Leseprobe
I Inhaltsverzeichnis
II Abbildungsverzeichnis
III Tabellenverzeichnis
IV Abkürzungs- und Variablenverzeichnis
1. Einleitung
2. Effizienzmarkthypothese
2.1 Grundlagen effizienter Märkte
2.2 Empirische Evidenz
2.3 Kritische Diskussion der Effizienzmarkthypothese
2.4 Erweiterte und alternative Konzepte
3. Value Investing
3.1 Theoretischer Überblick
3.1.1 Eindimensionale Value-Strategien
3.1.2 Mehrdimensionale Value-Strategien
3.2 Erklärungsansätze für Value-Premium
3.2.1 Rationale Begründung
3.2.2 Mispricing – Behavioristische Ansätze
3.2.3 Joint-Hypothesen Problematik
4. Value Investing und Effizienzmarkthypothese – Ein Paradoxon?
5. Schlussbetrachtung
IV Literaturverzeichnis
II Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Vergleich von Aktienkursen mit den ex-post Barwerten
III Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Renditen für eindimensional klassifizierte Value- und Glamour-Aktien
Tabelle 2: Regression von Renditen auf unterschiedliche Unternehmenscharakteristika
Tabelle 3: Marktadjustierte einjährige Renditen
IV Abkürzungs- und Variablenverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
Die Frage, ob durch aktive Aktienauswahl oder bestimmte Investmentansätze risikoadjustierte Überrenditen gegenüber dem Marktdurchschnitt zu erzielen sind, gehört seit jeher zu den spannendsten Fragen der Finanzwirtschaft. Die überwiegende Mehrheit der Ökonomen verweist seit Fama (1970) auf die Effizienz der Märkte, über die Jensen 1978 im Journal of Financial Economics die berühmten Worte schreibt: „I believe there is no other proposition in economics which has more solid empirical evidence supporting it than the Efficient Market Hypothesis.“[1] Fama proklamiert in seiner Effizienzmarkthypothese (EMH), die bis heute zu den Grundpfeilern der Kapitalmarkttheorie gehört, dass alle vorhandenen Informationen bereits in den Aktienkursen enthalten sind. Durch Auswahl einzelner Aktien z. B. aufgrund von technischer oder fundamentaler Analyse im Zusammenhang mit Informationsvorsprüngen Überrenditen[2] erzielen zu wollen, ist dauerhaft und nach Berücksichtigung des eingegangenen Risikos demnach nicht möglich.
Ein informeller Erklärungsansatz für die Informationseffizienz der Märkte besteht darin, dass sichere Erwartungen über künftige Kursentwicklungen bereits heute zu Aktienkäufen und der antizipierten Preisanpassung führen würden, sodass die künftig erwartete Entwicklung ausbleibt. Dass in diesem Umfeld Überrenditen schwerlich möglich sind, wird durch unzählige Studien gestützt, welche die Wertentwicklung von aktiv gemanagten Fonds untersuchen. Diese kommen ausnahmslos zu dem ernüchternden Ergebnis, dass ein risikoadjustierter Mehrwert gegenüber diversifizierten, passiven „Buy and Hold“-Strategien in der überwiegenden Mehrheit nicht gegeben ist.[3] Gerne wird die Performance der Fondsmanager von Anhägern der EMH auch mit Affen verglichen, die mit verbundenen Augen Darts auf eine Liste mit aktiennotierten Unternehmen werfen und durch die damit generierte Aktienauswahl dieselbe Rendite erwirtschaften können – selbstredend ohne fachspezifisches Know-how und Informationsvorsprünge.
Gegner effizienter Märkte führen hingegen an, dass Kurse eine viel höhere Volatilität aufweisen als die dem Aktienkurs zugrundeliegende Unternehmensperformance.[4] Ihnen zur Folge weichen Aktienpreise in bestimmten Marktphasen von den Fundamentaldaten der Unternehmen ab, sind dementsprechend also über- oder unterbewertet. Genau diesen Umstand machen sich Value-Investoren zunutze, indem sie durch unterschiedliche Strategien unterbewertete Aktien identifizieren und dadurch langfristig hohe Renditen generieren können.
Eine in der Literatur von Value-Anhängern immer wieder gern zitierte Passage ist folgende: Ein Professor und ein Student sehen beim gemeinsamen Gang über den Campus einen 100-Dollar-Schein vor ihnen liegen. Als der Student gerade dabei ist diesen aufzuheben, packt ihn der Professor am Arm und meint: „Wäre dies wirklich ein 100-Dollar-Schein, hätte ihn schon längst jemand aufgehoben“.[5] Die Anekdote der Value-Investoren besteht nun in einem Studenten, der den 100-Dollar-Schein trotz des Hinweises des Professors einfach aufhebt und lachend davonläuft. In den Augen der EMH-Vertreter dürften diese risikolosen Gewinne nicht existieren. Dass es in der Praxis durchaus Investoren gibt, die durch einen Value-Investing-Ansatz seit Jahrzehnten erstaunliche Ergebnisse erzielen können, indem sie die Diskrepanz zwischen Preis und Wert eines Investments arbitrieren, bleibt aber auch von konservativen Anhängern der EMH nicht unbeobachtet.[6] Inzwischen deutet die überwiegende Mehrheit empirischer Studien auf ein Value-Premium[7] hin, sodass dieses von Wissenschaftlern als relativ robust erachtet wird.
Zwangsläufig stellt sich die Frage, wie die marktadjustierten Renditen des Value-Ansatzes mit den fundamentalen Aussagen der EMH in Einklang gebracht werden können, bzw. wie sie vor dem Hintergrund der Effizienzmarkthypothese interpretiert und bewertet werden müssen. Befürworter der EMH argumentieren, dass die Überlegenheit der Value-Strategien durch ein höheres Risiko erkauft wird, das sich hauptsächlich in schlechteren Marktphasen durch eine höhere Volatilität manifestiert. Kritiker dieser These führen vor allem behavioristische Merkmale und die damit einhergehenden beschränkt-rationalen Anlageentscheidungen der Investoren als Erklärungsansatz an. Durch einen Value-Investing-Ansatz können entsprechende Ineffizienzen risikolos ausgebeutet werden, wird argumentiert. Letzteres würde nichts Geringeres als das Versagen der EMH bedeuten.
