Im Januar 1990 veröffentlichte Human Rights Watch einen Bericht über den damals seit 20 Monaten andauernden Bürgerkrieg in Nordsomalia zwischen der Oppositionspartei Somali National Movement und dem Regime Siyad Barres. Geschätzte 50000 bis 60000 Somali starben bereits, annährend 500000 Somali flüchteten, vornehmlich nach Äthiopien. Im Laufe der Jahre 1989/1990 weitete sich der Bürgerkrieg auf ganz Somalia aus.
Im Dezember 1990 wurde das Regime gestürzt und Somalia versank in Anarchie. Daraufhin wurden alle diplomatischen Vertretungen und internationale Hilfsorganisationen im Januar 1991 aus der Hauptstadt Mogadischu evakuiert. Der Bürgerkrieg wurde nun zwischen verfeindeten Clans und verschiedenen Oppositionsparteien fortgesetzt und führte Ende des Jahres 1991 zu weiteren 470000 Flüchtlingen und zu 2,5 Millionen Vertriebenen bei einer Gesamtbevölkerung von 7 Millionen Menschen. Das Jahr 1992 entwickelte sich für das ohnehin vom Bürgerkrieg zerrissene Land zu einer humanitären Katastrophe.
Trotz der prekären humanitären Lage in Somalia nahmen sich die Vereinten Nationen zunächst nur zögerlich des Problems an. Am 23. Januar 1992 verabschiedete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Resolution 733 , welche ein umfassendes Waffenembargo über Somalia zum Inhalt hatte. Nachdem die beiden verfeindeten Parteien um General Mohamed Farrah Aidid und Interimspräsident Ali Mahdi im März 1992 in Mogadischu einem Waffenstillstand zustimmten, beschloss der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit Resolution 751 eine „United Nations Operation in Somalia“. Danach sollte eine UN Beobachtertruppe nach Mogadischu entsandt werden, welche zunächst den Waffenstillstand zwischen den Parteien überwachen sollte.
Die folgende Arbeit befasst sich nun zuerst mit dem Staat Somalia und seiner Gesellschaft. In einem zweiten Schritt wird der Verlauf der so genannten humanitären Intervention der Vereinten Nationen in Somalia aufgezeigt und die möglichen Interessen einzelner Akteure am Beispiel der Interessen der USA geprüft. Abschließend werden die Folgen der Intervention für Somalia und die Vereinten Nationen erörtert.
A. Vorwort
„Im 18. Jahrhundert hatte nur Kant die Ansicht vertreten, dass der Friede Sache der Völker sei.“ [1]
B. Einleitung: Somalia und die humanitäre Intervention
Im Januar 1990 veröffentlichte Human Rights Watch einen Bericht über den seit 20 Monaten andauernden Bürgerkrieg in Nordsomalia zwischen der Oppositionspartei Somali National Movement (SNM) und dem Regime Siyad Barres . Geschätzte 50'000 bis 60'000 Somali starben bereits, annährend 500'000 Somali flüchteten, vornehmlich nach Äthiopien.[2] Im Laufe der Jahre 1989 / 1990 weitete sich der Bürgerkrieg auf ganz Somalia aus. Im Dezember 1990 wurde das Regime gestürzt und Somalia versank in Anarchie.[3] Daraufhin wurden alle diplomatischen Vertretungen und internationale Hilfsorganisationen im Januar 1991 aus der Hauptstadt Mogadischu evakuiert. Der Bürgerkrieg wurde nun zwischen verfeindeten Clans und verschiedenen Oppositionsparteien fortgesetzt und führte Ende des Jahres 1991 zu weiteren 470'000 Flüchtlingen und zu 2,5 Millionen Vertriebenen bei einer Gesamtbevölkerung von 7 Millionen Menschen.[4] Das Jahr 1992 entwickelte sich für das, ohnehin vom Bürgerkrieg zerrissene Land, zu einer humanitären Katastrophe. Neben gewalttätigen Auseinandersetzungen, die zwischen November 1991 und Februar 1992 allein in Mogadischu 14'000 Tote und 27'000 Verletzte forderten, führte eine landesweite Dürre zu Hungerkatastrophe, Unterernährung und Epidemie. Mitte des Jahres 1992 erlagen 300'000 Somali als Folge von Bürgerkrieg und Dürre dem Hungertod oder dem Tod durch Krankheit.[5] Ungefähr 4,5 Millionen der verbliebenen 6 Millionen Somali wurden als unterernährt eingeschätzt, davon 1,5 Millionen Somali sogar als direkt vom Hungertod bedroht. Eine Million Somali flüchteten ins Ausland und in die Nachbarländer.[6] Trotz der prekären humanitären Lage in Somalia, nahmen sich die Vereinten Nationen zunächst nur zögerlich dem Problem an. Am 23. Januar 1992 verabschiedete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Resolution 733[7], welche ein umfassendes Waffenembargo über Somalia zum Inhalt hatte. Nachdem die beiden verfeindeten Parteien in Mogadischu um General Mohamed Farrah Aidid und Interims- präsident Ali Mahdi im März 1992 einem Waffenstillstand zustimmten, beschloss der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit Resolution 751[8] (24. April 1992), eine „United Nations Operation in Somalia“ (UNOSOM I). Danach sollte eine UN Beobachtertruppe nach Mogadischu entsandt werden, welche zunächst den Waffenstillstand zwischen den Parteien überwachen sollte.[9] Die folgende Arbeit befasst sich nun zuerst mit dem Staat Somalia und seiner Gesellschaft. In einem zweiten Schritt wird der Verlauf der so genannten humanitären Intervention der Vereinten Nationen in Somalia aufgezeigt und die möglichen Interessen einzelner Akteure, am Beispiel der Interessen der USA, geprüft. Abschließend werden die Folgen der Intervention für Somalia und die Vereinten Nationen erörtert.
