Telenovelas als Leitmedium der brasilianischen Gesellschaft? Diskursanalyse zu Homosexualität in den Tageszeitungen "O Globo" und "Folha de São Paulo"


Bachelorarbeit, 2014

62 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abstract

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Problemstellung und Zielsetzung
1.2 Stand der Forschung
1.3 Aufbau der Arbeit

2 Der Fluss der Diskursforschung durch die Zeit
2.1 Foucaults Diskurstheorie
2.2 Siegfried Jägers kritische Diskursanalyse

3 Diskursanalyse
3.1 Angewandte kritische Diskursanalyse
3.2 Diskurs und Macht
3.3 Mediendiskurs
3.4 Entstehung und Entwicklung von Leitmedien

4 Das Fernsehen und Telenovelas als Leitmedium in Brasilien
4.1 Der Medienkonzern Grupo Globo
4.2 Herkunft und Geschichte der Telenovela
4.3 Umgang mit Homosexualität in Telenovelas
4.4 Handlung der Telenovela Amor à Vida
4.5 Auswahl der Methode
4.6 Schlüsselszenenanalyse
4.6.1 Felix´ ungewolltes Outing vor der Familie
4.6.2 Die Beziehung von Niko und Felix
4.6.3 Der erste homosexuelle Kuss

5 Diskursanalyse der brasilianischen Presse im Bezug auf Homosexualität
5.1 Die brasilianische Presse
5.1.1 Tageszeitung O Globo
5.1.2. Tageszeitung Folha de S ã o Paulo
5.2 Methodische Vorgehensweise
5.3 Der Umgang mit der Homosexualität in der brasilianischen Presse
5.4 Diskursanalyse O Globo
5.5 Diskursanalyse Folha de S ã o Paulo
5.6 Zwischenfazit

6 Auswertung und Zusammenfassung der Ergebnisse

7 Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang

Abstract

O seguinte trabalho mostra que a Telenovela da Rede Globo é um meio de comunicação guia para a sociedade brasileira e que ela tem o poder de implementar discursos controversos. Este trabalho tem como base teórica a kritische Diskursanalyse do linguista alemão Siegfried Jäger. Seu trabalho analisa discursos relevantes da sociedade com um método em base da teo- ria do filósofo francês Michel Foucault. A presente monografia delimita-se na Telenovela da Globo - Amor à Vida, particularmente no aspecto do casal gay representado. A interpretação dos carateis homosexuais basea-se numa análises de cenas escolhidas da novela. A Rede Globo representa os homosexuais em parte ainda esterotipizados mas eles ganharam em mui- tos sentidos o direito da naturalidade. Além disso, o trabalho contem uma análises de artigos dos jornais O Globo e Folha de S ã o Paulo. Foram escolhidos dez artigos representativos que são analisados com o método da kritische Diskursanalyse. Os resultados são comparados com a representação da homosexualidade nos dois jornais e além disso, com a descrição na novela. Finalmente, essa monografia mostra o poder da emissora Rede Globo com o seu formato tele- visivo da Telenovela no Brasil.

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Am 31. Januar 2014 stand ab 21 Uhr für eine ganze Stunde in Brasilien alles still. In Rio de Janeiro prägten ungewohnt leere Straßen das Stadtbild. Dafür flimmerten allerorts die Fern- sehbildschirme, in der wohlhabenden Südzone der Stadt wie auch auf den nahe gelegenen morros1 , wo sich die Favelas2 befinden. Allerorts saß die Bevölkerung vor dem Bildschirm. Dieses Spektakel spielte sich nicht etwa ab, weil Brasilien in das Endspiel der Fußballwelt- meisterschaft gelangt war. Stattdessen stand das seit acht Monaten ersehnte Finale der Te- lenovela Amor à Vida an . Schon Wochen zuvor wurde in der Presse angekündigt, dass es den ersten Homosexuellenkuss in der Geschichte des brasilianischen Fernsehens geben wird und somit wollte die komplette Bevölkerung diesen historischen Moment, wie er am Tag darauf in den Zeitungen betitelt wurde, miterleben.

Am Tag nach der Ausstrahlung der neuen Folge wurde in verschiedenen Kontexten darüber gesprochen und diskutiert, was am Abend zuvor im Leben der fiktiven Charaktere passiert war. Am Zeitungskiosk titelten die Zeitungen des Landes über die aktuelle Telenovela und diese Präsenz der Telenovelas in den Zeitungen spiegelt den hohen Stellenwert solcher Fern- sehsendungen in der brasilianischen Gesellschaft wider. Demnach soll in der nachfolgenden Bachelorarbeit analysiert werden, inwieweit die Telenovela die Aufgabe als Leitmedium der brasilianischen Bevölkerung übernimmt und welche Reichweite die Präsenz der Telenovela in der brasilianischen Presse hat.

1.1 Problemstellung und Zielsetzung

Brasiliens Bevölkerung besteht zu 73 % aus Katholiken, damit ist Brasilien weltweit das Land mit dem größten Anteil an katholischen Gläubigen. Auf Grund der starken Präsenz des Glau- bens pflegen die Menschen sehr konservative Ansichten, die sich mit denen der Kirche über- schneiden. Somit führt das Thema Homosexualität in der brasilianischen Gesellschaft immer noch zu Kontroversen und eine öffentliche Diskussion dazu ist oft nicht möglich (vgl. Nogu- eira 2013: 53).

