Das mittelalterliche Epos "Biterolf und Dietleib". Analyse der Handlung und Protagonisten


Seminararbeit, 2003

24 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

PROLOG UND HANDLUNGSAUSLÖSUNG

BITEROLF
BITEROLFS AUFBRUCH UND DIE BEGEGNUNG MIT WALTHER
BITEROLFS WEITERER WEG
BITEROLF UND ETZEL

DIETLEIB
VON TOLET BIS METZ
DER KAMPF MIT DEN BURGUNDEN UND DAS MOTIV DER RACHE
DIETLEIB AM ETZELHOF UND DAS ENDE DER VATERSUCHE

PROLOG UND HANDLUNGSAUSLÖSUNG

Begonnen wird von dem unbekannten Dichter mit einer sogenannten Publikumsapostrophe. Dies schließt die Zuordnung des vorliegenden Textes zur Heldenepik von vornherein aus, da dort der Einsatz der Erzählung zugleich den Beginn der Handlung darstellt. Das ist ansonsten auch in der aventiurenhaften Dietrichepik der Fall. Bei „Biterolf und Dietleib“ ergibt sich jedoch eine starke Ähnlichkeit mit den Prologen der höfischen Epen:

„Ob uns hie ieman wese bî

so unvertiurtes muotes frî,

den des kunde gezemen

daz er möhte vernemen

ditze fremde maere.

[...]

den sage ich [...]. (Verse 1 – 11)

Dies mag noch wie eine Bitte um Aufmerksamkeit erscheinen. Ein eindeutiger Bestandteil der höfischen Epik ist allerdings der vom Autor ausdrücklich formulierte Nutzen der Erzählung:

(daz ist sô redebaere

daz ez wol von rehte

ritter unde knehte,

dar zuo wîp unde man

wol für guot mügen hân) (Verse 6 – 10)

Der Schriftsteller stellt also klar, dass diese Geschichte es Wert ist, erzählt zu werden. Die Rezeption derselben bringt den Zuhörern nämlich einen Nutzen. Welchen, wird erst aus der Lobrede auf Biterolf in den Versen 34 – 38 erschlossen. Es geht darum, dass es auf höhergestellte Menschen angenehm und eventuell auch beruhigend wirken mag von Helden zu hören, die sich darauf verstanden, ihre Ehre zu pflegen. Wenn man dann noch die kritischen Äußerungen des Autors, die Zeit der Entstehungsgeschichte seines Werkes betreffend, in Betracht zieht, so ergibt sich daraus eine vorbildhafte Wirkung. Eine solche wird ansonsten nur noch in der Artusepik zum Ausdruck gebracht. In diesem Kontext ist dies aber sehr ungewöhnlich.

Daneben tritt die für den heldenepischen Stoff ebenso ganz und gar ungewöhnliche Beschreibung des dem Texte zugrundeliegenden Stoffes als eine „fremde maere“. Um so etwas geht es in heldenepischen Stoffkreisen nämlich nie, sondern eher um die Vergegenwärtigung „alter maere.“ Als Beispiel möge man sich nur die erste Zeile des ersten Verses des Nibelungenliedes vor Augen führen. Damit werden genau jene Kriterien antiker Rhetorik verwendet, denen sich auch die höfischen Schriftsteller verpflichtet fühlen. Der Dichter benützt also das rhetorische Repertoire der höfischen Epik. Dabei muss man sagen, dass dies im „Biterolf und Dietleib“ um einiges pointierter geschieht als im „Buch von Bern“. Dort mündet ein kurzer Prolog direkt in die Geschichte um Dietrich von Berns Ahnen. Der Verfasser von „Biterolf und Dietleib“ weist auf seine nicht vorhandene Kenntnis dieser ein adliges Publikum interessierenden Fakten hin. Er lässt es aber nicht dabei bewenden, sondern liefert noch eine begründende Entschuldigung, die gleichzeitig die Zuhörerschaft noch darüber in Kenntnis setzt, dass er sich auf eine schriftliche Quelle bezieht. Darin steht, dass der Verfasser der Vorlage nichts über Dietleibs Stammbaum verrät.

Ein Hinweis auf die schriftliche Quelle, sowie das Versprechen ihr genau zu folgen, ist eigentlich im Bezug auf heldenepische Stoffkreise gänzlich unangebracht. Außerdem besteht auf dem ersten Blick gar kein Anlass für das Eingehen auf fehlende Informationen, was es eben so auffällig macht. Dieser Fingerzeig auf ein Nichtwissen des Schriftstellers ist zwar durchaus üblich, aber ansonsten nicht an einer solch ausdrücklichen Stelle zu finden.

