Die Harmonie der Konzepte. Eine Auseinandersetzung mit Song Dongs „Doing Nothing Garden“ bei der documenta 13


Hausarbeit, 2012

25 Seiten, Note: 3,0


Leseprobe


Auseinandersetzung: Die Harmonie der Konzepte

Schon Monate vor Eröffnung der weltgrößten Ausstellung zeitgenössischer Kunst, der documenta, bemerkt man als Spaziergänger im Kasseler Auepark, dass sich hier etwas regt. Besonders auffällig sind die Veränderungen auf der Karlswiese vor der Orangerie. Was zunächst aussieht wie ein einfacher Erdhügel, scheinbar das Ergebnis einer Ausgrabungsaktion, entpuppt sich schließlich als Kunstwerk, welches zunächst aus einer einfachen, fließenden Hügellandschaft besteht (Abb. 1). Neonschilder mit chinesischen Schriftzeichen, die die Worte “Doing Nothing Garden” bilden und in der Dunkelheit leuchten machen den Titel der Arbeit unübersehbar (Abb. 2). Die Arbeit stammt von dem chinesischen Installations- und Performance-Künstler Song Dong. Er beschäftigt sich außerdem mit Fotografie, Videokunst und Malerei und kommt aus Peking, wo er heute noch lebt und arbeitet. Er setzt sich in seinen Werken mit der chinesischen Politik auseinander, sowie mit dem Bewahren von kulturellem Kapital in der beschleunigten modernen Stadt ohne es aber auf Materielles zu begrenzen. Seine Werke richten sich gegen die Wegwerfgesellschaft und gegen die Besessenheit des modernen Menschen immer mehr Dinge besitzen zu wollen.

Der orangene Ring, der wie eine Grenze um die Hügel liegt, betont die Trennung zwischen Rasen und Kunstwerk, zwischen dem, was immer, auch außerhalb der Zeit der documenta, da ist und dem Temporären. Es scheint, als ob hier eine Linie zwischen Natur und Kunst gezogen wird. Doch erwecken die Rasenhügel keinen besonders künstlichen Eindruck, trotz dass sie sich auch sehr symmetrisch und passend in die Orangerielandschaft fügen (Abb. 3). Man spürt dennoch, dass etwas nicht stimmt, dass hinter, oder besser unter dem Grün noch mehr steckt. Und tatsächlich, schaut man in das dOCUMENTA(13)-Begleitbuch, wird es dem Besucher offenbart. "Der sechs Meter hohe Hügel auf der Karlswiese vor der Orangerie [ist] aus Schichten über Schichten von Schutt und organischen Abfällen aufgehäuft, mit Gras und Blumen überwachsen und mit Neonschildern versehen"0F1. Ach, warum man nicht von selbst darauf gekommen ist. So neu ist die Idee gar nicht. Man kennt sie schon seit Schulzeiten als es um das Thema Müll ging. Denn es ist ja eine altbekannte, zwar nicht den ökologischen Standards entsprechende, aber dennoch nicht aussterben wollende Methode Abfall loszuwerden und ihn zu vergessen. Kein Gedanke wird mehr verschwendet daran, ob oder wie und nach wie vielen Jahren sich der Müll zersetzt und was für Auswirkungen das auf die Umwelt hat. Auch Meere erfüllen solch eine praktische Funktion, besonders für Munition und Waffen aus dem Zweiten Weltkrieg. Nachteil solcher Methoden ist nur, dass der Schrott irgendwann wieder zum Vorschein kommt. Selbst im Auepark Kassel entdeckt man solch pfiffige Methode, was aber an späterer Stelle ausgeführt werden soll.