Die Medien, besonders das Fernsehen, nehmen eine wichtige Rolle in der brasilianischen Ge- sellschaft ein. Die brasilianische Bevölkerung schaut im Durchschnitt täglich 3,8 Stunden Fernsehen pro Kopf. Damit gehören sie zu den Ländern mit dem größten Fernsehkonsum weltweit (vgl. Camargos Becker 2013: 65). Das Instituto Brasileiro de Geografía e Estatística (IBGE) hat herausgefunden, dass 95,7 % der Haushalte einen Fernseher besitzen (vgl. Camar- go Becker 2013: 65). Sogar in den Tiefen des Amazonasgebietes, wo es vielerorts keinen Stromanschluss gibt, haben die Bewohner batteriebetriebene Fernsehapparate (vgl. Hilde- brandt 2012: 35). Besonders in einem Land mit einer hohen Analphabetenrate wie Brasilien (vgl. Klagsbrunn 1987: 58) hat das Fernsehen als Medium eine besondere Leitfunktion. 90 % der Fernsehzuschauer in Brasilien erhalten ihre Informationen nur durch zwei Fernsehanstal- ten und die größte davon ist TV Globo. Mit einer Reichweite von 99,84 % kann fast ganz Bra- silien TV Globo empfangen (ebd.).3 Und hier liegt auch die Chance, die im Medium Fernse- hen mit seinem Format der Telenovela als Informationsvermittler in Brasilien gesehen werden kann. In einem Land, in dem viele Menschen aus finanziellen Gründen nicht die Möglichkeit auf gute Bildung und auch keinen Zugang zu kulturellen Angeboten haben, prägt die Kirche das Denken, die Moral und die Ideale der Menschen. Nur eine Institution hat in Brasilien mehr Macht als die Kirche, die Rede Globo mit ihren Telenovelas. 80 % der Brasilianer halten die Rede Globo für die größte Macht des Landes. Bei Umfragen befand die Mehrheit deren Macht sogar für größer als die der Kirche und der Präsidentin (vgl. Hildebrandt 2013: 19). Somit haben die Macher der Telenovela durch die Reichweite des Fernsehens die Möglich- keit, kritische Themen zu diskutieren und eine große Mehrheit des Landes zu erreichen. Sie können moderne Moralvorstellungen vermitteln und den Horizont der Zuschauer erweitern. Außerdem regen sie durch ihre kontroversen Themen den gesellschaftlichen Diskurs an. Ein weiterer Aspekt ist die Agenda-Setting-Funktion von Medien, deswegen ist nicht nur der Ein- fluss der Telenovela auf das Denken der Menschen ein Aspekt, sondern auch der Einfluss der Telenovelas und ihrer Diskurse auf die Presse des Landes (vgl. Beckert et al. 2013: 52).

Bezugnehmend auf diese Problemstellung wird dieser Bachelorarbeit folgende Forschungs- frage zugrunde gelegt: Welchen Einfluss und welche Macht übt das Medium Fernsehen mit dem Format Telenovela auf aktuelle Diskurse aus und stellt die Telenovela somit ein Leitme- dium dar? Am Beispiel des Diskurses Homosexualität in den brasilianischen Medien soll ana- lysiert werden, wie mit dem Thema umgegangen wird und ob die Telenovela als Medienfor- mat in der Lage ist, neue Denkanstöße in Brasilien zu geben. Außerdem soll analysiert wer- den, ob und wenn wie die Inhalte der Telenovela die Printmedien des Landes beeinflussen.

1.2 Stand der Forschung

Zum Thema Leitmedien gibt es nur wenig Literatur. Die Forschungsgruppe um Daniel Müller hat sich besonders mit dem Thema Leitmedien unter den Aspekten: Konzepte, Relevanz und Geschichte befasst. Der Fokus liegt bei der Begriffsbestimmung und der Abgrenzung des Begriffs zu anderen Medien (vgl. Müller et al: 2009).

Zum Thema Telenovelas beschäftigen sich Autoren besonders mit den im Fernsehformat vermittelten Inhalten und deren Einfluss auf die brasilianische Bevölkerung. Eines der bekanntesten analysierten Phänomene ist der Rückgang der Geburtenrate in Brasilien und ihr vermeintlicher Zusammenhang mit der Anzahl der Kinder der Telenovela-Familien (vgl. Tavares 2012: 55). Auch zum Aspekt Telenovelas und Homosexualität gibt es mehrere wissenschaftliche Paper, die sich kritisch mit dem Thema auseinandersetzen (vgl. Krauss-Lima 2012; Marques 2010; Nogueira 2013).

Zur Diskursanalyse, speziell zur Vorgehensweise der kritischen Diskursanalyse im Bezug auf die Medienanalyse, gibt es einige empirische Untersuchungen, besonders von dem Sprachforscher Siegfried Jäger vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) und aus dem englischen Sprachraum Norman Fairclough, der sich auf die Diskursanalyse von Medien spezialisiert hat. Gerade Printmedien wurden von den beiden genannten Forschern in den letzten Jahren vermehrt diskursanalytisch geprüft.

Es wurde jedoch noch keine kritische Diskursanalyse durchgeführt, die sich mit den Telenovelas als Leitmedium befasst und insbesondere den Umgang mit Homosexualität thematisiert. Auf Grund der Aktualität der gewählten Telenovela gibt es noch keine veröffentlichten wissenschaftlichen Paper, Abschlussarbeiten oder Bücher zum Thema Darstellung von Homosexualität in der Telenovela Amor à Vida im Vergleich, zu Printmedien. Die folgende Arbeit wird versuchen, diese Forschungslücke durch eine Schlüsselszenenanalyse und eine diskursanalytische Untersuchung zu schließen.

