Kinder mit Trisomie-21 im inklusiven Sportunterricht der Grundschule


Masterarbeit, 2015

265 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 Einleitung
1.1 Besonderes Erkenntnisinteresse und Zielsetzung dieser Arbeit
1.2 Gliederung und Aufbau der Arbeit

2 Trisomie 21 - Begriffsannaherung
2.1 Vorkommen und Auftretenswahrscheinlichkeit
2.2 Historische Annahmen
2.3 Ursachen und atiologische Faktoren
2.4 Aktueller Forschungsstand
2.5 Formen und Varianz
2.6 Aufteres Erscheinungsbild und syndromspezifische Aspekte bei KT21
2.6.1 Korperlich-funktionelle Entwicklungsmerkmale
2.6.2 Padagogische und psychologische Entwicklungsmerkmale
2.6.3 Kognitive und lernbezogene Entwicklungsmerkmale
2.6.4 Kommunikative und sprachliche Entwicklungsmerkmale
2.6.5 Neuronale und sensorische Entwicklungsmerkmale
2.6.6 Motorische Entwicklungsmerkmale
2.6.7 Emotionale und soziale Entwicklungsmerkmale
2.6.8 Ressourcen und Fahigkeiten
2.7 Bewegung, Spiel und Sport im Kontext der Entwicklung von KT21
2.7.1 Bewegung, Spiel und Sport in schulischen Kontexten
2.7.2 Gesellschaftswandel - Auswirkungen auf das Bewegungsverhalten

3 Inklusion - Begriffsannaherung
3.1 Schulische Entwicklungsstufen und Etappen im Bildungssystem
3.2 Rechtliche Rahmenbedingungen und Grundlagen
3.3 Stand des Inklusionsprozesses im deutschen Schulsystem
3.4 Niedersachsisches Schulrecht und Inklusion
3.5 Sonderpadagogische Forderung in Bildungseinrichtungen

4 Traditioneller Sportunterricht - Begriffsannaherung
4.1 Aktuelle Entwicklungen
4.2 Fachdidaktische Konzepte und Leitideen
4.3 Doppelauftrag und Handlungsfahigkeit
4.4 Spiele und Spielfahigkeit
4.5 Sportartenprogramm vs. Bewegungsunterricht
4.6 Funktionen und Bereiche modernen Sportunterrichts
4.7 Mehrperspektivistisches Schulsportmodell
4.7.1 Sinnperspektiven des Sports und des Sportunterrichts
4.7.2 Aspekte, Aufgaben und Ziele des Sportunterrichts
4.7.3 Prozess- und inhaltsbezogene Kompetenzbereiche im Sport
4.7.4 Relevanz der Mehrperspektivitat fur den Sportunterricht

5 Inklusiver Schulsport - Begriffsannaherung
5.1 Kriterien furguten und exzellenten Sportunterricht
5.2 Grundsatze und Anspruche
5.3 Padagogik im inklusiven Sportunterricht
5.4 Aufgaben und Ziele des inklusiven Sportunterrichts
5.5 Herausforderungen, Chancen und Grenzen inklusiven Unterrichts
5.5.1 Dichotomie von Gleichheit und Einzigartigkeit im inklusiven Spannungsfeld
5.5.2 Leistungsbeurteilung, Benotung und Wettkampf
5.5.4 Sonderpadagogische Zugange zum Leistungsbegriff und Diagnostik
5.5.5 Kultusministerielle Bestimmungen zum Leistungsbegriff
5.5.6 Nachteilsausgleiche und angemessene Vorkehrungen

6 Gestaltung inklusiven Sportunterrichts durch vorausgehende Fragen
6.1 Frage nach dem Aktivitatstyp
6.2 Frage nach der Lernsituation
6.3 Frage nach der Beziehungsgestaltung
6.4 Frage nach der Bewegungsbeziehung

7 Weitere Modelle fur die Umsetzung inklusiven Sportunterrichts
7.1 Umgang mit der Vielfalt — Modell des Diversity-Managements
7.2 TREE-Modell — Anpassung und Modifikation von Aktivitaten
7.3 CHANGE- IT-Modell — Modifikation von Aktivitaten
7.4 Modell eines adaptiven Sportunterrichts
7.5 Kritik an ,,Erstbesten Losungen"
7.6 Handlungsmodell inklusiver Sportunterricht Zwischenfazit

8 Voraussetzungen fur einen inklusiven Sportunterricht
8.1 Umsetzung eines inklusiven Sportunterrichts
8.2 Darstellung von Prufkriterien fur inklusiven Sportunterricht
8.3 Ebene der SuS
8.3.1 Selbstwirksamkeit, Selbstregulation und Selbstkonzept
8.3.2 Basisqualifikationen, Zielvereinbarungen und Lernfortschritt
8.3.3 Motivation
8.3.4 Konzentration, Ausdauer und Engagement
8.3.5 Angstreduktion
8.4 Ebene der Eltern
8.4.1 Hausliches Anregungsniveau und soziookonomischer Status
8.4.2 Elternunterstutzung sowie Fernseheinfluss
8.5 Ebene der inklusiven Schule
8.5.1 Schulgrofte und Schulleitung
8.5.2 Ressourcencenter und multiprofessionelles Handeln
8.5.3 Schul- und Klassenwechsel
8.5.4 Klassengrofte
8.5.5 Klassenzusammensetzung und jahrgangsubergreifender Unterricht
8.5.6 Interne Differenzierung und Lernen in Kleingruppen
8.5.7 Nichtversetzung und Durchlassigkeit
8.5.8 Klassenmanagement und Lernumgebung
8.5.9 Klassenzusammenhalt und Klassenklima
8.5.10 Verhaltensbeeinflussung und Umgang mit Unterrichtsstorungen
8.5.11 Einflusse von Mitschulern und Bildung von Freundschaften
8.6 Ebene der Lehrpersonen
8.6.1 Lehrerbildung und Bildungskompetenz
8.6.1.1 Universitare Lehre und Micro-Teaching
8.6.1.2 Fachkompetenz und lehrmethodisches Wissen
8.6.1.3 Didaktische Kompetenz
8.6.1.4 Diagnostische Kompetenz
8.6.2 Rolle der sonderpadagogischen Lehrkrafte und ihre Aufgaben
8.6.3 Gute und Qualitat der Sportlehrkrafte
8.6.4 Qualitat der Lehrer-SuS-Beziehung und wertschatzender Umgang
8.6.5 Lehrerfort- und -weiterbildung
8.6.6 Grundeinstellungen und Haltungen
8.6.7 Nicht-Etikettierung derLernenden und Vermeidung von Stigmata
8.6.8 Klarheit der Lehrperson und Klarheit der Sprache
8.7 Ebene der Lehrplane und curricularen Vorgaben
8.7.1 Forderung der Sozialkompetenz
8.7.2 Spielforderung
8.7.3 Kreativitatsforderung
8.7.4 Forderung durch Outdoor- und Erlebnispadagogik
8.8 Ebene des Unterrichts und der didaktischen EinflussgroRen
8.8.1 Betonung von Lernintentionen und Festlegung von Zielen
8.8.2 Feedback und Wahlmoglichkeiten
8.8.3 Formative Evaluation
8.8.4 Betonung der Perspektive der Lernenden beim Lernen
8.8.4.1 Aktive Lernzeit und rhythmisiertes vs. geballtes Uben
8.8.4.2 Peer-Tutoring
8.8.5 Lerntechniken fur selbstreguliertes Lernen
8.8.5.1 Metakognitive Strategien
8.8.5.2 Lautes Denken
8.8.5.3 Differenzierung, individuelle Forderung und Individualisierung
8.8.6 Lehrstrategien
8.8.6.1 Rollenwechsel und reziprokes Lehren
8.8.6.2 Direkte Instruktion
8.8.7 Interventionen bei spezifischen Forderbedarf
8.8.8 Kooperationen, Zusammenarbeit der Fachkrafte und Team-Teaching
8.9 Ebene des methodischen Vorgehens
8.9.1 Kleine Spiele
8.9.2 Genetisches Spielkonzept
8.9.3 Modifikationen und Adaptionen

9 Zusammenfassung und Einordnung der Ergebnisse

10 Fazit und Ausblick

Quellenverzeichnis

Literatur

Internet

Abkurzungsverzeichnis I

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis II

Abkurzunqsverzeichnis I

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildunqs- und Tabellenverzeichnis II

Abbildung 1 Madonnenbild (Manteqna, 1431-1506)

Abbildunq 2 Anbetung der Hirten (Jordaens, 1593-1678)

Abbildung 3 Gegenuberstellung Madchen mit und ohne T21 (Borste, 2011, 4)

Abbildunq 4 Haufigkeit des Auftretens von T21 (Borste nach Murken, 2011, 15)

Abbildung 5 Trisomie-21 Klassifikation nach ICD-10 (WHO, 2013)

Abbildung 6 Schema Entwicklungsstufen schulischer Integration (Kraft, 2015)

Abbildung 7 SuS mit sopad. Forderung, Forderquoten nach FS 2012 (KMK, 2014, XX)

Abbildung 8 Forderquoten im Landervergleich (Klemm, 2014, 9)

Abbildung 9 Ubersicht der fachdidaktischen Konzepte (Link et al., 2014, 62)

Abbildung 10 NRW-Richtlinien im Fach Sport (Stibbe, Aschebrock, 2007, 178)

Abbildung 11 Vergleich Sport- und Bewegungsunterricht (Miethling, 2012, 25f.)