C. Somalia
Somalia zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. Es liegt am Horn von Afrika im äußersten Osten des Kontinents. Im Gegensatz zu anderen Staaten Afrikas südlich der Sahara, besteht die Bevölkerung Somalias aus einer ethnisch homogenen Gruppe. Die Somali sind sunnitische Muslime und gehören zur kuschitischen Sprachfamilie. Der Vegetation angepasst leben ungefähr die Hälfte der Somali als Nomaden im Norden des Landes. Im Süden leben 25 % der Bevölkerung als sesshafte Bauern und die übrigen 25 % leben in größeren Städten.
I. Die Gesellschaftsstruktur Somalias
Die traditionelle politische und soziale Struktur der somalischen Gesellschaft, die Basis für das politische und soziale Denken unter den Somali, ist stark beeinflusst von der pastoralen Demokratie der Nomaden. Dieses System beruht auf der Freiheit des Einzelnen, Egalitarismus und dem patrilinear ausgerichteten Prinzip der Abstammung, welche der zentrale Faktor im Leben eines Somali ist und über welche ein Somali seine Identität definiert. Das Clansystem beruht auf Verwandtschaft und Abstammung. Die Somali können in zwei große Gruppen eingeteilt werden. Sab und Samaale gehen auf die Gründerväter zurück, die ihrerseits von dem gemeinsamen Vorvater Hiil abstammen. Bereits in diesem Abstammungsmythos zeigt sich der Nord-Süd-Gegensatz Somalias. Während die Sab als sesshafte Bauern im Süden leben, betreiben die Samaale als Nomaden im Norden Viehzucht. Die beiden Gruppen gliedern sich wiederum in sechs Clan-Familien.[10] Auf der Ebene der Clan-Familien erreicht die Identifikation eine innenpolitische und parteipolitische Bedeutung. Das soziale Netz, welches der Staat nie zu bieten vermochte, und das Gefühl der Zugehörigkeit und Solidarität, äußert sich auf der nächst niedrigeren Ebene der zahlreichen Clans. Mitglieder eines Clans unterstützen sich finanziell und politisch.[11] Es gibt noch weitere Abstammungsstufen in der Hierarchie, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann. Wichtig ist, dass jede Ebene eine eigenständige politische Handlungseinheit bildet, ohne dass es eine Macht- und Kompetenzhierarchie zwischen den einzelnen Ebenen gibt. Es könnte der Eindruck entstehen, das politische System der Somali beruhe auf einem geregelten, institutionellen politischen Leben. Das oberste Prinzip der Konfliktbewältigung ist jedoch die Selbsthilfe, was Gewalt als wichtigstes Durchsetzungsmittel zur Konsequenz hat. Folglich könnte man das politisch heterogene System der Somali mit anarchischen Zügen und den modernen Staat mit hierarchischen und institutionellen Zügen, als zwei entgegen gesetzte Systeme ansehen.[12]
II. Staatsgründung und Staatszerfall in Somalia
Im 19. Jahrhundert waren die Somaligebiete in fünf koloniale Zonen unterteilt, Französisch Somaliland, Britisch Somaliland, Italienisch Somaliland, der britisch verwaltete Northern Frontier District im heutigen Kenia und der unter äthiopischer Oberhand stehende Ogaden. Bereits im Kampf der Derwische 1900 bis 1920 gegen die Kolonialherren, wurde versucht eine nationale Einheit der Somali herzustellen und dadurch die Fremdherrschaft zu überwinden. Nach dem Aufstand der Derwische verfestigte sich die Aufteilung kolonialer Gebiete. Die zweite große somalische Einigungsbewegung fällt in die Zeit nach dem 2. Weltkrieg und die erneute Aufteilung des Horn von Afrika durch die Vereinten Nationen.[13] Die von den Briten 1946 vorgeschlagene Zusammenführung aller somalischen Gebiete, scheiterte am Votum der Vereinten Nationen[14] und die Teilung wurde erneut beschlossen. Lediglich das Gebiet des ursprünglichen Italienisch Somaliland wurde von den Vereinten Nationen 1954 Italien zur Treuhandschaft unterstellt. 