Im weiteren Verlauf meiner Arbeit möchte ich die unterschiedlichen Auffassungen bezüglich des Value-Premiums genauer beleuchten und gegeneinander abwägen. Folgende Ausgangsfragen sollen hierbei den Gegenstand meiner Arbeit genauer eingrenzen und präzisieren:
- Wie kann das Value-Premium empirisch nachgewiesen werden?
- Welche Erklärungsansätze bestehen für den Erfolg von Value-Strategien?
- Wieso existiert das Value-Premium bis zum heutigen Tag?
- Warum erschwert die Joint-Hypothesen Problematik die Debatte?
- Besteht zwischen Value Investing und EMH ein Paradoxon?
Bevor ich auf diese Punkte eingehe, werde ich in Abschnitt 2.1 die Grundlagen der Effizienzmarkthypothese darlegen. Da hierzu die Literatur überaus mannigfaltig ist, möchte ich mich auf die wichtigsten Aspekte beschränken, ohne jedoch dem Leser die Möglichkeit zu nehmen, einen guten Überblick über die EMH und ihre Implikationen zu bekommen. Ferner werde ich unter 2.2 die empirische Evidenz darstellen, die dazu geführt hat, dass die EMH bis zum heutigen Tage zu den Grundlagen der Finanztheorie gehört. Daraufhin folgt eine kritische Diskussion der EMH. Daran anschließend werden erweiterte und alternative Konzepte der EMH aufgezeigt. Im dritten Abschnitt werde ich die theoretischen Grundlagen des Value Investings vorstellen, sowie Erklärungsansätze für ein Value-Premium am Aktienmarkt geben. Die Joint-Hypothesen Problematik und ihre Implikationen für das Value-Premium folgen. Abschnitt 4 erörtert das Grossmann-Stieglitz-Modells und seine Bedeutung für die Effizienz der Märkte. Abgeschlossen wird die Arbeit mit einer Schlussbetrachtung.
2. Effizienzmarkthypothese
2.1 Grundlagen effizienter Märkte
Die Grundlagen der Effizienzmarkthypothese gehen auf Louis Bachelier zurück, der Anfang des vergangenen Jahrhunderts in seiner Doktorarbeit versucht, die Kursbewegungen an der Pariser Börse zu analysieren. Hierbei kommt er zu dem Schluss, dass das Agieren an den Börsen einem Nullsummenspiel gleicht, folglich die mathematisch erwartete Rendite eines Investors null sein müsse. Zudem überträgt Bachelier die Annahmen der Normalverteilung auf die Kursentwicklung an den Märkten und liefert damit den Grundstein der Random-Walk-Hypothese.[8] Diese besagt, dass sich Aktienkurse völlig willkürlich bewegen und nur durch neue Informationen (Schocks) beeinflusst werden, die aber ex ante von Investoren nicht antizipiert werden können. Daraus ergibt sich, dass Aktienkursänderungen unkorreliert sind und einer identisch verteilten Zufallsvariable ähneln.[9] Folgendes vereinfachtes Modell soll den Random-Walk-Prozess veranschaulichen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Wobei Pt den Aktienkurs zum Zeitpunkt t und Xt die zuvor angesprochene, unkorrelierte und identisch verteilte Zufallsvariable darstellt. Diese weist für alle t folglich die gleiche bedingte sowie unbedingte Dichtefunktion
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
auf, mit Ὡt als Informationsmenge, sodass gegeben dieser Annahme, eine Überrendite für Investoren ausgeschlossen ist.[10] Die formale Darstellung der Random-Walk-Hypothese, die hauptsächlich auf Samuelson (1965) zurückzuführen ist, bildet unter anderem die Grundlage für Famas berühmtes Zitat, in dem er die Effizienz der Märkte folgendermaßen charakterisiert: „A market in which prices always ‚fully reflect‘ available information is called ‚efficient‘.“.[11]
Formal-mathematisch kann dieser Zusammenhang folgendermaßen ausgedrückt werden:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Wobei sich der heutige Aktienpreis Pt aus der Erwartung Et, gegeben der Informationsmenge Ὡt, über den Barwert Pt * ergibt. Diese Gleichung impliziert, dass sich der heutige Preis aus der bestmöglichen Erwartung über die künftigen, abdiskontierten Dividendenzahlungen ergibt. Diese Erwartungsbildung erfolgt unter Berücksichtigung aller Informationen, die zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung stehen.[12]
Faktoren, die nach Fama zu angesprochener Informationseffizienz führen können, sind in der Absenz von Transaktionskosten, der Zugänglichkeit zu kostenloser Information und rationalen Marktteilnehmern[13] zu sehen. Die offensichtliche Diskrepanz dieser Faktoren in Bezug auf reale Marktbedingungen mündet laut Fama nicht zwangsläufig in Ineffizienzen, da die Faktoren nur hinreichender und nicht notwendiger Natur sind.[14] So ist beispielsweise denkbar, dass selbst eine kleine Investorengruppe mit Zugang zu preisrelevanter Information ausreicht, um diese effizient einzupreisen. An dieser Stelle sei auf die Kritiker der EMH verwiesen, die dem durchschnittlichen Marktteilnehmer ein hohes Maß an Irrationalität unterstellen, wodurch effiziente Marktergebnisse verhindert würden. Famas Argumentation folgend impliziert Irrationalität nicht per se ein schlechtes Marktergebnis, solange einige rationale Investoren die relevanten Informationen entsprechend berücksichtigen.[15]
Weiter untersucht Fama die EMH dahingehend, inwieweit Preise verschiedene Formen von Informationen tatsächlich beinhalten. Dabei unterscheidet er drei Effizienzformen, aus denen sich jeweils unterschiedliche Implikationen für bestimmte Investmentstrategien ableiten lassen:
- Schwache Effizienz: Historische Informationen sind im aktuellen Kurs vollumfänglich enthalten: Investmentstrategien, die versuchen auf Basis vergangener Kursentwicklungen auf zukünftiges Preisverhalten zu schließen (Technische Analyse), liefern keine Überrendite.
- Mittelstarke Effizienz: Alle öffentlich zugänglichen Informationen sind im aktuellen Kurs bereits enthalten: Der Versuch, durch aktive Suche nach Informationen (Value Investing) Überrenditen zu generieren, bleibt ergebnislos.
