Zwischen Technik, Ökonomie und Philosophie. Durch neue Technologie zu einer neuen Form gesellschaftlichen Zusammenlebens?


Seminararbeit, 2014

48 Seiten, Note: Sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einige technisch-philosophische Aspekte im Zusammenhang zwischen Technik und Ökonomie

2. Die Parallelität zwischen Technik und Ökonomie

3. Die zentralen Fragestellungen zum Thema

4. Einige historische technisch-philosophische Positionen im Blickwinkel der Ökonomie
4.1. Karl Marx
4.2. Richard Sennett
4.3. Günther Anders
4.3.1. Technik und die Antiquiertheit
4.3.2. Die Diagnosen
4.3.3. Versuch einer kritischen Sichtweise oder die Antiquiertheit der Antiquiertheit

5. Die Rolle des Ingenieurs oder die Einbettung des Denkenden

6. Die zentrale Frage nach dem Eigentum

7. Das Internet der Dinge als Basis neuer ökonomischer Entwicklungen
7.1. Das Internet der Dinge
7.2. Das philosophisch Interessante am Internet der Dinge

8. Die undenkbare Komplexität

9. Literaturverzeichnis

1. Einige technisch-philosophische Aspekte im Zusammenhang zwischen Technik und Ökonomie.

Der Zusammenhang zwischen Technik und Ökonomie, also Fragestellungen im Umfeld der technischen und der damit verbundenen gesellschaftlichen bzw. ökonomischen Entwicklung sind in vielen wissenschaftlichen Gebieten bzw. technisch-philosophischen Werken über Jahrhunderte behandelt und zum Teil kontrovers diskutiert worden.

Allerdings fällt auf, dass die Themen zumeist aus dem behandelten Gebiet heraus erörtert und betrachtet werden und es selten einen umfassenden Blick auf die Zusammenhänge gibt bzw. auch selten wirklich systematisch vorgegangen wird. Zudem wird in vielen Fällen sehr wohl das Verhältnis zwischen dem Einzelnen, der Technik und bzw. oder der Gesellschaft analysiert bzw. thematisiert. Die diversen Einflüsse der Unternehmen oder des Marktes auf die Technik bzw. auf den Menschen werden aber gerade in technisch-philosophischen Werken, wenn überhaupt zumeist nur sehr abstrakt diskutiert.

Karl Marx fokussiert das Thema beispielsweise sehr stark auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Technik im Zusammenhang mit den Begriffen der Ware oder der Produktivkräfte, während Martin Heidegger etwa von einem rein philosophischen Ansatz herkommend etymologisch bzw. eher fragend vorgeht. Für Günther Anders steht der Mensch und sein Verhältnis zur Technik im Mittelpunkt seiner Überlegungen, die von einer stark phänomenologisch ausgerichteten Methodik geprägt sind. Und auch andere Technikphilosophen, die sich mit dem Zusammenhang zwischen Technik und Ökonomie befasst haben, beleuchten zumeist nur einzelne Facetten des Themas. So thematisiert etwa Richard Sennett die Themenfelder Vereinzelung, Orientierungslosigkeit oder Ohnmacht, also Phänomene die sich aus den Entwicklungen der modernen Technik bzw. des mit dieser Technik zusammenhängenden wirtschaftlichen Systems ergeben.

Auch die gegenwärtige, stark von der Technik geprägte gesellschaftliche Situation lässt einen direkten und unmittelbaren Zusammenhang zwischen den technischen Entwicklungen und den Auswirkungen auf wirtschaftliche Prozesse als unmittelbar evident, sozusagen als ´common sense´ erscheinen. In diesem Sinne kann man die Frage als beinahe trivial bezeichnen. Andererseits ist der Zusammenhang, wenn man die einzelnen Verbindungen zwischen Technik und Ökonomie betrachtet, höchst komplex und differenziert. Dies geht heute soweit, dass beispielsweise eine neue technische Entwicklung, nämlich das Internet der Dinge als mögliche Basis für eine vollkommen neue wirtschaftliche Grundordnung diskutiert wird. Das Konzept der ´collaborative commons´ könnte die Basis für eine Ablöse der kapitalistischen wirtschaftlichen Grundordnung bilden. Damit ergäbe sich das erste Mal nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Systeme eine mögliche reale Alternative zur kapitalistischen Grundordnung.