1.3 Aufbau der Arbeit

Die Arbeit ist wie folgt aufgebaut: In Kapitel 2 wird die Entwicklung der Diskursforschung aufgezeigt und dazu werden zwei für diese Bachelorarbeit besonders relevante Diskursfor- scher sowie ihre Werke vorgestellt. Kapitel 3 wird auf die theoretische Basis der Arbeit ein- gehen, indem der Diskurs und seine verschiedenen Dimensionen definiert werden. Außerdem wird die Diskursanalyse bzw. die kritische Diskursanalyse dargelegt und insbesondere auf die Verbindung von Diskursen und Macht eingegangen. In Kapitel 4 widmet sich diese Arbeit der brasilianischen Telenovela und dem Fernsehen als Leitmedium. Um das Phänomen Telenove- la zu verstehen, wird die Entwicklung des brasilianischen Fernsehens und der Telenovela dar- gestellt. Anschließend beginnt bereits in Kapitel 4 der empirische Teil dieser Arbeit mit der Methode der Schlüsselszenenanalyse, wie der Untersuchung der Darstellung von Homosexu- ellen in der brasilianischen Telenovela Amor à Vida. In Kapitel 5 werden die zwei größten Zeitungen Brasiliens O Globo und Folha de S ã o Paulo, die als Untersuchungsgegenstand dienen, vorgestellt. Im weiteren Verlauf werden Zeitungsartikel aus den beiden genannten Zeitungen mit der diskursanalytischen Methode des deutschen Diskursforschers Siegfried Jä- ger untersucht. Im Anschluss wird ein Zwischenfazit gezogen. Darin sollen die Ergebnisse der Untersuchungen der beiden Zeitungen miteinander verglichen und gezeigt werden, in- wieweit sich die Darstellungen der beiden Zeitungen zum besagten Thema ähneln oder vonei- nander unterscheiden. In Kapitel 6 werden die Ergebnisse der Schlüsselszenenanalyse mit de- nen der Diskursanalyse verglichen und ausgewertet, um im letzten Kapitel ein Fazit zur Kern- frage - Telenovelas ein Leitmedium der brasilianischen Gesellschaft? - zu ziehen.

Um das weite Feld der Telenovelas einzugrenzen, wird die Analyse auf die Telenovela Amor à Vida beschränkt. Diese Auswahl wurde getroffen, da die Macher dieser novela 4 nach 63-jährigem Bestehen des Fernsehformats einen Meilenstein in der Geschichte des Landes gesetzt haben, indem der erste Kuss zwischen zwei Männern in der TV Globo5 gezeigt wurde. Am Ende bleibt noch zu sagen, dass in dieser Arbeit, wenn von Homosexuellen die Rede ist, Schwule gemeint sind. Dies liegt an der Auswahl der zu analysierenden Telenovela, da diese nur männliche homosexuelle Charaktere darstellt. Jedoch soll deutlich werden, dass lesbische Homosexuelle nicht absichtlich ausgeschlossen werden. Dies hat nur etwas mit der Einfach- heit der Benennung zu tun.

2 Der Fluss der Diskursforschung durch die Zeit

Siegfried Jäger hat den Diskurs wie folgt definiert: „Fluß von Wissen bzw. sozialen Wissens- vorräten durch die Zeit“ (Jäger: 2000). Denn jeder Diskurs besteht aus Geschichte, Gegenwart und Zukunft und ist meist strukturiert und fest geregelt (vgl. Jäger 2012: 129; 169). Doch der Anfang des Flusses der Diskursforschung durch die Zeit liegt weit vor den Erkenntnissen Jä- gers. Um diesen folgen zu können, muss man zu erst einmal den Diskursbegriff definieren und die Geschichte des Begriffs erläutern.

„Diskurse konstituieren Welt, und sie werden umgekehrt durch sie konstituiert; sie (re)-produzieren und transformieren Gesellschaft; sie leisten die Konstruktion sozialer Identitäten, die Herstellung sozialer Beziehungen zwischen Personen und die Konstruktion von Wissens- und Glaubenssystemen [...]“

(Keller 2007: 28)

Wie Kellers Definition zeigt, steht der Begriff des Diskurses in Beziehung zu vielen gesellschaftlichen Aspekten.

Als discourse versteht man im englischen Sprachraum ein Gespräch. In den romanischen Sprachen wird der discorso mehr als eine Rede von Gelehrten gesehen bspw. als ein Vortrag oder eine Vorlesung. Auch in der deutschen Sprache findet man immer öfter die Verwendung des Wortes. Meist versteht man darunter ein in der Öffentlichkeit diskutiertes Thema. Aus dem englischen, aber vor allem aus dem französischen Sprachraum stammen die ersten Defi- nitionen des Begriffs und somit liegen die Ursprünge der Diskursforschung in diesen Kultur- kreisen (vgl. Keller 2007: 13).

In den 1950er Jahren, wurde durch den französischen Strukturalismus der Anfang der Dis- kursforschung geprägt. Ferdinand de Saussure ist der wohl bekannteste französische Sprach- wissenschaftler und Repräsentant des Strukturalismus. Seine Auffassung besagt, dass die Sprache ein System von Zeichen darstellt. Auf dieser Grundlage entwickelte sich auch die Denkweise der Diskursforschung, dass zwischen den Elementen eines Systems bestimmte Beziehungen, Regelmäßigkeiten und somit Strukturen bestehen. Diese Strukturen stellen ei- nen Code dar, der den praktischen Sprachgebrauch steuert (vgl. Keller et al. 2004a: 14f.). Be- sonders aus Frankreich gab es verschiedene weiterführende Ansätze, doch für die folgende Arbeit ist besonders der diskurstheoretische Ansatz von Michel Foucault relevant, da Foucault seit den 1970er Jahren besonderen Einfluss auf die Entwicklung der Diskursfor- schung in Deutschland hatte (vgl. Keller 2007: 24). Die Grundlage der Diskursforschung war, dass die Sprache durch die Gesellschaft geprägt ist. Außerdem dienen die unterschiedlichen Arten der Kommunikation bestimmten Zwecken in der Gesellschaft. Foucault erforschte be- sonders in den 1980er Jahren institutionelle Diskurse, also das sprachliche und teilweise auch das soziale Handeln in unterschiedlichen Einrichtungen. In Kapitel 2.1 wird detailliert auf Foucaults Diskursansatz eingegangen. Auch aus England kamen wichtige Forschungsansätze zum Thema Diskursanalyse. In diesem Zusammenhang ist Norman Fairclough mit seinem Ansatz der Critical Discourse Analysis (CDA) zu nennen. Da die CDA aber nicht vorder- gründig für diese Arbeit von Relevanz ist, wird nicht genauer auf sie eingegangen, jedoch sollte sie im Kontext der Diskursanalyse zumindest erwähnt werden.

