Jesus Christus als Einheit von Schöpfer und Geschöpf. Eine Untersuchung der cusanischen Christologie in De docta ignorantia III Kapitel 1-4


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

25 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

0. Einleitung

1. Cusanisches Denken ist durch und durch christologisch

2. Das „maximum absolutum“

3. Das „maximum contractum“

4. Das „maximum absolutum et contractum“

5. Das maximum absolutum et contractum ist Jesus Christus in hypostatischer Union

6. Ist cusanisches Denken durch und durch christologisch?

7. Literaturverzeichnis

0. Einleitung

Wer von Nikolaus von Kues spricht, meint damit oft in verkürzender Gleichsetzung seinen Gedanken des Zusammenfalls der Gegensätze (coincidentia oppositorum), der damit mitttlerweile zu einem Bonmot avanciert ist und zu vielen passenden und weniger passenden Gelegenheiten zitiert wird.

Was genau sich aber hinter dem Denker des ausgehenden Mitttelalters verbirgt, ist meistens unbekannt – zumindest bei den weniger passenden Gelegenheiten.

Nun will die vorliegende Arbeit in keinster Weise den Anspruch erheben, dieses Unverständnis ein für allemal zu beenden. Sie will vielmehr den einen oder anderen Gedanken zu einem der cusanischen Hauptwerke, der Docta ignorantia, und darin besonders zur cusanischen Christologie aufnehmen, ausführen und gegebenenfalls weiterführen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder Abgeschlossenheit. Vieles des hier Geschriebenen basiert auf den Diskussionen innerhalb der einzelnen Seminarsitzungen, manches auf eigenen Überlegungen und manches auf der Lektüre von ausgewählter Sekundärliteratur, deren Verzeichnis genauso wenig wie die Arbeit selber Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.

Cusanus ist insofern Philosoph als er in seinen Überlegungen von der Erkenntnislehre ausgeht und danach fragt, wie die Erkenntnis Gottes möglich sein kann, wenn Gott doch der Unerkennbare ist. Inwiefern auch seine Christologie philosophisch ist, bzw. inwiefern Christologie philosophisch sein muss, ist Thema der folgenden Seiten. Dabei gehe ich von der These zur Christologie des Cusaners aus, wie sie E. Cassirer formuliert hat:

„In Wahrheit ist die Einführung und die spekulative Behandlung der Christus-Idee innerhalb der Schrift ,de docta ignorantia’ so wenig ein äußerer Annex, daß sie vielmehr die bewegende Kraft in Cusanus’ Denken erst vollständig zur Entfaltung und Äußerung bringt.“[1]

Nach einer ersten Erörterung der Grundthese der christologischen Durchdringung des cusanischen Denkens und einer knappen Einordnung der Kapitel 1-4 des dritten Bandes der Docta ignorantia in das Gesamtwerk werfe ich einen Blick auf die Bedeutung des maximum concretum et absolutum in seiner Mittlerfunktion zwischen maximum absolutum und maximum concretum. Daran schließt sich logisch die Zwei-Naturen-Lehre in der Tradition der Formulierung von Chalkedon an: Inwiefern ist Jesus Christus Mensch? Inwiefern muss er Mensch sein? Inwiefern ist er Gott – und als Gott Gott in seiner zweiten Person? Inwiefern spielt Gott als Gleichheit der Einheit hier eine Rolle? In der Christologie des Cusanus, wie sie im dritten Band der Docta ignorantia beschrieben wird, spielt auch die Anthropologie eine große Rolle; diesem Aspekt sei am Ende der Arbeit noch Raum zugestanden.

Eine kritische Würdigung der Eingangsthese steht am Schluss der Überlegungen.

1. Cusanisches Denken ist durch und durch christologisch

Die zentrale Bedeutung der Christologie für das Denken des Cusanus’ wird nicht nur von E. Cassirer festgehalten. Wer sich seit der Mite des 20. Jahrhunderte mit einem theologischen Ausgangsinteresse mit Cusanus beschäftigt, kommt an Rudolf Haubst nicht vorbei. Mit seinen beiden Monographien „Das Bild des Einen und Dreieinen Gottes in der Welt nach Nikolaus von Kues“ und „Die Christologie des Nikolaus von Kues“ legt er quasi den Grundstein für die Cusanus-Rezeption innerhalb der Theologie. Und auch Haubst kommt am Ende seiner Überlegungen zur Christologie des Cusanus zu dem Schluss:

„Jesus Christus trägt daher auch seit der Inkarnation des Wortes den Quell aller geschaffenen Gnade in sich, ja, Er ist es selbst als der Gott-Mensch [...]. Schon kumuliert sie [die Seinsanalogie des auf Gott hin geschaffenen Kosmos, T.K.] in Ihm [...]. Der Kreislauf der Schöpfung schließt sich in Ihm und durch Ihn.“[2]

Dabei legt Haubst den Schwerpunkt auf „das Mittel- und Herzstück der cusanischen Christologie, die Lehre von der Menschwerdung“[3]. Er sieht bei Cusanus die Inkarnation in enger Verbindung mit der Schöpfung, die sich erst im inkarnierten Wort Gottes erfüllt. Dabei spielt die Sündigkeit des Menschen und seine sich daraus ergebende Erlösungbedürftigkeit eine fundamentale Rolle.[4] Um seine These von der Schöpfungsvollendung durch Christus belegen zu können, kann sich Haubst in seinen Überlegungen nicht auf die Docta ignorantia beschränken, sondern muss das Gesamtwerk des Cusanus auf Aussagen bezüglich der Inkarnation hin untersuchen. Erst so erhellt sich die Heilsnotwendigkeit des Auftretens Christi, zu der der Leser der Docta ignorantia in einer sogenannten manuductio geführt wird: Die cusanische Methode, so Haubst, bestehe darin, auf spekulativem Weg das – notwendige - Denkmodell Jesus Christus als Vollender der Schöpfung aufzubauen und erst danach „aus der philosophischen Reserviertheit seines schon von Grund auf im Lichte der Theologie stehenden kosmologisch-metaphysischen Denkens heraus[zutreten], um die Glaubenswahrheit der Inkarnation des Wortes zu formulieren“[5]. In der glaubenden Bejahung dieser Wahrheit finde der Mensch dann die Ruhe, nach der er in seinem Heilsstreben suche.

Einen anderen Ansatz verfolgt Ulrich Offermann in seiner Monographie Christus – Wahrheit des Denkens. Auch er ist der Meinung, dass die Christologie eine wichtige Rolle im Denken des Cusaners spielt – allerdings will er dies sozusagen textimmanent durch Aufbau und die Gedankenführung innerhalb der Docta ignorantia aufzeigen. Ausgehend von der doppelten These des menschlichen Strebens nach Wahrheit einerseits und der prinzipiellen Unmöglichkeit, Gott zu denken, weil er dem Denken gerade nicht mehr gegenübergestellt werden kann, kommt Offermann zu dem Schluss:

„Im dritten Buch von „De docta ignorantia“ wird sich zeigen, daß nur von Jesus Christus her Aussagen über die Undenkbarkeit Gottes möglich sind.“[6]

Damit sieht Offermann im cusanischen Christusbild nicht nur die kosmologische Vollendung des Menschen und der Welt, sondern auch und vor allem die erkenntnistheoretische Vollendung der Vernunft. In der Docta ignorantia baue Cusanus ein neues Fundament für jede Erkenntnis der beschränkten menschlichen Vernunft: „In Jesus Christus findet das Denken die Bedingung seines eigenen Seinkönnens.“[7] Alles menschliche Streben hat demnach seinen Grund und sein Ziel in Jesus Christus, der zweiten göttlichen Person, deren Menschwerdung Bedingung der Möglichkeit für Menschsein überhaupt ist. Dabei verweist nach Offermann das dritte Buch der Docta ignorantia direkt wieder zurück auf ihren Anfang, die Frage nach Gott, die durch die „Tatsache“ Jesus Christus eine neue Ausgangsbedingung erhält. Durch diesen Rückverweis sieht er gleichzeitig auch den oft an Cusanus erhobenen Vorwurf einer rein spekulativen Deduktion Christi entkräftet. Denn nach Cusanus habe menschliche Vernunft und menschliches Denken gar keine keine andere Chance, an die Frage der Gotteserkennntnis heranzugehen, als über sich selber – und durch diese Beschäftigung letzlich in der Erkenntnis, dass sie „durch Gott, näherhin durch Jesus Christus ermöglicht“[8] ist. Man kann also auch das Denken des Cusanus’ nicht in einen rein philosophischen Teil, nämlich die hypothetische Forderung der Denknotwendigkeit Christi, und einen theologischen Teil, nämlch die glaubende Anerkennung dieser Forderung in der Person Jesu, trennen, weil „die Erkenntnis Jesu Christi erst das Fundament des Denkweges des Nikolaus von Kues schafft“[9]. In diesem Sinn hat die These der christologischen Durchdringung des cusanischen Denkens seine eigentliche Gültigkeit: die Christologie ist nicht nur das Ende, die kosmologische Vollendung, sondern Bedingung der Möglichkeit.

Als solche hat sie ihren Platz im dritten Buch der Docta ignorantia. In den ersten beiden Büchern hat Cusanus seinen Entwurf von Gott und Welt dargelegt und spannt nun den Bogen über Gott und Welt zu der Einheit beider in Jesus Christus, Gott und Mensch in größtmöglicher Einheit. Als diese Einheit ist Christus Mittler zwischen Gott und Welt, in der das Verhältnis von Gott und Welt erkannt werden kann. Dabei ist für Cusanus in der Tradition des christologischen Dogmas von Chalkedon klar, wie diese Einheit verstanden werden muss:

„Wenn die größte Potenz eben das Eingeschränkte so mit sich vereinen würde, daß bei Wahrung der Naturen eine stärkere Einung nicht möglich wäre, so daß eben jenes bei Wahrung der Natur der Einschränkung, dergemäß es die eingeschränkte und geschaffene Vollständigkeit der Art ist, infolge der hypostatischen Union Gott und alles wäre, so würde diese bewundernswürdige Einung alle Fassungskraft unseres Geistes übersteigen.“[10]

In Jesus Christus sind demzufolge beide Naturen, die absolute, undenkbare Natur Gottes, und die eingeschränkte Natur der Welt und damit des Menschen in einer Person zusammengefasst. Er hat und ist absolute Größe, weil er in der absoluten Größe Gottes gründet und eingeschränkte Größe, weil er an der eingeschränkten Größe der Welt Anteil hat. Was genau das heißt, soll in den folgenden Kapiteln näher untersucht werden.

[...]


[1] E. Cassirer, Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance, Leipzig/Berlin 1927, 40; zitiert nach: U. Offermann, Christus – Wahrheit des Denkens, 1.

[2] R. Haubst, Christologie, 312.

[3] R. Haubst, Christologie, 40.

[4] Vgl. R. Haubst, Christologie, 83-89.

[5] R. Haubst, Christologie, 150.

[6] U. Offermann, Christus – Wahrheit des Denkens, 47.

[7] U. Offermann, Christus – Wahrheit des Denkens, 51.

[8] U. Offermann, Christus – Wahrheit des Denkens, 167.

[9] U. Offermann, Christus – Wahrheit des Denkens, 167.

[10] De docta ignorantia III, 2 (192, 11): „Si maxima potentia ipsum contractum sibi taliter uniret, ut plus uniri non posset salvis naturis, ut sit ipsum tale servata natura contradictionis, secundum quam est plenitudo speciei contracta et creata, propter hypostaticam unionem deus et omnia: haec admiranda unio omnem nostrum intellectum excelleret.“

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Jesus Christus als Einheit von Schöpfer und Geschöpf. Eine Untersuchung der cusanischen Christologie in De docta ignorantia III Kapitel 1-4
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen  (LS für Philosophische Grundfragen der Theologie der kath.-theol. Fakultät Tübingen)
Veranstaltung
Hauptseminar zu Nikolaud von Kues
Note
1,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
25
Katalognummer
V30963
ISBN (eBook)
9783638321099
ISBN (Buch)
9783656827641
Dateigröße
670 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Cusanisches, Denken, Jesus, Christus, Einheit, Schöpfer, Geschöpf, Eine, Untersuchung, Christologie, Kapitel, Hauptseminar, Nikolaud, Kues
Arbeit zitieren
Theresia Klein (Autor:in), 2004, Jesus Christus als Einheit von Schöpfer und Geschöpf. Eine Untersuchung der cusanischen Christologie in De docta ignorantia III Kapitel 1-4, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/30963

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