Auch die Zusammenhänge der Fragestellung mit grundlegenden Begriffen der gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklung zeigt die Komplexität des Themas. Ob die Frage nach dem Fortschritt, nach dem Wachstum oder nach der viel zitierten und strapazierten Grundlage jedes Wohlstandes, der Innovation, die Zusammenhänge sind unbestreitbar und evident.

Vielfach steht dabei die Frage nach dem Treiber der Entwicklungen im Hintergrund. Sind es die Menschen, die aktiv die Prozesse treiben und damit auch beeinflussen oder ist es die Technik, die gewissermaßen ohne Einfluss- und Steuerungsmöglichkeit durch den Menschen, ihren Weg zu immer hochwertigeren Prozessen oder Produkten geht.

Interessant ist auch die Fragestellung in wie weit es Technikphilosophen gelungen ist, in ihre Positionen die zu ihrer Zeit aktuelle technische Entwicklung miteinzubeziehen, also ihre technisch-philosophische Position auf dem aktuellen Stand der Technik zu entwickeln. Oder wie meint Richard Sennett:„Eine Idee muss das Gewicht der konkreten Erfahrung aushalten, sonst wird sie zur bloßen Abstraktion.“1

Zweitens, damit zusammenhängend die Frage, ob sie in der Lage sind oder waren zu ihrer Zeit nicht direkt vorhersehbare technische Entwicklungen vorwegzunehmen oder zu antizipieren. So spricht etwa Matthias Horx davon, dass „Intelligenz etwas mit der Ahnung des Kommenden zu tun hat“2, ein, gerade im Zusammenhang mit der extrem raschen Entwicklung der Technik, sehr wesentlicher Aspekt. Denn ein Anspruch an eine wissenschaftlich fundierte technisch-philosophische Position muss sicher sein, dass die

Position zumindest die jeweils aktuellen technischen oder technologischen Entwicklungen berücksichtigt und sich daran auch „empirisch“ messen und bewerten lässt bzw. besser noch auch Aussagen über zukünftige Entwicklungen in sich fasst.

Eine im Zusammenspiel zwischen Technik und Ökonomie selten diskutierte, aber doch zentrale Fragestellung ist im weiteren die Frage nach der Rolle der Unternehmen, gewissermaßen der Zwischenebene zwischen Mensch und Gesellschaft. In vielen Aspekten haben die Unternehmen heute die Rolle übernommen, die in vielen technischphilosophischen Diskussionen einer ´anonymen gesellschaftlichen Struktur´ (`der Gesellschaft´) zugesprochen wurde. Oftmals wird auch nur die Beziehung zwischen der Technik und dem einzelnen Menschen thematisiert. Dies ist in Anbetracht der modernen Entwicklungen sicher zu kurz gegriffen.

Ein weiterer, und mit dem eben Gesagten zusammenhängender Punkt ist die Frage nach dem Eigentum. Dabei geht es nicht nur um das Eigentum an den Produktionsmitteln, wie von Karl Marx vordergründig behandelt, sondern auch um Themen wie das Patentwesen, den Schutz geistigen Eigentums oder der Möglichkeit der Verwertung einer Idee insgesamt. Technik beginnt immer bei einer Idee oder wie Friedrich Dessauer dies formuliert: “Technik ist reales Sein aus Ideen.“3 Cassirer geht noch einen Schritt weiter und sieht in der Technik eine neue Weise der Erkenntnis.

Die genannten Themenfelder bestimmen in grundlegender Art und Weise die aktuellen Entwicklungen und sind auch für eventuelle zukünftige Weiterentwicklungen der gesellschaftlichen Strukturen von eminenter Bedeutung.