Eine weitere für diese Arbeit und den deutschen Sprachraum bedeutende Gruppe der Diskurs- forschung ist das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS). Die vorliegen- de Arbeit basiert auf dem Ansatz der kritischen Diskursanalyse von Siegfried Jäger, der Mit- glied im DISS ist. Jägers Ansatz analysiert hauptsächlich sozialtheoretische Diskurse im Be- zug auf kollektive Wissensordnungen. Das bedeutet Sprache nicht nur auf der Satzebene zu betrachten, sondern die interpersonale und soziale Einbettung der Sprache zu berücksichtigen. In Kapitel 2.2 wird genauer auf Jägers Ansatz der kritischen Diskursanalyse eingegangen (vgl. Keller et al. 2004a: 26; Keller 2007: 24). Wie gezeigt wurde, hat die Diskursforschung unterschiedliche Traditionen in verschiedenen Ländern. Diese Arbeit wird die genannten dis- kurstheoretischen Ansätze vorstellen und sich auf die kritische Diskursanalyse des DISS fo- kussieren.

2.1 Foucaults Diskurstheorie

Die Mehrheit der vorhandenen Diskursanalysen orientieren sich am Diskursbegriff des fran- zösischen Philosophen Michel Foucault und verknüpfen seine Herangehensweise mit anderen Theorien (vgl. Keller et al. 2004a: 10). Deswegen ist es wichtig, auf Foucaults Entwicklungen in der Diskursforschung einzugehen. Sein Ansatz basiert eher auf der reinen Theorie als auf der Umsetzung in die Praxis, da Foucault nie explizit ein methodisches Verfahren für die Dis- kursanalyse entwickelt hat. Dies wurde in der Vergangenheit oft als Schwäche seiner diskurs- theoretischen Arbeiten gesehen. Im Vergleich zu anderen französischen Theoretikern seiner Zeit hat er sich nicht auf den politischen Diskurs konzentriert, sondern er analysierte wissen- schaftliche und institutionelle Äußerungen. Im Zentrum seiner Arbeiten standen Phänomene wie Geisteskrankheiten, Strafprozeduren, Medizin, Recht sowie Ethik und Moralvorstellun- gen im Bezug auf Sexualität. Der rote Faden, der sich durch seine Werke zieht, ist das Phä- nomen der Entstehung der modernen Subjektvorstellung. Diese Verbindung von wissen- schaftlichen Disziplinen wie Psychologie und Medizin, Recht und Religion etc. verknüpft mit dem Diskurs, verhalf Foucault mit seinen Werken zu Bekanntschaft (vgl. Keller et al. 2004a: 42f.). Foucaults einflussreichstes Werk ist Die Ordnung des Diskurses. Seine Schaffenspha- sen kann man grob in zwei Abschnitte unterteilen, der Archäologie des Wissens und der Ge- nealogie. Es ist erkennbar, dass er einen Wandel von der reinen textuellen Analyse hin zur handlungstheoretischen Wissensanalyse durchgemacht hat (vgl. Keller 2007: 42).

Der Diskurs wie ihn Foucault in seiner ersten theoretischen Phase definiert hat lautet:

„[Der Diskurs ist] eine Menge von an unterschiedlichen Stellen erscheinenden, verstreuten Aussagen, die nach gleichem Muster oder Regelsystem gebildet worden sind, deswegen ein- und demselben Diskurs zugerechnet werden können und ihre Gegenstände konstruieren“ (Keller et al. 2004a: 44).

Diskurse resultieren aus einer Vielzahl von Aussagen, die eine strukturierte Einheit bilden. Sie sind somit eine Art Interaktion in der Gesellschaft, also ein Thema, das auf gesell- schaftlicher Ebene diskutiert wird (vgl. Fraas 2005: 32; Roesler et al. 2005: 4). In dieser ers- ten Phase, Archäologie genannt, wird die Analyse als sozialwissenschaftliches Forschungs- programm gesehen werden, mit dem Ziel die gesellschaftliche Herstellung und Ordnung von Praktiken, Menschen, Objekten und Ideen zu analysieren (vgl. Keller et al. 2004a: 43ff.).

Foucaults zweite Phase ist die Genealogie und hier ist das Subjekt der zentrale Punkt der Ana- lyse. Es werden historische Verläufe zur Entstehung von aktuellen Macht-Wissens- Komplexen und ihr Einfluss auf Individuen untersucht. Foucault hebt hervor, dass es in der Genealogie vor allem um den Macht-Wissens-Komplex6 geht (vgl. Jäger 2010: 57; Keller 2007: 49). In Kapitel 3.2 wird genauer auf die Verbindung von Diskurs und Macht eingegan- gen. Abschließend lässt sich feststellen, dass er seine Überlegungen als Werkzeugkiste ver- stand, an der man sich mit dem passenden Werkzeug für seine Analyse bedienen kann (vgl. Keller et al. 2004b: 38).