Abbildung 12 Strukturmodell Bewegung und Sport (NDS KM KC GE, 2007, 120)

Abbildung 13 Inhaltsbereiche des Schulsports (Krieger, 2011, 16)

Abbildung 14 Didaktische Grundfragen (Klafki, 2007, 270)

Abbildung 15 Theorie integrativer Prozesse (Fediuk, 2007, 29)

Abbildung 16 Stufen der Bewegungsbeziehungen (Weichert, 2000, 206)

Abbildung 17 Modell Anpassungsmoglichkeiten (Schoo, 2015,128)

Abbildung 18 6+1-Modell eines adaptiven Sportunterrichts (Tiemann, 2015, 62)

Abbildung 19 Sinnrichtungen des Sports (Ernst, Bucher nach Kurz, 2005, 7)

Abbildung 20 Fachdidaktischer Wurfel (Balz, 2009, 8)

Abbildung 21 Handlungsmodell inklusiver SPU (Tiemann, 2015, 63)

Abbildung 22 Variablen der Lehrer-SuS-Beziehung (Cornelius-White, 2007, 23)

Abbildung 23 Dimensionen der Klarheit (Fendick, 1990)

Abbildung 24 Sportdidaktischer Stern (Scherler, 2004, 17-19)

Vorwort

„Hoffnung ist nicht dasselbe wie Optimismus. Sie ist nicht die Oberzeugung, dass et- was klappen wird, sondern die Gewissheit, dass etwas seinen guten Sinn hat egal, wie es am Ende ausgehen wird. Diese Hoffnung alleine ist es, die uns die Kraft gibt zu leben und immerwieder Neues zu wagen“ (Havel, 2007).

Alle Menschen, ob mit oder ohne Beeintrachtigungen, sind verschieden. Doch ebenso wie sie sich in ihren Lebensaufterungen voneinander unterscheiden, weisen sie auch Parallelen auf. Zwischen Menschen konnen - z. B. aus Angst oder wegen vorhandener Vorurteile - Graben existieren, die sie voneinander trennen. Doch es gibt auch verbindende Brucken, die sie wieder zusammenfinden lassen:

Eine solche Verbindung wird durch den mit dem Menschen verbundenen „Affekt der Hoff­nung" reprasentiert, der nach Aussagen des Philosophen Bloch allen Gesellschaftsmitglie- dern gemein und der Furcht uberlegen ist (Bloch, 1976). Dabei vermag es die Hoffnung nicht nur als bloftes luftleeres sowie abstraktes Wunschdenken (Utopie) zu fungieren, sondern kann durch ihr intentionales ,,Oberschreiten" aus ihrem ,,Tagtraum" herausgeholt und in eine feste, sinnbehaftete Form ubergefuhrt werden. Dieses neuartig anmutende zukunftige Gebil- de lasst sich gemaft Bloch im bereits ,,bewegt Vorhandenen" des Alltags wiederfinden und muss lediglich willentlich ,,freigelegt" werden (ebd., 2).

Ausgehend vom Wissen, die Zukunft enthalt die Dialektik des Gefurchteten und Erhofften, zielen gesellschaftliche Entwicklungen oft darauf ab, das Erhoffte zu erreichen bzw. danach zu streben. Der Mensch hat vor dem Hintergrund dieses philosophischen Gebildes tendenzi- ell erkannt, sich seine Personlichkeit und Fahigkeiten im sozialen Miteinander sowohl aus- als auch abbilden zu lassen. Damit wird die Ebene des abstrakten, utopischen Gedanken- guts verlassen und intentional die gesamtgesellschaftliche Entwicklung vorangetrieben, um allen Mitgliedern - und somit auch Menschen mit ,,Abweichungen" - einen moglichst voll- standigen, umfassenden sowie gleichberechtigten Zugang zur Gesellschaft zu eroffnen (Barber, 2013, 13).

Derartige Bestrebungen zielen darauf ab, alle Menschen in die Lage zu versetzen, selbstbe- stimmt Partizipationsmoglichkeiten zu erkennen und wahrzunehmen. Im schulischen Rah- men findet diese Entwicklung Ausdruck im verstarkt stattfindenden gemeinsamen Sportrei- ben von Kindern und Jugendlichen mit und ohne BE.

Diese Arbeit orientiert sich an dem genannten Affekt der Hoffnung und handelt in erster Linie von sporttreibenden Kindern mit T21 (KT21). Damit mochte sie einen Beitrag zur Umsetzung eines weitestgehend barrierefreien, inklusiven SPU leisten.

1 Einleitung

Jnklusion im Sport kann ganz einfach sein!“ (Neuendorf, 2013, 4)

Ausgangspunkt fur die in der vorliegenden Masterarbeit bearbeitete Problemstellung ist der vielfach existente Eindruck, inklusives Sporttreiben in heterogenen Gruppen konnte bereits ohne Komplikationen oder dementsprechend hohen Aufwand gelingen. Wird sich aber auf die einschlagigen Literaturquellen berufen, so ist zu erfahren, inklusiver SPU zielt darauf ab, Menschen mit differenten ,Abweichungen‘, ,Besonderheiten‘ oder ,Verschiedenheiten‘ an einem gemeinsamen Ort zusammenzubringen (Barber, 2013, 13; Rouse, 2012, 6; Fediuk, 2008, 11). Daruber hinaus intendiert er, im regularen SPU einen weitestgehend gleichbe- rechtigten und barrierefreien Zugang zu diversen Lern-, Spiel- und Sportgelegenheiten fur alle zu eroffnen. Weiterhin sollten vor allem Schulerinnen und Schuler (SuS) mit BE im SPU nicht nur als Statisten fungieren durfen, sondern am SPU entsprechend ihrer Fahigkeiten aktiv teilnehmen (vgl. Fediuk, 2008, 11).

Als zentraler Ansatzpunkt fur derartig gestaltete Lernumgebungen kann die Motivation der Sportler genannt werden, denn sie bildet die Grundlage fur ein bewegungsintensives, spaft- volles Lernen (vgl. Rouse, 2012, 6). Praktische Strategien, welche darauf abzielen, inklusive Strukturen nachhaltig im SPU zu etablieren, stellen sicher, dass Kinder und Jugendliche ,,Fertigkeiten, soziale Kompetenzen und Fitness" ausbilden und positive Bewegungsbezie- hungen kooperativ eingehen konnen (ebd.).

Der mit diesen inklusiven Anliegen konnotierte Gedanke kann aus phanomenologischer Sicht als Novum verstanden werden. Vor allem die Zielqruppe der vorliegenden Arbeit - KT21 und ihre Interessen - blieben bei der Konzeption von integrativen sowie inklusiven Modellen und bei der Ausgestaltung des aufter- und schulischen Sports bislang weitestge­hend auften vor. Selbst die Sportwissenschaft lasst im Rahmen der interdisziplinaren Ausei- nandersetzung sowohl eine fachspezifische Perspektive als auch eine thematische Bezug- nahme zur Sportgruppe der Menschen mit Beeintrachtigungen (MmBe) vermissen (vgl. Fe­diuk, 2008, 13).

Gleiches gilt fur die Sonder- und Heilpadaqoqik: Die KT21 und ihre Einbindung in inklusive Sportsettings finden sich erst seit kurzer Zeit in wissenschaftlichen Beitragen und bildungs- politischen Empfehlungen wieder. Im Vordergrund padagogischer sowie fachdidaktischer Bemuhungen standen lange Zeit das Einkleiden von padagogischen Inhalten in die basale und psychomotorische Einzelforderung von BE Betroffener und deren einseitige Anpassung an die vorgegebenen schulischen Rahmenbedingungen (vgl. ebd., 13).

Dabei wurden wesentliche Merkmale der menschlichen Existenz - alle Menschen erwarten das Beste fur sich, besitzen die Fahigkeit zur Selbstbestimmung und zum gemeinsamen Spiel - vernachlassigt (vgl. ebd., 16f.). Somit ist es nicht verwunderlich, dass nur wenige KT21 hierzulande eine Regelschule und den darin stattfindenden SPU besuchen. Damit nimmt Deutschland in Europa laut dem IBBW einen der hinteren Platze ein (vgl. ibbw, 2014, 3).

Die Identifikation der Inklusion gegenlaufiger Prozesse und auftretenden Barrieren fuhrt zu der Erkenntnis, dass die aktuellen Schulsportmodelle und die auf ihn angewandten Strate- gien uberwiegend Menschen ohne oder mit geringeren wie auch leichteren Beeintrachti- gungsformen berucksichtigen. Nach Fomefeld scheinen die Verantwortlichen aufgrund eines hohen Reformdruckes verunsichert und mit der Umsetzung des inklusiven Gedankenguts uberfordert zu sein (vgl. Fornefeld, 2012, 2). Demgemaft wird offensichtlich, dass KT21, die im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen, eine fur alle Seiten zufriedenstellende Teilnahme an ei- nem inklusiven SPU immernoch erschwert oder auch verwehrtwird (vgl. Fediuk, 2008, 16f.).

Doch nicht nur im schulischen SPU, wo sich verschiedene padagogische Spiel-, Sport- und Bewegungsaufgaben bzw. Anforderungen verorten lassen, sondern auch in anderen Le- bensbereichen wie dem aufterschulischen Sport erfahrt die Personengruppe Ausgrenzung und Fremdbestimmung.

Bei der Analyse der weiteren Ursachen ist orientierend an Barber festzuhalten, dass es ei- nem groften Teil der Gesellschaft immer noch schwer fallt, andere „Artgenossen“, die auf den ersten Blick nicht ihren Normvorstellungen entsprechen, als vollwertige Mitglieder anzu- nehmen und sie in ihrem Sosein zu akzeptieren (Barber, 2013, 13). Dieser Umstand lasst sich damit begrunden, dass ein „gesunder Geist in einem gesunden Korper - Mens sana in corpore sano“ von der Gesellschaft immer noch als „normal“ angesehen wird (Juvenal ver- kurzt zitiert in Caro, 2004, 4).

Aus einer derartigen Wahrnehmung heraus resultiert, dass jedes Anderssein als Defizit und als Abweichung von der Norm aufgefasst wird. Demnach ist es nicht verwunderlich, dass sich Menschen mit anderen Ansichten und verschiedenartig ausgepragten Fahigkeiten zu allen Zeiten Repressalien ausgesetzt sahen, die sie in ihren Lebensaufterungen einschrank- ten (vgl. Barber, 2013, 13).

