Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Ein Gegenreformator im Exil
3. Sensus Spiritualis
4. Allegorien im fünfzehnten Kapitel
5. Fazit
Literaturverzeichnis
1.Einleitung
Miguel de Cervantes' Roman Los trabajos de Persiles y Sigismunda (zu dt.: Die Mühen und Leiden des Persiles und der Sigismunda)1 ist voll von wunderbaren Begebenheiten, die auf ihrer literalen Ebene, also in der Art, wie die Geschichten dargestellt werden, seltsam erscheinen. Dem Rezipienten begegnen Inseln aus Edelsteinen, bösartige Meeresungeheuer, Schlittschuh laufende Soldaten im Nordmeer, zugefrorene Schiffe, Hexen, ein liebeskranker Portugiese, die schönsten Frauen der Welt und einiges Andere mehr. Im Ganzen reisen zwei sich Liebende, Persiles und Sigismunda, nach Rom, um dort heiraten zu können. Ihre Pilgerreise erfährt einige Umwege, aus denen, auf einer literalen Ebene, nicht immer zu ersehen ist, wozu diese Abenteuer erzählt werden. Die Lektüre zwingt den Rezipienten geradezu nach einer zweiten, das heißt allegorischen Leseart, zu suchen.
Im fünfzehnten Kapitel des zweiten Buches findet sich die Erzählepisode vom Physeter oder Meerungeheuer, die auf die Carta Marina et descriptio septentrionalium terrarum von Olaus Magnus (1539) bezogen werden kann. Durch den intertextuellen Bezug zwischen Roman und der Karte von Skandinavien aus dem 16. Jahrhundert eröffnet sich, wie noch gezeigt werden wird, eine allegorisch religiöse Leseart des genannten Kapitels. Die vorliegende Arbeit soll einen Einblick in die Möglichkeiten und Grenzen der Allegorese des Romans von Miguel de Cervantes geben. Die Hauptfrage lautet, in welcher Allegorie das fünfzehnte Kapitel gelesen werden kann. Es wird sich an besagter Textstelle zeigen, dass die religiös allegorische Leseart nicht durchgehalten werden kann. Um den Punkt deutlich zu machen, muss ich zunächst auf die Biographie von Olaus Magnus eingehen, um die religiöse Allegorie der Carta Marina aufzurufen, um dann die Allegorie auf das Kapitel übertragen zu können. Anschließend werde ich das 'Durchhaltevermögen' der Allegorie am Kapitel untersuchen. Inwieweit die getroffenen Aussagen, über die Allegorese des Kapitels, auf den gesamten Roman übertragen werden können, bleibt am Ende dieser Arbeit offen.
2. Ein Gegenreformator im Exil
Olaus Magnus (latinisiert von Olof Månsson) stammt aus Linköping, einer Stadt der schwedischen Provinz Östergötland, in der er 1490 geboren wurde. Er studierte an deutschen Universitäten und schlug eine geistliche Laufbahn ein. Er wurde 1518 in das Domkapitel des Bistums seiner Heimatstadt aufgenommen. Dort diente er als Sekretär und unternahm in dieser Stellung ausgedehnte Reisen durch Skandinavien. Diese Reisen waren prägend für sein späteres Schaffen. Erstens erlangte er mannigfache Kenntnisse über den nördlichen Teil Europas. Es begegneten ihm zahlreiche Geschichten, er sammelte Erfahrungen, persönliche Beobachtungen und geschichtliche Kenntnisse über das skandinavische Volk. Zweitens erkannte er, dass über Skandinavien nur relativ wenig verzeichnet war.