Der Titel ist schwierig zu interpretieren. Direkt übersetzt bedeutet "Doing Nothing" Nichtstun. Folgt man den Medien, die sich auch mit dieser Wortwahl beschäftigen, entdeckt man, wie viele unterschiedliche Lesarten aus dieser Begrifflichkeit entstehen können. Das zeigt auch eines der 100 Notizbücher aus "100 Notizen - 100 Gedanken" "Nr. 084: Song Dong, Doing Nothing", worin Song Dong einen Satz über das Nichtstun von vielen verschiedenen Personen, sogar von Übersetzungsbüros und Google Translate übersetzen lässt und häufig wird dieser Satz ganz anders ausgedrückt. Die Bedeutung des Satzes, wenn in diesen Übersetzungen Überschneidungen auftauchen, besagen dann in etwa, dass 1. dem Menschen das Tun freisteht, 2. dass Nichtstun eine Verschwendung ist und trotzdem Tun ist, 3. dass Getanes nicht immer bedeutend ist, sondern vergeblich und 4. dass aber getan werden muss. Dong schreibt in seinem Notizbuch, dass das Wort Tun, welches er an dieser Stelle im Chinesischen benutzt hat, durch jedes Verb ersetzt werden kann. Daraus lässt sich schließen, dass der Mensch ein völlig frei handelndes Wesen ist, dass diese Freiheit aber nur Schein ist, da ihm die Freiheit nicht dient.

Eine extreme Interpretation des Nichtstun könnte praktisch bedeuten: Alle Probleme würden sich von selbst lösen und die Natur könnte sich erholen. Doch kann dies nicht funktionieren. Nach der Akteur-Netzwerk-Theorie ist alles Akteur, selbst Bäume und Waffen. Jeder Akteur handelt und beeinflusst somit seine Umwelt. Diese Beeinflussung betrifft Reaktionäre aus der Umwelt. Sie ist also gleich einer Reaktion auf die Handlung der Akteure und somit wieder eine Handlung.

Ein weiterer Versuch: Der Titel beschreibt eine Art von Garten, in dem man nicht arbeiten muss und trotzdem etwas wächst. Dadurch wird das Nichtstun zu etwas Produktivem; hier hat der Garten aber die Bedeutung eines Produktionsorts. Es gibt hingegen noch andere Gärten, Gärten mit heiligen Orten bestimmter Glaubensrichtungen, Blumengärten, Spielwiesen usw. Auch bleibt der Aspekt des Schutts, der sich im Inneren des Berges befindet, hier offen.

Schließlich eine andere Interpretation des Werkes, welches die Missachtung der Umwelt durch den Menschen präsentiert, welche unter einer makellosen Oberfläche versteckt wird.

Der Titel wirft also noch Rätsel auf.

Zugegeben, die Erde des “Doing Nothing Garden” wurde durch Menschenhand mit allerlei heimischen Getreide-, Blumen- und Gemüse-Sorten bepflanzt, doch ließen erst die reichen Niederschläge die Hügel in einem satten Grün erstrahlen. Vegetative Vermehrung und Ansiedlung von Gräsern durch Windflug oder über Tiere zeigen, dass das Kunstwerk eine gewisse Selbstständigkeit erhalten hat, zu einem "lebendige[n] Organismus"1F2 geworden ist.

Doch kann man überhaupt sagen, dass das Kunstwerk von Natur umgeben wird? Mittlerweile findet man in Deutschland kaum noch einen Fleck unberührte Natur und dazu gehören garantiert nicht die Wiese der Orangerie und die Karlsaue, entstanden im Barock. Mit ihren exotischen Bäumen simuliert die Aue eine Wildnis und die geometrische Ordnung der Karlswiese ist das Gegenteil von natürlich. Die Natur hier ist menschengemacht, wird gehegt und gepflegt, gesät und geschnitten.

Der Ort vor der Orangerie ist ein geschichtsträchtiger Ort. Es hat schon viele Kunstwerke der vorherigen documenten oder ganze Ausstellungsräume dorthin verschlagen2F3. So auch während der documenta 12. Eine 9500 m² große Halle, genannt Aue-Pavillon war auf der Wiese errichtet worden. Sie hatte starke Ähnlichkeit mit einem Gewächshaus (Abb. 4). Die Internetseite des documenta 12-Archivs schreibt über ihre damaligen Ausstellungsorte, "Jedes dieser Gebäude steht für ein Jahrhundert, für eine Vorstellung von Öffentlichkeit und eine Idee von Kunstbetrachtung. Die Ausstellungsarchitektur reagierte auf diese spezifischen Räume"3F4. Warum die Architektur des Aue-Pavillons so gewählt wurde, hatte sicherlich viele Gründe. Eine Vermutung lässt allerdings eine Parallele zu dem Hügel von Song Dong erkennen und rückt die Geschichte Kassels ins Jetzt.