Mit den zuletzt genannten Punkten direkt verbunden ist die Stellung des Ingenieurs (im weiteren Sinn) in unserer Gesellschaft. Diesem Aspekt der Technikphilosophie ist bisher sicherlich zu wenig Augenmerk geschenkt worden. Letztendlich aber sind es die Ingenieure, die einfach gesagt basierend auf den Ergebnissen der Wissenschaft Technik ins Leben setzen. Sowohl technische Gegenstände, Technologien als auch technische Prozesse werden von Ingenieuren bestimmt. Und auch zahlreiche Fehlentwicklungen der Technik unterliegen menschlichen oder systemischen Fehlentwicklungen technischen Personals, auf welcher organisatorischen Ebene auch immer. Ein schlecht gewartetes Flugzeug, ein falsch eingestellter Computertomograph können Schäden anrichten, die nicht in der Technik immanent sind, sondern die durch die Beziehung zwischen Technik und Ingenieur im Umfeld des Ingenieurs in einem Unternehmen, an einem Arbeitsplatz, etc. entstehen. Und Dessauer, Friedrich, Streit um die Technik, 1956, p.234 letztendlich entstehen Innovationen aus Ideen. Und Ideen brauchen eine bestimmte persönliche Umgebung, um sozusagen der Wunschmaschine 4 zum Durchbruch zu verhelfen.

Alle genannten Themen spielen sich vor dem Hintergrund einer sich dynamisch verändernden Technik ab. Sieht man von einzelnen Versuchen ab, so ist es der Technikphilosophie noch nie gelungen sich auf eine klare, eindeutige und von allen anerkannte Abgrenzung des untersuchten Gegenstandes, nämlich der Technik selbst, zu verständigen. Auch sämtliche Versuche einer Definition (sowohl einer intensionalen als auch einer extensionalen) sind bisher für die weitere Arbeit im Rahmen der Technikphilosophie eher wenig geeignet. Wenn etwa Grunwald und Julliard vorschlagen die Technik als reinen Reflexionsbegriff zu sehen und unter Technik das zu verstehen, „was wir meinen, wenn wir allgemein über Technik reden“5, dann ist das in Wirklichkeit für eine präzise Diskussion wenig hilfreich. In diesem Sinne ist die Anmerkung von Reydon sicher sehr zutreffend: „Technikphilosophie steht vor der Herausforderung, das Wesen eines bestimmten Bereichs von Phänomenen klären zu sollen, ohne die Grenzen dieses Bereiches festlegen zu können.“6

Und auch das Gebiet der Ökonomie ist heute in Anbetracht der komplexen Prozesse, der Dynamik der Entwicklungen oder der Komplexität von Einflussfaktoren auf einzelne auch lokal gedachte Themenstellungen nur schwer ´(be)greifbar´. In diesem Sinne zeigt sich, dass der Zusammenhang zwischen Technik und Ökonomie zahlreiche zum Teil äußerst komplexe Themenfelder aufspannt, deren Erörterung beinahe alle philosophischen, psychologischen, soziologischen und ökonomischen Themenfelder in substantieller Weise berührt. Es muss also es gelingen die Komplexität der Technik einerseits als auch die des Zusammenhangs mit ökonomischen Fragestellungen andererseits so zuzuschneiden, dass die Komplexität doch als denkbar und damit beschreibbar erscheint.

Im gegenständlichen Text geht es darum, genau die bisher in der Technikphilosophie eher ungenau betrachteten Zusammenhänge zwischen der Idee, der Stellung und Aufgabe des Ingenieurs sowie die Interaktion zwischen dem Einzelnen, der Gesellschaft und den zumeist die Eigentümerschaft innehabenden Unternehmen aufzuspannen und die grundlegenden Probleme und Themenstellungen darzustellen.

An Hand des Internets der Dinge soll gezeigt werden, dass genau auf Basis der genannten Technikelemente das erste Mal die Möglichkeit besteht, dass durch eine neue Technologie auch eine vollkommen neue Form gesellschaftlichen Zusammenlebens entstehen könnte.

2. Die Parallelität zwischen Technik und Ökonomie

Die bereits in der Einleitung angesprochene Parallelität zwischen Technik und Ökonomie zeigt sich in zahlreichen Punkten und sehr unterschiedlichen Aspekten. Ob Themen wie Wachstum oder Innovation, die Auswirkungen technischer Neuerungen auf die Beschäftigung, ob Fragen nach der Freiheit des Handelns oder das Thema der Globalisierung, alle genannten Frage- und Themenstellungen haben sowohl eine technische als auch eine ökonomische Seite.