Den Ursprung fur eine solche Sichtweise sieht Fediuk darin, dass Menschen mit BE von sol- chen ohne BE oftmals als hilflos wahrgenommen werden. Sie erwarten, dass diese sich an sie und an die vorgegebenen Verhaltnisse anpassen. Das Einfordern einersolch einseitigen Passungskonformitat entspricht jedoch nicht dem Grundsatz von Gleichheit und Verschie- denheit, welcher laut Fediuks Aussage auch stets ein Bestandteil integrativer bzw. inklusiver Prozesse des Sportes in heterogenen Gruppen darstellt (vgl. Fediuk, 2008, 52). Hierunter versteht er das spezifische Recht aller Menschen innerhalb eines dialektischen Wechselwir- kungsprozesses, eine individuelle Personlichkeit ausbilden und dabei gleichzeitig dennoch allgemeingultige Bedurfnisse nach Gleichheit und Wunsche formulieren zu durfen (vgl. ebd., 28ff.).

In der logischen Konsequenz fuhrt dies dazu, dass von BE betroffene Menschen in ihren Lebensaufterungen (bspw. spaftvollem Bewegen und Spielen) und in ihrem Wunsch nach Selbstbestimmung und Teilhabe ge- und behindert werden. Erst dadurch werden sie zu Menschen, welche sich zahlreichen Behinderungen ausgesetzt sehen. Ein gleichberechtigter und ausgewogener Zugang zu sportlicher Betatigung wird ihnen so erschwert.

Die Vorbehalte und Angste in weiten Teilen der Bevolkerung lassen eine gemeinsame For- derung unter inklusiven Gesichtspunkten im SPU zunachst als unrealistisch erscheinen (vgl. ebd., 30). Dabei hat sich die Bundesrepublik Deutschland vorgenommen, das Streben nach einer inklusiven Gesellschaft gesetzlich zu verankern und Barrieren in den nachsten Jahren abzubauen (vgl. ebd., 11; NDS KM, 2014, 4). Bereits 1994 beschloss die KMK Empfehlun- gen zur Sonderpadagogischen Forderung in den Schulen. 2013 ratifizierte Deutschland die UN-Konvention u. a. mit Artikel 24 uber die Rechte von MmBe.

Auch im Deutschen Grundgesetz lassen sich die Paragrafen § 1 Menschenwurde, § 2 Frei- heit und § 3 Gleichheit identifizieren. Sie gestehen allen Menschen das Recht auf Teilhabe zu - und damit auch Menschen mit Abweichungen einen Besuch einer Schule fur alle und ihre Teilnahme an einem inklusiven SPU.

Ein Betrachten des inklusiven SPU und die mit ihm verbundenen Theoriekonzepte lassen augenscheinlich werden, dass es in Deutschland eine historisch gewachsene Variation an fachdidaktischen Schulsportkonzeptionen gibt. In Abhangigkeit vom Adressatenbezug (SuS), sowie regional und situativ unterschiedlicher Bedingungen (Foderalismus) versuchen sie, die oben genannten Grundwerte und Rechte zu berucksichtigen. Sie weisen sich voneinander unterscheidende Ansatze auf.

Im Vergleich zu den skandinavischen PISA-Staaten oder Landern wie bspw. Italien, Australi- en und den USA, scheinen sie dem eingangs angefuhrten inklusiven Grundgedanken und den mit ihm verbundenen Herausforderungen jedoch nur bedingt zu entsprechen. Gemaft Fediuk stellen sie meistens „erstbeste Losungen" dar, die den Anspruch eines befriedigen- den, gemeinsamen von SuS mit und ohne BE besuchten SPU nur partiell einzulosen zu vermogen (Fediuk, 2008, 67).

Zu diesem Schluss gelangen 2004 auch der Beauftragte der Bundesregierung fur die Belan- ge behinderter Menschen, Karl Hermann Haack, und 2006 der von der Europaischen Union (EU) Beauftragte fur Menschenrechte Vernor Munoz. Sie weisen darauf hin, dass Deutsch­land im internationalen Vergleich immer noch ein hoch exkludierendes und undurchlassiges Schulsystem besitzt, das die SuS benachteilige, in ihren Bildungschancen signifikant ein- schranke und damit „beschame" (vgl. Kahl, 2007; Fediuk, 2008, 13).

Der Gedanke der Inklusion hat seither in schulischen Kontexten vermehrt an Einfluss ge- wonnen. So ist festzustellen, dass er sukzessiv Einzug in den SPU und die mit ihm verbun- denen Inhalte sowie Ziele erhalt, dort bislang aber noch unzureichend empirisch erforscht wurde. Deshalb sehen sich die an dem inklusiven Prozess beteiligten Personen mit der Fra- ge konfrontiert, wie sie heutzutage den Lern- sowie Spielbedurfnissen von KT21 gerecht werden und ihren eigenen Unterricht evaluieren konnen (vgl. Fediuk, 2008, 13).

Die Befurworter des inklusiven SPU fordern, dass sich die angehenden sonderpadagogi- schen Fachkrafte, aber auch alle anderen Lehramter, die Sport studieren, auf einen hetero- genen SPU durch eine veranderte Sichtweise (Paradigmenwechsel) einstellen und ein Re­pertoire an darauf bezogenen Handlungsweisen ausbilden (vgl. ebd.).

Fediuk et al. fugen erganzend hinzu, dass es eines Fundus' von padagogischen Konzeptio- nen und didaktischen Methoden bedarf, um der erhohten Heterogenitat im SPU der Regel- schule erfolgreich begegnen zu konnen.

Weiterhin vertritt er die Uberzeugung, dass es die Hauptaufgabe einer konstruktiven Pada- gogik der Vielfalt ist, auf der Grundlage individueller Bewegungs- und Wahrnehmungsange- bote alle Menschen zu befahigen, ihre Handlungsmoglichkeiten, Fitness und Kompetenzen zu verbessern. Daruber hinaus soll ein derartiges ganzheitliches Vorgehen die Entstehung gemeinsam verantworteter und kulturell wertvoller Handlungsbezuge auf allen Schulebenen vorantreiben (vgl. ebd.).

Ein spezifischer Blick in die erziehungswissenschaftliche Fachliteratur sowie die Berucksich- tigung bereits erlangter Erkenntnisse aus dem Praxisalltag der vergangenen Jahre attestieret den Bemuhungen in Richtung inklusiven SPU positive Veranderungen. Noch aber ist eine Diskrepanz zwischen dem mit der Inklusion verbundenen Wunschdenken und der gelebten Wirklichkeitfeststellbar (vgl. Fediuk, 2008; Barber, 2014; Rouse, 2012, 6).

Die in den Literaturquellen angefuhrten Beispiele bieten erste Anhaltspunkte fur einen inklu- siven SPU. Sie sind aber erst noch auf den SPU hierzulande zu ubertragen und bedurfen, wie zum Beispiel in dieser Arbeit, einer kritischen Auseinandersetzung. Aufterdem sind di­verse Aussagen hinsichtlich der Wirksamkeit und Modifizierung solcher Modelle vorzuneh- men, um daruber zu ihrer Weiterentwicklung beitragen zu konnen. Ein solches Vorhaben wird erschwert, weil inklusive Schulsportmodelle in Deutschland, welche bspw. KT21 mit- denken, noch wenig vorhanden sowie unzureichend empirisch erforscht sind (Fediuk, 2008,11).

Vor dem Hintergrund der bereits aufgezeigten Rahmenbedingungen und der damit einher- gehenden Problematik muss sich daher mit der Frage auseinandergesetzt werden, auf wel­che Art und Weise inklusive Prozesse erfolgreich realisiert, in die schulischen Ablaufe inte- griert und dort spezifisch im SPU verwirklicht werden konnen.

Mit Bezugnahme zum Vorwort ist weiterhin anhand der in der Fachliteratur geaufterten Vor- schlage zu klaren, ob und inwiefern sich die bereits existierenden oder theoriebasierenden Ansatze, bzw. Modelle fur eine Realisierung und Entwicklung eines inklusiv gestalteten SPU eignen. Daruber hinaus gilt es herauszuarbeiten, welche Bedingungen fur das Eingehen po- sitiver Bewegungsbeziehungen von den Experten als notwendig erachtet werden.

Zur Beantwortung dieser durch die Gesellschaft angestoftenen Inklusionsdebatte und der bereits mit der Problemstellung aufgeworfenen Fragen bietet sich die Identifikation und Ana­lyse von Bedingungsfaktoren an. Im Rahmen dieser Arbeit soll daher eine wissenschaftliche Auseinandersetzung unterdem SchwerpunktfolgenderThemenstellung erfolgen:

,,Kinder mit Trisomie-21 im inklusiven Sportunterricht der Grund- schule“

Doch die fur eine wissenschaftliche Auseinandersetzung zugrunde liegende Fachliteratur stammt grofttenteils aus dem angloamerikanischen Raum und erfuhr erst in den vergange- nen Jahren verstarkt eine Ubersetzung in die deutsche Sprache. Vor diesem Hintergrund erscheinen die deutschsprachigen Werke antiquiert, da sie nicht nur eine spate Ubersetzung fanden, sondern mit ihren Beitragen vornehmlich auf die nachtragliche Reintegration von Menschen mit Abweichungen in den allgemeinen SPU verweisen. Sie scheinen sich erst allmahlich mit der komplexen Problematik auseinanderzusetzen, wobei sie sich vornehmlich auf die weniger starken Abweichungsformen (leichte Beeintrachtigungsformen) konzentrie- ren.

Die in ihnen enthaltenden Konzeptionen lassen zudem des Ofteren einen Bezug zu KT21 vermissen, wobei die Grunde vermutlich komplexer Natursind (bspw. aus kapazitiven, defini- torischen Grunden). Die Grundwerte eines inklusiven SPU drohen negiert zu werden, da von den Autoren nicht alle Personengruppen berucksichtigt werden. Bei der Analyse dervorhan- denen Literatur ist aufterdem festzustellen, dass aufseiten der Verfasser derartiger Beitrage ein verschiedenartig ausgepragtes Inklusionsverstandnis vorhanden ist. Das erschwert eine Einordnung und Verortung des inklusiven Schulsports und seiner Modelle.

1.1 Besonderes Erkenntnisinteresse und Zielsetzunq dieser Arbeit

Aus diesem Dilemma formt sich ein besonderes Erkenntnisinteresse, welches sich gleich- ermaften in der Themenstellung dieser Arbeit wiederfinden lasst. Es soll geklart werden, un- ter welchen Bedingungen den Kindern mit Trisomie-21 (KT21) ein gleichberechtigter und gemeinsamer Zugang zu einem inklusiven Sportunterricht (SPU) an der Grundschule (GS) ermoglicht werden kann.