Dazu müssen wir uns allerdings erst einige Jahre zurückversetzen, ganz wie documenta 12-Kurator Roger Burgel in einem Interview meinte, "Es lohnt sich dem Ursprung der documenta nachzugehen"4F5. Das Ereignis der 1955 in Kassel zum ersten Male stattfindenden Bundesgartenschau war die Initialzündung für die Documenta. Die Idee keimte Arnold Bodes Kopf, als er erfuhr, dass neben der Gartenausstellung eine Begleitausstellung für Kunst stattfinden könnte. 1955 lag Kassel als Zentrum der einstigen Rüstungsindustrie des Dritten Reichs zum größten Teil noch in Trümmern und die zahlreichen Gäste mussten in Behelfsquartiere untergebracht werden. Ob der Pavillon auf der Karlwiese zur 12. documenta vielleicht deshalb so provisorisch und gläsern erbaut wurde? Bedeutender Nebeneffekt der Gartenschau war jedenfalls, dass der einem Schuttfeld gleichende Teil der Stadt nun aufgeräumt und verschönert wurde. Die Trümmer und der Müll der Vergangenheit wurden begraben unter den Blumen und den kunstvollen Großbeeten (Abb. 5 bis Abb. 8). Daraus ergibt sich eine Verknüpfung mit der Geschichte der Menschheit und erinnert sie daran das eigene Verhalten und wichtige Entscheidungen zu reflektieren. Viele Kunstwerke und Geschehnisse liegen also als Ge(Schichten) übereinander, haben sich abgelagert. Wie die Ausstellungsarchitektur jeder documenta erneut auf die spezifischen Räume reagiert, gehen auch die Kunstwerke, die in der Parklandschaft ihren Platz finden, zwangsläufig eine Kommunikation und Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt ein. Ob Song Dong sich auch von der Geschichte des Ortes hat inspirieren lassen?

Die Architektin Natascha Sadr Haghighian tat das, sie hat für die dOCUMENTA(13) einen Pfad entstehen lassen. Dieser Pfad ist ganz in Gegensatz zu seinen eigentlichen Charaktereigenschaften künstlich erzeugt worden. Es erscheint zunächst absurd, dass er direkt neben einer großen doppelläufigen Treppe verläuft. Diese bietet nicht nur eine Verbindung zwischen Park und “Schöne Aussicht”, sondern verkörpert in ihrer monumentalen Pracht auch ein Denkmal für die im Ersten und Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten (Abb. 9). Der Pfad gibt vor etwas zu sein, was er nicht ist, nämlich reine Gewohnheit und spontanes Wohlgefallen. Unter ihm steckt der Schutt des Krieges, doch verbirgt er ihn nicht weiter, sondern macht ihn erstmals seit 1955 wieder sichtbar (Abb. 10). Neben dem Denkmal, welches mit seinen zwei Wegen zeigt, dass der Mensch immer eine Wahl hat, gibt der Pfad ihm noch eine dritte Alternative, vielleicht eine neue Geschichte zur Vergangenheit.

Wenn man dem Pfad folgt, vernimmt man Tierlaute. Sie können nur aus versteckten Boxen in den Büschen drumherum kommen, man entlarvt sie schnell als Tierlaut-Nachahmungen. Fragen tauchen auf: Wie wird unsere Wahrnehmung der wirklichen Welt und der Vergangenheit durch unser Bewusstsein verändert oder beeinflusst? Muss man das eigentlich Bekannte und Wissen nicht in Frage stellen? Das sind auch Fragen, die immer wieder in den Interviews mit Carolyn Christov-Bakargiev auftauchen und wichtig in dem „konzeptlosen Konzept“ der dOCUMENTA(13)-Kuratorin sind.