- Starke Effizienz: Auch Insiderinformationen bezüglich eines Unternehmens sind bereits in dessen Kurs enthalten: Insiderhandel durch einen monopolistischen Zugang zu Informationen liefert keine Überrendite.
Vor allem die mittelstarke Effizienz der Märkte stellt das Theoriekonstrukt dar, vor dessen Hintergrund Value-Strategien interpretiert werden müssen. Die starke Effizienzform ist hingegen eine idealisierte Annahme, die in der Realität nur schwerlich zu erreichen ist. Weshalb, wird unter Abschnitt 4 genauer erörtert.
2.2 Empirische Evidenz
Aus welcher Evidenz leitet Jensen nun die eingangs erwähnte, starke empirische Grundlage der EMH ab? Bevor das formal-mathematische Modell für die Beschreibung effizienter Märkte durch Samuelson 1965 entwickelt wird, besteht eine Hauptaufgabe vieler wissenschaftlichen Arbeiten darin, die Autokorrelationen zwischen Aktienkursänderungen zu untersuchen. Diese sind, wie von der Random-Walk-Hypothese prognostiziert, größtenteils nahe null.[16] Ein nächster Schritt umfasst die Überprüfung einfacher Investmentstrategien auf ihre Überlegenheit gegenüber einer „Buy and Hold“-Strategie und auch hier sprechen die Ergebnisse für die Hypothese willkürlicher Aktienkursänderungen.[17]
Sogenannte Event-Studien[18] bilden die nächste Ebene zur empirischen Falsifizierung der Effizienzmarkthypothese. Hierzu wird die Anpassungsreaktion informationsgenerierender Ereignisse wie etwa Gewinnankündigungen, Analystenprognosen, Kapitalerhöhungen oder Aktiensplits auf die Aktienkurse untersucht. Diese Tests vermögen vor allem die mittelstarke Form der EMH zu überprüfen, da analysiert werden kann, mit welcher Geschwindigkeit und in welchem Umfang neue Informationen in Kurse eingepreist werden. Ball und Brown (1968) kommen beispielsweise zu dem Ergebnis, dass 85-90 % der Informationen, die durch den Jahresabschluss in den Markt diffundieren, durch Marktteilnehmern bereits antizipiert werden und dementsprechend bereits im Kurs enthalten sind. Sie mutmaßen, dass Investoren unter Zuhilfenahme von Zwischenberichten und Dividendenankündigungen zu ihren rationalen Erwartungen gelangen.[19] Fama et al. (1969) finden in einer Event-Studie heraus, dass Investoren Aktiensplits mit einer aussichtsreichen Dividendenentwicklung assoziieren und ihre Erwartungen nach einer derartigen Ankündigung sofort anpassen. Dieses Einpreisen geschieht derart schnell und effizient, dass Investmentstrategien, die auf Basis angesprochener Events versuchen Überrenditen zu erzielen, scheitern.
Die stärkste Form der Effizienz wird unter anderem mit der Performance von Fondsmanagern überprüft.[20] Ihnen wird unterstellt, dass sie etwa durch analytisches Geschick und generelles Marktverständnis auf ein überdurchschnittliches Informationset zurückgreifen können – also einen monopolistischen Zugang zu bestimmten Informationen besitzen. Dass die Fondsmanager aus ihrer scheinbaren Überlegenheit allerdings kein Kapital schlagen können, wurde einleitend bereits erwähnt und in unzähligen Studien bestätigt.[21] Eine neuere Studie von Fama und French (2010) kommt zu dem Ergebnis, dass die Rendite eines gewichteten Fondsportfolios vor Kosten der des Marktportfolios gleicht, folglich ein Alpha[22] nahe null aufweist.[23] Das negative Alpha nach Berücksichtigung der Kosten stellt eine starke Evidenz für eine strenge Auslegung der EMH dar. Nicht einmal vor Kosten sind die Fondsmanager in der Lage, Überrenditen zu generieren. Einzelne Fondsmanager, die ein positives Alpha generieren können, schaffen dies nur kurzfristig und nicht konstant. Die Autoren interpretieren dies, mit dem Verweis auf wahrscheinlichkeitstheoretische Aspekte, als Glück. Warum es trotz dieser vielen Belege für die Theorie effizienter Märkte gleichzeitig viele kritische Stimmen gibt, wird in nachfolgendem Abschnitt dargelegt.
2.3 Kritische Diskussion der Effizienzmarkthypothese
Ebenso wie die empirische Evidenz der EMH lässt sich auch die Kritik auf die drei Ebenen der EMH anwenden. In Bezug auf die schwache Form der EMH werden schon früh Studien veröffentlicht, die eine positive Autokorrelation zwischen den Aktienkursänderungen nachweisen können. So zeigen Lo und MacKinlay (1988) statistisch signifikante Autokorrelationen, welche vor allem für Small Caps bestehen. Eine Vielzahl von Studien kommt außerdem zu dem Ergebnis, dass mit sogenannten Momentum-Strategien überdurchschnittliche Renditen möglich sind. Diese basieren auf der Annahme, dass sich Aktien, die sich in der Vergangenheit besser entwickelt haben, auch in Zukunft überdurchschnittlich performen. Chan et al. (1999) erzielen beispielsweise marktadjustierte Überrenditen, indem sie eine Longposition für Aktien eingehen, die in den zurückliegenden sechs Monaten zu den Gewinneraktien gehörten. Bei Verliereraktien desselben Zeitraums setzen sie hingegen auf fallende Kurse. Allerdings ist hier die Beweislage nicht konsistent. Andere Veröffentlichungen kommen zu demselben Ergebnis für Investmentstrategien, die Aktienkauf und -verkauf vice versa ausführen (sog. konträre Investments). De Bondt und Thaler (1985) können zeigen, dass die Rendite eines Verliererportfolios drei Jahre nach dem Aktienkauf die Rendite des Gewinnerportfolios um 25 % übersteigt. Erstaunlicherweise weist ihnen zur Folge Letzteres sogar ein höheres Risiko auf, was die EMH klar in Frage stellt. Diese Strategie steht in unmittelbarem Zusammenhang zum Value-Investing-Ansatz, dessen Grundzüge ab Kapitel 3 näher beleuchtet werden.