Es geht beispielsweise konkret darum herauszufinden, wie Sportlehrkrafte (SLK) ihren SPU methodisch und didaktisch so organisieren konnen, dass sie der Heterogenitat ihrer Schuler- schaft angemessen und erfolgreich begegnen konnen. Diese methodische Arbeitsweise er- folgt auf der Basis einer intensiven Auseinandersetzung mit der fur dieses Thema zugrunde liegenden Fachliteratur. Im Anschluss resultiert daraus die fur dieses Werk erkenntnislei- tende Fraqestellunq, welche durch die anschlieftenden Ausfuhrungen fuhrt. Diese mochte unter der Pramisse der im Vorwort vorangestellten Idee der Hoffnung und der aufgezeigten Entwicklungsperspektive wissenschaftlich eindeutig Folgendes in Erfahrung bringen:

„Mithilfe welcher der in der Fachliteratur beschriebenen Leitprinzipien kann moglichst alien SuS, aber insbesondere KT21, ein gleichberechtigter, gemeinsamer und befrie- digender Zugang zu einem inklusiven Sportunterricht ermoglicht werden?"

Die mit der vorliegenden Arbeit verbundene Zielsetzunq besteht darin, die verschiedenen Literaturquellen zu sichten und die theoriebasierenden Ansatze fur eine Realisierung und Entwicklung eines inklusiv gestalteten SPU zusammenzutragen. Die in diesem Bereich vor- handene Forschungslucke soll insbesondere geschlossen werden, indem zunachst uber- blicksartig Leitprinzipien extrahiert werden, die sich fur das gemeinsame Lernen in heteroge- nen Gruppen und damit auch fur die KT21 als forderlich herausgestellt haben.

In diesem Zusammenhang soll von einem bildungsspezifischen Standpunkt aus thematisiert werden, wie es der Zielgruppe dieser Arbeit gelingen kann, einen Zugang zu dem SPU zu finden und dort zufriedenstellende Bewegungsbeziehungen zu anderen SuS einzugehen. An dieser Stelle ist anzumerken, dass ein inklusiver SPU im Primarbereich und die damit ein- hergehenden Ansatze verschiedene Dimensionen von Heterogenitat erkennen lassen (Fedi- uk, 2008, 11).

Zusatzlich sollen im weiteren Verlauf dieser Arbeit die gewonnenen Erkenntnisse im Rahmen einer Kategorisierung verschiedenen Unterrichtsbezogenen Ebenen zugeordnet und zu- sammengefasst werden. Durch ihre abschlieftende Analyse und Interpretation mochte der Autor sie fur eine weiterfuhrende Professionalisierung angehender, aber auch gestandener SLK, fruchtbar machen.

Als wesentliche Grundlage der Erarbeitung von Leitprinzipien fur einen weitestgehend inklu- siven SPU werden neben der einschlagigen Fachliteratur auch die Niedersachsischen KCfur das Unterrichtsfach Sport herangezogen (vgl. NDS KM, 2006).

Um die Ubersichtlichkeit zu wahren und in Anlehnung an Fediuk keine ,,unzulangliche Gene- ralisierung" zu betreiben, wird eine Eingrenzung vorgenommen (ebd.). In diesem Zusam- menhang ist darauf einzugehen, was die Arbeit nicht zu leisten vermag. Verstandlicherweise ist z. B. nicht umsetzbar, alle Inhalte in ihrem tatsachlichen Umfang darzustellen. Ein allge- meines Wissen uber den Begriff „Behinderung“ wird vorausgesetzt und erfindet daher keine weitere Beschreibung. Ferner werden die in der Gliederung angefuhrten Bereiche unter dem Blickwinkel betrachtet, welche Moglichkeiten und Besonderheiten sich fur den Sport von KT21 ergeben. Weitere Gestaltungsvorschlage, noch ausstehende methodisch-didaktische Uberlegungen und sportartspezifische Ubungsformen oder Spielreihen mussen den jeweili- gen Fachbuchern entnommen werden.

Daruber hinaus wird ausschlieftlich auf den gemeinsamen SPU von Kindern mit und ohne T21 in der Grundschule (GS) eingegangen. Der Jugendlichen- und Erwachsenenbereich oder andere Schulformen werden nicht weiter thematisiert. Der Freizeit- und Vereinssport sowie das informelle Sporttreiben finden an dieser Stelle keine Berucksichtigung.

Um eine bessere Ubersichtlichkeit und Abgrenzung zu gewahrleisten, werden die Vorlaufer der Inklusion nur kurz beschrieben. Bei dem Eingehen auf den SPU in GS wird immer wieder der Blick auf NDS gerichtet, da es eines der flachenmaftig groftten Bundeslander darstellt. Der Inklusionsprozess in den anderen Bundeslandern wird nur kurz thematisiert.

1.2 Gliederung und Aufbau der Arbeit

Die Verwirklichung der gemeinsamen sportlichen Betatigung aller SuS vor dem Hintergrund der Variabilitat der FS und die Berucksichtigung der Verschiedenheit der Teilnehmer stellen eine anspruchsvolle Aufgabe sonder- und sportpadagogischer Bemuhungen dar. Die Ver- wendung des Begriffs Trisomie 21 verweist in diesen Kontext auf die Unumganglichkeit einer wissenschaftlichen Beschreibung.

Deshalb wird in Kapitel 2 ein Theoriegebilde entworfen, das verschiedene Sichtweisen auf den Gegenstand dieser Arbeit entstehen lasst. In diesem Zusammenhang werden statisti- sche Angaben, diverse Erklarungsmodelle und der aktuelle Forschungsstand zur T21 ange- fuhrt.

Zudem sollen in Kapitel 2.6 die syndromspezifischen Entwicklungsmerkmale und Ressour- cen der KT 21 aufgezeigt werden. Sie gilt es bei der Umsetzung inklusiven SPU und zum Verstandnis der Zielgruppe zu berucksichtigen. In Kapitel 2.7 lenkt der Autor den Blick auf die Bedeutung von Bewegung, Spiel und Sport im Kontext der Entwicklung von KT21.und nimmt bereits Bezug zur Bewegungsforderung in Schulen. Anhand des gesellschaftlichen Wandels werden Gefahren fur das Bewegungsverhalten und die motorische Entwicklung von KT21 benannt.

Kapitel 3 behandelt den komplexen Begriff der Inklusion und geht auf die mit ihm verbunden Aspekte ein. Hierzu gehoren seine Genese, wie auch rechtliche Vorgaben und gesetzliche Bestimmungen. Anschlieftend werden das deutsche Schulsystem und die Kritik an der Um­setzung des inklusiven Prozesses vorgestellt. Bei dieser Gelegenheit erlautert der Autor auch die Standpunkte der Sonderpadagogik und ihren Umgang mit der Heterogenitat naher. Am Beispiel des Schulrechts NDS erfolgt eine nahere Konkretisierung. Hierbei wird auf die aktuelle Bildungssituation der KT21 eingegangen und insbesondere geklart, welche Ergeb- nisse uber den GU vorliegen.

Kapitel 4 behandelt den bisher an Schulen praktizierten traditionellen Schulsport und ver­weist gleichzeitig auf damit verbundene Entwicklungen. Hierbei geht es primar darum, die Rolle der Sportpadagogik und des Schulsports im inklusiven Prozess herauszustellen und eine Definition von SPU vorzunehmen. Nach seiner Charakterisierung finden die mit ihm verbundenen fachdidaktischen Konzepte und Leitideen unter Kapitel 4.2 eine Vorstellung. Da der SPU im Wesentlichen zwei Ziele verfolgt (Erziehung zum und Erziehung durch Sport), wird anschlieftend auf den Doppelauftrag des Fachs Sport und die Ausbildung einer Handlungsfahigkeit eingegangen. Weil in den Kerncurriculum fur den Forderschwerpunkt Geistige Entwicklung Schuljahrgange 1-9 Sport und in dem Kerncurriculum fur die Grund- schule Schuljahrgange 1-4 Sport die Wichtigkeit von der Vermittlung von Spielen und die Ausbildung einer Spielfahigkeit betont werden, ist sich ihnen anschlieftend zuzuwenden.

Im Kapitel 4.5 werden die fachdidaktischen Konzeptionen des traditionellen Sportartenpro- gramms und des Bewegungsunterrichts gegenubergestellt und ein moderner SPU mit seinen Funktionen als auch Bereichen behandelt. Hiernach wird in Kapitel 4.7 der Frage nachge- gangen, warum Menschen Sport treiben und zur Beantwortung das mehrperspektivistische Schulsportmodell mit seinen sechs padagogischen Perspektiven herangezogen. Hiernach wird die enge Verknupfung des mehrperspektivistischen Schulsportmodells mit den in den Lehrplanen angefuhrten Bildungsstandards und Kompetenzen aufgezeigt. Abschlieftend wird die Relevanz des Modells fur das heterogene Sporttreiben geklart.

Kapitel 5 wendet sich dem inklusiven Schulsport zu. Da guter Unterricht immer auch inklusi- ver Schulsport ist, werden nachfolgend entsprechende Gutekriterien zusammengetragen. Ein inklusiver SPU beruht auf spezifischen Grundsatzen und Anspruchen, welche anschlie- ftend genannt werden. In diesem Zusammenhang kommt auch eine Padagogik der Vielfalt zum Tragen, die einen wertschatzenden Umgang mit den SuS aufweist. Neben dem traditio­nellen SPU beinhaltet auch der inklusive Sportunterricht Aufgaben und Ziele, die nachfol­gend beschrieben werden.

Die Umsetzung von Inklusion im SPU stellt kein einfaches Unterfangen dar und ist mit den in Kapitel 5.5 geschilderten Herausforderungen verbunden. Das Aufgabenfeld einer auf ge- meinsamen SPU ausgerichteten Padagogik hat indes nicht nur Antworten auf die gesteigerte Heterogenitat im SPU zu finden, sondern muss im inklusiven Unterricht auch auf die Dicho- tomie von Gleichheit und Einzigartigkeit eingehen und eine Leistungsbewertung der SuS vornehmen. Deshalb widmen sich weitere Unterpunkte dieser Thematik und zeigen sonder- padagogische und kultusministerielle Zugange zum Leistungsbegriff auf. Aus den Herausfor­derungen lasst sich die Notwendigkeit ableiten, einen SPU zu generieren bzw. weiterzuent- wickeln, der KT21 gerecht wird und sie zu fordern vermag.