2.2 Siegfried Jägers kritische Diskursanalyse

Siegfried Jäger beschäftigt sich mit der kritischen Diskursanalyse. Er hat als Erster in Deutschland eine Methode für die kritische Diskursanalyse entwickelt. Jäger ist Leiter und Mitbegründer des DISS, das sich auf die kritische Diskursforschung spezialisiert hat. Ihre diskursanalytischen Arbeiten behandeln aktuelle und kontroverse Gesellschaftsthemen. Die erste Diskursanalyse Jägers behandelte das Thema Rassismus in Deutschland. Weitere gesell- schaftliche und politische Themen, wie z. B. der Migrationsdiskurs in den Medien, sind As- pekte seiner Arbeiten (vgl. Keller et al. 2004a: 14). In einem Interview beschreibt Jäger sein Interesse an der kritischen Diskursanalyse wie folgt: „Ich war und bin so eine Art Suchender, dem es darum geht, die Welt, in der ich lebe, nicht nur zu begreifen, sondern auch zu verän- dern und bzw. zu verbessern“ (Jäger/Diaz-Bone: 2006). Jäger behandelt eine an Foucault ori- entierte Diskursanalyse (vgl. Jäger: 2000), außerdem haben seine Arbeiten besonderen Bezug zu Jürgen Link aus der Bochumer Diskurswerkstatt der Universität Dortmund. Link hat ein Konzept der Diskursanalyse für die Kollektivsymbolik entwickelt. Die Kollektivsymbolik be- schreibt das Phänomen, dass eine Gesellschaft ähnliche oder sogar gleiche Bedeutungszuwei- sungen bzgl. eines bestimmten Themas hat. Jäger erklärt die Kollektivsymbolik als Bestand an Bildern, die alle Mitglieder einer Gesellschaft kennen. Damit kann das Gesamtbild der ge- sellschaftlichen Wirklichkeit herauskristallisiert werden. Außerdem kann gezeigt werden, wie diese Wirklichkeit verstanden oder wie sie durch die Medien vermittelt und beeinflusst wird (vgl. Jäger 2012: 133f.). Der Diskurs an sich ist nach Jäger ein sozialer Wissensfluss durch die Zeit, der individuelles und kollektives Handeln bestimmt und wodurch der Diskurs Macht ausübt (ebd.). Mit seiner kritischen Diskursanalyse versucht Jäger diese Machteinflüsse auf die Gesellschaft zu analysieren.

3 Diskursanalyse

In diesem Kapitel wird auf die verschiedenen Dimensionen der Diskursanalyse genauer ein- gegangen und erklärt, wie Diskurse eingeordnet werden können, welche Geschehnisse durch sie geprägt werden, auf welcher Ebene sie agieren, ihre Rolle in der Gesellschaft und welche Beziehung Diskurse zu Macht haben. Dabei ist es wichtig zu beachten, dass der Diskurs inter- individuell ist. Zwar nehmen alle Individuen an der Gestaltung des Diskurses teil, aber kein Einzelner bestimmt den Diskurs alleine (vgl. Keller et al. 2004a: 88). Der Diskurs reguliert ein bestimmtes Thema und stellt das Bewusstsein dafür in der Gesellschaft her, er strukturiert und gestaltet das Denken darüber. Die Diskursanalyse versucht, den Einfluss des Diskurses auf die Gesellschaft zu analysieren (vgl. Jäger: 2000). Sie ist ein systematisiertes Verfahren zur empirischen Analyse eines Diskurses und beinhaltet eine erklärende Interpretation. Man schaut dabei immer auf die sozialen Bedingungen, Ideologien und Machtbeziehungen, um einen Diskurs zu analysieren und zu verstehen (vgl. Keller 2007: 7; 28). Die Diskursanalyse versucht das Sagbare in der kompletten Bandbreite, also die Häufigkeit aller Aussagen in ei- ner Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt und Thema, zu erfassen (vgl. Keller et al. 2004a: 85). Sie ist auch als Gesellschaftsanalyse zu verstehen, da sie den Anspruch hat die Gesamtgesellschaft kritisch zu analysieren (vgl. Jäger 2010: 60).

Die Diskursanalyse untersucht Deutungen für soziale und politische Ereignis- und Hand- lungszusammenhänge, die meist in öffentlichen Auseinandersetzungen ausgetragen werden (vgl. Keller et al. 2004b: 14). Sie kritisiert den herrschenden Diskurs zu einem bestimmten

Thema und zeigt Schwächen, Grenzen und Wiedersprüche auf (vgl. Keller et al. 2004a: 85).

Besonders in Deutschland basiert die empirische Analyse der Diskurse auf der Theorie von Foucault (vgl. Bublitz et al. 1999: 14).

Texte bilden für gewöhnlich das Untersuchungsmaterial der Diskursanalysen. Da die Diskur- se als soziale Praktiken gesehen werden, beschränkt sich die Diskursanalyse jedoch nicht nur auf Texte, sondern sie wird zur Untersuchung anderer Schöpfungen des menschlichen Han- delns verwendet (vgl. Keller et al. 2004a: 82f.). Die Diskursanalyse wird erst zur kritischen Diskursanalyse, wenn die diskursiven Themen begründbar zu bewerten und zu kritisieren sind und es sich um brisante gesellschaftliche Themen handelt (vgl. Jäger 2010: 224).

Das Untersuchungsmaterial dieser Arbeit sind Pressetexte und das zu analysierende Thema ist der Diskurs der Homosexualität in den brasilianischen Medien. Die Pressetexte werden nach dem diskursanalytischen Muster von Jäger untersucht. Er sieht als Ziel der Diskursanalyse, „ganze Diskursstränge7 historisch und gegenwartsbezogen zu analysieren und zu kritisieren“ (2012: 171). Bei diesem Verfahren geht es um moralische und ethische Fragen. Wichtig ist, dass bei der Kritik der moralische Pluralismus, also die unterschiedlichen Moralvorstellungen in einer Gesellschaft nicht außer Acht gelassen werden (vgl. Jäger 2012: 228ff.). Man kann die kritische Diskursanalyse als eine fortschrittliche Art der Aufklärung der Gesellschaft durch Kritik und anschließende Verbesserungsvorschläge sehen (vgl. Keller et al. 2007: 26). Die Diskursanalyse besteht aus viel Interpretationsarbeit, weswegen sie immer wieder in die Kritik gerät. Zudem haben Diskurse meist einen definierbaren Anfang, aber selten ein konkre- tes Ende, da es unmöglich ist, die Gesamtheit aller Äußerungen zu einem Diskurs zu erfassen (vgl. Roesler et al. 2005: 6).