Danach fängt der Verfasser damit an, mit einem neuen Erzählansatz seinen Hauptcharakter vorzustellen. Das Inventar der Rhetorik höfischer Epik wird von ihm weiterhin benutzt, wenn er dessen Vornehmheit schildert. Ja, der Autor geht sogar soweit, die Geschichte als exemplarisch zu bezeichnen, für einen „man, / der wol nâch êren werben kann“ (Vers 37f). Für ein wirklich mutiges, vornehmes und ehrenhaftes Publikum sei diese Erzählung angenehm zu hören. Die Vorbildwirkung wird nicht explizit formuliert, sie ergibt sich allerdings zwingend aus der Argumentation. Der Erzähler nimmt dabei Anleihen beim Prolog des „Iwein“:

Es ist die Einführung eines idealen Helden, welcher früher der Beste und Vornehmste war und auch jetzt noch als Maßstab und Orientierungshilfe gilt. König Biterolfs Beschreibung ist dabei so angelegt, als wäre er des Autors Antwort auf den vorbildlichen König Artus.

Je nachdem ob dem Publikum der Inhalt des „Biterolf und Dietleib“ bereits bekannt war, oder ob es sich dabei um einen für sie völlig neuen Text handelte, lassen sich daraus zweierlei Erwartungshaltungen erschließen. In letzterem Fall präsentierte man den Zuhörern ein höfisches Epos, das einiges an Neuem und Erstaunlichem berichten kann. Es handelt von einem edlen, freigiebigen König und seiner Vorbildlichkeit. Wenn man dann noch den Hinweis in Betracht zieht, dass es sich dabei um eine Erzählung handelt, deren bloßes Zuhören schon eine positive Wirkung auf die Hörerschaft hat, müssen die Menschen im Publikum zu dem Schluss kommen, dass dieses Epos nicht nur in der Literaturtradition der höfischen Epik steht. Es wird gewissermaßen ein zweiter König Artus thematisiert.

Dieser Aussagegehalt der Verse 1 – 38 gilt selbstverständlich auch, wenn das Publikum das Gedicht bereits einmal hörte, oder wenigstens ein gewisses Maß an Hintergrundinformationen innehatte. Das Verständnis dieser Verse wird dann aber radikal verändert. Es wird vom Auditorium eine Reflexion darüber erwartet, wie die Verarbeitung heldenepischer Stoffe aus der Sicht eines höfischen Literaturkonzepts vonstatten geht. Die Zuschauer werden gezwungen, sich vom Erzählten und vom zugrundeliegenden Stoff zu distanzieren und neue Möglichkeiten des Verstehens auszuprobieren.

Dies gilt im weiteren Sinne aber auch für eine Zuhörerschaft, welcher der Text völlig neu ist, da der Autor sie bis zum Beginn der eigentlichen Handlung konsequent in eine besondere Erzähltechnik einweist. So folgt auf die Einführung des Helden die Nennung seines Namens: „Bitrolf sô hiez der selbe degen“ (Vers 39). Dass der Autor hier nicht auf die bereits verwendeten Begriffe Ritter und König, sondern auf die den heldenepischen Texten zugehörige Bestimmung „degen“ zurückgreift, muss man als eine von ihm bewusst gesetzte Brechung verstehen. Man wird für einen Moment irritiert, um danach gleich wieder auf den vermeintlich sicheren Boden einer höfischen Erzählung zu gelangen. Was nun folgt ist nämlich das Lob des herausragenden Herrschers und Ritters, was für höfische Texte typisch ist. Biterolf ist in seiner ethisch moralischen Einstellung und der davon nicht zu trennenden äußeren Manifestation, der Mildtätigkeit und der ritterlichen Haltung und Mentalität nachahmenswert. Darauf folgt wieder einmal die an Beschreibungen des König Artus erinnernde Verherrlichung seiner Zeitgenossen.

Der Autor startet nun einen neuerlichen Erzähleinsatz wie in Vers 39, gegen die Beschreibung Biterolfs als vorbildlich ritterlich-höfischen Herrschers, den für heldenepische Texte prägenden Begriff recke: Der selbe recke hete ein wîp (Vers 55).

Nimmt man die in den wiederholten Neueinsätzen verwendeten Begriffe Fürst und Held noch dazu, so hat der Autor bereits in den ersten 108 Strophen das ganze Begriffsinventar aus der mündlichen und literarischen Tradition zur Bezeichnung eines adligen männlichen Kämpfers verwendet. Und dabei passen die Bezeichnungen, welche nicht daraus stammen, immer sinnvoll zum jeweiligen Abschnitt, während degen und recke kontrastiv dagegen gesetzt sind.