Darauf folgen in Kapitel 6 Gestaltungsansatze fur inklusiven SPU, welche einhergehen mit verschiedenen Fragen. Diese zielen auf die im inklusiven SPU anzutreffenden Aktivitatsty- pen und Lernsituationen ab. Das Kapitel betrachtet auch die Beziehungsgestaltung und die Herstellung von Bewegungsbeziehungen in inklusiven Settings zu.

Weiterfuhrend werden fur die Umsetzung eines inklusiven SPU in Kapitel 7 bereits existie- rende Modelle vorgestellt, zunachst das „Diversity-Management“, anschlieftend das des ,,adaptiven Sportunterrichts“. Weil die bisherigen Modelle als „erstbeste Losungen“ gelten, wird unter Kapitel 7.6 auf deren Weiterentwicklung in Form des „Handlungsmodells inklusi­ver SPU“ eingegangen.

Doch auch dieses Modell ist noch unausgereift und lasst eine Vollstandigkeit vermissen. In- folgedessen ist in Kapitel 8 auf die weiteren der Literaturzu entnehmenden Leitprinzipien fur inklusiven SPU einzugehen. Weil diese Auseinandersetzung mit der Thematik nicht im luft- leeren Raum stattfinden kann, nimmt diese Arbeit ihre Kategorisierung auf sechs verschie- denen Ebenen vor. Dabei wird sich hauptsachlich an dem Erziehungswissenschaftler John Hattie orientiert, der mit seinen Metaanalysen erstmals empirisch verlassliche Hinweise gibt, wie erfolgreiches Lernen im Unterricht implementiert, gestaltet werden und stattfinden kann.

Im Anschluss erfolgt unter Kapitel 9 eine zusammenfassende Darstellung und Interpretation der identifizierten Leitprinzipien fur einen inklusiven SPU. Kapitel 10 beinhaltet die Schluss- betrachtung. Hierbei wird die erkenntnisleitende Fragestellung beantwortet und es werden Folgerungen fur die Zukunft und die weitere Entwicklung des inklusiven SPU abgeleitet.

Aufgrund der besseren Lesbarkeit verwendet der Autor in dieser Arbeit lediglich die mannliche Form, wobei die weibliche stets mitgemeint ist. Hiervon ausge- nommen sind direkte Zitate, in denen die weibliche Anrede benutzt wird.

2 Trisomie 21 - Beqriffsannaherung

Bei einem Syndrom handelt es sich um ,,[...] eine Gruppe von Symptomen, die zusammen charakteristisch sind fur einen bestimmten Zustand oder eine Krankheif (Unruh, 1998, 22). Genauer gesagt handelt es sich hierbei nach heutigem Kenntnisstand, um eine genetisch bedingte Chromosomenanomalie, bei der das Chromosom 21 nicht zweimal, sondern drei- mal (Trisomie) im Erbgut vorliegt (vgl. ebd.).

Das Beeintrachtigungsbild existiert gemaR Humanbiologen bereits seit mehr als 3.000 Jah- ren. Das belegen diverse Ausgrabungen von Skeletten, literarische Erwahnungen sowie Bildnisse (vgl. DS Infocenter, 2015, Unruh, 1998, 21f.):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildunq 1 Abbildunq 2

In der wissenschaftlichen Literatur geht erstmals der Arzt und Lehrer fur Menschen mit Taubheit oder Gehorlosigkeit Seguin (1846) nachweislich auf das Phanomen der T21 ein und beschreibt sie als eine Art ,,kleiiger Kretinismus" (Borste, 2011, 3). Zwanzig Jahre spater (1866) folgt dann eine detailliertere Beschreibung durch einen britischen Arzt und Anstaltslei- terfur Menschen mit geistigen BE (vgl. Trumper, 2008, 2f.). Sein Name war John Langdon Haydon Langdon-Down (1828 - 1896). Er nahm wissenschaftlich Bezug auf die T21 durch das Verfassen folgender Schrift: ,,Die ethische Klassifizierung von Schwachsinnigen - Ob­servation on an ethnic classification of idiots" (Borste, 2011,4; Gerbatsch, 2000, 3).

Durch die umfassende Darstellung der T21 gelang es ihm, diese Erscheinungsform als ei- genstandiges Phanomen zu etablieren und von anderen Krankheitsbildern, die sich uberwie- gend auf ,,Schwachsinnsformen" bezogen, abzugrenzen (Borste, 2011, 4). Die Einstellung Downs war bereits zur damaligen Zeit von Sympathie fur seine Patienten gepragt. Dies wird an der o. g. Ausarbeitung deutlich, bei der er wertschatzend auf den bei Menschen mit T21 haufig ausgepragten Sinn fur Humor, die Anwendung von Gebarden (Imitationsfahigkeit, Nachahmung von Mimik) und ihre Lernfahigkeit hinwies (vgl. Pies, 2015). Er realisierte, dass diese Fahigkeiten erhalten und ausgebaut werden mussen, um ihnen praktisches Wissen zu vermitteln. Daruber hinaus ging er auf ihre Sprachfahigkeit ein und nannte als erster logopa- dische Therapiemoglichkeiten, wie z. B. Zungenubungen (vgl. Neugebauer, 2010, 22).

Bei Dittmann heiftt es zur naheren Beschreibung des Personenkreises wesentlich spater: ,,[...] das Erlernte (kann von ihnen) praktisch nutzbar gemacht werden"; wenngleich neuere Werke ihnen gleichermaften eine auf ihre kognitiven Fahigkeiten bezogene ,,Minderbega- bung" nachsagen (Dittmann, 1992, 9).

Downs Bestreben war es, die von BE betroffenen Menschen erstmalig in Form eine Differen- zialanalyse verschiedenen Kategorien zuzuweisen, weil die zum damaligen Zeitpunkt gangi- gen Klassifizierungssysteme:

,,[...] allgemein so vage und kunstlich sind, dass sie jegliche geistige Anordnung des Phanomens nicht nur allenfalls schwach unterstutzen, sondern auch vollig scheitern, irgendeinen praktischen Einfluss auf das Thema auszuuben" (Pies nach Down, 2015).

Daruber hinaus war es sein Anliegen mithilfe der phanotypischen Beschreibung verlassliche Prognosen fur ihre Entwicklung aufzustellen und ferner eine Individualtherapie einleiten zu konnen. Zur Umsetzung dieses Anspruches setzte er sich fortan bei der Anamnese und Di­agnose vorerst mit der Frage auseinander, ob die Ursache der Beeintrachtigung angeboren, entwicklungs- oder Unfallbedingt ist. Dabei fiel ihm auf, dass ein Groftteil der von ihm unter- suchten Personen aufterliche Ahnlichkeiten mit anderen menschlichen Ethnien aufwies. Laut Pies beschrieb Down diese Erkenntnis folgendermaften:

,,Ich habe fur einige Zeit meine Aufmerksamkeit auf die Moglichkeit gelenkt, eine Klas- sifizierung der Geistesschwachen durch die Zuordnung zu verschiedenen ethnischen Standards vorzunehmen - mit anderen Worten, ein naturliches System zu bilden, um die bei der anamnestischen Befragung erhaltene Information des Falles zu erganzen"

(Pies nach Down, 2015).

Im Sinne des o. g. Zitats nahm er eine ,,ethnologisch-rassische" Einteilung der Bevolke- rungsgruppen vor (Borste, 2011, 4). Hiernach teilte er sie in die ,,Kaukasische Familie", die ,,Athiopische Varietat", die ,,Malaiische Varietat", das ,,Volk, das ursprunglich den amerikani- schen Kontinent bewohnte", und die ,,grofte mongolische Familie" auf (Pies nach Down, 2015).

Hiernach wies er ihnen allen bestimmte ,,klassische Merkmale" zu und beschrieb sie als ,,ab- grenzbare Einheiten" (DS Infocenter, 2015). Die Betroffenen, welche z. B. eine auffallige Lid- spalte (Epikanthus) aufwiesen, ordnete er dem ,,mongolischen Typus - mongolian type of idiocy" zu, und bezeichnete sie unzutreffend als ,,typische Mongolen" (Dittmann, 1992, 9).

Dieses Vorgehen entsprang seiner Annahme, dass die Symptomatik uberwiegend ihren Ur- sprung als „atavistische Regression" bei der Ethnie der Mongolen hatte (Borste, 2011,4).

Auch wenn er laut Pies et al. den Begriff „Mongolismus" nie verwendete, so trug er doch zu seiner Pragung bei (Pies, 2015, Borste, 2011,4). Unter ihm sollten fortan Personen mit ahn- lichen Auffalligkeiten zusammengefasst werden (vgl. Wilken, 2014, 11). Anhand derfolgen- den Abbildung kann die Ursache fur Downs irrtumliche Annahme nachvollzogen werden. Beide Madchen scheinen eine ahnliche Gesichts- und Augenform zu haben:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3

1961 wurde von einer Gruppe von Genetikern in einem Schreiben an eine renommierte Zeit- schrift vorgeschlagen, von dem Begriff ,,Mongolismus" Abstand zu nehmen, da dieser zu fal- schen Interpretationen fuhren konne (vgl. Borste, 2011, 5f.). 1965 nahm dann die 18. Gene- ralversammlung der WHO auf Bitten der mongolischen Delegation Abstand von diesem Be­griff (vgl. Pies, 2015). Damit war der weiteren Stigmatisierung der Betroffenen vorerst entge- gengewirkt worden. Gerbatsch weist zusammenfassend auf aktuelle Entwicklungen hin, die tendenziell darauf abzielen, die Menschen mit T21 in die Gesellschaft ,,einzugliedern, sie individuell zu fordern und ihnen die bestmoglichsten Entwicklungschancen" zu offerieren (Gerbatsch, 2011,4).