1960 wurden die unter britischer und italienischer Verwaltung stehenden Gebiete in die Unabhängigkeit entlassen und zur Republik Somalia vereinigt. Von Beginn an wurde darauf geachtet, dass möglichst alle Clan-Familien an der Macht beteiligt waren, was dazu führte, dass die parlamentarische Demokratie von dem traditionellen Clan-System unterwandert wurde. Die somalische Politik bestand aus der Verteilung von Macht und Geld zwischen den Clans und Misswirtschaft. Im Oktober 1969 führte ein unblutiger Militärputsch zur Machtübernahme von General Siyad Barre. Dieser begründete den Staatsstreich mit dem Vorwurf der Korruption. Die Führung des Staates übernahm das Supreme Revolutionary Council unter Führung Barres. Sie setzten die Verfassung außer Kraft, lösten das Parlament auf und verboten die Parteien. Zur Absicherung seiner Macht durch allgegenwärtige Kontrolle, baute Barre ein feinmaschiges Bespitzelungsnetz nach sowjetischem Vorbild auf. Bis zum Ogadenkrieg gegen Äthiopien 1977/78 war die Sowjetunion Barres engster Verbündeter und sozialistisches Vorbild. Nachdem kommunistische Rebellen 1978 den äthiopischen Kaiser Haile Selassie entmachtet hatten, unterstützte die Sowjetunion fortan die äthiopischen Genossen und das Regime Barre war zunächst ohne Verbündete, weil zunächst auch die USA sich nicht dem Barre- Regime annahmen. In Folge des verlorenen Krieges bildete sich in Somalia eine ernsthafte Opposition. Im April 1978 scheiterte ein Putschversuch gegen Barre und die Putschisten flohen nach Äthiopien, das ihnen Asyl gewährte. Dort begann mit der Gründung der Somali Salvation Front, die 1981 in der Somali Salvation Democratic Front aufging, die organisierte Opposition gegen Barre. Als weitere Folge des Ogadenkrieges wurden traditionelle Clan-Feindschaften neu belebt. Im Laufe der 80er Jahre verschlechterte sich die wirtschaftliche Situation zunehmend und neue Oppositionsparteien wurden gegründet. Im April 1988 begann die aus Isaq-Clanmitgliedern bestehende Somali National Movement (SNM) mit einer groß angelegten Militäraktion im Norden des Landes. Obwohl Barre mit äußerster Härte darauf reagierte, breitete sich der Bürgerkrieg Ende 1988 immer weiter nach Süden aus. Die Clan-Familien Hawiye, Digil und Rahawein hatten sich als United Somali Congress (USC) zusammengeschlossen und bekämpften zusammen mit anderen Parteien das Regime Barre im Süden. Barre überzog das Land bis zu seinem Sturz im Dezember 1990 mit blankem Terror und führte einen Krieg gegen das eigene Volk.[15] Nachdem USC Kämpfer nach der Schlacht um Mogadischu, den Präsidenten Barre gestürzt und ihn und seine Gefolgsleute gezwungen hatten, die Hauptstadt zu verlassen, richteten sie eine vom USC dominierte Übergangsregierung ein. Die clanübergreifende Zweckallianz von Oppositionsparteien aus Nord und Süd gegen das Barre-Regime erwies sich jedoch als nur von kurzer Dauer. Oppositionsbewegungen im Norden und Süden fühlten sich von der USC übergangen und auch innerhalb der USC brachen Feindschaften zwischen zwei Sub-Clans der Hawiye aus. Der Konflikt zwischen den Abgaal, die eine finanzstarke Gruppe um Interim Präsident Ali Mahdi stellten und den Abr Gedir, die den militärisch starken Flügel der USC um General Farah Aidid dominierten, beherrschte fortan den anhaltenden Bürgerkrieg in Somalia, der erneut clanpolitisch motiviert war[16]. Dieser Zustand teilte die Stadt Mogadischu in einen von Mahdi kontrollierten Stadtteil und in einen von Aidid kontrollierten Stadtteil. In letzter Konsequenz führte der Konflikt zwischen Mahdi und Aidid zu einer menschlichen Katastrophe und zur Intervention der Vereinten Nationen in Somalia. Bereits im Mai 1991 hatte jedoch die SNM die Konsequenz aus dem Verhalten der anderen Oppositionsparteien gezogen und im Norden des Landes den unabhängigen Staat Republik Somaliland ausgerufen. Die Republik Somaliland wurde weder international noch von den Somali anerkannt.[17]
