Die verhaltensbedingte Kündigung in Deutschland im Vergleich zum griechischen Recht


Magisterarbeit, 2013

39 Seiten, Note: Magna cum laude


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungs- und Literaturverzeichnis

A. Einleitung

B. Die verhaltensbedingte Kündigung in Deutschland
1. Allgemeines
1.1. Begriffsbestimmung
1.2. Abgrenzung zu anderen Kündigungsgründen
1.2.1. Abgrenzung zur personenbedingten Kündigung
1.2.2. Abgrenzung zur außerordentlichen Kündigung
1.3. Verhaltensbedingte Kündigung und AGG
2. Struktur der verhaltensbedingten Kündigung
2.1. Vertragspflichtiges Verhalten
2.2. Negative Zukunftsprognose
2.3. Vorrang des milderen Mittels (Ultima ratio)
2.3.1. Weiterbeschäftigungsmöglichkeit
2.3.2. Abmahnung als milderes Mittel
2.3.3. Die Interessenabwägung
2.4. Darlegungs- und Beweislast
3. Übersicht über einzelne Kündigungsgründe / Fallgruppen
3.1. Alkohol
3.2. Arbeitspapiere
3.3. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
3.4. Arbeitsverweigerung
3.5. Beleidigungen
3.6. Betriebsfrieden
3.7. Denunziation
3.8. Internetnutzung
3.9. Kleidung
3.10. Konkurrenztätigkeit
3.11. Mobbing
3.12. Sexuelle Belästigung
3.13. Whistleblowing

C. Darstellung des griechischen Rechts
1. Konzept des griechischen Rechts
2. Beendigung des Arbeitsverhältnisses
2.1. Befristeter Arbeitsvertrag
2.1.1. Wichtiger Grund
2.1.2. Schadensersatzpflicht
3. Unbefristeter Arbeitsvertrag
4. Voraussetzungen einer wirksamen Kündigung
4.1. Schriftliche Kündigungserklärung
4.2. Abfindungshöhe
5. Kündigungsgründe
5.1. Wiederholtes und ungerechtfertigtes Fernbleiben
5.2. Verletzung von Treu und Glauben und Vertrauensmissbrauch
5.3. Wörtliche oder tätliche Beleidigungen
5.4. Dauernde und bewusste Arbeitsverringerung
5.5. Trunkenheit und Drogensucht

D. Rechtsvergleichung des deutschen und griechischen Rechts
1. Konzeption des Arbeitsrechts und Kündigung
2. Form
3. Sachlicher Grund und Prognoseentscheidung
4. Abfindung
5. Einzelne Kündigungsgründe
5.1. Arbeitsverweigerung
5.2. Beleidigungen und Tätlichkeiten
5.3. Treuepflichten
5.4. Trunkenheit und Drogenkonsum

E. Zusammenfassende Betrachtung

Abkürzungs- und Literaturverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

A. Einleitung

Den Gegenstand der vorliegenden Arbeit bildet der Vergleich der Beendigungstatbestände der Arbeitsverhältnisse aus persönlichen Gründen im deutschen und im griechischen Recht. Trotz der herausragenden Stellung des Kündigungsrechts innerhalb der Beendigungstatbestände, das in der Praxis den wichtigsten Beendigungsgrund von Arbeitsverhältnissen darstellt, soll ein vollständiger Überblick über sämtliche zur Beendigung von Arbeitsverhältnissen möglichen Alternativen gegeben werden.

Dabei wird zuerst ein systematischer Überblick über die jeweiligen Regelungen in den beiden Staaten erarbeitet. Erst danach wird im Kapitel III eine rechtsvergleichende Betrachtung vorgenommen. Dieser Aufbau ist aufgrund der Komplexität der Materie einer sofortigen vergleichenden Betrachtung vorzuziehen. Hinsichtlich des Beendigungsrechts aus persönlichen Gründen ergeben sich erhebliche systematische Unterschiede zwischen beiden Ländern. Die Grundlage des Vergleichs im dritten Teil der Arbeit bildet daher die deutsche Systematik, anhand derer die Besonderheiten des griechischen Beendigungsrechts dargestellt werden sollen. Dies soll dem Leser einen verständlichen Vergleich ermöglichen.