Eine weitere Fragen taucht auf: Was bedeutet es an einem Ort zu sein? Viele Besucher einer Ausstellung sind zwar vor Ort, doch agieren sie nicht so. Sie sind sehr auf die Ausstellung konzentriert und achten nicht darauf, was um sie herum geschieht. So ist es anscheinend auch ein Plan des ‚konzeptlosen Konzeptes', dass man die documenta auf keinen Fall vollständig gesehen haben kann. In Kassel allein zählt man um die 30 Veranstaltungsorte, worunter sich die traditionellen Gebäude wie das Fridericianum, die Neue Galerie und die documenta-Halle befinden, aber auch ganz neue und kleine Orte, wie ein einstmals als Moschee geplantes Gebäude, das ehemalige Finanzamt, das historische Elisabethhospital, ein Hotel, eine ehemalige Bäckerei und sogar ein Bunker zählen dazu. Auch mit einbezogen, ist der schon erwähnte Auepark, der mit seinen 125 Hektar sehr weitläufig ist. Darin befinden sich über 50 Kunstwerke. Der Besucher, dessen Schaulust groß ist, muss also immense Strecken zurücklegen. Doch seine Motivation und Mobilität kann noch so groß sein, er wird es doch nicht schaffen alles, was die diesjährige Ausstellung umfasst, zu sehen, denn außerdem gehören Orte in Ägypten, Afghanistan und Kanada zur Ausstellung, und spätestens am Visaantrag für Afghanistan wird die Reise scheitern. Der Besucher soll Demut erfahren und vor allem soll er wirklich vor Ort sein und die Stadt Kassel erfahren.

Daher funktioniert Song Dongs Kunstwerk vielleicht erst richtig, wenn man sich mehr auf bestimmte Themen eingelassen hat. Zum Beispiel findet der Besucher auch bei der Künstlergruppe AND AND AND Gedankengänge zum menschlichen Verhalten der Natur gegenüber. Diese Künstlergruppe setzt sich kritisch mit den Gesetzen des Profits auseinander, will Verknüpfungen und Problematiken aufzeigen und sieht eine allgemeine Aufgabe in der Erhaltung der Welt. Das setzt die Gruppe in Zusammenarbeit mit Kasseler Studenten, Forschern und Bürgern um und bietet einen Ort für Überlegungen und alternatives Handeln (Abb. 11). „Zusammenbruch und Wiederaufbau“, eines der kuratorischen Leitmotive, welches von den Medien besonders häufig aufgegriffen wird , kann man demnach auch in Dongs und Sadr Haghighians Werken wiederfinden. Man sieht also, es gibt thematische Übereinstimmungen vieler verschiedener Werke der dOCUMENTA (13). Es scheint schließlich um eine Verkörperung zu gehen, darum das Thema zu erfahren.

[...]


1: dOCUMENTA(13) Das Begleitsbuch Katalog, S. 306.

2: dOCUMENTA(13) Das Begleitsbuch Katalog, S. 306.

3: Auf alten Plänen aus der Anfangs-, der Barockzeit, zeigt sich der größte Bereich vor der Orangerie mit Beeten von Buchsbaumhecken umgrenzt, sowie mit Blumen und eventuell auch mit Gemüse bepflanzt, genutzt zur Zier. Auf der documenta 2 war Picassos „Les Baigneurs“ in einem Wasserbassin vor der Ruine der Orangerie arrangiert. Die documenta 3 präsentierte Norbert Krickes “Grossen Mannesmann” dort, sowie einen Teil der Laserscape-Installation von Horst H. Baumann und Peter Hertha. Mit der documenta 4 befand sich auf der Karlswiese die sogenannte "Riesenwurst" des Installations- und Verpackungskünstlers Christo, der ebenfalls für die Verpackung des Berliner Reichstag nach der Deutschen Einigung verantwortlich war, neben einer Stahlskulptur von Erich Hauser.

4: http://archiv.documenta12.de/aussttelung.html.

5: Art spezial. Das Kunstmagazin. dOCUMENTA 13, S. 123.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Die Harmonie der Konzepte. Eine Auseinandersetzung mit Song Dongs „Doing Nothing Garden“ bei der documenta 13
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Kunsthistorisches Seminar und Kunstodie)
Veranstaltung
Documenta 13
Note
3,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
25
Katalognummer
V308198
ISBN (eBook)
9783668062986
ISBN (Buch)
9783668062993
Dateigröße
4829 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
dOCUMENTA (13), Doing Nothing Garden, Song Dong, AND AND AND, Natascha Sadr Haghighian, Hu Xiaoyuan, Performancekunst, Installationskunst
Arbeit zitieren
Hilke Räuschel (Autor:in), 2012, Die Harmonie der Konzepte. Eine Auseinandersetzung mit Song Dongs „Doing Nothing Garden“ bei der documenta 13, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/308198

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