3.1 Angewandte kritische Diskursanalyse

Die kritische Diskursanalyse des DISS ist kein sprachwissenschaftliches Projekt, sondern ein Konzept qualitativer Sozial- und Kulturforschung, das sich auch einiger sprachwissenschaftli- cher sowie politischer Aspekte bedient. Die kritische Diskursanalyse versteht sich als theorie- geleitete, kontextuelle, eingreifende, inter- und transdisziplinäre sowie reflexive Methode. Sie entstand im Laufe der Zeit durch Durchführungen von unterschiedlichen Projekten, die eine auf viele Themengebiete anwendbare Methode entwickeln wollten, wie bspw. Wissenschaft, Politik, Medien etc. (vgl. Jäger 2010: 5ff.). Die kritische Diskursanalyse versucht, durch ihre Strukturierung den Aufbau der Diskurse durchschaubarer und somit analysierbarer zu ma- chen. Diese Strukturierung wird durch die im Folgenden beschriebenen Begriffe erreicht.

Die Grundlagen der Diskursanalyse sind das Diskursfragment und der Diskursstrang. Das Diskursfragment wurde durch Jäger als Begriff eingeführt, da er die Bezeichnung Text oder Textteil zu unpräzise fand. Die Diskursfragmente beinhalten unterschiedliche Äußerungen zu ein und demselben Diskurs und diese sind Gegenstand der Analyse. Außerdem sind sie immer in den gesamtgesellschaftlichen und historischen Gesamtdiskurs eingegliedert. In der vorlie- genden Arbeit werden Presseartikel über Homosexualität im Zusammenhang mit Telenovelas als Diskursfragment analysiert.

Die thematisch einheitlichen Diskursfragmente bilden einen Diskursstrang (vgl. Keller et al. 2004a: 17). Der Diskursstrang ist komplexer und aus diesem Grund schwieriger zu erfassen. Er besteht aus zwei Dimensionen, der synchronen und der diachronen. Erstere zeigt, was zu einem bestimmten früheren oder gegenwärtigen Zeitpunkt über das diskursive Thema gesagt wurde bzw. wird. In der zweiten Dimension der Diskursstr ä nge werden die Diskursfragmente nicht nur zu einem bestimmten Zeitpunkt betrachtet, sondern als thematisch einheitlich gese- hen (vgl. Jäger 2012: 160). In der folgenden Analyse wird die synchrone und die diachrone Dimension der Diskursstr ä nge analysiert, da die ausgewählten Artikel aus dem Zeitraum stammen, in dem die als Grundlage dienende Telenovela Amor à Vida ausgestrahlt wurde, und inhaltlich den gleichen Fokus haben. Die Diskursstr ä nge sollen nicht einzeln oder isoliert betrachtet werden, da sie sich aufeinander stützen und gegenseitig beeinflussen (vgl. Jäger 2012: 159ff.).

Ein diskursives Ereignis ist ein weiterer Begriff, den die kritische Diskursanalyse eingeführt hat. Es handelt sich um Ereignisse, die medial und politisch besonders hervorgehoben werden (vgl. Jäger 2010:16). Ob ein Ereignis zu einem diskursiven Ereignis wird, hängt besonders von seiner politischen Dominanz und Relevanz, sowie von seiner Vermittlung durch die Me- dien ab. Ferner hängt dies auch von sogenannten Sagbarkeitsfeldern ab, die in einer Gesell- schaft zu einem bestimmten Zeitpunkt Themen eröffnen (ebd.: 40). Ein diskursives Ereignis kann Einfluss auf den gesamten Diskurs haben und bedeutende politische und gesellschaftli- che Veränderungen hervorrufen. Jäger nennt als bekanntes Beispiel den Reaktorunfall von Tschernobyl, der viel mediale Aufmerksamkeit bekam und woraufhin in Deutschland der Ausstieg aus der Atomenergie in Gang gesetzt wurde (vgl. Jäger 2012: 132, 162). Dieses Bei- spiel betont die wichtige Rolle der Medien im Diskurs. Auf dieses Phänomen wird im nächs- ten Kapitel genauer eingegangen.

Die verschiedenen Diskursstr ä nge stehen auf unterschiedlichen Diskursebenen in Beziehung zueinander. Diskursebenen bezeichnen die unterschiedlichen Ebenen der Gesellschaft, wie z. B. Wissenschaft, Medien, Politik, Erziehung etc. (vgl. Jäger: 2000). Jäger betont, dass sich die unterschiedlichen Diskursebenen aufeinander beziehen, aufeinander einwirken und sich gegenseitig nutzen (vgl. Jäger 2012: 163). Sie sind soziale Orte, von denen aus gesprochen wird und die nicht leicht voneinander zu trennen sind, da sie stark miteinander verflochten sind. Ein Beispiel dafür ist der Mediendiskurs, in dem auch renommierte Leitmedien oft In- formationen und Inhalte, die bereits in anderen Medien erwähnt wurden, übernehmen. Zwar kann man in solchen Fällen von einem einheitlichen Mediendiskurs sprechen, jedoch nehmen die verschiedenen Medien unterschiedliche Sprecherpositionen ein (vgl. Jäger 2010: 38). Die Diskursanalyse versucht zu erfassen, inwiefern die unterschiedlichen Diskursebenen mitei- nander verbunden sind. Diese Arbeit wird den Diskursstrang auf der Ebene der Medien unter- suchen. Die Medien-Ebene hat eine besondere Machtposition, da sie den Weg in die Öffent- lichkeit ermöglicht (vgl. Jäger 2012: 163).

Bezüglich der Sprecherpositionen ist der Begriff der Diskursposition von Bedeutung. Es handelt sich hierbei um den Standpunkt eines Mediums oder einer Person bei der Beteiligung an einem Diskurs und dessen Bewertung. Die Diskursposition ergibt sich aus den verschiedenen Diskursen, die ein Individuum im Laufe seines Lebens beeinflussen, und der Position, die es darauf basierend einnimmt. Auch Faktoren wie Alter, Nationalität, Geschlecht, sozialer Status etc. können Auswirkungen auf dessen Position haben. Der gleiche Einfluss wird auch auf die Diskursposition von Medien ausgeübt (vgl. Jäger: 2000). Als Positionen im Diskurs gibt es entweder Übereinstimmungen oder aber Gegendiskurse.