Heutzutage finden in der fachwissenschaftlichen Literatur der Begriff ,,Mongolismus" und an- dere diskriminierende Bezeichnungen (z .B. ..unfinished children") keine Verwendung mehr, weil Downs historisch gewachsene und zum damaligen Zeitpunkt nachvollziehbare Annah- men widerlegt worden sind (Borste, 2011, 5). Inzwischen konnten weitere Studien und die daraus gewonnenen Erkenntnisse Aufschluss daruber geben, dass das Beeintrachtigungs- bild bei allen Ethnien vorkommt (vgl. Trumper, 2008, 3). Entgegen Downs Annahme lasst sich das Syndrom nicht auf eine spezifische Bevolkerungsgruppe zuruckfuhren. Gemaft Wil- ken sind die ,,typischen klinischen Merkmale bei alien Rassen gleich und immer deutlich als pathologisch zu erkennen" (Wilken, 2014, 11).

Trotzdem wurde in Anbetracht der Verdienste Downs, das Beeintrachtigungsbild im interna- tionalen Raum vor allem unter den Namen „Down-Syndrom“ gefasst. Daneben existieren weitere, weniger gelaufigere Bezeichnungen wie bspw. ,,(Langdon) Down-Syndrom", aber auch ,,Down-Anomalie", „Morbus Down" (ebd.). Dabei kann der in ihnen enthaltene Wortbe- standteil „down“ zu negativen Assoziationen und der Auspragung eines Machtverhaltnisses beitragen. In der Alltagssprache schlagt sich dieser Umstand in der diskriminierenden Be- zeichnung ,,Downie" wieder (Borste nach Voss, 2011, 6). Hierbei erfahrt der Aspekt der Be- hinderung eine ungleichgemafte Gewichtung und birgt die Gefahr, das Unvermogen einer Person in den Vordergrund zu stellen. Betroffene sehen sich dadurch einer nicht adaquaten Verniedlichung und Herabwertung ausgesetzt (vgl. ebd.).

Deshalb ist es Wilken zufolge uberlegenswert, gemeinsam mit den Merkmalstragern dieser Krankheit nach neutraleren Begrifflichkeiten fur dieses Krankheitsbild Ausschau zu halten. Anstelle des ,,Down-Syndroms" schlagt sie hierfur das aus der franzosischen Sprache stam- mende Synonym ,,T21" vor, da es die genetischen Ursachen fur die Ausbildung dieses Syn­droms betont (Wilken, 2014, 11).

Gleichzeitig weist Wilken darauf hin, dass mit dem Auftreten der T21 bei Betroffenen haufig syndromspezifische Veranderungen einhergehen, die fur andere Personen beobachtbar und feststellbar sind. Dabei sollte ihrer Ansicht nach nicht vergessen werden, dass es bei der in dieser Arbeit sich anzunahernden Personengruppe in erster Linie um Menschen handelt, die sich nicht signifikant in ihren Bedurfnissen, Vorlieben und Gewohnheiten von denen ihrer Altersgenossen unterscheiden. Deswegen wird in dieser Arbeit stets von KT21 ausgegan- gen, welche nicht nur eine grofte Bandbreite an gesundheitlichen Begleiterscheinungen in Formen und Auspragungen aufweisen, sondern daruber hinaus gleichermaften uber unter- schiedlich viel Potenzial verfugen (vgl. Borste, 2011,2). Bei Wilken heiftt es hierzu:

,,Die Feststellung von Langdon-Down, dass bei Menschen mit Down-Syndrom durch Obung viel mehr erreichbar ist, als zunachst vielleicht angenommen wird, ist noch im­mer aktuell" (Wilken, 2014, 12).

Gemaft des o. g. Zitats fordert der Autor, neue Moglichkeiten zu nutzen und die Grenzen des Erreichbaren auszuweiten. Dies ist ihm zufolge aber nur realisierbar, wenn Entwicklungsbe- gleitende Vorsorgeuntersuchungen auf Grundlage der Anwendung modernster Erkenntnisse vorgenommen werden. Sie sollen dazu beitragen, Nachfolgeerkrankungen fruhzeitig zu ver- meiden sowie Entwicklungspotenziale rechtzeitig zu erkennen. Dabei ist gemaft Wilken das familiare Umfeld einzubeziehen und auf ihre Angste, Sorgen und Bedurfnisse einzugehen (vgl. ebd.).

2.1 Vorkommen und Auftretenswahrscheinlichkeit

Bei T21 handelt es sich um eine der weltweit am haufigsten angeborenen chromosomalen Syndrome. Es kommt mit einer sinkenden Inzidenzrate von 1 bis 2 Kindern zu 700 - 1.000 Lebendgeburten vor (vgl. Borste nach Mikkelsen, 2011, 8). Allgemein wird sie dem Form- kreis der geistigen BE zugeordnet. Alle drei Minuten kommt ein Saugling mit TS21 zur Welt. Insgesamt leben weltweit zirka funf Millionen Menschen mit dem Syndrom. (vgl. Akta§, 2004, 3).

In Deutschland waren im Jahr2008 schatzungsweise zwischen 30.000 und 50.000 Personen von diesem Syndrom betroffen (vgl. Trumper, 2008, 2). Eine verbesserte Entwicklungsbe- gleitende Gesundheitsversorgung, eine intensive medizinische Betreuung und neuartige me- dizinische Verfahren werden zukunftig zu einer erhohten Lebenserwartung beitragen. Au- Rerdem ist anzunehmen, dass die Anzahl der neugeborenen KT21 in der Gesellschaft und damit auch in den Schulen zuruckgehen wird (vgl. Wilken, 2014, 23; 2003, 9).

Die Grunde fur diesen Ruckgang werden in pranatal-diagnostischen und familienstrukturellen Veranderungen gesehen. Zum einen ist ein erhohtes Angebot invasiver und nicht-invasiver Diagnoseverfahren, bei gleichzeitig geringerem Risiko fur die Frau, anzufuhren. Zum ande- ren entscheiden sich immer mehr Frauen bei einem abweichenden oder pathologischen Be- fund und aufgrund von gesellschaftlichem Druck fur einen Schwangerschaftsabbruch (vgl. Bargfrede et al., 2011, 734).

Dagegen lassen langfristig betrachtet einige Studien erkennen, dass dieser Trend stagnieren konnte. Eine schweizerische Erhebung berichtet von einer gleichbleibend konstanten Hau- figkeit derseit 1985 geborenen KT21 (vgl. ebd., 2003, 6). Dies ist insofern bedeutsam, als im Zeitraum von 1992 bis 1996 ungefahr in einem Drittel aller Falle, bei Wissen um das Vorlie- gen einer chromosomalen Auffalligkeit, ein Schwangerschaftsabbruch erfolgte (Wilken nach Binkert et al., 2003, 6).

Wahrend sich eine gleichbleibende Zahl von Eltern fur eine Abtreibung entscheidet, gibt es Ansatze, die eine wachsende Akzeptanz gegenuber Menschen mit Trisomie erkennen las­sen. Wilken verweist auf amerikanische Studien, welche die gesteigerte Anzahl von absicht- lich erfolgten Geburten belegen konnten. Hierbei entschieden sich die Eltern im Vorfeld, trotz des Wissens um das Vorliegen einer chromosomalen Veranderung, fur die Geburt ihres Kin- des (vgl. Wilken, 2003, 6). Bezogen auf das Vorkommen von KT21 an Schulen haben die durchgefuhrten Daten diverser Befragungen in Integrationsklassen und an Forderschulen eine Forschungslucke erkennen lassen. Insgesamt fehlt es bislang an Studien, die verlassli- che Prognosen fur die zukunftige Veranderungen in der Population von KT21 zulassen (vgl. ebd.,2003, 6f.).

Noch 1972 weisen die in den alten Bundeslandern durchgefuhrten Erhebungen nach, dass der Anteil dieser Personengruppe an Forderschulen mit dem FS ,,Geistige Entwicklung" (GB) in Niedersachen bei ca. 22 Prozent und bundesweit bei 21 Prozent liegt. Neuere For- schungsarbeiten aus dem Jahr 2000, mit Bezug zu dem Land Niedersachsen, kommen da- gegen auf durchschnittlich 11,2 Prozent (vgl. ebd., 9). Anhand dieser Zahlen gelangt Wilken zu dem Ergebnis, dass sich der Anteil von KT21 bzw. entsprechendem FS zwischen den Jahren 1969 und 2000 kontinuierlich verandert hat. Gemaft der vorliegenden statistischen Angaben sank ihr Anteil in den vergangenen 30 Jahren um fast die Halfte (vgl. ebd., 2014, 23).

Weitere Studien haben fur das Jahr 2000 eine ungleichgewichtete Verteilung der T21 bei den Geschlechtern nachgewiesen. 54 Prozent der von dieser Chromosomenaberration Be- troffenen waren 54 Prozent mannlich, 46 Prozent weiblich. Bereits altere Werke scheinen die Kontinuitat dieses unausgewogenen Verhaltnisses zwischen Frauen und Mannern zu bele- gen (vgl. ebd., 2003, 9).

2.2 Historische Annahmen

Bei Gerbatsch heiftt es, dass die Ursachen fur die Entstehung der T21 lange Zeit nicht ein- deutig bestimmt werden konnten (vgl. Gerbatsch, 2011, 3). Aus diesem Grund wurden laut Wilken mit Beginn des 20. Jahrhunderts eine Vielzahl an unterschiedlichen Theorien aufge- stellt, die diese Beeintrachtigungsform u. a. auf: ,,[...] Alkoholismus, Tuberkulose [oder eine] Regression in der menschlichen Entwicklung" zuruckfuhrten (Wilken, 2014, 13). Andere Quellen verbanden mit der Beeintrachtigung einen Ausbruch der Syphilis oder sahen in ihr eine ,,Ruckentwicklung zum primitiven Fruhmenschen" (Puschel. 1995, 38).

Diese historisch gewachsenen Vermutungen und auf willkurlicher Basis beruhenden Rassen- lehren trugen u. a. zu einer diskriminierenden und stigmatisierenden Sichtweise uber Be- troffene und ihre Familien bei. In diesem Zusammenhang wurden Menschen mit T21 uber- wiegend dem ,,untersten Level der von Blumenbach [bereits im Jahr 1775] formulierten funf ethnischen Entwicklungsstufen" zugewiesen (Puschel, 1995, 10).