Der Konsens der zuvor exemplarisch dargestellten Studien besteht darin, dass die vergangene Kursentwicklung Auswirkungen auf die künftigen Preise hat und diese nicht (ausschließlich) durch Informationsschocks willkürlich beeinflusst werden – wie nach der Random-Walk-Theorie vermutet. Durch die Berücksichtigung vergangener Kursmuster kann die vermeintlich unsichere Zukunft prognostiziert werden. Liberale Verfechter der EMH argumentieren jedoch, dass die statistischen Korrelationen im Kursverlauf zu gering sind, um nach Berücksichtigung von Transaktionskosten effektiv ausgebeutet zu werden.[24] Eine derartige Argumentation gewährleistet die Vereinbarkeit mit einer großzügigeren Auslegung der Theorie effizienter Märkte.
Studienergebnisse, die von den Anhängern der EMH weniger leicht zu ihren Gunsten interpretiert werden können, stellen sogenannte Anomalien dar. Als Anomalien werden in der Finanzliteratur empirische Resultate bezeichnet, die mit den zu erwartenden Ergebnissen gängiger Finanzmarkttheorien nicht übereinstimmen. Dabei dokumentieren sie entweder Ineffizienzen oder die Fehlerhaftigkeit des zugrundeliegenden Asset-Pricing-Modells.[25] Diese Zweideutigkeit der Anomalieinterpretation wird auch als „Joint-Hypothesen Problematik“ bezeichnet, die an anderer Stelle noch einmal aufgegriffen wird. Viele Anomalien, die dokumentiert sind, beruhen auf saisonalen oder zeitlichen Begebenheiten. So kann gezeigt werden, dass in den ersten beiden Wochen eines neuen Jahres Aktien höhere Renditen liefern („Januar-Effekt“). Auch für Wochentage („Wochentag-Effekt“) oder Ferienzeiträume können bestimmte Renditemuster nachgewiesen werden.[26] Andere Anomalien bauen auf Bewertungskennzahlen auf. Empirisch belegt wurde hier beispielsweise die „Dogs of the Dow“- Strategie, in der ein Portfolio aus den dividendenstärksten Unternehmen des Dow Jones überdurchschnittliche Renditen liefert. Des Weiteren kann gezeigt werden, dass Portfolios, die anhand niedriger KGV’s, KBV’s oder KCV’s gebildet werden, in der Lage sind „den Markt zu schlagen“ (Value-Effekt). Eine, neben dem Value-Effekt am häufigsten dokumentierte Anomalie stellt der Größen-Effekt dar, welcher die höheren Renditen von Aktien geringer Marktkapitalisierung gegenüber Blue Chips dokumentiert.[27] In den Augen vieler EMH-Anhänger stellen diese Renditen eine Kompensation für das höhere Risiko dar, das mit einem Investment dieser Art einhergeht.[28] Diesen Erklärungsansatz können Fama und French (1992) zumindest für „Beta“[29] als Risikomaß widerlegen, da sie für Unternehmen geringerer Marktkapitalisierung kein höheres Beta nachweisen können. Amihud et al. (2005) führen die geringere Liquidität am Markt für Small Caps als Risikofaktor an, für den Investoren entsprechend kompensiert werden wollen. Sie können zeigen, dass eine Reduzierung der Aktienanzahl die erwartete Rendite der Investoren erhöht. Andere Erklärungsansätze führen die Beobachtung des Größen-Effekts auf statistische Stichprobenverzerrungen zurück, da in sog. Backtests nur Unternehmen berücksichtigt werden, die im jeweiligen Zeitintervall fortbestanden (survivorship bias).[30] Auch werden die höhere Anfälligkeit kleinerer Firmen auf makroökonomische Schocks sowie „financial distress“ als rationale Erklärungen diskutiert. Diese Faktoren werden eventuell nicht ausreichend durch den Betafaktor abgebildet, wie an anderer Stelle noch gezeigt wird. Wissenschaftler, die eine rationale Begründung des Größen-Effekts ablehnen, machen etwa die geringe Informationsverfügbarkeit bei Small Caps für ein ineffizientes Marktergebnis in diesem Segment verantwortlich.[31]
Generell wird argumentiert, dass viele Anomalien bei einer Änderung der statistischen Methoden verschwinden würden. Zudem seien viele Anomalien nur in bestimmten Zeitintervallen gegeben und nicht für langfristige Investmentstrategien geeignet. Schwert (2003) kommt zu dem Ergebnis, dass Anomalien verschwinden, wenn diese durch Wissenschaftler publiziert und von Investoren entsprechend in ihren Anlagestrategien berücksichtigt werden.[32] Auf den selbstzerstörerischen Charakter von Anomalien hat bereits Benjamin Graham, der Urvater des Value Investings, verwiesen.[33] Mit folgendem theoretischen Gedankenspiel kann die Problematik verdeutlicht werden: Selbst wenn nur einem einzelnen Marktteilnehmer die Anomalie bekannt wäre, würde er diese solange ausbeuten, bis er alle Aktien sein eigen nennt. In diesem Umweltzustand kann er allerdings seinen Vorteil nicht mehr ausspielen.
Ein weiterer Aspekt der von Gegnern der EMH häufig für die Ineffizienz der Märkte angeführt wird, ist die Entstehung von Blasen beispielsweise im Zuge der dotcom-Euphorie um die Jahrtausendwende. Hier entfernen sich Preise augenscheinlich von den Fundamentaldaten der Unternehmen, ohne durch eine Veränderung mikro- oder makroökonomischer Variablen gerechtfertigt zu sein. Teilweise wird sogar argumentiert, der Glauben an die Effizienz der Märkte begünstige Blasen und Finanzkrisen.[34] Shiller (2003) schreibt die überhöhte Volatilität der „irrationalen Überschwänglichkeit“ an den Finanzmärkten zu und dokumentiert die Fehlerhaftigkeit der Erwartungen, indem er die Aktienkurse mit den entsprechenden Barwerten vergleicht, die sich nach den jeweiligen Dividendenzahlungen ergeben (ex-post Barwerte). Die Kurse müssten Gleichung (3) folgend, die bestmögliche Schätzung über den Barwert künftiger Dividendenzahlungen abbilden. Folgende Darstellung veranschaulicht allerdings recht deutlich, dass die Aktienkurse eine viel höhere Volatilität aufweisen, als dies die Varianz künftiger Dividendenzahlungen rechtfertigen könnte:
Abbildung 1 : Vergleich von Aktienkursen mit den ex-post Barwerten
Die kräftigste Linie bildet die Aktienkursentwicklung des S&P 500 ab. Die durchgezogene, schwächere Linie stellt die ex-post Barwerte der Dividenden des S&P 500 Indexes dar. Dafür wurden die Dividenden mit einer konstanten Rate (geometrischer Renditedurchschnitt der Jahre 1871-2002) abdiskontiert. Für die dünnere, durchgezogene Linie wurden die Dividenden mit den Jahreszinssätzen zuzüglich einer Risikoprämie abgezinst. Die gestrichelte Linie stellt mit der GRS abgezinste ex-post Dividenden dar.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Shiller (2003), S.86.