Diese übereinstimmenden Diskurse wie auch die Gegendiskurse sind Teil des gesamtgesell- schaftlichen Diskurses, den Jäger als ein ineinander verflochtenes Netz beschreibt. Dieser Diskurs wird in der Gesellschaft durch die Diskursstr ä nge gebildet. (vgl. Jäger 2012: 166). Um den gesamtgesellschaftlichen Diskurs zu entschlüsseln, müssen zuerst die Diskursstr ä nge auf den unterschiedlichen Diskursebenen analysiert werden. Würde man den gesamtgesell- schaftlichen Diskurs zum Thema Homosexualität in Brasilien analysieren, müsste man auch die Diskurstränge auf den Ebenen von Politik, Wirtschaft und Alltag etc. analysieren, was den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Stattdessen lässt sich prüfen, inwieweit sich durch die Analyse eines einzelnen verschränkten Diskursstranges der gesamtgesellschaftliche Diskurs interpretieren lässt. Die vorliegende Arbeit unternimmt den Versuch zu beweisen, dass der gesamtgesellschaftliche Diskurs in Brasilien durch das Leitmedium Telenovela geprägt wird, indem die zwei wichtigsten Zeitungen des Landes untersucht werden. Jäger meint, dass die Analyse einzelner Diskursstr ä nge bereits Hinweise auf den gesamtgesellschaftlichen Diskurs gibt, da er als allgemeiner Wissenshorizont einer Gesellschaft dient und die verschiedenen Diskursstr ä nge prägt (vgl. Jäger 2012: 166ff.). Außerdem sollte ein gesamtgesellschaftlicher Diskurs auch im historischen Kontext betrachtet werden, da die Geschichte einer Gesellschaft die Diskurse grundlegend beeinflusst.

3.2 Diskurs und Macht

Der Diskurs ist überindividuell und -institutionell. Institutionen und einzelne Personen kön- nen jedoch eine gewisse Diskursmacht besitzen. Das bedeutet, dass sie einen stärkeren Ein- fluss auf die Gestaltung von Diskursstr ä ngen haben als andere (vgl. Jäger 2010: 44), bspw. auflagenstarke, hegemoniale Medien oder auch Telenovelas, wie es in Brasilien der Fall ist. Doch auch große Diskursmacht führt nicht zur vollkommenen Beherrschung der Diskurse, da dazu immer mehrere Akteure gehören. Grundsätzlich ist der Diskursbegriff an Macht gekop- pelt, denn nicht jeder erfüllt die Kriterien, um am Diskurs teilzuhaben (vgl. Keller et al. 2004b: 207). Gleichzeitig gibt es auch den umgekehrten Fall, die Macht über den Diskurs, die durch den leichten Zugang zu Medien hergestellt wird (vgl. Jäger: 2000).

Hegemonie bedeutet Vorherrschaft, ohne dass sie gesetzlich oder offiziell festgelegt werden muss (vgl. Jäger 2010: 63). Antonio Gramsci, ein italienischer marxistischer Philosoph, hat die Begriffe Hegemonie und Zivilgesellschaft geprägt. Mit Hegemonie wird nach Gramsci eine Art von Herrschaft und Meinungsführerschaft einer ökonomischen Klasse benannt, die eigene Interessen als gesellschaftliche Allgemeininteressen zu definieren und durchzusetzen vermag, also die Vorherrschaft bestimmter Klassen, Schichten und Gruppen, z. B. Eliten.8 Es handelt sich dabei jedoch um eine zeitlich begrenzte Machtstellung. Hegemonie stellt somit gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse dar (vgl. Keller 2007: 27; Hepp 2010: 14).

Bedeutend für die vorliegende Arbeit ist der verbreitete Begriff der hegemonialen Medien. Hierbei handelt es sich um Medien mit einer besonderen Diskursmacht (ebd.). Die kritische Diskursanalyse richtet ihr Augenmerk auf solche hegemonialen Diskurse. Auch Foucault erkannte den Zusammenhang von Diskurs, Wissen und Macht: Für ihn ist das Konzept von Diskurs und Macht untrennbar miteinander verbunden (vgl. Keller et al. 2004a: 264). Da Diskurse Träger von Wissen sind, fördern und produzieren sie Macht. Gleichzeitig können Diskurse die Macht verstärken oder sie aber schwächen (vgl. Jäger 2012: 38). Diskur- se strukturieren die Macht- und Herrschaftsverhältnisse der Gesellschaften, in denen sie dis- kutiert werden (vgl. Keller et al. 2004a: 83). Foucault spricht von Macht-Wissens- Komplexen, wenn Wissen und Macht eine Einheit bilden und eine wechselseitige Wirkung haben. Das Wissen bezeichnet alle Erkenntnisse und deren Wirkungen, die in bestimmten Momenten und Gebieten akzeptiert sind. Macht sind die Mechanismen, die in der Lage zu sein scheinen, Verhalten oder Diskurse hervorzurufen (vgl. Jäger 2010: 79). Die Macht und die Rolle des Diskurses in einer Gesellschaft beschreibt Foucault wie folgt:

„Ich setze voraus, dass in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird - und zwar durch gewisse Prozeduren, deren Aufgabe es ist, die Kräfte und die Ge- fahren des Diskurses zu bändigen [...].“ (1974: 7)

Nach Foucault sind Diskurse an unterschiedliche Machtmechanismen und -institutionen gebunden. Eine These von Jäger lautet, dass Diskurse Macht ausüben, da sie Wissen transportieren, das kollektives und individuelles Bewusstsein versorgt. Dieses Wissen ist die Grundlage für individuelles sowie kollektives Handeln und die Gestaltung von Wirklichkeit (ebd.: 89). In dieser Arbeit geht es beim Begriff Leitmedien um Meinungsführerschaft, die an die Macht der Medien gekoppelt ist (vgl. Gómez 1997: 64).