Die Arbeit möchte durch die Darlegung der systematischen Unterschiede und ihrer praktischen Folgen Denkanstöße für ein besseres Verständnis des eigenen Rechts geben. Nur durch Einblicke in fremde Rechtsordnungen kann man für die eigene Rechtsordnung bessere Entwicklungsmöglichkeiten erschließen. Das Recht der Beendigung der Arbeitsvertragsverhältnisse aus persönlichen Gründen eignet sich für einen Vergleich zum einen aufgrund einer gewissen Ähnlichkeit, was die Schutzintensität angeht, und zum anderen aufgrund eines ähnlichen Wirtschaftssystems mit einem vergleichbaren wirtschaftlichen Standard in beiden Ländern. Ein umfassender Rechtsvergleich kann aufgrund der sachlichen Fülle dabei jedoch nicht vorgenommen werden. Das Ziel der Arbeit besteht vielmehr darin, eine umfassende Darstellung des Rechts zur Beendigung von Arbeitsverhältnissen aus persönlichen Gründen in beiden Ländern zu geben und dessen grundlegende Konzeptionen miteinander zu vergleichen.

B. Die verhaltensbedingte Kündigung in Deutschland

1. Allgemeines

1.1. Begriffsbestimmung

Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ist die Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch Gründe bedingt ist, die in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Damit anerkennt das Gesetz verhaltensbedingte Kündigungsgründe, definiert sie jedoch nicht näher. Kennzeichnend für die verhaltensbedingte Kündigung ist ein vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers, auf das der Arbeitgeber mit der Kündigung reagiert.[1]

1.2. Abgrenzung zu anderen Kündigungsgründen

1.2.1. Abgrenzung zur personenbedingten Kündigung

Damit wird eine Trennungslinie zwischen personen- und verhaltensbedingten Kündigungsgründen gezogen: Hat der Arbeitnehmer vorwerfbar gegen Pflichten aus dem Arbeitsvertrag verstoßen, dann kommt eine verhaltensbedingte Kündigung in Betracht. Liegt keine vorwerfbare Verletzung von Haupt- und Nebenpflichten aus dem Arbeitsvertrag vor, so ist nur eine personenbedingte Kündigung des Arbeitnehmers möglich.[2]

Im Übrigen ist die Abgrenzung zwischen personen- und verhaltensbedingter Kündigung für die materielle Rechtfertigung einer Kündigung ohne größere Bedeutung. Allerdings ist es für die Frage der Erforderlichkeit einer Abmahnung erheblich, ob personen- oder verhaltensbedingte Kündigungsgründe vorliegen. Denn die Erforderlichkeit einer erfolglosen Abmahnung vor Ausspruch der Kündigung hängt davon ab, nicht jedoch von anderen Kriterien. Insbesondere bei der Interessenabwägung gibt es aber zwischen der personen- und verhaltensbedingten Kündigung keine grundsätzlichen Unterschiede. So ist z.B. die Verursachung und Vorwerfbarkeit des Kündigungsgrundes zwar ein wichtiger Umstand bei der Interessenabwägung, der jedoch sowohl bei der verhaltens- als auch bei der personenbedingten Kündigung zu berücksichtigen ist, mag er auch bei der verhaltensbedingten Kündigung von größerem Gewicht sein. Gegenüber der verhaltensbedingten Kündigung, die an ein konkretes vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers anknüpft, stellt die personenbedingte Kündigung folglich einen Auffangtatbestand für Sachverhalte dar, bei denen eine betriebs- oder verhaltensbedingte Kündigung nicht möglich ist.[3]