Ohne dass der Anspruch erhoben werden kann, diese Parallelität systematisch und vollständig beschreiben zu können, bleiben doch die folgenden Ebenen auf denen sich die Parallelität darstellen bzw. zeigen lässt:

- Zahlreiche Begriffe des wirtschaftlich-technischen Alltags zielen sowohl auf technische als auch auf ökonomische Themenfelder und Entwicklungen. Wenn man wie Deleuze und Guattari unter Philosophie die Kunst des Erschaffens von Begriffen versteht, die auf ein nicht-philosophisches Problem verweisen 7, könnte man sinngemäß gerade in der Verwendung zahlreicher zum Teil komplexer Begriffe und Begriffszusammenhänge die technischphilosophische Relevanz der Themenstellung ableiten.8
- Das technische Produkt ist isoliert betrachtet unbestimmt. Erst durch Einbeziehung zahlreicher Bedingungen aus der Umgebung bzw. dem Anwendungsumfeld inkl. der gewählten und durchaus unterschiedlich möglichen technischen, ökonomischen oder gesellschaftlichen Verwertung wird ein technisches Produkt in seiner Gesamtheit bestimmbar. Technik ist somit ohne Ökonomie zumeist unbestimmt und unvollständig beschrieben. Ein technisches Produkt wird zumindest durch folgende Faktoren bestimmt:

- Das Produkt als technischer Gegenstand
- Die Vernetzung des Produkts
- Die Funktion des Produkts im Rahmen der Vernetzung (gesellschaftliche Funktion, im Unternehmen, für den Einzelnen, ...)
- Der ökonomische Wert
- Die Folgewirkungen und Konsequenzen des Einsatzes (notwendige Behandlung, Wartung, Service, ...)
- Die eigentliche organisatorische Nahtstelle zwischen Technik und Ökonomie bildet das

Unternehmen. Unternehmen haben diesbezüglich eine mehrfache Funktion. Sie sind einerseits Arbeitgeber etwa eines Ingenieurs oder andererseits Inhaber der Rechte an den technischen Ideen, Erfindungen, Produkten und Entwicklungen. Zudem ist eine Idee, die am Beginn aller technischen Entwicklungen steht, in den meisten Fällen einem unternehmerischen oder ökonomischen Ziel geschuldet, welches es zu erreichen gilt.

