Der Begriff Shitstorm ist eine relativ neue Erscheinung im deutschen Sprachraum – seit 2010 taucht er in den Printmedien auf. Vermutlich nahm die Verwendung des Wortes nach dem Vortrag des Bloggers Sascha Lobo auf der Web-2.0-Konferenz re:publica im April 2010 zu. Der 2011 zum Anglizismus des Jahres gewählte Begriff wird im Duden als „Sturm der Entrüstung in einem Kommunikationsmedium des Internets, der zum Teil mit beleidigenden Äußerungen einhergeht“ definiert. Geläufige Übersetzungen sind auch „Proteststurm“ oder „Empörungs-“ bzw. „Erregungswelle“.
Die Existenz zahlreicher Analysemodelle und Publikationen zum Thema Krisenmanagement für Unternehmen in den sozialen Medien lässt darauf schließen, dass Shitstorms vor allem Social Media-Consultants als Einnahmequelle dienen. Behandelt werden in der Literatur vornehmlich mögliche Strategien zur Abwehr und zum Umgang mit Shitstorms auf Seiten der Unternehmen. Wissenschaftliche Arbeiten, die sich mit der Entstehung, den Merkmalen und der Dynamik von Shitstorms abseits der Consulting-Literatur beschäftigen, sind hingegen selten. Diese Forschungslücke zu verkleinern und das Phänomen Shitstorm aus einer neuen, medientheoretischen Perspektive zu betrachten, ist Ziel der vorliegenden Arbeit.
Herangezogen wird dafür die Systemtheorie Niklas Luhmanns, einem der bedeutendsten Vertreter der Soziologie. Luhmann untersucht die Gesellschaft und ihre Teilbereiche als soziale Systeme, die sich ausschließlich aus Kommunikation zusammensetzen. Dabei ist es Luhmann selbst, der den Universalitätsanspruch seiner funktionalistischen Theorie sozialer Systeme betont und damit eine universelle Anwendbarkeit. Im Rahmen von Luhmanns Theorie soll nicht nur definiert werden, was genau ein Shitstorm ist bzw. was ihn auszeichnet, sondern vor allem die gesellschaftliche Funktion desselben herausgearbeitet werden. Warum entsteht dieses neue Phänomen Shitstorm? Können wir es mit etwas anderem vergleichen?
Grundlage der Untersuchung bilden zum einen Luhmanns Ausführungen zum Thema Protest bzw. soziale Bewegungen. Hier steht zur Diskussion, ob ein Shitstorm mit einer Protestbewegung im Sinne Luhmanns gleichzusetzen ist, bzw. ob ein Shitstorm Merkmale mit einer Protestbewegung teilt. Da der Shitstorm ein Internet-Phänomen ist, liegt ein weiterer Schwerpunkt auf den Kommunikationsmedien. Wie unterscheidet sich das Medium Internet in seinen Kommunikationsgegebenheiten von anderen Medien – speziell den Massenmedien? [...]
Inhaltsverzeichnis (Table of Contents)
- Einleitung
- Der Shitstorm: Erste Eingrenzung des Phänomens
- Bekannte Beispiele
- Nestlé
- Deutsche Bahn
- Pril
- Amazon
- Guido Barilla
- Merkmale eines Shitstorms
- Bekannte Beispiele
- Allgemeine Einführung in die Systemtheorie Luhmanns
- Theorie sozialer Systeme
- Kommunikation als dreistelliger Selektionsprozess
- Funktional differenzierte Gesellschaft: Das Funktionssystem der Massenmedien
- Der Shitstorm als Protestbewegung?
- Definition Protest(-bewegungen)
- Protestkommunikation im Shitstorm
- Kommunikationsmedium Internet versus Massenmedien: Der Shitstorm als Social Media-Phänomen
- Social Media und Interaktion
- Allgemeine Definition von Web 2.0 und Social Media
- Definition Interaktion
- Social Media als Interaktionssystem
- Medienbedingte Implikationen für das Phänomen Shitstorm
- Fehlende Kontaktunterbrechung und neue Form von Öffentlichkeit
- Niedrige Zugangsschwelle und Feedback in Echtzeit
- Verhältnis von Shitstorm und Massenmedien
- Massenmediale Inszenierung als Ausgangspunkt für Shitstorms
- „Digitaler Spillover“: Shitstorms in der Berichterstattung der Massenmedien
- Social Media und Interaktion
- Wenn das Interaktionssystem in Konflikt gerät: Der Shitstorm als Konflikt?
- Definition Konflikt
- Der Shitstorm: Konflikt als Gegnerschaft
- Wenn der Konflikt eskaliert: Moralkommunikation im Shitstorm
- Definition Moral
- Eskalation auf persönlicher Ebene
- Der Shitstorm als Immunsystem?
- Der Shitstorm als digitaler Skandal?
- Die Mechanismen der Skandalisierung nach Kepplinger
- Shitstorm versus Skandal: Gemeinsamkeiten und Unterschiede
- Die Rolle des Kommunikationsmediums
- Die Rolle der Moral
Zielsetzung und Themenschwerpunkte (Objectives and Key Themes)
Die vorliegende Arbeit zielt darauf ab, das Phänomen des Shitstorms aus einer neuen, medientheoretischen Perspektive zu betrachten. Dabei soll die Systemtheorie Niklas Luhmanns als theoretischer Rahmen herangezogen werden, um die Entstehung, die Merkmale und die gesellschaftliche Funktion dieses Phänomens zu beleuchten.
- Definition des Shitstorms und Abgrenzung zu anderen Begriffen wie Protestbewegung oder Skandal
- Untersuchung der Rolle des Internets und Social Media als Kommunikationsmedien im Kontext des Shitstorms
- Analyse der Kommunikationsprozesse im Shitstorm und deren Bedeutung für die Entstehung von Konflikten und Moralkommunikation
- Anwendung der Systemtheorie Luhmanns auf die gesellschaftliche Funktion und die Dynamik von Shitstorms
- Diskussion der Frage, ob der Shitstorm als ein digitales Äquivalent zum medialen Skandal verstanden werden kann.
Zusammenfassung der Kapitel (Chapter Summaries)
Die Einleitung stellt den Shitstorm als aktuelles Phänomen vor, das sich durch massive und meist negative Reaktionen in Online-Medien, insbesondere in sozialen Netzwerken, auszeichnet.
Kapitel 2 definiert den Shitstorm anhand bekannter Beispiele und analysiert die Merkmale eines Shitstorms.
Kapitel 3 bietet eine allgemeine Einführung in die Systemtheorie Luhmanns, mit Fokus auf die Konzepte sozialer Systeme, Kommunikation und die funktional differenzierte Gesellschaft.
Kapitel 4 diskutiert die Frage, ob der Shitstorm als eine Protestbewegung im Sinne Luhmanns betrachtet werden kann.
Kapitel 5 analysiert die spezifischen Kommunikationsbedingungen des Internets und Social Media im Vergleich zu traditionellen Massenmedien.
Kapitel 6 untersucht den Konfliktcharakter des Shitstorms und die Rolle von Moralkommunikation in der Eskalation von Konflikten.
Schlüsselwörter (Keywords)
Die Arbeit beschäftigt sich mit dem Phänomen des Shitstorms, der Systemtheorie Niklas Luhmanns, Social Media, Konflikt, Moralkommunikation, Skandal, Kommunikation, Internet, Protestbewegung, Massenmedien und gesellschaftliche Funktion.
- Arbeit zitieren
- Corinna Gronau (Autor:in), 2015, Das Phänomen Shitstorm. Eine systemtheoretische Betrachtung nach Niklas Luhmann, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/310291