Mit Vers 55 beginnt nun die Ausweitung des Erzählten. Die lobende Preisung Biterolfs wird durch neue Gegenstände ergänzt. So wird in den Versen 55 – 72 seine Frau eingeführt. Sie wird, gemäß der Tradition des höfischen Erzählens, als vornehmste Dame ihrer Zeit, hochadlig von Geburt, und – was untrennbar damit verbunden ist – als Frau von großer Schönheit geschildert. Der Beifall des Autors darüber, dass sie sich sämtlicher ererbten Attribute auch in ihrer Handlungsweise würdig erwies, gipfelt in der Feststellung ihres ersten Ranges durch die Huldigung ihrer Mitmenschen und durch die Nachwelt. Der Schriftsteller verwendet sehr viel Mühe darauf, Dietlint zu preisen, einzig Helche, die größte Königin aller Zeiten, ist ihre würdige, intime Freundin. Dietlint ist die Figur auf welche die Verherrlichung zielt, als Modell an dem dies vorgeführt wird dient allerdings vornehmlich Helche und einige Damen am Wormser Hof, wie Brünhilt und Kriemhilt. Um Minne geht es allerdings nicht.

Anschließend wird die Beschreibung Biterolfs abgerundet. Wir erfahren, dass er in Toledo regiert und mit Leichtigkeit 8.000 Ritter aufbieten kann. Es folgt ein abschließendes Lob Biterolfs mit der erstmaligen Verwendung des Begriffs Ehre, welcher sowohl alle zuvor vorgestellten Tugenden desselben als auch seinen Ruhm zusammenfasst. Die soeben eingeführte Ambivalenz von Biterolfs Bewertung als artusgleichem Herrscher und sich bewährenden Artusritter erhält der Autor aufrecht, obwohl er beide Seinsweisen klar trennt. Biterolf wird überall zu den Besten gezählt, andererseits praktizierte er sein ganzes Leben lang Freigiebigkeit und Mildtätigkeit.

Das Kompositionsmuster des Textes wurde damit vom Autor klar erkennbar dargestellt. Formal handelt es sich um ein höfisches Epos, verfasst in durch Endreim gebundene Vierheber, bei denen der Erzähler zu einer eigenen Instanz des Textes wird.

Der Einführung Biterolfs und Dietlints folgt ein Exkurs über die berühmten Schwerter der Heldensagentradition. Dieser passt inhaltlich zwar noch zur abschließenden Schilderung von Biterolfs Kampfkraft, da der stärkste Kämpfer auch die beste Rüstung besitzt, in seiner Ausführlichkeit ist er jedoch deutlich überproportioniert, was die Aufmerksamkeit des Auditoriums ablenkt und kurzfristig von der Erzählung wegführt, obwohl der Autor den Abstecher geschickt einbindet. Denn die Überleitung von Biterolfs Schwert mit Namen Schrit zu den besten Schmieden und deren mit Namen versehenen Schwertern ist nur folgerichtig, womit der Bogen zurück zu Biterolf geschlagen ist. Trotzdem bleibt die Frage, wozu dieser Exkurs nötig sein soll, denn für einen Verweis auf die Ebene des Heldenepischen hätten ein paar Strophen ausgereicht.

Davon ausgehend, dass dies eine bewusste Verfahrensweise des Autors war, lenken seine Ausführungen über die Schwerter die Aufmerksamkeit des wachen Lesers oder Hörers auf das erneute Erscheinen dieser berühmten Stichwaffen im nachfolgenden Text. Zum anderen – was weit wichtiger ist – wird hier erstmals ein Vorwissen der Rezipienten, welches über die Kenntnis kompositioneller Grundmuster höfischer und heldenepischer Texte hinausschreitet, angesprochen. Diese Kenntnisse erstrecken sich auf konkrete stoffliche Details der heldenepischen Überlieferung, da der Autor nur zwei Schwerter mit Namen nennt. Damit bleiben aber immer noch mindestens elf von dreizehn Schwertern unbenannt. Wichtig ist, dass man nicht eindeutig herauslesen kann, ob Biterolfs Schwert eines dieser dreizehn genannten ist. Dennoch ist die Erwähnung der Hiebwaffe Biterolfs im Zusammenhang mit den angeblich so berühmten Schwertern natürlich sehr suggestiv. Biterolf wird so als zentrale Figur im überlieferten Inventar heldenepischer Figuren verankert. Darüber hinaus wird das beschriebene Ratespiel im weiteren Text sehr häufig wieder vorkommen. Vor allem soll es durch das Zusammenspiel von Textaussage und Vorwissen des Publikums komische Effekte erzielen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Das mittelalterliche Epos "Biterolf und Dietleib". Analyse der Handlung und Protagonisten
Hochschule
Universität Wien
Note
2
Autor
Jahr
2003
Seiten
24
Katalognummer
V30925
ISBN (eBook)
9783638320795
ISBN (Buch)
9783638651011
Dateigröße
513 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Biterolf
Arbeit zitieren
Udo Seelhofer (Autor:in), 2003, Das mittelalterliche Epos "Biterolf und Dietleib". Analyse der Handlung und Protagonisten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/30925

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