Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Charakteristika der Momentumstrategie im Sinne einer relativen Stärkebetrachtung
2 Normative Lehre der Kapitalmarkttheorie
2.1 Annahmen der Effizienzmarkthypothese
2.2 Das CAPM als klassisches Bewertungsmodell und seine kritischen Restriktionen
2.3 Anomalie durch Ablehnung der Effizienzmarkthypothese und Erweiterung des CAPM
3 Erklärungsansätze für das Momentum-Puzzle
3.1 Statistische Risikoadjustierung als rational orientierter Ansatz
3.2 Vorstellungsgestützte Modelle als quasirationaler Ansatz
4 Fazit
Quellenverzeichnis
Versicherung an Eides Statt
Einleitung
Frei dem Motto „ The Trend is your Friend “ wird in der Investmentbranche eine Anlagestrategie beschrieben, bei der die Investition in Aktien von historischen Kursverläufen abhängt, um positive Überrenditen zu erwirtschaften. In der vorliegenden Seminararbeit wird diese als Momentumstrategie bezeichnete Anlagestrategie hinsichtlich Funktion und Merkmale vorgestellt, um anschließend ein vermeintliches Konfliktpotential mit den Gültigkeitsrestriktionen der tradierten Kapitalmarktlehre in Form des Capital Asset Pricing Modell (CAPM) und der ihm zugrunde liegenden Effizienzmarkthypothese (EMH) zu beleuchten. Es wird gezeigt, dass der Momentumeffekt, bzw. die -renditen nicht durch die klassischen Bewertungsmodelle erklärbar sind, sodass im letzten Kapitel auf Erklärungsansätze der rationalen und quasirationalen Kapitalmarktlehre eingegangen wird.
1 Charakteristika der Momentumstrategie im Sinne einer relativen Stärkebetrachtung
Der Begriff Momentum[1] wird in der technischen Chartanalyse dazu verwendet, Indizien für die Schwung- oder Impulskraft eines Wertpapiers zu erhalten. Ein schwaches Momentum steht demnach für relativ kleine, eine starkes Momentum für relativ starke Ausprägungen dieser Schwungkraft. Überträgt man diese Eigenschaft auf eine Anlagestrategie, bei der festgelegte Zeitintervalle für das Ausmaß des Momentums herangezogen werden, wird mit dem Momentum die relative Stärke einer Aktie im Vergleich zu einer Referenzgruppe untersucht.[2] Dabei stellt die Momentumstrategie eine zyklische Investitionsstrategie dar und basiert auf der Grundidee, dass die Aktientitel mit historisch starken Renditen, auch in Zukunft hohe Rendite abwerfen.[3] Es wird davon ausgegangen, dass die Performance von renditestarken Aktien in der Vergangenheit weiterhin ihren Schwung (somit ihr Momentum) in der Zukunft beibehalten. Für Aktien mit eher schwachen historischen Renditen gilt dieser Trend analog. Bei der Vorgehensweise der Momentumstrategie wird zunächst in der sogenannten Formationsperiode ein Wertpapierportfolio gebildet, welches aus Aktien mit sehr hohen (niedrigen) Renditen aus dieser Formationsperiode besteht.[4] Üblicherweise beträgt dieser Zeitraum zwischen 6 und 12 Monaten und die Aktien werden nach den Renditen während der Formationsperiode sortiert.[5] In der anschließenden Halteperiode wird ein Portfolio aus Gewinner- und Verliereraktien (Winners-Losers-Portfolio) aufgebaut, welches technisch auf das Schwankungsmaß der relativen Stärke nach Robert A. Levy zurückgreift.[6] Mit der relativen Stärke wird jede Aktie anhand ihrer Rendite in der Vergangenheit mir der marktbereinigten Rendite des jeweiligen Marktes bewertet und in Relation gebracht.[7] So werden Aktien mit einer vergangenen relativen Renditestärke gekauft (Aufbau einer Longposition) sowie Aktien mit einer relativen Renditeschwäche leerverkauft (Aufbau einer Shortposition). Der Vorteil dieser Strategie besteht darin, dass der Anleger durch die Erlöse aus den Leerverkäufen das Gewinnerportfolio finanziert, sodass der Investor relativ wenige Eigenmittel zum Eingehen der entsprechenden Positionen aufbringen braucht. Der Erfolg der Strategie ergibt sich schließlich als Differenz der Renditen zwischen den Winner- und den Loser-Portfoliopositionen und wird folglich als Momentumrenditen oder Momentumeffekt bezeichnet.[8] Der erste empirische Hinweis auf die Existenz von Momentumrenditen konnten Jegadeesh und Titman im Jahr 1993 nachweisen.[9] In ihrer Studie verwendeten die beiden Ökonomen Monatsrenditen für den Zeitraum 1965 bis 1989 der US-amerikanischen NYSE- und AMEX-Werte und konnten bei einer 12-monatigen Formations- und einer 3-monatigen Halteperioden die höchsten Überrenditen von durchschnittlich 1,96% pro Monat beobachtet.[10]
2 Normative Lehre der Kapitalmarkttheorie
2.1 Annahmen der Effizienzmarkthypothese
In den 70er Jahren postulierte der amerikanische Ökonom Eugene Fama mit der EMH ein klassisches[11] Konzept, mit dem in der Finanzmarkttheorie die Funktionalität des Kapitalmarktes wesentlich erklärt werden soll.[12] Demnach gilt ein Kapitalmarkt dann als effizient, wenn die Börsenpreise alle zur Verfügung stehenden Daten enthalten und somit keine objektiv relevanten Informationen unberücksichtigt bleiben.[13] Als relevant werden in diesem Sinne diejenigen Informationen bezeichnet, wenn diese in einem eindeutigen Wirkungszusammenhang mit dem Angebot und Nachfrage des Kapitals und dadurch mit den Wertpapierpreisen stehen.[14] Der Preis auf dem informationseffizienten Markt entspricht dann dem Fundamentalwert eines Vermögensgegenstandes (innerer Wert), welcher als gerechtfertigter oder fairer Preis bezeichnet wird.[15] Hinsichtlich der Informationsqualität und –menge auf einem effizienten Kapitalmarkt unternimmt Fama eine wichtige Einteilung für die empirische Anwendung seiner Theorie in drei verschiedene Gruppen.[16] Ein Markt kann dabei schwach effizient sein, indem die Informationen lediglich auf historischen Daten basieren. Damit enthält ein aktueller Aktienkurs vollständig sämtliche Informationen und lässt somit keine Prognosen zukünftiger Kursentwicklungen zu. Bei der halbstrengen Effizienz werden neben historischen Kursinformationen zusätzlich alle öffentlich zugänglichen Daten im Preis erfasst. Dies bewirkt eine sofortige Berücksichtig neu gewonnener Informationen der Unternehmen im Aktienpreis, sodass diese zu unverzögerten Kursanpassungen führen und keine risikolosen Gewinnchancen zulassen. In der dritten Form, der starken Effizienz, werden sämtliche Informationen öffentlicher oder privater Natur durch den Börsenpreis bewertet. Diese höchste Güte an Informationseffizienz impliziert, dass auch Informationen von einem bestimmten Anlegerkreis (z.B. Insiderinformationen) bereits in den Börsenpreisen enthalten sind. Da Fama in seiner Theorie von einem vollkommenen Markt ausgeht, ist die Markteffizienz bei folgenden hinreichenden Bedingungen gegeben:[17] Für Transaktionen und Beschaffung der Informationen fallen keine Kosten an, Marktteilnehmer haben homogene Erwartungen bei aktuellen und erwarteten Preisen, allen Investoren stehen relevante Informationen zur gleichen Zeit sowie in gleicher Qualität zur Verfügung und sämtliche Akteure verfügen über eine äquivalente Vorgehensweise bei der Verarbeitung dieser Informationen. Diese Annahmen werden in der Realität, so auch Fama, nicht immer zutreffend belegbar sein.[18] Da es sich um hinreichende Kriterien handelt, folgt aus der Verletzung einer dieser Annahmen nicht zwangsläufig das Vorliegen eines ineffizienten Marktes. Entscheidend für die theoretische Erklärbarkeit von auftretenden Momentumeffekten einer intertemporalen Gewinnstrategie ist, auf welcher Annahme in der EMH die Bildung zukünftiger Wertpapierpreisen beruht. Denn grundlegend wird der in Zukunft erwartete Wertpapierpreis durch die Rendite der Folgeperiode, den aktuellen Börsenpreis und den jeweiligen Informationszustand (s.o.) bestimmt.[19] In der EMH sind hingegen alle relevanten Informationen bereits im aktuellen Aktienpreis verarbeitet, sodass keine Informationen für einen zukünftigen Preis vorliegen, der nicht dem aktuellen Preis entspricht. Demzufolge hat die zukünftig erwartete Rendite den Wert null. Durch die Abbildung aller objektiv verfügbaren Informationen, insbesondere über die Kursvergangenheit, sind somit zukünftige Kursentwicklungen auf informationseffizienten Märkten vollständig unabhängig.[20]
2.2 Das CAPM als klassisches Bewertungsmodell und seine kritischen Restriktionen
Ein klassisches Bewertungsmodell von risikobehafteten Wertpapieren postulierten Sharpe [21] und Lintner [22] mit ihrem CAPM, welches zur Bestimmung erwarteter Gleichgewichtsrenditen verschiedener Vermögensanlagen in der modernen Kapitalmarktlehre das zweifellos bekannteste Modell darstellt.[23] Aufbauend auf den zentralen Annahmen der Portfoliotheorie nach Markowitz[24], wurde dessen Modelltheorie durch einen vollkommenen Kapitalmarkt mit der Existenz einer einzigen risikolosen Marktanlage erweitert. Dem CAPM nach entspricht dann die erwarte Rendite E(Ri) eines Wertpapiers oder eines Portfolios i dem Ertrag einer risikolosen Anlage Rf zuzüglich einer Überschussrendite des Marktes (auch Risikoprämie genannt), welche mit dem individuellen Risiko eines Wertpapiers βi multipliziert wird. Das wertpapierspezifische Risiko wird daher auch als systematisches bzw. nicht diversifizierbare Risiko eines Wertpapiers bezeichnet.[25] Somit setzt sich das CAPM formal wie folgt zusammen:
Durch die Berücksichtigung des als einzige Risikogröße, stellt das CAPM aus empirischer Sicht ein Einfaktorenmodell dar.[26] Aus der Konzeption des CAPM-Modells ergeben sich drei zentrale Aussagen über die Gleichgewichtsbildung von Risiko und Rendite: Am Kapitalmarkt existiert nur genau ein risikoeffizientes Marktportfolio mit einer eindeutig bestimmbaren Struktur (1). Die Rendite eines Wertpapiers wird nur über den Faktor β bestimmt (2). Zwischen der Rendite einer Aktie und seinem relativen Risiko existiert ein relatives Risiko, welches durch einen linearen Zusammenhang gekennzeichnet ist (3). Somit wird am Kapitalmarkt jede zusätzliche Einheit übernommenen Risikos durch die Marktrisikoprämie entschädigt, da der Anleger mit zunehmendem β eines Wertpapiers eine höhere Rendite verlangen wird.[27] Damit die Gleichgewichtsrenditen mit dem CAPM erklärbar sind, wird der Anleger als zentraler Marktakteur mit restriktiven Verhaltensweisen belegt.[28] Demnach maximiert ein Anleger nur den im Gleichgewicht erwarteten Nutzen des Endvermögens mit einem angenommenen Zeithorizont von genau einer Periode. Weiterhin sind Anleger im Sinne des CAPM risikoavers, sodass bei der Wahl zwischen zwei Investitionen mit dem gleichen Standardfehler das Portfolio mit der höchsten erwarteten Rendite gewählt wird. Abschließend haben die Akteure homogene Erwartungen hinsichtlich der erwarteten Rendite von Aktien und Kapitalmärkte sind friktionslos in dem Sinne, dass sowohl für die Beschaffung von Informationen noch für Transaktionen Kosten anfallen.
2.3 Anomalie durch Ablehnung der Effizienzmarkthypothese und Erweiterung des CAPM
Bis heute gibt es in der Literatur keinen einheitlichen Konsens darüber, ob Finanzmärkte tatsächlich effizient im Rahmen der EMH sind.[29] Die Herausforderung ist darin begründet, dass durch empirische Ergebnisse die systematischen Renditen offensichtlich erheblich von den theoretisch fundierten Renditen unter Annahme der gültigen EMH (somit implizit auch das CAPM) abweichen und nicht erklärt werden können.[30] Denn unter Berücksichtigung der in der Theorie gültigen Annahmen für die Existenz informationseffizienter Märkte, dürfen keine temporalen Abhängigkeiten der Aktienpriese auftreten, sodass sich keine risikojustierte und renditeträchtigen Investmentstrategien, und somit kein Momentumerfolg, einstellen können.[31] Diese Phänomene, bei denen die Rendite eines Wertpapiers von ihrem Normalwert abweicht, werden als Anomalie bezeichnet und wurden durch empirische Untersuchungen als spezifische CAPM-Anomalien beschrieben.[32] Dieses Abweichen stellt folglich eine Ablehnung der EMH dar, wobei das Abweichen der Marktrendite vom Fundamentalwert die Annahmen der halbstrengen Informationseffizient verletzt.[33] Neben der Feststellung einer offensichtlichen Renditenabweichung gilt es darüber hinaus die der Anomalie zugrunde liegenden Werttreiber zu lokalisieren.[34] So wurden in Abgrenzung verschiedener Kapitalmärkte[35] und differenzierter Kriterien für die Portfoliobildung Anomalietreiber wie dem Size-Effekt[36], der Value-Prämie[37] sowie dem Momentum-Effekt[38] als Gründe für Unregelmäßigkeiten des CAPM beobachtet. Diese empirischen Evidenzen nahmen Fama und French als Anlass, das CAPM Modell[39] um weitere Risikofaktoren zu erweitern, um die empirisch nachgewiesenen Kursanomalien auch in der Theorie erklären zu können.[40] Bei ihrer Modifikation werden Preisunterreaktionen berücksichtigt, welche auf psychologischer Ebene von bestimmten Events am Markt abhängig zu sein scheinen.[41] Das CAPM wurde somit um die Risikofaktoren des Size- als auch des Value-Effekts erweitert. Formell lautet das Dreifaktorenmodell wie folgt:
[...]
[1] In der Physik auch als Produkt aus Geschwindigkeit und Masse bekannt.
[2] Vgl. Zuchel/Weber (1999): S. 3
[3] Neben der zyklischen Momentumstrategie wurde auch die antizyklische Contrarian-Strategie beobachtet, bei der Aktien mit kleinen historischen Renditen bevorzugt werden.
[4] Vgl. Prothmann (2011): 6-11.
[5] Vgl. Jegadeesh/Titman (1993) für 12 Monate, Conrad/Kaul (1998) für 9 Monate und Griffin et al.(2003) für 6 Monate.
[6] Vgl. Levy (1968): 248ff.
[7] Vgl. Conrad/Kaul (1998), Chan et al. (2000), Jegadeesh/Titman (2002) sowie Lewellen (2002).
[8] Vgl. Schiereck/Weber (1999): 4ff.
[9] Siehe dazu grundlegend Jegadeesh/Titman (1993)
[10] Siehe Prothmann (2011):13 für eine ausführliche Übersicht empirischer Arbeiten zum Nachweis von Momentumrenditen
[11] Klassische Modelle gehen weitestgehend vom Ideal des Homo Oeconomicus aus, wonach Marktteilnehmer ausschließlich nutzen- und gewinnorientiert handeln.
[12] Vgl. Schriek (2009): 112.
[13] Vgl. Fama (1970): 383 und Murschall (2007): 13 - 15.
[14] Vgl. Murschall (2007): 13.
[15] Vgl. Fama (1970): 383.
[16] Vgl. ebenda
[17] Vgl. Beiker (1992): 7f.
[18] Vgl. Fama (1970): 387.
[19] Vgl. Holzer (2001): 17.
[20] Vgl. Neumann/Klein (1982): 165ff.
[21] Vgl. Sharpe (1964):426ff.
[22] Vgl. Lintner (1965) 13ff.
[23] Vgl. Stock (2002): 41.
[24] Vgl. Markowitz (1952): 81. Durch bestimmte Kombinationen von Wertpapieren unterschiedlichen Risikos, lässt sich das Gesamtrisiko des Portfolios reduzieren.
[25] Vgl. Stock (2002): 42.
[26] Vgl. Hanauer et al. (2011):482.
[27] Vgl. Gerke/Bank (1998): 206ff.
[28] Siehe dazu und im Folgenden: Stock (2002): 42.
[29] Vgl. Lo (1997): 6.
[30] Vgl. Lo (1997): 13.
[31] Vgl. Jensen (1978): 96.
[32] Vgl. Keim (1983): 13f sowie Kuhn (1970): 52f.
[33] Vgl. De Bondt/Thaler (1985): 796, Oertmann (1994): 229f sowie De Bondt/Thaler (1985): 796.
[34] Siehe Murschall (2007):42 – 44 sowie zu fundamentalen Anomalien Stock (2002):90ff.
[35] Siehe Rouwenhorst (1998) für internationale Studien, Menkof et al. (2012) für Währungsmärkte sowie Moskowitz/Grinblatt (1999) für industrielle Portfolios.
[36] Vgl. Banz (1981): 4
[37] Vgl. Stattmann (1980) sowie Rosenberg et al (1985). Aktien mit niedrigem Kurs-Gewinn-Verhältnis weisen höhere Renditen gegenüber dem Marktportfolio auf.
[38] Vgl. Jegadeesh/Titman (1993); siehe nochmals Kapitel 1.
[39] Siehe Kapitel 2.2.
[40] Vgl. Fama/French (1992): 450.
[41] Vgl. Fama/French (1998): 1975f.