Down bezog sich zwar auf die von Blumenbach vorgenommene Einteilung, wollte aber die­ses System unter praktischen Gesichtspunkten zum Vorteil seiner Patienten adaptieren. Dies tat er, weil es fur ihn von ,,praktischem und philosophischem Nutzen zu sein schien“ und er den Ursprung der Beeintrachtigung nicht im „Kretinismus“, also in einer Beeintrachtigung der Schilddruse sah (Pies nach Down, 2015). Dies ist insofern erstaunlich, als dass orientierend an Pies noch bis in die Mitte des vergangenen Jahrhunderts versucht wurde, die T21 mit einer Schilddrusenbehandlung zu therapieren.

Einer erhohten Stigmatisierung auf korperliche Merkmale sahen sich Menschen mit Trisomie abermals 1924 ausgesetzt, als der britische Epidemiologe und Autor medizinischer Werke Crookshank (1873-1933) ihr Beeintrachtigungsbild eher als einen „Ruckfall (Regression) zu einem vormongolischen Vorfahr ansah“ (Puschel, 1995, 10f.). Er begrundete diese Denkwei- se mit der bei Menschen mit Trisomie anzutreffenden Handfalte (fruher „Affenfurche“ und heutzutage „Vierfingerfurche“), die seiner Meinung nach eine gewisse Ahnlichkeit zu den Orang-Utan Affen aufweist (Pies, 2015).

Zusammengenommen bildete die Absprache des Menschseins der Betroffenen die Grundla- ge fur die ersten Eugenik-Entwicklungen im nationalsozialistischen Deutschland und spater gleichermaRen in den USA (1933). Dabei war es ublich, Zwangssterilisationen ohne das Ein- verstandnis der Menschen mit Trisomie vorzunehmen. Die nationalsozialistische Ideologie ging noch einen Schritt weiter und definierte, welche Personengruppen lebenswert und nicht lebenswert seien. Ihr Ziel war die Vernichtung sogenannten „unwerten Lebens“ und dieser Denkweise folgend, damit auch der Menschen mit T21 (Borste, 2011, 5). Unter der euphe- mistischen Umschreibung „Euthanasieprogramm“ wurde ihre systematische Ermordung ge- plant und u. a. in Form der „Aktion T4“ durchgefuhrt. Wissenschaftliche Quellen gehen davon aus, dass insgesamt ca. 70.000 Menschen mit BE umgebracht worden sind (vgl. Gerbatsch, 2011,4).

Die Verwendung des Begriffes „Mongolismus“ und die haufig vorgenommene Einschatzung der Beeintrachtigung unter ausschlieRlich klinischen Aspekten, leistete dieser Vernichtungs- ideologie Vorschub, indem er die Betroffenen als Menschen zweiter Klasse degradierte und den Fokus auf die negativen Begleiterscheinungen derT21 legte (vgl. Borste, 2011, 5f.).

Heutzutage kann der uberwiegende Teil der von Crookshank et al. aufgestellten Thesen wi- derlegt als auch entmystifiziert werden. Bereits 1932 ging Waardenburg aufgrund der Veran- derungen bei den Merkmalstragern von einer Storung des Chromosomenhaushaltes aus. Doch erst 1956 gelang es Forschern, die menschlichen Chromosomen sichtbar zu machen (ebd., 6). Drei Jahre spater (1959) konnten Lejeune, Gautier und Turpin den genetischen Nachweis erbringen, dass kein Zusammenhang zwischen dem Auftreten eines bestimmten Merkmals und einer Ethnie besteht und dass Kinder mit Trisomie drei, anstelle von zwei Chromosomen auf dem 21. Chromosomenpaar haben (vgl. Unruh, 1998, 22).

Die franzosischen Wissenschaftler lokalisierten das Auftreten der T21 innerhalb der ,,akro- zentrischen Chromosomengruppe-G“ (Wilken, 2014, 13). Wenig spater wurden von Geneti- kern die weiteren Trisomieformen (bspw. ,,Translokation“ und ,,Mosaikform“) entdeckt. Damit legten sie in der Nachkriegszeit den atiologischen Grundstein fur die moderne medizinische Forschung und die pranatale Diagnostik (vgl. Trumper, 2008, 3).

Zeitgleich fuhrte diese Entwicklung zu den ersten Bestrebungen, Menschen mit BE vermehrt in die Gesellschaft einzubinden und ihnen die gleichen wie Menschen ohne BE zuzugeste- hen. Mit diesem Prozess wurde die Hoffnung verbunden, die Bevolkerung fur die Lebensbe- dingungen von Menschen mit BE zu sensibilisieren und somit ein Wiederholen der leidvollen Erfahrungen unter der NS-Diktatur zu verhindern. So weist das deutsche Grundgesetz seit 1949 auf das Grundrecht hin, dass niemand wegen seiner Beeintrachtigung benachteiligt werden darf (Grundgesetz Artikel 3, Absatz 3).

Wenig spater schlossen sich u. a. die Eltern der KT21 zu Selbsthilfegruppen zusammen und traten der bis dato gangigen gesellschaftlichen Ausgrenzung dieser Personengruppe entge- gen. Als bedeutender Vertreter dieser Bemuhungen kann die Bundesvereinigung Lebenshilfe angesehen werden, deren Grundung in Marburg auf das Jahr 1958 datiert ist. Neben ihrem Anspruch, der gesellschaftlichen Diskriminierung entgegenzuwirken, zielt sie bis heute da- rauf ab, uber die verschiedenen Beeintrachtigungsformen aufzuklaren und deren Ursachen zu erforschen. Im Rahmen dieser medizinischen Forschungsbemuhungen konnten mit Blick auf die T21 neue Erkenntnisse gewonnen werden. Diese fuhrten dazu, dass sich zur Fest- stellung des Syndroms verstarkt der zytologischen Diagnose zugewandt wurde (vgl. Borste, 2011,7).

2.3 Ursachen und atioloqische Faktoren

Um das Beeintrachtigungsbild verstehen zu konnen, weist Unruh darauf hin, dass jeder Mensch uber Zellen verfugt, die als ,,grundlegende Bausteine“ des Korpers verstanden wer­den konnen (Unruh, 1998, 22). Im Kern der Korperzellen sind normalerweise 46 Chromoso­men vorzufinden. Sie sind nach Bargfrede et al. im Sinne einer spezifischen Ordnung paar- weise angelegt und stammen jeweils zur Halfte von mutterlicher als auch von vaterlicher Sei- te ab (vgl. Bargfrede et al., 2011, 743). Von den 46 Chromosomen sind wiederum 44 ge- schlechtsneutral, weswegen sie eine Bezeichnung als „Autosomen“ finden. Da sie normaler- weise zu zweit vorkommen, gibt es 22 Stuck solcher Chromosomenpaare. Dabei wird das noch fehlende Paar durch die zwei Geschlechtschromosomen reprasentiert (Wilken, 2014, 13).

Mit der Hilfe eines Karyogramms werden in der Wissenschaft die Chromosomenpaare an- hand ihrer Grofte verschiedenen Gruppen (Gruppen A-G) zugeordnet. Die Chromosomen mit ahnlicher Grofte werden dabei unter der gleichen Buchstabengruppe gefasst, was ihrer genaueren Systematisierung dient (vgl. ebd.). Ein Chromosom stellt demnach eine Einheit dar, welche in jeder Zelle vorkommt und Trager genetischer Informationen ist. Durch Zelltei- lung werden diese Erbinformationen standig weitergegeben und damit reproduziert (vgl. Un- ruh, 1998, 22f.).

Bevor nun jedoch eine neue Korperzelle entstehen kann, mussen bei der Befruchtung die mit jeweils 23 Chromosomen ausgestatteten Keimzellen (Ei- und Samenzelle) der Eltern mitei- nander verschmelzen. Jede neue befruchtete Zelle tragt danach in der Regel den gesamten Chromosomensatz von 46 Stuck in sich und teilt diesen in Form von zwei Reifeteilungen weiter auf (vgl. DS Infocenter, 2015). Dieser Zellteilungsvorgang wird in der Literatur als „Meiose“ bezeichnet und kann durch diverse Fehlverteilungen der Chromosomen nachhaltig beeinflusstwerden (Wilken, 2014, 13).

Somit kann es bei jedem Menschen, der Keimzellen bildet, Zufallsbedingt vorkommen, dass eine fehlerhafte Zellteilung („non-disjunction“) erfolgt (Gerbatsch, 2011, 4). Dieser Umstand fuhrt zu einer veranderten biochemischen Zusammensetzung. In Bezug auf die Trisomie ist z. B. festzustellen, dass in jeder Zelle 47 anstatt der ublichen 46 Chromosomen vorhanden sind und entweder der Samen oder das Ei 24 anstelle der sonst ublichen 23 Chromosomen aufweist (vgl. Unruh, 1998, 23).

Die davon betroffenen Personen weisen in der Regel einen veranderten Entwicklungsverlauf auf. Wilken fuhrt fort, das dies erstaunlich sei, da das uberschussige Chromosom „[...] zu den kleinsten Chromosomen gehort, [und] nur 1,5 Prozent der menschlichen Erbinformatio­nen darauf liegen“ (Wilken, 2014, 13). Die mit derT21 einhergehenden vor- und nachgeburt- lichen Veranderungen fallen vielfaltig aus und konnen haufig im Entwicklungsverlauf zu wei- teren Veranderungen (z. B. BE) fuhren. Der aktuelle Forschungsstand lasst darauf schlie- ften, dass die Generierung solcher Prozesse durch eine Uberproduktion von Zellenzymen (z. B. Superoxydismutase - SO D1) ausgelost wird (vgl. ebd.).

Deshalb weisen Kinder mit und ohne T21 einen ahnlichen Entwicklungsverlauf auf. Aller- dings stellen sie trotz der vermeintlichen Homogenitat bei den genetischen Umstanden eine auRerst heterogene Personengruppe dar. Wilkens fuhrt dies auf eine ungleichgewichtete Verteilung der Potenziale und einer unterschiedlichen Auspragung gesundheitlicher BE zu- ruck (vgl. ebd.).