- Auch der Begriff eines Projekts, als wesentliches technisch-ökonomisches Grundelement aus dem sich beinahe alle ökonomischen Themenstellungen zusammensetzen, ist ein zumeist vernachlässigtes Thema, jedoch zur Erklärung technisch-ökonomischer Zusammenhänge zwingend notwendig. Unter einem Projekt versteht man dabei „eine zeitlich befristete, relativ innovative und risikobehaftete Aufgabe von erheblicher Komplexität, die aufgrund ihrer Schwierigkeit und Bedeutung meist ein gesondertes Projektmanagement erfordert.“9 In einem Projekt fällt auch die von Dessauer so genannte ´Raum- und Zeitform´ der Technik10 zusammen. Aus dieser Definition sieht man ebenfalls die Zusammenhänge zwischen technischen (´Raumform´) und ökonomischen Themenstellungen (´Zeitform´), die in einem Projekt zumeist in kumulierter Form zusammentreffen.11
- Es ist grundlegend zwischen einer aktiven Technikverwendung und einer passiven rein utzungsorientierten Verwendung zu unterscheiden. Beide Arten beeinflussen sowohl die Ökonomie als auch natürlich den die Tätigkeit ausführenden Menschen in unterschiedlicher Weise. Diese Unterscheidung findet sinngemäß ihre Entsprechung in der von Gilbert Simondon getroffenen Unterscheidung zwischen der Verwendung im Stadium eines Lehrlings, des Unausgereiftseins (´minorite´) und dem Stadium des Ingenieurs, des Ausgereiftseins (´maiorite´).12 Für Simondon gilt generell, dass das Ökonomische bei der Technik stets mitzudenken ist.
- Der Ingenieur ist in seiner aktiven Rolle als Ideenfinder das wesentliche ´Grundelement´ an der Schnittstelle zwischen Technik und Ökonomie. Gerade in der Rolle als Erfinder zeigt sich beim Ingenieur das was Cassirer als den titanischen Stolz und das titanische Freiheitsbewusstsein bezeichnet. Zusätzlich zeigt sich im Technischen an Stelle eines magischen Verhaltens oder der Macht des bloßen Wunsches die „Macht des Willens“.13
- Jede einseitige entweder rein technisch-philosophische Analyse oder rein ökonomische Betrachtungsweise der Technik greift zu kurz. Eine durchgängige Kette von der Ideenfindung bis hin zur ökonomischen Verwertung von Technik umfasst sowohl psychologische als auch philosophische und auch gesellschaftlich-ökonomische Gesichtspunkte (vgl. dazu Kapitel 5).
- In Ergänzung des Ansatzes von Cassirer bzw. von Dessauer, die im Primat der Idee einen, wenn nicht den wesentlichen Wesenszug der Technik zu sehen, ist um die Kette zu vervollständigen die Frage nach dem Grund einer Idee zu klären. Hier kommen die eben angesprochenen psychologischen Momente ins Spiel, und zwar in Form der Wunschmaschine. Deleuze und Guattari sehen den Ursprung der Idee in eben der Wunschmaschine Mensch. Technik gibt dem Wollen eine Form, wesentlich ist das Werden, das Produzieren. Aus diesem Prozess entsteht auch eine neue Form des Selbstbewusstseins, die technische ´Beherrschung der Welt´.
- Auch im Zusammenhang zwischen Technik und Wissenschaft zeigt sich, dass beide Themenfelder ohne ökonomische Elemente nicht vollständig gedacht werden können. Wissenschaft ist heute in den meisten Fachgebieten direkt oder indirekt von der Zusammenarbeit mit Unternehmen abhängig. Dies betrifft einerseits die Frage der Finanzierung der Projekte, den Austausch an Menschen und Ressourcen sowie auch die ohne Technik bzw. ohne Unternehmen nicht mehr mögliche Forschungstätigkeit. Selbst in reinen ´Denkdisziplinen wie der Mathematik ist eine Forschung ohne Technik nicht mehr wirklich möglich.
- Software ermöglicht und bestimmt zunehmend sowohl die Technik als auch den Prozess der Ökonomisierung der Technik. Zudem bildet die Software zunehmend die Basis für neue unternehmerische Strukturen (vgl. dazu Kapitel 4.2)
- Die etwa von Richard Sennett beschriebene Kultur des neuen Kapitalismus ist auf Basis entsprechender, für diese Kultur notwendiger Entwicklungen der Technik entstanden. Eigenschaften bzw. Strukturen des neuen Kapitalismus wie Flexibilität, neue Cassirer, Ernst, Form und Technik (1930), zitiert nach Technikphilosophie, Hg. von Peter Fischer, (1996), p. 179

Beschäftigungsverhältnisse, flache Hierarchien, vernetzte Produktionsmethoden, Reengineering-Verfahren, etc. basieren wesentlich auf technischen Methoden und Verfahren, die die Basis für die Umsetzung bilden. In diesem Sinn bildet die Technik die Voraussetzung für moderne ökonomische Strukturen oder Entwicklungen.

Sowohl Technik als auch Wissenschaft sind Formen wie der Mensch mit dem Zufall umzugehen gelernt hat. Sie dienen beide der Beherrschung der Komplexität des menschlichen Lebens. Diese Komplexität wird einerseits wesentlich durch die Technik erhöht, andererseits kann, wie Ashby ausführt ´Komplexität nur durch Komplexität beherrscht´14 werden. Und dieser Prozess der Beherrschung der Komplexität unterliegt in den allermeisten Fällen ökonomischen Randbedingungen.

3. Die zentralen Fragestellungen zum Thema

Die Notwendigkeit einer Disziplinen-übergreifenden Erörterung der Technik wurde bereits begründet. Es zeigt sich nun, dass zahlreiche historische, technisch-philosophische Werke die Ökonomisierung der Technik nicht oder nicht ausreichend würdigen. So merkt Günter Ropohl bei der Besprechung der Analytischen Technikphilosophie von Friedrich Rapp völlig zurecht an: “Die Rolle der Ökonomie wird allerdings auch hier nur eher beiläufig erwähnt und in wirtschaftsliberalistischer Verkürzung auf das vermeintlich freie Spiel der Marktkräfte reduziert.“15

Auch bei Arnold Gehlen fehlt der ökonomische Aspekt selbst bei der Definition von vier neuartigen kulturellen Erscheinungen in der Technikphilosophie. Diese sind für Gehlen die Entsinnlichung, die Ausbreitung der experimentellen Denkart, die gegenläufige Primitivisierung sowie die Verbreitung der technischen Denkmodelle. Auch hier kein expliziter Hinweis auf den ökonomischen Einfluss, dem die Technik unterliegt