Auch die Verwendung von variablen Diskontfaktoren führt zu keinem Ergebnis, das mit der EMH konsistent wäre. Befürworter der EMH argumentieren hingegen, dass die hohe Volatilität der Aktienkurse durchaus rationaler Natur ist, da schon kleine Veränderungen in Gordons Dividendenbarwertmodell (z. B. die Anpassung der erwarteten Wachstumsrate) zu extremen Preisanpassungen führen können.[35]
Zu guter Letzt wird in der Diskussion um effiziente Märkte häufig auf einzelne Star-Investoren à la Warren Buffet, Charles Munger oder Peter Lynch verwiesen, die nachweislich über längere Zeiträume in der Lage sind Ihren Vergleichsindex zu schlagen. Anhänger der EMH verweisen diesbezüglich auf das Gesetz der großen Zahl: Bei sehr vielen Portfoliomanagern müssen statistisch betrachtet zwangsläufig Marktakteure dabei sein, die langfristig Überrenditen erzielen können.[36] Buffet seinerseits kontert dieses Argument, indem er anführt, dass die überwiegende Mehrheit der Starinvestoren Benjamin Grahams Value-Investing-Prinzipien folgt.[37] Warum Value-Strategien durchaus ihre Daseinsberechtigung haben und deshalb von der Mehrzahl der aktiven Portfoliomanager verwendet werden, wird in Abschnitt 3 diskutiert. An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass Ergebnisse von Event-Studien, die häufig die Effizienz der Märkte herausfordern und ein wichtiges Argument der EMH-Gegner darstellen, an anderer Stelle im Zusammenhang mit Value-Strategien in Abschnitt 3.1.1 diskutiert werden.
2.4 Erweiterte und alternative Konzepte
Aufgrund der in den vorhergehenden Zeilen erwähnten zahlreichen Aspekte, die mit der Theorie effizienter Märkte kollidieren, gibt es seit jeher Bestrebungen, die EMH neu zu definieren oder neue Erklärungsansätze für den Preismechanismus am Aktienmarkt zu entwickeln. Nach Jensen (1978) werden Informationen beispielsweise nur berücksichtigt, solange der Grenznutzen die Grenzkosten der Informationssuche übersteigt. Damit unterstellt er implizit, dass für aktiv investierende Marktakteure eine Überrendite bis zum Nutzen-Kosten-Gleichgewicht gegeben ist. Hierdurch wird gleichzeitig das von Grossman/Stieglitz formulierte Paradoxon gelöst, worauf aber an anderer Stelle noch genauer eingegangen wird. Malkiel (2011) definiert die EMH noch deutlich weitläufiger, indem er konstatiert: „EMH does not imply that asset prices are always ‚correct‘. Prices are always wrong, but no one knows for sure if they are too high or too low.”[38] Trotz der Ineffizienzen in Märkten können Investoren diese nicht konstant zu ihren Gunsten ausbeuten, sodass die Märkte in diesem Sinne als effizient zu erachten sind.
Seit der Ausarbeitung von Kahnemann und Tversky aus dem Jahre 1979 werden zunehmend Modellansätze diskutiert, welche psychologisch-kognitive Komponenten der Entscheidungsfindung von Marktakteuren berücksichtigen. Hieraus ist die Behavioral Finance Bewegung entstanden, die im starken Gegensatz zur EMH auf die Irrationalität von Marktteilnehmern abstellt, dadurch aber extreme Marktphasen wie Blasenbildung besser zu erklären vermag. Des Weiteren kann mit diesen Modellen eine Alternativerklärung zur rationalen Begründung des Value-Premiums erarbeitet werden (vgl. Abschnitt 3.2.2). Auch in der Noisy-Market-Hypothese von Siegel (2006) kommt zum Ausdruck, dass Aktienpreise nicht immer die beste Schätzung des zugrundeliegenden Unternehmenswertes darstellen, werden Kurse doch durch Spekulanten, Momentumtrader oder institutionelle Investoren verzerrt (sog. Noise). Liquiditäts-, Diversifizierungs- oder Steueraspekte sind nur einige der Motive, aufgrund derer diese Marktteilnehmer am Markt agieren und den Preisbildungsprozess verzerren. Gemein mit der EMH-Definition von Malkiel bleibt jedoch der Umstand, dass Noise nicht prognostizierbar ist und infolgedessen nicht mit strategischem Investieren ausgebeutet werden kann.[39] Weitere Ansätze umfassen eine evolutorische Sichtweise auf die Finanzmärkte, in der sich Investoren und Finanzmärkte mit Hilfe eines ökonomischen Selektionsmechanismus weiterentwickeln und adaptieren, wodurch Märkte immer effizienter werden.[40] Der Ideenvielfalt der Wissenschaftler sind in diesem Zusammenhang keine Grenzen gesetzt. Eines ist diesen Modellen allerdings gemein – sie wollen die Starrheit der ursprünglichen Definition effizienter Märkte überwinden und Antworten auf die vielen Anomalien geben, die seit Famas Publikation im Jahre 1970 die Plausibilität der EMH in Frage stellen. Eine Anomalie, die neben dem Größen-Effekt die stärkste empirische Evidenz aufweist, ist der Value-Effekt, welcher nun in nachstehendem Abschnitt genauer erläutert wird.
3. Value Investing
3.1 Theoretischer Überblick
Die theoretischen Grundlagen des Value Investings gehen auf Benjamin Graham zurück, der in seinem 1934 erschienenen Buch „Security Analysis“, sowie dem 15 Jahre später erschienenen Ergänzungswerk „The Intelligent Investor“ die Grundprinzipien des Value Investings definiert.
