Bei der Einschätzung von Rolle und Bedeutung Immanuel Kants in Geschichte, vor allem aber auch Gegenwart der Pädagogik, ergibt sich zunächst ein sehr widersprüchliches Bild.
Auf der einen Seite hört man Stimmen, die die Gruppe der pädagogischen Denker, die sich heute intensiv mit Kant auseinandersetzen, als einen „verlorenen Haufen“ einschätzen und deren Appelle zur „Moralisierung“ der Erziehung für nicht mehr zeitgemäß halten. Aber da sind auch Stimmen, die gleichsam von einem „konjunkturellen Aufschwung der Moral“ in der Gegenwart sprechen. Sie glauben, dass eine „ethische Wendung in der Pädagogik“ ausmachbar ist, die sich nur im “positivistischen Gewand der Werterziehung“ verberge.
Und da ist noch der in aller Munde geführte Begriff vom „mündigen Bürger“, den wir dem „pädagogischen Jahrhundert der Aufklärung“ und Immanuel Kant im Besonderen verdanken, und der, spätestens seit den – eines blinden Konservatismusses durchaus unverdächtigen – 68-ziger Jahren, gleichsam als „kleinster gemeinsamer Nenner“ demokratischer Erziehungs- und Bildungsziele etabliert ist.
„Sapere aude! Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ So fordert Immanuel Kant die Menschen auf, aus ihrer „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ herauszutreten und ihr Schicksal selbst zu bestimmen. Dieses „Programm“ hat auch Anziehungskraft in Zeiten, in denen man ein „anything goes“ nicht mehr unbedingt auf die „Vervollkommnung der Menschheit“ bezieht, nicht verloren.
Dies scheinen Gründe genug, im Rahmen der vorliegenden Hausarbeit Kants explizit pädagogische Aussagen einmal genauer zu betrachten und sie vor dem Hintergrund seiner Philosophie nachzuzeichnen. Die erkenntnisleitende Fragestellung wird die nach der Aktualität kantianischer Positionen im heutigen pädagogischen „Geschäft“ und Diskurs sein.
Dabei wird versucht, Kant auf der Ebene seines „radikalen Grundlegungsdenkens“ zu begegnen, d. h. prinzipielle pädagogische Problemlagen und deren prinzipielle Lösungsansätze zu beschreiben und weniger auf konkret methodisches „Alltagsgeschäft“ einzugehen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Theoretische Probleme der Pädagogik
- Anthropologische Prämissen
- Wissenschaftstheoretischer Aspekt
- Der Erziehungsbegriff oder der Charakter
- Sinn und Zweck der Erziehung
- Formen der Erziehung oder eine „Chronologie der Erziehung“
- Wartung / Versorgung/ Disziplinierung
- Kultivierung / Zivilisierung
- Moralisierung
- Gegenstände der Erziehung oder „Dualismus der Erziehung“
- Physische Erziehung
- Praktische Erziehung
- Prinzipien der Erziehung
- Der Bildungsbegriff oder die Gemütskräfte als „Bausteine“ der Charakter-bildung
- Die allgemeine Kultur der Gemütskräfte
- Besondere Kultur der Gemütskräfte
- Prinzipien der Kultur der Gemütskräfte
- Freiheitsantinomie und das Problem der Normativität
- Zusammenfassung und Fazit
- Literatur
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Hausarbeit analysiert Kants pädagogisches Denken und untersucht dessen Aktualität im heutigen pädagogischen Diskurs. Der Fokus liegt auf Kants "radikalem Grundlegungsdenken", also auf grundlegenden pädagogischen Problemlagen und Lösungsansätzen, weniger auf konkreten methodischen Aspekten.
- Kants Anthropologie und deren Einfluss auf seine pädagogische Theorie
- Die Bedeutung von Freiheit und Eigenverantwortung für die Erziehung
- Kants Verständnis von Charakterbildung und der Rolle der Gemütskräfte
- Das Verhältnis von Erziehung und Bildung in Kants Werk
- Kants ethische Perspektive auf die pädagogische Praxis
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Problematik des pädagogischen Denkens Kants ein und erläutert die Fragestellung der Arbeit. Kapitel 2 befasst sich mit den theoretischen Problemen der Pädagogik, insbesondere mit den anthropologischen Prämissen und dem wissenschaftstheoretischen Aspekt. Kapitel 3 untersucht den Erziehungsbegriff und beleuchtet die verschiedenen Formen und Gegenstände der Erziehung. Kapitel 4 behandelt den Bildungsbegriff und die Bedeutung der Gemütskräfte für die Charakterbildung. Kapitel 5 analysiert die Freiheitsantinomie und die Problematik der Normativität in Kants Pädagogik.
Schlüsselwörter
Die wichtigsten Schlüsselwörter und Themenschwerpunkte der Arbeit sind: Immanuel Kant, Pädagogik, Anthropologie, Erziehung, Bildung, Charakter, Freiheit, Eigenverantwortung, Moral, Gemütskräfte, Normativität.
- Quote paper
- Joachim Klenk (Author), 2004, Problemgeschichtliche Analyse der Vorlesung über Pädagogik von Immanuel Kant (1777), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/31204