In diesem Sinn kann auch davon gesprochen werden, dass die bisherigen technischphilosophischen Positionen kein durchgängiges bzw. vollständiges Bild von der Technik zeichnen bzw. auch zeichnen können. Zudem müsste man natürlich vor einer eingehenden Diskussion der Zusammenhänge klären bzw. festlegen, was unter Technik verstanden wird bzw. verstanden werden soll.16

Zusammengefasst ergibt sich das folgende erste Bild der technisch-philosophischen Diskussion in Bezug auf die Zusammenhänge zwischen Technik und Ökonomie:

- Der Einfluss der Ökonomie auf die technischen Entwicklungen wurde in der Technikphilosophie in vielen Fällen zu wenig berücksichtigt bzw. in ihren Auswirkungen zu wenig gewürdigt.
- Die Fragen nach der Entstehung neuer Techniken, des Eigentums technischer Ideen, technischer Produkte oder Verfahren etc. wird nicht ausreichend bzw. systematisch genügend behandelt.
- In den technisch-philosophischen Überlegungen sind die technischen Prozesse bisher
-icht ausreichend berücksichtigt worden. Erst ein Verständnis technischer Prozesse ermöglicht einen Gesamtblick auf die entstehende Technik und ihre Zusammenhänge.
- Viele technisch-philosophische Positionen sind damit unter Berücksichtigung des

Aspekts der Ökonomisierung der Technik nicht mehr haltbar bzw. müssen, um mit Günther Anders zu sprechen, „antiquiert“ erscheinen.

- Die Ökonomisierung der Technik stellt das Hauptprinzip der aktuellen technisch gesellschaftlichen Entwicklung dar und bildet damit den wesentlichen Ausgangspunkt für die weitere zu erwartende gesellschaftliche Entwicklung.
- Da Technik stark mit Sicherheit bzw. der ´Möglichkeit zu überleben´ identifiziert wird ist sie historisch und auch aktuell sehr stark mit der Entwicklung von Städten verknüpft.17
- Jede technisch-philosophische Theorie oder Position muss sich im Hinblick auf ihren Wahrheitsgehalt an den technisch-philosophischen und ökonomischen Randbedingungen messen lassen.
- Technik, ergänzt um die ökonomischen Randbedingungen ihres Entstehens bzw. ihres Einsatzes erfüllt alle Voraussetzungen einer Ideologie.
- Auch bei Freud findet sich ein Zusammenhang zwischen der Ökonomie und den technischen Themen des Alltags. So geht er davon aus, dass nur die wirtschaftlichen Notwendigkeiten „uns aus unserer natürlichen Trägheit herausreißen und zu gesellschaftlicher Tätigkeit veranlassen.“18
- Es ist weitgehend unbestritten, dass technische Entwicklungen die gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen wesentlich mitbestimmen, in manchen Fällen grundlegend verändern. Allerdings ist diese Entwicklung bisher nur im Rahmen des marktwirtschaftlich-kapitalistischen Systems denk- und vorstellbar. Heidegger wirft in seinem berühmten Spiegel-Interview die Frage auf, wie dem technischen Zeitalter ein politisches System zugeordnet werden kann und welches dies sein kann. Heidegger weiß darauf keine Antwort, er ist nicht überzeugt, dass es sich dabei um die Demokratie handelt.19 Die Frage ist nun, ob es im Sinne dieser Fragestellung möglich sein wird, auf Basis neuer technischer Entwicklungen (Stichwort ´ common collaboratives ´) eine außerhalb des gegenwärtigen gesellschaftlichen Systems liegende Alternative entwickeln zu können. (vgl. dazu Kapitel 7)
- Nicht die Technik an sich bestimmt die Entwicklungen oder Auswirkungen der Technik, sondern die Unternehmen als die Eigentümer der Technik, sind es die diese vornehmlich bestimmen.
- Unternehmerische Strategien bestimmen damit ganz wesentlich den Verlauf der Technik, den Einfluss der Technik auf die Gesellschaft sowie auch die Auswirkungen der Technik auf den Menschen.
- Der Ingenieur ist zumeist Teil eines Unternehmens und nur aus dieser Position heraus lassen sich zahlreiche Entwicklungen und Phänomene der Technik erklären. Die Stellung des Ingenieurs ist bisher in der philosophisch-technischen Tradition zu wenig gewürdigt worden. Wäre etwa der Techniker nicht mehr Teil eines Unternehmens bzw. von diesem nicht mehr wirtschaftlich abhängig, könnten sich völlig neue Entwicklungen ergeben.
- Technik wird heute wesentlich durch Software bestimmt, ein in der Technikphilosophie bisher weitgehend vernachlässigtes bzw. zu wenig reflektiertes Thema.