3.3 Mediendiskurs

„Ohne Mediendiskurs keine Medien“ (vgl. Ziemann 2011: 190), denn erst wenn es den Medi- endiskurs gibt, also im Kollektiv über Medien und ihre Inhalte gesprochen wird und das Kol- lektiv Interesse an ihnen hat, werden die Form, Funktion, die Machtverhältnisse und das Wis- sen von Medien festgelegt (vgl. Ziemann 2011: 189). Um den Mediendiskurs gänzlich zu be- greifen, wird zuerst auf die grundlegende gesellschaftliche Funktion der Medien und Mas- senmedien eingegangen. Medien sind Plattformen sozialen Austausches. Themen, die zum gesellschaftlichen Diskurs werden, sind auf die massenmediale Verbreitung angewiesen. Des Weiteren haben Medien die Funktion, über Ereignisse, Begebenheiten und Zusammenhänge zu berichten. Somit sind sie Repräsentanten der Welt. Ihre Aufgabe ist die Weitergabe von Bedeutungen, Informationen und Botschaften. Basismedien stellen Bild, Text und Ton dar. Sie haben besonders in modernen westlichen Gesellschaften einen hohen Stellenwert. Medien nehmen den Alltagsdiskurs auf und bündeln ihn für die Menschen. In einigen Fällen spitzen sie ihn zu oder bewerten ihn. Somit wird das Alltagsdenken durch die Medien beeinflusst und reguliert (vgl. Jäger: 2000).

Medien sind auf Grund ihrer Reichweite, der Wechselwirkungen, in denen sie zueinander und zu anderen Diskursebenen wie z. B. der Politik stehen, und ihres großen Einflusses auf die Gesellschaft interessante Untersuchungsfelder für die Diskursanalyse. Nach Jäger können die Medien als diskursive Ebene betrachtet werden, bei der die Diskursstr ä nge analysiert werden (vgl Jäger 2012: 209f.).

Die dominierenden Medien in einer Gesellschaft sind häufig in wesentlichen Aspekten der Berichterstattung einheitlich. Der Standpunkt kann sich zwar unterscheiden, doch das Thema, also der Diskurs, ist dasselbe (vgl. Jäger: 2000). Massenmedien werden als Medien der Massenkommunikation bezeichnet, worunter man technische Hilfsmittel zur Übertragung von Nachrichten an viele Empfänger versteht. Das Wort leitet sich von dem englischen Begriff mass media ab (vgl. Roesler et al. 2005: 137). Dazu gehören in erster Linie die Presse und das Fernsehen, die den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit darstellen.

Im Bereich der Massenkommunikation gibt es nach Gramsci eine dominante Ideologie, jedoch unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten dieser Ideologie. Für Gramsci sind die Machtinhaber, also die Eliten, die Produzenten der Ideologie. Somit ist sie eine Ideologie der dominierenden Klasse (vgl. Gómez 1997: 64). „La hegemonía es entendida como un proceso de imposición de sentido de ciertas clases por sobre otras.“9 (ebd.)

Es legen hauptsächlich die Massenmedien die Diskursthemen fest. Die Agenda-Setting- Hypothese besagt, dass Massenmedien Bindeglieder zwischen Fakten und der öffentlichen Meinung sind, zwischen der Realität, dem Verstandenen und der Vorstellung. Sie stellen Leit- linien für das soziale Leben auf und bilden Interessensobjekte (vgl. Ferreira de Souza et al. 2012: 115). Die Agenda-Setting-Funktion kann durch die sich in unterschiedlichen Medien überschneidenden Themen zu einem öffentlichen Diskurs in einer Gesellschaft führen (vgl. Beckert et al. 2013: 52). Die Massenmedien haben die Macht, die Realität zu strukturieren und sie für die Empfänger zu definieren, und die Fähigkeit, Wissen und Denken des Publi- kums zu ordnen und einen Wandel im Denken zu bewirken (vgl. Schenk 2002: 400).

Als Diskursebene bilden Medien soziale Orte, von denen aus gesprochen wird. In der kriti- schen Diskursanalyse ist der Mediendiskurs als Ebene besonders auf Grund seiner massenhaf- ten Wirkung relevant (vgl. Jäger 2010: 84).

[...]


1 Hügel

2 Armenviertel in Brasilien

3 Auch wenn die Quelle aus dem Jahr 1987 stammt, sind diese Zahlen immer noch aktuell, da TV Globo mit den Jahren seine Reichweite sogar noch ausgeweitet hat sowie seine Monopolstellung im Land.

4 novela nennen die Brasilianer die Telenovela.

5 Auf die TV Globo wird in Kapitel 4.1 genauer eingegangen.

6 Gemeint ist ein spezifisches Verständnis von Macht und der Verbindung von Macht und Wissen im Foucaultschen Sinn (vgl. Jäger 2010: 57).

7 Der Begriff wird in Kapitel 3.1 genauer erklärt.

8 Diskursive Eliten sind Wortführer, die die Gemeinschaft in der Öffentlichkeit vertreten und gesellschaftliche, politische und soziale Zusammenhänge deuten sowie eine Öffentlichkeit für bestimmte Themen herstellen, sie forcieren und lenken Diskussionen in gewisse Richtungen und stoßen neue Diskurse an (vgl. Keller et al. 2004a: 274).

9 Übersetzung: Die Hegemonie wird als Aufbürdung von gewissen Meinungen einer bestimmten Klasse auf andere gesehen.

Ende der Leseprobe aus 62 Seiten

Details

Titel
Telenovelas als Leitmedium der brasilianischen Gesellschaft? Diskursanalyse zu Homosexualität in den Tageszeitungen "O Globo" und "Folha de São Paulo"
Hochschule
Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)
Note
1,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
62
Katalognummer
V312154
ISBN (eBook)
9783668114838
ISBN (Buch)
9783668114845
Dateigröße
905 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Diskursanalyse, Telenovela, Brasilien, Foucault, Homosexualität
Arbeit zitieren
Melitta Capolei (Autor:in), 2014, Telenovelas als Leitmedium der brasilianischen Gesellschaft? Diskursanalyse zu Homosexualität in den Tageszeitungen "O Globo" und "Folha de São Paulo", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/312154

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