Im Sinne Grahams muss Value Investing als Prozess der Bestimmung des inneren Wertes einer Aktie und deren Kauf mit einem gewissen Abschlag (margin of safety) verstanden werden. In diesem Zusammenhang muss auf Grahams Risikokonzept verwiesen werden, das der modernen Portfoliotheorie kontrastiert. Letztere unterstellt eine positive Risiko-Renditekorrelation. Bei Graham hingegen impliziert eine höhere „margin of safety“, mit der die Aktie erworben wird, eine höhere Toleranz des Investors gegenüber Bewertungsfehlern und folglich ein geringeres Risiko. Zugleich ist die Rendite bei einer Korrektur des Mispricings höher. Auch empirisch kann für Value-Strategien nicht immer eine Risiko-Rendite-Struktur im Sinne Markovitz nachgewiesen werden (vgl. Abschnitt 3.2.1).
Die Ermittlung des inneren Wertes ergibt sich Graham folgend durch die Multiplikation der EPS mit einem Wachstumsfaktor.[41] Eine Aktie wird dann gekauft, wenn der am Markt zu beobachtende Kurs über dem errechneten inneren Wert der Aktie notiert. Eine Überrendite ergibt sich durch eine Marktkorrektur des Mispricings. Dabei beansprucht Graham für sich nicht, den inneren Wert exakt bestimmen zu können. Vielmehr möchte er einen Anhaltspunkt erhalten, ob Aktien über- oder unterbewertet sind: „The essential point is that security analysis does not seek to determine exactly what is the intrinsic value of a given security. It needs only to establish either that the value is adequate […] or else that the value is considerably higher or considerably lower than the market price.[42] Interessant ist auch, dass Graham grundsätzlich von der Effizienz der Märkte überzeugt ist.[43] Nur vereinzelt weichen Preis und Wert eines Investments voneinander ab. Diese Situationen gilt es dann durch eine fundamentale Investmentstrategie zu identifizieren und zum eigenen Vorteil zu nutzen.
Diese in der Praxis leicht nachzuvollziehenden Mechanismen bieten für die Wissenschaft allerdings wenig Ansatzpunkte, um empirisch überprüft werden zu können. Praxisorientiertes Value Investing findet hauptsächlich auf Ebene einzelner Unternehmen statt. Dabei werden seit Warren Buffet, ein Schüler Grahams, nicht nur quantitative Merkmale berücksichtigt, auch qualitative Merkmale wie Marktstellung, Wettbewerbsvorteile oder Management fließen in die Unternehmensbewertung mit ein. Um die vermeintliche Überlegenheit der Value-Strategien gegenüber passiven Anlagestrategien trotzdem auf Stichfestigkeit überprüfen zu können, bedient sich die Wissenschaft verschiedener Ansätze. In der überwiegenden Mehrheit der Veröffentlichungen werden Value-Aktien anhand einer einzelnen Kennzahl aus dem Aktienuniversum herausgefiltert (eindimensionale Value-Strategien). Andere Ansätze versuchen durch eine Kombination mehrerer Faktoren Value-Aktien zu identifizieren (mehrdimensionale Value-Strategien). Diese Vorgehensweisen sichern ob der leichten Möglichkeit zur Identifikation von Value-Aktien genügend Datenmaterial, das über längere Zeiträume durch sog. Backtests untersucht werden kann. Häufig werden dabei Aktien eines Marktes in Value- und Growth-Aktien[44] unterteilt. Die empirisch zu beobachtende höhere Rendite der Value-Aktien gegenüber Growth-Aktien wird auch als „Value-Premium“ bezeichnet. In dem nun folgenden Abschnitt möchte ich einen Überblick über Studien geben, die Value-Strategien empirisch überprüfen.
3.1.1 Eindimensionale Value-Strategien
Die Identifizierung von Value-Aktien erfolgt in diesen Studien meist anhand einfacher Kennzahlen wie dem KGV, KBV oder dem KCV. Dabei wird angenommen, dass die Kennzahlen unterbewerteter Aktien eine geringe Ausprägung aufweisen – ihr Preis gegenüber den Fundamentaldaten wie Gewinn, Buchwert oder Cashflow folglich gering ausfällt. Basu (1977), der schon relativ früh die Prognosefähigkeit des KGV-Multiplikators auf Aktienrenditen untersucht (sog. Price ratio Hypothese), kommt zu dem Ergebnis, dass Aktien mit geringerem Multiplikator für den Zeitraum von 1957-1971 höhere risikoadjustierte Renditen liefern. Er führt die Überrendite auf eine mangelnde Einpreisung der Information zurück, die durch die KGV-Kennzahl dem Markt zur Verfügung steht. Dieser Erklärungsansatz würde der mittelstarken Form der EMH widersprechen.[45] Lakonishok et al. (1994) unterteilen den Gesamtmarkt anhand verschiedener Multiplikatoren sowie der Umsatzwachstumsrate (UWR) in Dezile, wobei das 1. Dezil Value-Aktien und das 10. Dezil Glamour-Aktien[46] kennzeichnet. Für die einzelnen Multiplikatoren erhalten sie folgende Ergebnisse:
Tabelle 1 : Renditen für eindimensional klassifizierte Value- und Glamour-Aktien
Die Ergebnisse beziehen sich auf den Zeitraum von 1968 bis 1989. Die Portfolios werden anhand der Kennzahlen in Dezile eingeteilt und in fünfjährigen Abständen neu gebildet. R stellt die durchschnittliche, jährliche Rendite der Fünf-Jahres-Intervalle dar, SAR ist zudem größenadjustiert. SARDIF stellt die Differenz der größenadjustierten Rendite zwischen Value- und Glamour-Aktien dar, wodurch der Verzerrung des Ergebnisses durch den Größen-Effekt vorgebeugt wird.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung. In Anlehnung an Lakonishok et al. (1994), S.1548 f.[47]