[...]


1 Richard Sennett, Der flexible Mensch, 2008, p.12

2 Vgl. Matthias Horx, Die acht Sphären der Zukunft, 2002, p. 26

4 Vgl. dazu Deleuze/Guattari, Anti-Ödipis, p.7 ff.

5 Grunwald / Julliard, 2005, Technik als Reflexionsbegriff, zitiert nach Nordmann, Technikphilosophie, p. 12

6 Reydon, T.A.C., Philosophy of Technology, 2012 zitiert nach Michael Veit, Technikphilosophie, 2013, p.70

7 Vgl. dazu Deleuze / Guattari, Was ist Philosophie, p. 9

8 Die Liste parallel verwendeter Begriffe ist schier unerschöpflich, Beispiele sind Innovation, Fortschritt, collaborative commons, Mangel, Produktivität, Krisen, Information, Wissen,.

9 Gabler, Wirtschaftslexikon, 2013

10 Vgl. dazu Dessauer, Streit um die Technik, 1956, p. 143

11 Interessant wäre in diesem Zusammenhang die Einführung sogenannter ´Technischer Sachverhalte´(in Anlehnung an den Begriff des Sachverhalts bei Wittgenstein) zur Beschreibung technischer Zusammenhänge und Entwicklungen.

12 Vgl. dazu Gilbert Simondon, Die Existenzweise technischer Objekte, 2012 bzw. Friedrich Rapp, Gilbert Simondon, in Nachdenken über Technik, Hg. Hubig, et.al., p. 361

14 Ashbys Gesetz lautet sinngemäß: Die Varietät des Steuerungssystems muss mindestens ebenso groß sein wie die Varietät der auftretenden Störungen. Oder etwas verständlicher ausgedrückt: Die Steuerungsmechanismen müssen mindestens ebenso raffiniert sein, wie das System, das gesteuert werden soll (nach William Ross Ashby, 1903-1972)

15 Hubig et.al. Nachdenken über Technik, p.318; Auch Veit spricht davon, dass bei Rapp „ die Rolle der Ökonomie eher beiläufig erwähnt wird“ (Veit, p.52)

16 Hierzu liegen seitens des Autors eingehende Überlegungen vor, die allerdings über den Rahmen dieser Arbeit hinausgehen würden.

17 Vgl. dazu etwa die Überlegungen von Richard Sennett, der als „Theoretiker und Historiker des städtischen Lebens“ bekannt ist (WIKIPEDIA, Richard Sennett)

18 Terry Eagleton, Warum Marx recht hat, p. 142

19 Vgl. dazu Heidegger, Martin, in SPIEGEL ARCHIV 30. Jahrgang, 31. Mai 1976, Nr. 23

Ende der Leseprobe aus 48 Seiten

Details

Titel
Zwischen Technik, Ökonomie und Philosophie. Durch neue Technologie zu einer neuen Form gesellschaftlichen Zusammenlebens?
Hochschule
Universität Wien  (Institut für Philosophie)
Veranstaltung
Seminar
Note
Sehr gut
Autor
Jahr
2014
Seiten
48
Katalognummer
V311041
ISBN (eBook)
9783668098275
ISBN (Buch)
9783668098282
Dateigröße
852 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
zwischen, technik, ökonomie, philosophie, durch, technologie, form, zusammenlebens
Arbeit zitieren
Mag.Mag.Ing. Christian Zwickl-Bernhard (Autor:in), 2014, Zwischen Technik, Ökonomie und Philosophie. Durch neue Technologie zu einer neuen Form gesellschaftlichen Zusammenlebens?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/311041

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Zwischen Technik, Ökonomie und Philosophie. Durch neue Technologie zu einer neuen Form gesellschaftlichen Zusammenlebens?



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden