Der historische Vorläufer der heutigen psychiatrischen Krankenpflege war sicherlich der „Irrenwärter“. Er war unqualifiziert und unzureichend auf seine Aufgaben vorbereitet. Diese beschränkten sich auf das Bewachen und Bändigen der „Irren“, die Verhinderung von Aggressionsausbrüchen und die Aufrechterhaltung eines Mindestmasses an Ordnung und Sauberkeit.
Diese Zeiten sind sicherlich endlich überwunden, doch spielt das Bändigen und Beaufsichtigen, die Unterdrückung unerwünschter Lebensregungen und die Aufrechterhaltung der Ordnung noch immer eine Rolle in der psychiatrischen Krankenpflege. Nüchtern betrachtet sind diese Aufgaben unverzichtbar, es geht heute aber darum, diese in einem humanen, menschenwürdigen und rechtlichen Rahmen auszuführen.
Inhalt
1. Einleitung
2. Psychiatrie nach 1945
2.1. Das Pflegepersonal der Nachkriegszeit
2.2. Therapieformen
3. Psychiatrie in den 50er Jahren
3.1 Einführung von Psychopharmaka
3.2 Psychiatrie unter „Attacke“
4. Psychiatrie in den 60er Jahren
4.1. Die Psychiatrie in der Kritik der Öffentlichkeit
4.2. Die Antipsychiatrie
4.3 Veränderungen auch durch das Pflegepersonal
5. Psychiatrie in den 70er Jahren
5.1. Pflegepersonal als Partner der Ärzte
5.2. das „alte“ und das „neue“ Pflegepersonal
5.3. Psychiatrie-Enquete
5.4 Empfehlungen der Psychiatrie-Enquete
6. Psychiatrische Krankenpflege heute
6.1. Aufgaben der Psychiatrischen Krankenpflege Heute
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Zeit nach dem 2. Weltkrieg (1939 – 1945) erforderte für die Psychiatrie in Deutschland einen totalen Neuanfang. Durch deren Missbrauch im Nationalsozialismus mussten die bisherigen Konzepte verworfen und völlig neue geschaffen werden. Dies war nicht einfach, galt es doch, zunächst einmal mit einer unheilvollen Vergangenheit fertig werden zu müssen. Anfangs wurde einfach verdrängt was in der Psychiatrie während dieser Zeit geschehen war, so dauerte es Jahrzehnte, bis dieses dunkle Kapitel der deutschen Geschichte überwunden war.
Was mir beim Studium der Fachliteratur zu diesem Thema aufgefallen ist, war die historische Tatsache, dass nicht die Politik die Veränderung in der Psychiatrie eingeleitet hat, sondern engagierte Psychologen, Journalisten, Pflegekräfte, Psychiater und viele andere, die einen Wandel in der Psychiatrie forderten und letztendlich auch umsetzten. Auch wenn heute immer noch nicht alles erreicht worden ist, was einst gefordert wurde, ist die Psychiatrie ein großes Stück menschlicher geworden.
2. Psychiatrie nach 1945
Nach dem 2. Weltkrieg war das psychiatrische Versorgungssystem in katastrophalem Zustand. Die Gebäude waren zerstört, es gab nur große Anstalten, die auf die „Verwahrung“ der psychisch Kranken ausgerichtet waren. Zu wenig Personal und eine nicht ausreichende Zahl von Betten erschwerten die fachgerechte Betreuung.
Nach den Nürnberger Ärzteprozessen, bei denen die Verbrechen der Ärzte, des Pflegepersonals und anderer Mitwirkenden in die Öffentlichkeit gelangten, hatte die Psychiatrie jeglichen Kredit verspielt. Ein Teil des Personals, das zu dieser Zeit arbeitete, hatte in Tötungsprogrammen des NS-Staates mitgewirkt. „Ärzte, die in den Vergasungs-Anstalten eingesetzt waren, konnten weiterhin praktizieren - bis 1985.“[1]
Die Bedingungen der Unterbringung waren unzumutbar. Chronische Überbelegung, Massenschlafsäle und mangelnde Intimsphäre bereiteten große Probleme. Der Umgang des Pflegepersonals mit den psychisch Kranken, war zu vergleichen mit dem Verhalten von Gefängnisaufsehern.
Die Situation der Patienten wurde weder von der Öffentlichkeit noch von der Politik zur Kenntnis genommen. Es sollte noch einige Jahre dauern bis man sich Gedanken über die Situation der Betroffenen in der Bundesrepublik Deutschland machte.
2.1. Das Pflegepersonal der Nachkriegszeit
Das Personal dieser Zeit hatte keine professionelle Ausbildung. Oft war das einzige Auswahlkriterium, die physische Stärke der Wärter. Die Arbeitsbedingungen waren bescheiden und das Pflegepersonal wurde an strengen Zügeln geführt. Die Arbeitszeit betrug 72 Wochenstunden, lediglich jeder 3. Sonntag war frei, der Jahresurlaub betrug 6 Tage und der Urlaubsort musste dem Oberpfleger mitgeteilt werden. Der Abendausgang war bis 22:00 beschränkt.
Zur Ausbildung des Pflegepersonals wurde der „Scholz Leitfaden für Irrenpfleger“ herangezogen. Diese Schrift wurde vom Nervenarzt Dr. Ludwig Scholz, (1. Auflage: 1900) verfasst und bis in die 50er Jahre als Orientierung für die Ausbildung genutzt. Aus dem Leitfaden geht hervor, dass der Pfleger ein Mensch mit äußerster Selbstbeherrschung und Selbstkontrolle sein sollte. Der pflegerische und der ärztliche Arbeitsbereich waren strikt getrennt. Es wurde explizit darauf hingewiesen, dass der Pfleger kein eigenes Urteil zu fällen, oder gar eine Diagnose zu stellen hatte. Alle Veränderungen waren dem Arzt sofort mitzuteilen.[2]
2.2. Therapieformen
Die Therapieformen beschränkten sich auf eine Elektroschock- und Arbeits-Therapie. Zu dieser Zeit war die Elektrokrampftherapie eine gängige Behandlungsmethode ohne Alternativen. Sie verbesserte nicht das Leiden der Patienten, sondern nur deren Führbarkeit. Shoor und Adams geben zu: „Unser Ziel war nicht die Heilung, es beschränkte sich auf die Verbesserung des Verhaltens auf der Station.“.[3]
Die Anwendung der Arbeitstherapie war das Mittel der Wahl. Durch sie wurden die Kranken, als billige Arbeitskräfte zum Wiederaufbau der zerstörten Gebäude missbraucht. Ein willkommener Nebeneffekt war, dass die Patienten körperlich erschöpft und somit ruhiger in ihrem Verhalten waren. Dadurch konnte die Verordnung von Beruhigungsmitteln um ein Drittel gesenkt und die Materialschäden durch randalierende Kranke reduziert werden. Die Arbeitstherapie wurde nicht als therapeutischer Nutzen für den Patienten eingesetzt, sondern als Arbeitserleichterung für die Psychiatrie und deren Personal.
3. Psychiatrie in den 50er Jahren
Die 50er Jahre sind gekennzeichnet durch die Einführung von Psychopharmaka und das Überdenken der Situation der Psychiatrie und der psychisch Kranken in unserem Land.
3.1 Einführung von Psychopharmaka
Mit der Einführung der ersten Psychopharmaka, erhofften sich die Psychiater eine neue Ära in der Behandlung von psychisch Kranken. Zunächst stand diese Therapie neben den anderen Behandlungsarten, es sollten die bewährten Methoden durch den neuen Trend nicht verdrängt werden. „Zudem ging durch diese Behandlungsart die Zahl der arbeitenden Patienten und deren Arbeitsleistung zurück, was sich im Krankenhausbetrieb …. empfindlich bemerkbar machte.“[4]
Aber der Siegeszug der Psychopharmaka lies sich nicht aufhalten. Es dauerte nicht lange, bis sie als Haupttherapieform eingesetzt wurde. Die Elektroschocktherapie verlor schlagartig ihren hohen Stellenwert.
Die Arbeitstherapie wurde später nicht mehr willkürlich eingesetzt, sondern teils in industrielle Serienbeschäftigung, teils in kreativitätsorientierte Beschäftigungstherapie umgewandelt.
Durch die Psychopharmaka wurde das Verhalten auf Station, laut Jahresberichten, deutlich verbessert. Die Gewalt auf Stationen lies nach, schwierige Patienten wurden umgänglicher. Durch die Platznot in den Psychiatrien, musste die medikamentöse Behandlungsmethode mehr als zuvor in die Behandlungspläne eingebaut werden. Es konnten nun mehr Patienten betreut und auch wieder schneller entlassen werden. „Die Konsequenzen für den Stationsalltag liegen auf der Hand: starke Fluktuation, die nähere Bekanntschaft zwischen Patienten und Pfleger verhindert; … das Pflegepersonal wird mit Patienten konfrontiert, die immer wieder aufgenommen werden - eine Quelle zunehmender Frustration.“[5]
3.2 Psychiatrie unter „Attacke“
In den 50er Jahren gerieten die psychiatrischen Krankenhäuser zunehmend unter „Attacke“.[6] Die ersten Stimmen wurden laut, die die Situation der psychisch Kranken in Deutschland anklagten. 1953 forderte die WHO (Weltgesundheitsorganisation) die Versorgung psychisch Kranker vom Krankenhaus in die Gemeinde zu verlegen.
[...]
[1] E. Klee, 1986, S.13
[2] vgl. M. Konrad, 1985, S.48 ff
[3] F. Reimer u. D. Lorenzen, 1996, S.75
[4] F. Reimer u. D. Lorenzen, 1996, S.81
[5] M. Konrad, 1985, S. 44
[6] vgl. D. Falkenstein, 1993, S.8
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