1.2.2. Abgrenzung zur außerordentlichen Kündigung

Im Unterschied zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund müssen nach § 626 I BGB die verhaltensbedingten Gründe nicht so schwerwiegend sein, dass sie für den Arbeitgeber die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ende der Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses begründen. Erforderlich ist ein Verhalten des Arbeitnehmers, durch das eine Vertragspflicht erheblich – i.d.R. schuldhaft – verletzt und das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt wird, eine zumutbare Möglichkeit einer anderen Beschäftigung nicht besteht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien billigenswert und angemessen erscheint.[4] Ob im Einzelfall eine außerordentliche oder eine ordentliche Kündigung berechtigt ist, kann nur auf Grund einer umfassenden Interessenabwägung entschieden werden.[5]

1.3. Verhaltensbedingte Kündigung und AGG

Kündigungen, die gegen ein nach den Richtlinien verpöntes Merkmal verstoßen, sind unwirksam. Bei personen- und verhaltensbedingten Kündigungen wird es sich allerdings in der Regel um Einzelfälle handeln. Es wird für den Arbeitnehmer in der Praxis deshalb schwierig sein, den Zusammenhang der Kündigung mit einem verpönten Merkmal herzustellen, insbesondere vergleichbare Fälle aufzuführen, in denen der Arbeitgeber andere Arbeitnehmer ohne das verpönte Merkmal besser behandelt hat. Ein mögliches Indiz für eine Benachteiligung wäre z.B. der Vortrag, Deutsche, Frauen oder ältere Arbeitnehmer, die zu spät kommen, seien allenfalls abgemahnt worden. Bestehen solche verpönten Motive, dann ist die Kündigung nach § 242 BGB unwirksam, wenn sie den tragenden Beweggrund bilden. Im Übrigen wird man im Zuge der Interessenabwägung, die bei personen- oder verhaltensbedingten Kündigungen erforderlich ist, zu dem Ergebnis kommen, dass eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist, wenn der Arbeitgeber vergleichbare Arbeitnehmer bei vergleichbaren Kündigungsgründen weiterbeschäftigt.[6] Im Rahmen der abgestuften Darlegungslast sind die Erfordernisse der Richtlinien im Rahmen der europarechtskonformen Auslegung zu berücksichtigen. Soweit der Arbeitnehmer Tatsachen glaubhaft macht, die eine Diskriminierung überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen, obliegt es dem Arbeitgeber, zu beweisen, dass keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegen hat. Erforderlich ist deshalb der Vortrag einer Differenzierung. Nicht ausreichend ist in der Regel das alleinige Vorhandensein eines verpönten Merkmals bei der gekündigten Person. Hinzukommen können beispielsweise Äußerungen des Arbeitgebers, seines Repräsentanten oder eines anderen Entscheidungsträgers sowie die Behandlung von gleich gelagerten Kündigungssachverhalten in der Vergangenheit bei Mitarbeitern, die kein verpöntes Differenzierungskriterium aufweisen.

2. Struktur der verhaltensbedingten Kündigung

Die verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn Umstände im Verhalten des Arbeitnehmers vorliegen, die bei verständiger Würdigung unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der Vertragsparteien die Kündigung als billigenswert und angemessen erscheinen lassen. Diese Prüfung der Sozialwidrigkeit erfolgt regelmäßig in vier Stufen. Auf der ersten Stufe ist ein vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers festzustellen. Wie bei der fristlosen Kündigung ist zunächst zu prüfen, ob das Verhalten des Arbeitnehmers „an sich geeignet“ ist, eine ordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Auf der zweiten Stufe ist es erforderlich, dass das vertragswidrige Verhalten zu einer konkreten Störung des Arbeitsverhältnisses geführt hat. Entscheidend ist, ob auf der Grundlage des Prognoseprinzips auch in Zukunft eine Störung, also künftige Vertragsverstöße, zu befürchten sind. Auf der dritten Stufe ist im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu prüfen, ob die Störung nicht durch ein milderes Mittel beseitigt werden kann, insbesondere durch eine Umsetzung des Arbeitnehmers. Auf der vierten Stufe ist eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen. Unabhängig davon, wie schwerwiegend ein Pflichtverstoß ist, bedarf es stets der Feststellung, ob unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalles das Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses dasjenige des Arbeitnehmers an seiner Fortsetzung überwiegt. Gedanklich muss deshalb immer folgendes Prüfschema durchlaufen werden:

- Vertragsverletzung des Arbeitnehmers
- Negative Prognose / Erforderlichkeit einer Abmahnung
- Mildere Mittel
- Interessenabwägung.

2.1. Vertragspflichtiges Verhalten

Erforderlich ist zunächst das Vorliegen eines vertragswidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers. Dies setzt voraus, dass eine bestimmte Verhaltenspflicht besteht, die durch den Arbeitnehmer verletzt worden ist. Dabei muss es sich nicht notwendig um eine Verletzung der Hauptleistungspflicht handeln. Auch die Verletzung einer Nebenpflicht ist kündigungsrelevant. Der Kündigungsgrund kann deshalb grundsätzlich die Verletzung jeder vertraglichen Pflicht sein, die der Arbeitnehmer zu erfüllen hat. Dabei können die Pflichtverletzungen verschiedenen Kategorien zugeordnet werden, nämlich dem Leistungsbereich (z.B. Schlecht- und Fehlleistungen), der betrieblichen Ordnung (z.B. Alkoholverbot), dem Vertrauensbereich (z.B. Diebstahl), sowie den Nebenpflichten (z.B. Anzeige- und Nachweispflichten bei Krankheit). Allerdings ist mit dieser Einteilung letztlich nichts gewonnen. Entscheidend ist allein der Verstoß gegen eine dem Arbeitnehmer obliegende Haupt- oder Nebenpflicht.

Die Pflichtverletzung muss eine arbeitsvertragliche Pflicht betreffen. Kündigungsrelevant ist nur der Inhalt des bestehenden Arbeitsverhältnisses. Dieses Erfordernis grenzt die relevante Pflichtverletzung von Pflichtverletzungen im Privatleben ab. Das vertraglich nicht erfasste Privatleben des Arbeitnehmers ist damit kündigungsrechtlich irrelevant. Selbst Straftaten im Privatbereich rechtfertigen grundsätzlich keine verhaltensbedingte Kündigung. Es ist aber möglich, dass die im Privatbereich begangene Straftat zugleich vertragsrelevant ist, etwa bei privaten Betrugsdelikten eines Kassierers oder im Bereich des öffentlichen Dienstes, soweit hoheitliche Aufgaben wahrgenommen werden. Zwingend ist dies jedoch nicht.

Das vertragswidrige Verhalten des Arbeitnehmers muss objektiv vorliegen. Bloße subjektive Einschätzungen des Arbeitgebers rechtfertigen die verhaltensbedingte Kündigung nicht. Erforderlich ist das Vorliegen objektiver Umstände, die einen ruhig und verständig urteilenden Arbeitgeber zur ordentlichen Kündigung veranlassen können. Dabei bedarf schon die Ermittlung des entsprechenden Pflichtverstoßes einer sorgfältigen Analyse. Denn ein Pflichtverstoß ist nur bei bestehender Verhaltenspflicht denkbar. Bereits an dieser Stelle scheitert eine Vielzahl verhaltensbedingter Kündigungen, weil der bestehende Pflichtenkreis des Arbeitnehmers nicht verbindlich festgelegt worden ist. Aber selbst bei einer existierenden verbindlichen Festlegung eines solchen Pflichtenkreises muss die bestehende Pflicht durchsetzbar sein. Dies gilt insbesondere für die dem Arbeitnehmer obliegende Arbeitspflicht. Entspricht die Zuweisung der Tätigkeit auf der Grundlage des Arbeitsvertrages nicht billigem Ermessen gem. § 106 GewO, § 315 BGB, dann fehlt es bereits an der Arbeitspflicht. Dabei sind auch religiöse Überzeugungen zu berücksichtigen.[7] Die Arbeitspflicht besteht auch dann nicht, wenn der Arbeitgeber Arbeit unter Verstoß gegen die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates anordnet, z.B. unzulässige Mehrarbeit. Zu beachten sind ebenso vom Arbeitnehmer rechtmäßig ausgeübte Zurückbehaltungs- oder bestehende Leistungs-verweigerungsrechte.

Ob die verhaltensbedingte Kündigung stets ein Verschulden des Arbeitnehmers voraussetzt, ist umstritten. Nach der ständigen Recht-sprechung des BAG[8] setzt eine verhaltensbedingte Kündigung regelmäßig, aber nicht stets ein Verschulden des Arbeitnehmers voraus. Der Grad des Verschuldens sei nur im Rahmen der Interessenabwägung zu prüfen. Dort handele es sich um ein wichtiges, oft um das wichtigste Kriterium. Deshalb könne die verhaltensbedingte Kündigung regelmäßig nur dann gerechtfertigt sein, wenn der Gekündigte nicht nur objektiv und rechtswidrig, sondern auch schuldhaft seine Pflichten aus dem Arbeitsvertrag verletzt habe. Dem ist zuzustimmen. Allerdings ist es nicht erforderlich, dass der Arbeitnehmer vorsätzlich gegen die Vertragspflichten verstößt. Ausreichend ist eine fahrlässige Pflichtverletzung, d.h. wenn der Arbeitnehmer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Es sind jedoch Ausnahmefälle denkbar, bei denen es auf ein Verschulden nicht ankommt. Dies ist möglich, wenn die betriebliche Ordnung so nachhaltig gestört wird, dass dem Arbeitgeber die Fortdauer des Zustandes selbst dann nicht zuzumuten ist, wenn die Vertragspflichtverletzung nicht vorwerfbar ist. Entsprechendes gilt, wenn aufgrund objektiver Umstände mit Wiederholungen zu rechnen ist.

Problematisch sind Irrtümer von Seiten des Arbeitnehmers. Es ist möglich, dass der Arbeitnehmer sein Verhalten infolge eines Rechtsirrtums für gerechtfertigt oder für erlaubt gehalten hat. Der systematische Ansatzpunkt der Prüfung ist nicht die Interessenabwägung, sondern der Tatbestand der Pflichtverletzung. Denn der Rechtsirrtum schließt als sog. Verbotsirrtum vorsätzliches Handeln aus. Allerdings hat der Verbotsirrtum regelmäßig keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der verhaltensbedingten Kündigung, weil das Verschulden nicht ausgeschlossen wird. Dies gilt insbesondere in den Fällen, bei denen der Arbeitnehmer auf eine eigene Rechtsauffassung vertraut, ohne sich zu orientieren. Hier handelt der Arbeitnehmer auf eigene Gefahr. Nichts anderes gilt, wenn er trotz eindeutiger Rechtslage einer unrichtigen Auskunft einer geeigneten Stelle vertraut. Ein relevanter Rechtsirrtum ist letztlich nur in den Fällen möglich, in denen eine schwierige ungeklärte Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung betroffen ist und der Arbeitnehmer die Rechtsfrage sorgfältig geprüft hat.[9]

2.2. Negative Zukunftsprognose

Die verhaltensbedingte Kündigung ist zukunftsbezogen ausgerichtet. Die Vertragsverletzung kommt deshalb nur dann als Kündigungsgrund in Betracht, wenn daraus geschlossen werden kann, dass auch künftige Vertragspflichtverletzungen des Arbeitnehmers zu erwarten sind. Auch die verhaltensbedingte Kündigung unterliegt damit einer zukunftsbezogenen Prognose. Diese Prognose findet ihre tatsächliche Grundlage allerdings in den Ereignissen der Vergangenheit. Die Gefahr einer Wiederholung besteht insbesondere dann, wenn der Arbeitnehmer entweder eine besonders schwere Pflichtverletzung begangen hat, von der ihm klar sein musste, dass sein Vertragspartner sie nicht dulden würde, oder wenn er seine an sich leichteren Pflichtverletzungen trotz einschlägiger Abmahnung wiederholt. Die Grundlagen der Prognose bilden daher namentlich die Beharrlichkeit des pflichtwidrigen Verhaltens und das Maß des Verschuldens.[10]

Die negative Prognose liegt vor, wenn die Vertragsstörung so geartet war, dass daraus geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde auch zukünftig seine Vertragspflichten nicht ordnungsgemäß erfüllen.

Liegt kein gravierender Verstoß vor, so ist die negative Prognose i.d.R. dann gegeben, wenn der Arbeitnehmer nach einer Abmahnung den Vertrag in gleicher oder ähnlicher Art erneut verletzt hat. Hat eine Störung allein den an sich zu fordernden Vertragsbindungswillen des Arbeitgebers für die Dauer der ordentlichen Bindungszeit noch nicht zerstört oder lässt sich aus der Art einer Störung noch nicht darauf schließen, dass in Zukunft weitere Störungen erfolgen werden, so kann auf eine negative Entwicklung des Arbeitsverhältnisses aus wiederholten Vertragsverletzungen geschlossen werden.[11]

2.3. Vorrang des milderen Mittels (Ultima ratio)

Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss eine Kündigung geeignet sein, das angestrebte Ziel zu erreichen, und sie darf nicht unverhältnismäßig sein. Auch die verhaltensbedingte Kündigung kommt deshalb nur als ultima ratio in Betracht. Sie ist erst dann gerechtfertigt, wenn sie nicht durch andere mögliche und geeignete mildere Mittel vermieden werden kann. Entscheidend dafür sind die Ursache des Fehlverhaltens, die Schwere des Pflichtverstoßes sowie das zu erwartende künftige Verhalten.

2.3.1. Weiterbeschäftigungsmöglichkeit

Als milderes Mittel zur Vermeidung der verhaltensbedingten Kündigung kommt typischerweise die Versetzung des Arbeitnehmers in Betracht, d.h. seine Weiterbeschäftigung an einem anderen Arbeitsplatz, ggf. auch zu veränderten Arbeitsbedingungen. Diese Möglichkeit besteht allerdings nur, wenn der Arbeitnehmer aufgrund seiner Fähigkeiten in der Lage ist, diesen anderen Arbeitsplatz zu besetzen. Fehlt ihm hierfür die erforderliche Qualifikation, so ist die mögliche Versetzung kein geeignetes milderes Mittel. Inhaltlich ist es erforderlich, dass es sich um einen gleich- oder geringerwertigen Arbeitsplatz handelt. Der Arbeitnehmer hat auch bei einem Fehlverhalten keinen Anspruch auf Beförderung und Weiterbeschäftigung an einem höherwertigen Arbeitsplatz. Denn das Arbeitsverhältnis wird nur mit seinem bisherigen Bestand geschützt. Des Weiteren kommt die Weiterbeschäftigung nur dann in Betracht, wenn der andere Arbeitsplatz tatsächlich frei ist. Der Arbeitgeber ist also wie bei der betriebsbedingten Kündigung nicht dazu verpflichtet, einen neuen Arbeitsplatz zu schaffen oder freizumachen, um die Kündigung zu vermeiden. Die Pflicht zur Weiter-beschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz ist unternehmensbezogen. Zu beachten ist allerdings, dass die Weiterbeschäftigung an einem anderen, freien Arbeitsplatz auch geeignet sein muss, die Kündigung zu vermeiden. Dies ist nur dann möglich, wenn sich das Fehlverhalten des Arbeitnehmers an dem anderen Arbeitsplatz nicht mehr auswirkt. In Betracht kommt die anderweitige Weiterbeschäftigung deshalb nur bei Pflichtverletzungen, die gerade mit der besonderen Situation des innegehabten Arbeitsplatzes zusammenhängen, also z.B. bei arbeitsplatzbezogenen Schlechtleistungen.

Die Pflicht zur Weiterbeschäftigung an einem freien Arbeitsplatz trifft den Arbeitgeber hingegen nicht, wenn die Weiterbeschäftigung erst nach einer Umschulung oder Fortbildung möglich ist. Denn im Falle der verhaltensbedingten Kündigung ist es dem Arbeitgeber nicht zumutbar, den Arbeitnehmer weiter zu qualifizieren, nur um dessen Kündigung zu vermeiden.

Sofern die Weiterbeschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz zu geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist, hat der Arbeitgeber ggf. eine Änderungskündigung in Betracht zu ziehen. Auch hier ist insbesondere darauf zu achten, dass die Weiterbeschäftigung geeignet sein muss, die Kündigung zu vermeiden.

2.3.2. Abmahnung als milderes Mittel

Die verhaltensbedingte Kündigung setzt damit regelmäßig eine vorherige Abmahnung voraus. Hat der Arbeitgeber ordnungsgemäß abgemahnt und verletzt der Arbeitnehmer erneut vergleichbare Pflichten, so kann regelmäßig davon ausgegangen werden, dass es auch zukünftig zu weiteren Pflichtverletzungen kommen wird. Die Abmahnung ist zudem als milderes Mittel aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes einer Kündigung vorzuziehen, wenn durch ihren Ausspruch das Ziel der ordnungsgemäßen Vertragserfüllung erreicht werden kann.[12]

Inhalt der Abmahnung: Soll eine Abmahnung eine etwaige spätere verhaltensbedingte Kündigung vorbereiten, so muss sie inhaltlich strengen Anforderungen entsprechen. In der Praxis werden hier häufig Fehler gemacht, die oft erst im Rahmen des Kündigungsschutzverfahrens zutage treten.

[...]


[1] Ulrich in: Moll, Arbeitsrecht | § 43 Ordentliche Kündigung Rn. 299 - 445 | 3. Aufl. 201

[2] BAG 10. 10. 2002 AP

[3] Ascheid/Preis/Schmidt KSchG § 1 Rn. 266 | 4. Aufl. 2012

[4] BAG 10. 9. 2009AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 60= NZA 2010, 220; BAG 10. 12. 2009AP GG Art. 4 Nr. 7= NZA-RR 2010, 383; BAG 28. 1. 2010NZA-RR 2010, 461 = DB 2010, 1709

[5] KR/Griebeling Rn. 409ff.; HK-KSchG/Dorndorf Rn. 705ff.; KDZ/Däubler Rn. 245ff.; SchieferDB 2000, 669ff.; TschöpeBB 2002, 778ff.

[6] Hamacher/Ulrich NZA 2007, 657; ähnlich Bayreuther DB 2006, 1842, 1844; im Ergebnis wohl auch Löwisch BB 2006, 2189, 2190.

[7] BAG NZA 2011, 1087.

[8] Vgl. BAG NZA 2010, 277; BAG NZA 2008, 689; BAG NZA 2008, 693.

[9] BAG v. 13. 6. 2002 – AP § 615 BGB Nr. 97; LAG Berlin v. 8. 12. 1993 – LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 42; LAG Düsseldorf v. 25. 1. 1993 – LAGE § 626 BGB Nr. 70; A/P/S/Dörner/Vossen § 1 KSchG Rdnr. 277; KDZ/Däubler § 1 KSchG Rdnr. 203.

[10] Rolfs in BeckOK KSchG § 1 3. | Ed. 26 - Dezember 2012.

[11] Oetker im Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht | KSchG § 1 Rn. 198 | 13. Auflage 2013.

[12] BAG 23.06.2009 - 2 AZR 283/08 | KSchG § 1

Ende der Leseprobe aus 39 Seiten

Details

Titel
Die verhaltensbedingte Kündigung in Deutschland im Vergleich zum griechischen Recht
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Note
Magna cum laude
Autor
Jahr
2013
Seiten
39
Katalognummer
V311921
ISBN (eBook)
9783668108462
ISBN (Buch)
9783668108479
Dateigröße
695 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Arbeitsrecht, Kündigung, verhaltnesbedingte Kündigung, Rechtsvergleichung, Griechenland
Arbeit zitieren
Alexia Stratou (Autor:in), 2013, Die verhaltensbedingte Kündigung in Deutschland im Vergleich zum griechischen Recht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/311921

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