Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Rechtsgrundlage für den Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Deutschland
1.1. Aufenthaltsstatus
1.2. Inobhutnahme/ Clearingverfahren
1.3. Fazit
2. Spannungsfeld zwischen ordnungspolitischen Rahmenbedingungen und sozialer Gerechtigkeit
3. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und ihre schulischen und beruflichenBildungs- und Ausbildungschancen
3.1. Schule
3.2. Berufliche Chancen
3.3. Fazit Inklusion vs. Exklusion
4. Fazit
5. Wissenschaftliche Selbstreflexion
6. Literaturverzeichnis
Einleitung
Krieg, Folter, Verfolgung, mangelnde Befriedigung der physischen und psychischen Bedürfnisse, Zwangsrekrutierung, Zwangsheirat, Vergewaltigung, Prostitution und/oder der Verlust der Angehörigen bewegen Kinder[1] häufig dazu aus ihrer Heimat zu fliehen. Oft sind sie durch gravierende Einschnitte in ihrer Biografie oder durch Erlebnisse auf der oft langen und bedrohlichen Flucht traumatisiert. Auch konnte ein Großteil der unbegleiteten[2] minderjährigen[3] Flüchtlinge noch nie ein Leben in Sicherheit und „Normalität“, mit regelmäßiger Essensaufnahme, dem täglichen Schulbesuch und ohne wirtschaftliche Notsituationen, erleben. Diese Kinder fliehen vor der Perspektivlosigkeit in ihrem Herkunftsland oder aufgrund der völligen Zerstörung ihrer Existenzgrundlage. Sie suchen Schutz und eine Lebensperspektive in der Bundesrepublik Deutschland.[4]
Aber was erleben diese unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in Deutschland tatsächlich? Nach geltendem Recht stehen ihnen theoretisch wie allen anderen Menschen in Deutschland auch, jene Maßnahmen und Subventionen zu, welche sie vor allem in ihrer speziellen Lebenssituation schützen, fördern und unterstützen sollen. Erfahren diese essenziellen Grundbedürfnisse der unbegleitet minderjährigen Flüchtlinge in Deutschland aber tatsächlich Berücksichtigung? Wie sieht es speziell mit dem Recht auf (Schul-)Bildung aus?
Die vorliegende Hausarbeit setzt sich damit auseinander, inwieweit in Bezug auf die Integrations- und Bildungschancen von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Deutschland von sozialer Gerechtigkeit gesprochen werden kann und welche Rolle diesbezüglich dem Spannungsfeld zwischen der sozialen Gerechtigkeit, wozu auch die eigentlichen sozialpädagogischen Ziele und Aufträgen der Sozialen Arbeit zählen und den Zuschreibungen und Bedingungen einer ordnungspolitisch bestimmten Zuwanderungspolitik in Deutschland, zu Teil wird?