Das deutsche Down-Syndrom Infocenter weist auf seiner Homepage explizit darauf hin, dass es sich bei der T21 nicht um eine Krankheit handelt, sondern um eine ,,genetisch bedingte, nicht veranderbare Veranlagung" (DS Infocenter, 2015). Orientierend an Bargfrede et al. kommt die Beeintrachtigungsform mit einem Verhaltnis von 1:700 Geburten in der Gesell- schaft oft vor (Bargfrede et al., 2011,734).

2.4 Aktueller Forschunqsstand

Bislang ist es gemaR Wilken Forschern noch nicht gelungen, die auslosenden Faktoren der verschiedenen Formen der T21 und der damit verbundenen Teilungsstorungen zu bestim- men (vgl. Wilken, 2014. 15f.). In den vergangen 45 Jahren wurden neue Theorien fur das Entstehen der T21 aufgestellt. Als auslosende Faktoren wurden von Puschel ,,[die] radioakti- ve ,,Bestrahlung, [der] Gebrauch bestimmter Drogen, Hormon- und Immunstorungen, Sper- mienabtotende Mittel und bestimmte Virusinfektionen" angefuhrt (Puschel, 1996, 46). Bei Unruh heiRt es, dass eine Immunschwache als Ursache der Trisomie vermutet werden kann, da die KT21 infolge von Atmungsproblemen eine erhohte Morbiditat aufweisen (vgl. Unruh, 1998, 30). Gerbatsch et al. gelangen zu der Einschatzung, dass diese Annahmen theoretisch moglich sind, bislang aber keine belegbaren Beweise sie angefuhrt werden konnen (vgl. Gerbatsch, 2011, 4; Wilken, 2014, 16). So weist z. B. Wilken darauf hin, dass nach dem atomaren Fallout in Tschernobyl bei den radioaktiv strahlengeschadigten Probanden zwar eine Beeintrachtigung der Chromosomen und in dessen Folge ein Auftreten bestimmter Be- gleiterscheinungen festzustellen waren, aber keine Erhohung der Chromosomenanzahl (vgl. Wilken, 2014, 16).

Neue Forschungen scheinen einem Zusammenhang zwischen der T21 und dem jeweiligen Gebaralter der Mutter bzw. des Vaters zu belegen. Beispielsweise steigt das Risiko mit zu- nehmendem Alter bei einer Schwangerschaft exponentiell an (vgl. Unruh, 1998, 30f.). Wah- rend hierbei die Gruppe der Mutter zwischen 20 und 30 Jahren eine Wahrscheinlichkeit des Auftretens des Symptoms von 1 zu 1.500 aufweist, so wird sie bei den 40 Jahre alten Mut- tern mit 1 zu 150 angegeben (ebd.). Laut Wilken et al. verdoppelt sich das Risiko bei einer 35jahrigen Frau alle 2,5 Jahre, wohingegen bei den Vatern erst ein leichtes Risikogefalle zwischen dem 45. und 55. Lebensjahr auftritt (Wilken, 2014, 18; Gerbatsch, 2011; 5, Borste, 2011, 15). Uber das 45. Lebensjahr hinaus soil bei Frauen das Auftreten einer T21 nicht mehr weiter ansteigen (vgl. Borste, 2011, 14):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4

In den vergangenen Jahren wird zudem davon berichtet, dass sich die Altersstruktur beider Elternteile von KT21 dem Durchschnitt (Mittelwert 31,55 Jahre Mutter und 34 Jahre Vater) annahert, weil sie zum einen spater mit der Familienplanung (Erstelternschaft) beginnen und zum anderen vermehrt ihre Kinder in den jungeren Jahren gebaren. Dies erhoht die rechne- rische Wahrscheinlichkeit fur die Geburt eines KT21 in dieser Gruppe (Wilken, 2014, 16f.). Das allgemeine Durchschnittsalter der Mutter von KT21 liegt in Deutschland zwischen 31 und 32 Jahren, international bei etwa 30 Jahren (vgl. Borste, 2011, 15). Es wird vordem Hin- tergrund einiger Untersuchungen prognostiziert, dass sich Frauen uber 35 Jahren kunftig vermehrt fur eine pranatale Diagnostik entscheiden und in dessen Folge bei dieser Alters- gruppe die Geburtsrate von KT21 zuruckgeht. Dagegen wird sich voraussichtlich bei junge­ren Frauen mit niedriger Indikation fur eine pranatale Untersuchung die Geburtenrate von Kindern mit diesem Syndrom erhohen (vgl. Wilken, 2003, 6).

Da die Trisomie bereits auf allen Kontinenten, Regionen und in allen Ethnien nachgewiesen werden konnte und seit Jahrhunderten existiert, gehen Wissenschaftler heutzutage bei dem Forschen nach den Ursachen fur die Chromosomenfehlverteilungen und Translokationen nicht nur von dem zunehmenden Alter der Mutter aus. Sie fuhren sie gleichermaften auch auf altersunabhangige, zufallige Storungen bei den Reifeteilungen zuruck, welche bei beiden Elternteilen vorkommen konnen (vgl. Unruh, 1998, 30). Die eigentlichen auslosenden Fakto- ren sind jedoch noch nicht hinreichend erforscht worden und bedurfen weiterer Untersu­chungen (vgl. Wilken nach Wendeler, 2014, 16, 18).

Als weitere atiologische Risiken werden neben dem Alter der Eltern und einer Strahlenscha- digung bestimmte Umweltbelastungen diskutiert. Zudem gibt eine schweizerische Studie Aufschluss daruber, dass KT21 in der Regel nicht als Einzelkinder aufwachsen, sondern oft noch ein weiteres oder drittes Geschwisterkind haben. Eine japanische Studie weist nach, dass in 40 Prozent der untersuchten Falle die T21 beim ersten Kind vorliegt (Wilken, 2014, 18).

Vor diesem Hintergrund der eigentlichen Ursachenbestimmung von T21 zielten in den ver- gangenen Jahren die Bemuhungen in der medizinischen Forschung darauf ab, das verant- wortliche Chromosom genetisch zu entschlusseln und alle auslosenden Gene zu bestimmen. Diese Dechiffrierung des kleinsten von 23 menschlichen Chromosomen gelang dann im Rahmen des Deutschen Humangenomprojekts (DHGP) im Mai 2000 einem deutsch- japanischen Forschungsteam (Pfersdorff, 2011, 190). Nach Auskunft der Deutschen Presse- agentur (dpa) waren die Wissenschaftler erstaunt, dass das 21. Chromosom die Bau- Anlei- tung fur ausschlieftlich 225 Gene enthalt, wovon 14 fur die Entstehung des Symptoms ver- antwortlich sein sollen (dpa, 2000). Bereits 2003 war das menschliche Erbgut bzw. Genom komplett entschlusselt. (Pfersdorff, 2011, 190).

Nach Wilken lasst sich bislang nicht eindeutig feststellen, ob die neuen Erkenntnisse dazu beitragen konnen, den Ursprung und die Ursachen fur die Entstehung der T21 vollends zu erklaren (vgl. Wilken, 2014, 16). Momentan wird an der Bedeutung der einzelnen Gene und ihres Einflusses aufdie menschliche Entwicklung geforscht (vgl. Pfersdorff, 2011, 190).

2.5 Formen und Varianz

Der Vorgang der fehlerhaften Zellteilung kann an drei Stellen mit unterschiedlicher Wahr- scheinlichkeit festgestellt werden, wie bspw. in der Samenzelle (20 bis 30 Prozent), in der Eizelle (70 bis 80 Prozent), als auch in der Urzelle (selten) (Wilken, 2014, 18). An allen Orten ist jedoch seit der Entdeckung von Lejeune et al. im Jahre 1958 der gleiche mechanische Ablauf zu registrieren. Hierbei driften die beiden Chromosomen und ihre Enden (Chromatide) bei der Zellteilung nicht wie ublich auseinander, sondern bleiben miteinander verbunden. Durch diese Chromosomenaberration erhalt die Zelle ein zusatzliches Chromosom (insge- samt 47) (vgl. Gerbatsch, 2011,4).

1st das zusatzliche Chromosom mutterlichen Ursprungs, so wird es zu 70 Prozent bei der ersten meiotischen Reifeteilung fehlverteilt. Fehlverteilungen vaterlichen Ursprungs sind da- gegen zu je gleichen Anteilen wahrend der ersten und zweiten Reifeteilung zu registrieren.

[...]

Ende der Leseprobe aus 265 Seiten

Details

Titel
Kinder mit Trisomie-21 im inklusiven Sportunterricht der Grundschule
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg  (Institut für Sonder- und Rehabilitationspädagogik)
Note
2
Autor
Jahr
2015
Seiten
265
Katalognummer
V310868
ISBN (eBook)
9783668098190
ISBN (Buch)
9783668098206
Dateigröße
3599 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Inklusion, Sportunterricht, Behinderung, Beeinträchtigung, Trisomie, inklusiver Sportunterricht, Sportmodelle, Ursachen, Formen, Varianz, Planung inklusiven Sportunterrichts, Sportlehrer, Lehrkräfte, Syndrom, syndromale, syndromspezifisch, Kerncurricula, Förderschule, Grundschule, Entwicklung, Entwicklungsmerkmale, Ressourcen, Kompetenzen, Diagnostik, Evaluation, Hattie, Hattie-Studie, Bewegung, Sport, Spiel, rechtliche Rahmenbedingungen, Inklusionsprozess, deutsches Schulsystem, sonderpädagogische Förderung, Sonderpädagogik, fachdidaktische Schulsportkonzepte, Schulsportmodelle, Doppelauftrag, Spieöfähigkeit, Handlungsfäjigkeit, Mehrperspektivität, Sinnrichtungen, Aufgaben, Ziele, Kompetenzbereiche, guter Sportunterricht, Schulsportpädagogik, Chancen, Grenzen, Gestaltung inklusiven Sportunterrichts, Bewegungsbeziehung
Arbeit zitieren
Mirko Kraft (Autor:in), 2015, Kinder mit Trisomie-21 im inklusiven Sportunterricht der Grundschule, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/310868

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