Es ist deutlich ersichtlich, dass für alle Value-Strategien, inklusive der Umsatzwachstumsrate eine Überrendite erzielt werden kann. Diese ist für den KCV-Multiplikator besonders ausgeprägt und beträgt größenadjustiert 8,8 % p. a. Eine neuere Studie für den Zeitraum von 1968-2012 bestätigt diese Ergebnisse. Für den amerikanischen Aktienmarkt kann für die eindimensionale KBV-Strategie ein Value-Premium von 8,5 % p. a. ausgewiesen werden. Auch für Emerging Markets und andere Länder lässt sich ein Value-Premium nachweisen, sodass „Datasnooping“[48] als Erklärung dessen verworfen werden kann.[49] Fama und French (1998) schlussfolgern in diesem Zusammenhang: „[..] rather than being unusual, the higher average returns on Value Stocks in the United States are a local manifestation of a global phenomenon.”[50] Lakonishok et al. (1994) verweisen allerdings darauf, dass das KBV beispielsweise keine eindeutige Indikation für Value-Aktien liefert, da dieses leicht verzerrt wird. So weisen Value-Unternehmen mit hohen F&E-Aufwendungen ein höheres KBV auf, da entsprechend geltender Rechnungslegungsgesetze F&E-Ausgaben nicht bilanziert werden dürfen. Ein Unternehmen mit hohen F&E-Ausgaben deutet aber im klassischen Sinne eher auf ein Wachstumsunternehmen hin, sodass diese Unternehmen eventuell eher als Growth-Firmen identifiziert werden.[51] Dieser Einwand findet allerdings auch in neueren empirischen Studien wenig Berücksichtigung, sodass Value-Portfolios bis heute größtenteils durch den KBV-Multiplikator identifiziert werden. In einer Regressionsanalyse untersuchen Lakoniskok et al. (1994) weiter die Prognosefähigkeit einzelner Multiplikatoren sowie UWR und Marktkapitalisierung auf die Rendite mit folgendem Resultat:
Tabelle 2 : Regression von Renditen auf unterschiedliche Unternehmenscharakteristika
Für den Zeitraum von 1968-1990 wird jeweils die einjährige Rendite jeder Aktie berechnet (abhängige Variable). Die unabhängige Variable bilden die Multiplikatoren sowie SIZE (Marktkapitalisierung). Hier muss beachtet werden, dass die Multiplikatoren, die verwendet werden jeweils den Aktienkurs im Nenner haben, dementsprechend den Kehrwert zu den in Deutschland gängigen Multiplikatoren darstellen. GS steht für die Umsatzwachstumsrate, B/M für das Verhältnis von Marktwert zu Buchwert des Eigenkapitals (1/KBV), E/P für das Verhältnis von Gewinn zu Aktienkurs (1/KGV), C/P für das Verhältnis von Cashflow zu Aktienkurs (1/KCV).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung. In Anlehnung an Lakonishok et al. (1994), S.1558.
In dieser Darstellung wird ersichtlich, dass alle Multiplikatoren sowie UWR (GS) eine statistisch signifikante Prognosefähigkeit für die Renditen besitzen. Nur zwischen Marktkapitalisierung und Rendite besteht keine statistisch signifikante Korrelation. Auch wird deutlich, dass KGV- oder KCV-Multiplikatoren besser in der Lage sind, den Renditequerschnitt zu erklären. Dies steht im Gegensatz zu den Ergebnissen von Fama und French (1992), die vor allem für den KBV-Multiplikator und die Marktkapitalisierung eine hohe Renditekorrelation nachweisen können.
Andere Value-Strategien basieren auf der Annahme, dass bestimmte finanzielle Ereignisse (Dividendenerhöhungen, Aktienrückkäufe, Kapitalerhöhungen etc.) vom Markt nicht richtig bepreist werden, Unternehmen entsprechend unterbewertet sind und dadurch Überrenditen versprechen (Event-Studien). Ikenberry et al. (1995) können beispielsweise signifikante Überrenditen nach Ankündigungen von Aktienrückkaufprogrammen nachweisen. Nach heutiger Ansicht besteht in einem Markt mit asymmetrischer Information das Hauptmotiv von Aktienrückkäufen darin, Marktteilnehmern den wahren Unternehmenswert zu signalisieren („Signaling“). Vor allem für am Markt unterbewertete Unternehmen sind Aktienrückkäufe lohnend. Vor dem Hintergrund der EMH müsste dieses positive Signal sofort nach Ankündigung des Aktienrückkaufprogramms in die Kurse eingepreist werden und entsprechend jede Möglichkeit zur Überrendite eliminieren. In diesem Zusammenhang kann auf den, in vielen Studien nachgewiesenen, „post-earnings-anouncement drift“ verwiesen werden, welcher die sukzessive Preisanpassungen nach überraschenden Quartalszahlen bezeichnet und somit der mittelstarken Form der EMH entgegensteht. Durch die Bildung eines Portfolios auf Basis dieser Anomalie und der damit einhergehenden Unterbewertung von Unternehmen trotz Quartalsinformationen, können signifikante Überrenditen erzielt werden. Zur Debatte stehend bleibt die Frage, warum Investoren die Quartalsinformationen nicht im Sinne effizienter Märkte berücksichtigen. Bernard und Thomas (1989) nennen hier Transaktionskosten und Investoren, welche die Implikationen gegenwärtiger Gewinne für die Zukunft nicht richtig abschätzen können, als mögliche Ursachen.[52]
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Value-Premium und Value-Strategien generell in vielen Studien für unterschiedliche eindimensionale Kriterien sowie für verschiedene Zeiträume und Länder falsifiziert werden können und als dementsprechend robust erachtet werden müssen. Da in Value-Portfolios, die nach einem Faktor gebildet werden, die Mehrzahl der Einzelaktien aber unter dem Marktdurchschnitt rentiert, wird angenommen, dass durch Hinzunahme weiterer Merkmale wie finanzielle Stabilität oder Profitabilität die Portfolioperformance verbessert werden kann. So sollen wenig aussichtsreiche Value-Aktien ex ante identifiziert und aussortiert werden.[53] Ebendieses Ziel verfolgen mehrdimensionale Ansätze, welche anschließend genauer betrachtet werden.
[...]
[1] Vgl. Jensen (1978), S.1.
[2] Im Folgenden wird das Wort „Überrendite“ für Renditen verwendet, die über dem Marktdurchschnitt liegen und um das eingegangene Risiko und die Kosten bereinigt wurden.
[3] Beechey et al. (2000) liefern hierzu einen guten Überblick über die Studien. S.12 ff.
[4] Vgl. Shiller (1981), S.433.
[5] Vgl. Malkiel (2003), S.60.