Schweden befand sich über eine langen Zeitraum in einer Union mit Dänemark und Norwegen. Im Jahre 1523 endete nach Kämpfen diese Union und Gustav I. Vasa bestieg als erster König Schwedens den Thron, eines Landes, das nun unabhängig war. Besagter König ernannte Johannes Magnus, den älteren Bruder von Olaus, nach Rücksprache mit dem Papst, zum Koadjutor des Erzbistums von Uppsala. In dieser Funktion diente Olaus dem Bruder als Sekretär. Beide unternahmen ausgedehnte Reisen durch Europa. Während dieser Reisen wendete sich Gustav I. Vasa jedoch dem Protestantismus zu und führte 1527 die Reformation in Schweden ein. Grund dafür war sicherlich die andere Sichtweise der protestantischen Kirche in Hinblick auf kirchliche Besitztümer. Durch die Einführung der Reformation gelangte Kirchenbesitz in die Hände des Königs. Der Krieg gegen Norwegen und Dänemark hatte seinen Preis, der bezahlt werden musste. Durch die Einführung der Reformation wurden die Brüder Magnus schlagartig besitzlos und konnten ihre kirchlichen Ämter insofern nicht weiter ausführen, als dass sie ihr Territorium nicht mehr betreten konnten. Fortan lebten sie im Exil und reisten weiterhin durch Europa. Ihre Arbeit galt der Gegenreformation. Sie konzentrierten sich dabei, sich in Rom Gehör zu verschaffen, Interesse zu wecken für Skandinavien und gegenreformatorische Bemühungen seitens des Papstes Pauls III. bzw. der katholischen Kirche zu erzeugen. In Rom fanden sie jedoch nur wenig Aufmerksamkeit.
Johannes Magnus starb 1544 und der jüngere Bruder sorgte sich weiter um gegenreformatorische Bestrebungen. Aus diesen und den Erfahrungen, die er während
seiner Skandinavien reisen gesammelt hatte, entstand die Carta Marina. Olaus Magnus
wurde nach dem Tod seines Bruders zum Bischof von Uppsala ernannt, musste aber weiterhin im Exil sein Amt ausführen. Es verstarb 1557 in Rom.2
3. Sensus Spiritualis
Die Carta Marina beinhaltet einen allegorischen Sinn, den sensus spiritualis, der sich für die Gegenreformation einsetzt. So lautet die These von Frank Lestringant, der eine intertextuelle Untersuchung zwischen der Karte und einem Text von François Rabeleis vornimmt.3 4
Die Karte von Olaus Magnus ist nicht nur eine einfache kartographische Darstellung Nordeuropas. „[S]ie ist ein Erinnerungsspeicher und eine Enzyklopädie von allem, was man über die Natur der Einwohner Skandinaviens und auch über ihre Vergangenheit, über ihren Glauben und ihre Legenden wissen kann. Die Lektüre der Karte bringt Erzählungen hervor.“5 Unter anderem erzählt sie von der das Christentum bedrohenden Häresie. Um diesen Sachverhalt darzustellen, bediene ich mich eines beispielhaften Ausschnittes der Karte, der für den Cervantes Text eine Rolle spielen wird:6
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
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1 Hier verwendete Ausgabe: de Cervantes Saavedra, Miguel; Rothbauer, Anton M.(Hg.): Exemplarische Novellen. Die Mühen und Leiden des Persiles und der Sigismunda, Stuttgart: Henry Goverts Verlag GmbH 1963.
2 Zur Biographie Vgl.: Sach, Maike: Kartographie als Verlustbeschreibung und Appell: Die Carta Marina des Olaus Magnus von 1539 als Beitrag im Ringen um die Einheit der Kirche, in: Michalsky, Tanja (u.a.) (Hg.): Aufsicht, Ansicht, Einsicht. Neue Perspektiven auf die Kartographie an der Schwelle zur Frühen Neuzeit, Berlin: trafo Verlagsgruppe Dr. Wolfgang Weist 2009, S. 197-225.
3 Vgl.: Lestringant, Frank; Dünne, Jörg (Hg.): Die Erfindung des Raums. Kartographie, Fiktion und Alterität in der Literatur der Renaissance, Bielefeld: Transcript 2012, S. 57.
4 Vgl.: Sach: Kartographie, S. 206.
5 Lestringant: Erfindung des Raums, S. 50.
6 http://art.alvin-portal.org/alvin/view.jsf?file=6964, zuletzt aufgerufen am 26.01.2015 um 16:20 Uhr.