D. Die Humanitäre Intervention
I. Die „United Nations Operation for Somalia“ (UNOSOM I)
Die 50 Blauhelme der UN Beobachtermission „[…] 50 uniformed and unarmed United Nations Observers […]”[18], die in Resolution 751[19] (24. April 1992) vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beschlossen wurde, erreichten Mogadischu Anfang Juli 1992. Am 12. August 1992 informierte der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Boutros Boutros-Ghali, den Sicherheitsrat darüber, dass die beiden bedeutendsten Fraktionen in Mogadischu (Aidid und Mahdi) einer Stationierung einer weiteren „[…] 500-strong United Nations security force […]“[20] zugestimmt hatten, welche den Schutz des UN- Personals gewährleisten sollten.[21] Daneben wurde auch vereinbart, dass die Schutztruppe den Transport und die Verteilung der humanitären Hilfsgüter in Mogadischu und der näheren Umgebung absichern sollte. Die erste Gruppe dieser 500 Mann starken Schutztruppe traf jedoch erst am 14. September 1992 in Mogadischu ein. Bereits am 28. August 1992 autorisierte der UN-Sicherheitsrat mit Resolution 775[22] auf Vorschlag des Generalsekretärs, UNOSOM I um vier Einheiten von jeweils 750 Mann zu verstärken. Am 8. September 1992 genehmigte der Sicherheitsrat, UNOSOM I um weitere drei logistische Einheiten von insgesamt 719 Personen zu erweitern.
[...]
[1] M. Bertrand, UNO Geschichte und Bilanz,S. 16; Im Gegensatz zu der Annahme, dass Friede Sache der Herrscher sei.
[2] vgl. Overview of Human Rights Developments, Somalia 1990, S. 2 ff
[3] vgl. M. Brons, Somaliland. Zwei Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung, S. 12
[4] vgl. Department of Public Information of the U N, Yearbook of the United Nations 1991, S. 427
[5] vgl. Overview of Human Rights Developments, Somalia 1992, S. 1 ff
[6] vgl. Department of Public Information of the U N, Yearbook of the United Nations 1992, S. 199
[7] vgl. Alle zitierten Resolutionen des Sicherheitsrats sind im Internet abrufbar unter www.un.org/documents, wenn nicht anderweitig gekennzeichnet, Resolution 733
[8] vgl. Resolution 751
[9] vgl. Department of Public Information of the U N, Yearbook of the United Nations 1992, S. 199
[10] vgl. A. Mutschler, Eine Frage der Herrschaft. Betrachtungen zum Problem des Staatszerfalls in Afrika am Beispiel Äthiopiens und Somalias, S. 98 ff
[11] vgl. M. Bongartz, Somalia im Bürgerkrieg: Ursachen und Perspektiven des innenpolitischen Konflikts, S. 8
[12] vgl. A. Mutschler, Eine Frage der Herrschaft. Betrachtungen zum Problem des Staatszerfalls in Afrika am Beispiel Äthiopiens und Somalias, S. 152 ff
[13] vgl. A. Mutschler, Eine Frage der Herrschaft. Betrachtungen zum Problem des Staatszerfalls in Afrika am Beispiel Äthiopiens und Somalias, S. 161 ff
[14] vgl. M. Brons, Somaliland. Zwei Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung, S. 5
[15] vgl. A. Mutschler, Eine Frage der Herrschaft. Betrachtungen zum Problem des Staatszerfalls in Afrika am Beispiel Äthiopiens und Somalias, S. 167 ff
[16] vgl. M. Brons, Somaliland. Zwei Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung, S. 14 f
[17] vgl. A. Mutschler, Eine Frage der Herrschaft. Betrachtungen zum Problem des Staatszerfalls in Afrika am Beispiel Äthiopiens und Somalias, S. 190 ff
[18] Department of Public Information of the U N, Yearbook of the United Nations 1992, S. 204
[19] vgl. Resolution 751
[20] Department of Public Information of the U N, Yearbook of the United Nations 1992, S. 206
[21] vgl. Somalia – UNOSOM I – Background, S. 3
[22] vgl. Resolution 775
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