantasieblüten auch Pfingstrosen, Stiefmütterchen, aufgehängte Körbe und Gitterwerk auf gepunkteten Grund um nur einige zu erwähnen. Als Grundstoff für die Stickerei wurden elfenbeinfarbige Lame-Seidenrips, Atlasseidengewebe (Kettatlas), Leinengewebe in Leinwandbindung, Lame-Seidentaft, Seidenbrokat oder Seidenmoire, Seidengaze und Baumwollgewebe zum Beispiel in dreibindigem Kettkörper genommen. Um die Farbentiefe mehr betonen zu können, wurden auch ungewöhnliche Materialien wie mit Draht umwickelte Kartonstreifen, Fadenbüschel, applizierte Tüllstreifen, wattierter Samt, geleimte Jute-Gaze und Kordeln aus verschiedenen Materialien verwendet.
Bei diesem aufwändigem Untergrund und der durchdachten Musterung ist es selbstverständlich, dass die von den Stickern benutzten Materialien von höchster Feinheit und Qualität waren. Schappseide, Metallfäden (vergoldete Silberlahn um gelbe Seidenseele, Silberlahn um weiße Seidenseele), Goldpailletten, oder kaum gedrehtes Seidengarn in allen erdenklichen Farben und Schattierungen. Die Stickarten wurden immer umfangreicher: Stielstich, Webstich mit Köppereffekten, Anlegerarbeiten, Flachstich, Spann- und Knötchenstich, Überfang- und Spaltstich oder Kordelstich.
1.8. Rückbesinnung
„Immer wieder begegnen wir in der Kunstgeschichte einer Art Rückbesinnung. Wo der vorhergehende Stil extrem ausgelebt wurde, verfällt der nachfolgende ins Gegenteil. (…) Dem Formenüberschwang des Rokoko folgt die Ernüchterung des Klassizismus. Häufig greift man dabei auf einen vergangenen Stil und dessen Formelemente zurück, wobei mitunter mehrere Epochen übersprungen werden.“13
Auch in der Stickerei ist es nicht anders, auch hier beruft sich der Klassizismus auf die Antike. Nicht nur in der Architektur, sondern auch in der Textilkunst werden Lotosblumen, Lorbeeren und Pyramiden neu entdeckt und man wird damit gleichzeitig an den Feldzug Napoleons in Ägypten erinnert.
Die bestickten Bezüge des Mobiliars geben einen treffenden Einblick in die verschiedenen Richtungen der Ornamentik im Klassizismus und Empire. Motive griechischer Sagen werden in Petit-Point-Bezüge, Blumenarrangement in Seidenstickerei auf Rückenpolster, Chenille-Stickerei für Ofenschirme oder Tambourierarbeit auf Sofas und Stühlen sind groß in Mode. Die Damenmode präsentiert sich in völlig neuer Form und die Farbe Weiß dominiert. Die langen nach griechischen Vorbildern entworfenen Kleider wurden mit kleinen Mustern bestickt und die Accessoires sind Zeugen von der Variationsbreite des gestickten Dekors der Zeit. Die Muster sind am Anfang noch asymmetrisch-vertikal, zwischen 1760 und 1780 werden sie symmetrisch und Blumenranken, schwebende Pfauen, Musikinstrumente und Fabeltiere sind typisch, auch Halbfiguren, Blumenarrangements mit Klee, Disteln und Rosen, symmetrische Muster von Köchern mit Pfeil und Bogen oder Wellen sind anzutreffen.
Streifen sind typisch für die Epoche und Rokokodekor wird durch Einbeziehen eines Streifen zu einem Klassizistischen. Als Unterlage bei den Möbeln wird schwarzer, grüner oder dunkler Samt oder Seidenatlas bevorzugt, bei der Kleidung wird Seidentaft zum Beispiel mit Schachbretteffekt durch Flottierung oder feines Baumwollgewebe oder Tüll genommen.
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1 Grönwoldt, Ruth: Stickereien von der Vorzeit bis zur Gegenwart, Seite 24
2 Vergleichbares: Stradal, Marianne, Brommer, Ulrike: Mit Nadel und Faden, Seite 8
3 Vergleichbares: Grönwoldt, Ruth: Stickereien von der Vorzeit bis zur Gegenwart, Seite 10
4 Vergleichbares: Stradal, Marianne, Brommer, Ulrike: Mit Nadel und Faden, Seite 39
5 Stradal, Marianne, Brommer, Ulrike: Mit Nadel und Faden, Seite 61
6 Küthe, Erich, Küthe, Susanne: Marketing mit Muster, Seite 64
7 Grönwoldt, Ruth: Stickereien von der Vorzeit bis zur Gegenwart, Seite 47
8 Grönwoldt, Ruth: Stickereien von der Vorzeit bis zur Gegenwart, Seite 48
9 Stradal, Marianne, Brommer, Ulrike: Mit Nadel und Faden, Seite 80
10 Grönwoldt, Ruth: Stickereien von der Vorzeit bis zur Gegenwart, Seite 86
11 Grönwoldt, Ruth: Stickereien von der Vorzeit bis zur Gegenwart, Seite 103
12 Grönwoldt, Ruth: Stickereien von der Vorzeit bis zur Gegenwart, Seite 106
13 Küthe, Erich, Küthe, Susanne: Marketing mit Muster, Seite 76