1. Rechtsgrundlage für den Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Deutschland
„Kinder ohne Deutschen Pass – ein Leben ohne Rechte?“[5]
Im Jahre 1992 verpflichtete sich Deutschland mit seiner Unterzeichnung dazu die UN-Kinderrechtskonvention, welche allen Kindern fundamentale politische, soziale, ökonomische, kulturelle und zivile Rechte zusichert und von fast allen Ländern der Welt ratifiziert wurde, zu wahren. Von Deutschland ging jedoch zunächst noch ein Vorbehalt aus, welcher beinhaltet, dass das deutsche Ausländerrecht Vorrang vor der Konvention besitzt. Diese Einschränkung der Konvention wurde 2010 zurückgenommen. Doch auch mit der Rücknahme der Vorbehalte konnten nicht alle Missstände behoben werden.[6]
1.1. Aufenthaltsstatus
Der aufenthaltsrechtliche Status von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen stellt sich nach wie vor überwiegend sehr wage dar, da vielen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen nach § 55-56 Ausländergesetz nur eine Duldung zuteilwird.[7] Eine Duldung verschafft den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen jedoch keinen rechtmäßigen Aufenthalt, sondern ist lediglich Ausdruck dessen, dass aktuell eine Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich ist. Eine Duldung bezeichnet demnach eine befristete und ungewisse "Aussetzung der Abschiebung". Alle geduldeten Flüchtlinge können prinzipiell jeden Tag abgeschoben werden – auch minderjährige unbegleitete Flüchtlinge.[8]
1.2. Inobhutnahme/ Clearingverfahren
Mehr als 5.500 unbegleitet minderjährige Flüchtlinge sind 2013 durch die zuständigen Jugendämter gemäß § 42 SGB VIII in Deutschland in Obhut genommen worden.[9] Die öffentlichen Träger sind nach § 42 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII explizit gesetzlich dazu aufgefordert, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Obhut zu nehmen, wenn weder Personensorge- noch Erziehungsberechtigte in Deutschland existieren. Die Inobhutnahme- und Clearingeinrichtung erhält den Auftrag, zunächst die Erstversorgung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge zu gewährleisten und dem zuständigen Jugendamt unterstützend zur Seite zu stehen, um den jeweiligen Hilfebedarf nach dem SGB VIII abzuleiten. In vielen deutschen Bundesländern durchlaufen bzw. absolvieren die Kinder in diesem Rahmen, in einer geschützten jugendgerechten Unterbringung, ein so genanntes "Clearingverfahren", bei welchem die Klärung der Lebensumstände und der Lebensperspektive im Vordergrund steht. Neben der vorsorgenden und akuten Gesundheitsfürsorge in der Clearingeinrichtung, der Vermittlung von Sprachkursen und Schulplätzen, kommt der Begleitung bei Fragen zum ausländer- und asylverfahrensrechtlichen Status dieser Kinder, eine große Bedeutung zu.[10]
Denn der aufenthaltsrechtliche Status besitzt einen enormen Einfluss auf die Lebensbedingungen und Unterstützungsmaßnahmen der Flüchtlinge. Jeder Rechtsstatus ist mit unterschiedlichen Rechten und Privilegien wie zum Beispiel der schulischen und beruflichen Ausbildung, verbunden.[11]
Allerdings erhalten in der Praxis die Vorgaben des SGB VIII nicht immer Beachtung. So werden in etlichen Regionen Deutschlands männliche 16- bis 17-jährige unbegleitete minderjährige Flüchtlinge auf separaten Trakten oder Etagen von erwachsenen Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht, die den Standards der Jugendhilfe nicht einmal annähernd entsprechen. Auch erfolgt in diversen Bundesländern die Unterbringung von über 16-Jährigen zunächst in zentralen Erstaufnahmeeinrichtungen.[12]
1.3. Fazit
Im Mai 2010 hat das Bundeskabinett nach 18 Jahren die Vorbehaltserklärung in Bezug auf die UN-Kinderrechtskonvention zur Unterscheidung zwischen inländischen und ausländischen Jugendlichen durch die Bundesregierung zurückgezogen. Somit erhielten minderjährige Flüchtlinge auf dem Papier die gleichen Grundrechte wie deutsche Kinder, aber fast zeitgleich gab das Bundesministerium des Inneren, bekannt, dass die deutsche Bundesregierung eine Gesetzesänderung in Bezug auf das Aufenthalts- und Asylverfahrensgesetz nicht für erforderlich hält. Demnach hat sich für minderjährige Flüchtlinge nicht viel verändert, denn auch nach der Zurücknahme der Vorbehalte orientiert sich der rechtliche und verwaltungsmäßige Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen nicht primär am Kindeswohl.[13]
In Deutschland existieren klare gesetzliche Regelungen, nach denen alle unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, obgleich sie das 16. Lebensjahr vollendet haben, immer in Obhut zu nehmen und in einer geeigneten kindgerechten pädagogischen Wohnform unterzubringen sind. Die Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen für Erwachsene ist damit ungeeignet und steht im Widerspruch zu den gesetzlichen Richtlinien.[14] Dennoch erfolgt regelmäßig eine Unterteilung nach dem Alter der minderjährigen Flüchtlinge.