[6] Als prominentestes Beispiel lässt sich hier Warren Buffet nennen, der basierend auf den Investmentansätzen von Benjamin Graham außerordentliche Resultate erzielt hat. Auch in der jüngeren Vergangenheit von 1991-2010 konnte er, entgegen vieler kritischen Stimmen, eine Rendite von 15,7 % p. a erzielen. Eine Überrendite von 3,7 % gegenüber seiner Benchmark. Vgl. Kommer (2011), S.306 f.
[7] Das Value-Premium bezeichnet in der Finanzliteratur die höheren Renditen von Value-Aktien gegenüber Growth-Aktien. Die Differenzierung von Value und Growth findet anhand von Finanzkennzahlen wie dem KGV oder dem KBV statt.
[8] Vgl. Fox (2009), S.6 f.
[9] Vgl. Samuelson (1965), S.42.
[10] Vgl. Fama (1970), S.386.
[11] Vgl. Fama (1970), S.383.
[12] Vgl. Shiller (2003), S.84 f.
[13] Fama spricht in diesem Zusammenhang von Markteilnehmern, die sich darüber einig sind wie Informationen die Preise beeinflussen bzw. wie die Verteilungsfunktion der zukünftigen Preise definiert ist. Vgl. Fama (1970), S. 387.
[14] Vgl. Fama (1970), S.387 f.
[15] Hier ist außerdem anzunehmen, dass die Entscheidungen rationaler Investoren durch ein höheres Anlagevolumen (generiert durch eine rationale Anlagestrategie mit konstanten Renditen) den Preisbildungsprozess stärker beeinflussen, als die Entscheidungen irrationaler Investoren.
[16] Vgl. z. B. Granger, Morgenstern (1963) S.25. Eine neuere Studie kommt vor allem für Autokorrelationen auf täglicher und wöchentlicher Basis zu ähnlichen Ergebnissen. Vgl. Sewell (2012), S.166.
[17] Vgl. Fama, Blume (1966), S.240.
[18] Event-Studien messen eine abnormale Rendite, die sich aufgrund neuer „Event-Information“ einstellt nach folgender Formel: eit = Rit – Kit, wobei Rit die Rendite einer Aktie i zum Zeitpunkt t gegeben des Events und Kit die normale, erwartete Rendite der Aktie i darstellt. In Anlehnung an Kothari, Warner (2004), S.10 f.
[19] Vgl. Ball, Brown (1968), S.175 ff.
[20] In neueren Veröffentlichungen wird die Fondsperformance meist zur Überprüfung der mittelstarken Effizienz herangezogen, da Insiderinformationen, im engeren Sinne, nur illegal beschafft werden können und dies strafrechtlich verfolgt wird.
[21] Vgl. z. B. Jensen (1969), S.170.
[22] Alpha bezeichnet die erwirtschaftete risikoadjustierte Überrendite gegenüber einem Vergleichsindex.
[23] Vgl. Fama, French (2010), S.1915.
[24] Vgl. Malkiel (2003), S.7 f.
[25] Vgl. Schwert (2003), S.940.
[26] Eine umfassendere Übersicht liefert Malkiel (2003), S.11 f.
[27] Malkiel (2003), S.12 ff.
[28] Vgl. Amihud et al. (2005), S.269 ff.
[29] Beta steht innerhalb des CAPM für die, von der Diversifizierung unabhängige, Volatilität der Einzelaktie im Verhältnis zur Volatilität des Gesamtmarktes.
[30] Vgl. Malkiel (2003), S.18.
[31] Vgl. o.V. (o.J.): http://www.anlegercampus.net/geld-anlegen-ohne-wetten/2-das-abc-erfolgreicher-geldanlage-so-viel-sollten-sie-wissen-ein-ueberblick/rendite-staerken-anomalien-nutzen/der-small-cap-effekt-erfolgsstrategien-mit-kleinen-unternehmen/.
[32] Vgl. Schwert (2003), S.939.
[33] Vgl. Graham (2008), S.192.
[34] Vgl. Ball (2009), S.8.
[35] Vgl. Malkiel (2003), S.26 ff.
[36] Vgl. Kommer (2011), S.129 f.
[37] Vgl. Buffet (1984), S.6.
[38] Vgl. Malkiel (2011), S.1.
[39] Vgl. Siegel (2006), S.2.
[40] Vgl. Friedman (1991), S.637 ff.
[41] Die ursprüngliche Formel nimmt folgende Form an: IV= EPS*(KGV0+2g), wobei Graham ein Sockel-KGV (für Unternehmen ohne Wachstum) von 8,5 unterstellt, g ist die erwartete Wachstumsrate der nächsten sieben bis zehn Jahre. Vgl. Graham (2008), S.295. Neure Methoden setzen den inneren Wert mit dem Barwert künftig zu erwartender Zahlungsströme gleich.
[42] Zit. nach Graham, Dodd (2009), S.66.
[43] Vgl. Graham (2008), S.378.
[44] Als Growth-Aktien werden Aktien von Unternehmen bezeichnet, denen ein höheres Wachstumspotential als dem Marktdurchschnitt unterstellt wird.
[45] Vgl. Bassu (1977), S.80.
[46] Im Folgenden werden die Ausdrücke Growth-Aktien und Glamour-Aktien synonym gebraucht. Der Ausdruck Glamour-Aktien ist in der Finanzliteratur häufig gebräuchlich, um die Popularität von Growth-Aktien hervorzuheben.
[47] Die Multiplikatoren der Autoren enthalten den Kurs im Zähler. Deshalb ergeben sich die Dezile in umgekehrter Reihenfolge.
[48] Hierunter versteht man die Problematik der Bezugnahme statistischer Tests auf ein und dieselbe (möglicherweise verunreinigte) Datenreihe.
[49] Vgl. Brandes Insitute (2012), S.2 ff. Die Angabe ist ebenfalls größenadjustiert, da die Autoren 50 % der kleinsten Unternehmen aus den Daten entfernen.
[50] Vgl. Fama, French (1998), S.1981.
[51] Vgl. Lakonishok et al. (1994), S.1547.
[52] Vgl. Bernard, Thomas (1989), S.2.
[53] Vgl. Piotroski (2000), S.17. Dieser kann zeigen, dass tatsächlich nur 43,7 % der Unternehmen eines Value-Portfolios marktadjustierte Überrenditen erzielen können.