2. Spannungsfeld zwischen ordnungspolitischen Rahmenbedingungen und sozialer Gerechtigkeit
Die Rechtsgrundlagen in Bezug auf die Soziale Arbeit mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen stellen sich grundsätzlich als sehr komplex dar, denn die Situation von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ist durch das Aufeinandertreffen von unterschiedlichen Rechtsgebieten, deren Ziele sich im Spannungsfeld zwischen Kinderschutz und Abwehr von Einwanderung bewegen, geprägt.
In Deutschland erfolgt aus rechtlicher Sicht insbesondere eine Unterscheidung von zwei Aspekten. Auf der einen Seite befinden sich die nationalen und internationalen Gesetze und Abkommen zum Schutz dieser unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge und das Kinder- und Jugendhilferecht und auf der anderen Seite steht das deutsche Asyl- und Ausländerrecht, welches überwiegend ordnungspolitische Interessen vertritt.[15]
Auch wenn die zum Teil sehr individuellen landesrechtlichen Vorschriften von großer Signifikanz sind, stellt die Handlungsgrundlage für die Soziale Arbeit mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Deutschland das Achte Sozialgesetzbuch dar.[16] Das Achte Sozialgesetzbuch definiert nach §1 das Recht aller jungen Menschen auf die Förderung ihrer Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit und ordnet den Zugang zu sozialpädagogischen Leistungen auf der Grundlage individueller Bedarfe und struktureller Notwendigkeiten. Alle Leistungen der Jugendhilfe sollen nach §1 Abs. 3 SGB VIII junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung fördern und dazu beitragen, Benachteiligung zu vermeiden oder abzubauen.[17]
[...]
[1] vgl. UN-Kinderrechtskonvention, Artikel 1: Kind ist jeder Mensch, der das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat;
[2] vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 5 und 6 SGB VIII: unbegleitet sind alle Minderjährigen ohne Begleitung von Personensorge- oder Erziehungsberechtigten
[3] vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB VIII, minderjährig ist jede Person, die noch nicht 18 Jahre alt ist
[4] Zurwonne/ Pape/ Schneider (2014): Thema kompakt – Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
[5] National Coalition (2000): Kinder ohne deutschen Pass – ein Leben ohne Rechte?, S. 16
[6] Vgl. Schöning (2014): Unbegleitet minderjährige Flüchtlinge und Soziale Arbeit in Deutschland. S.6-8
[7] Vgl. Jockenhövel-Schiecke (1998), S. 174
[8] vgl. § 60 a Abs. 2 Aufenthaltsgesetz
[9] Vgl. Kemper/ Espenhorst (2013) Gekommen um zu bleiben?. S. 4
[10] Vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2009): Unbegleitete minderjährige Migranten in Deutschland – Aufnahme, Rückkehr und Integration. S. 29-32
[11] Vgl. Angenendt (2000): Kinder auf der Flucht. S. 55
[12] Vgl. Schöning (2014): Unbegleitet minderjährige Flüchtlinge und Soziale Arbeit in Deutschland. S. 25-27
[13] Vgl. Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge e.V.(2012): Kindeswohl und Kinderrechte für minderjährige Flüchtlinge und Migranten. S.8 ff.
[14] Vgl. Münder (2006):Frankfurter Kommentar zum SGB VIII: Kinder- und Jugendhilfe. S. 557 ff.
[15] Vgl. Angenendt (2000): Kinder auf der Flucht. S. 55-59
[16] vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft Landesjugendämter (2014): Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen - Inobhutnahme, Clearingverfahren und Einleitung von Anschlussmaßnahmen. S.9 ff.
[17] vgl. Stascheit (2014): Gesetze für Sozialberufe - Die Gesetzessammlung für Studium und Praxis 2014/15