Sind dauerhafte Partnerbeziehungen noch möglich? Liebe und Parternschaft zwischen alten Leitbildern und neuen Lebensformen


Diplomarbeit, 2003

118 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung
1.1 Problembeschreibung
1.2 Zielsetzung und Definitionen
1.3 Zur Schwierigkeit der begrifflichen Abgrenzung von Partnerschaft und Familie
1.4 Orientierung an der Individualisierungsthese
1.5 Wegbeschreibung und Begründungen

2 Kulturgeschichtlicher Hintergrund
2.1 Von der Stände- zur Klassengesellschaft
2.2 Eheschließungsmotive vor der Industrialisierung
2.3 Die Entwicklung eines neuen Familien- und Ehemodells am Beispiel des Bürgertums
2.4 Die „Erfindung“ der Liebe als Motiv für die Eheschließung
2.5 Anspruch und Wirklichkeit von Liebe und Ehe im 19.Jh
2.6 Liebe, Ehe und Kirche
2.7 Ehe und Liebe in den Nachkriegsjahren bis 1960
2.8 Das Leitbild wird brüchig
2.9 Zusammenfassung:

3 Merkmale und Kennzeichen des Wandels von Ehe/Partnerschaften
3.1 Sinkende Heiratsneigung
3.2 Zunahme der Ehescheidungen
3.3 Zunahme Neuer Lebensformen
3.3.1 Nichteheliche Lebensgemeinschaften
3.3.2 Die kinderlose Ehe
3.3.3 Die kindorientierte Ehegründung
3.3.4 Weitere Formen der Partnerschaft
3.4 Individualisierung und Pluralisierung

4 Ursachen des Wandels
4.1 Der Wertewandel
4.1.1 Entstehung des Wertewandels
4.1.2 Kennzeichen der Wertewandels
4.1.3 Wesen und Inhalt des Wertewandels
4.2 Wertewandel und Bindungen

5 Folgen des Wertewandels
5.1 Geschlechterrollenwandel
5.1.1 Frauen und ihre Rolle
5.1.2 Männer und ihre Rolle
5.2 Ein erstes Resümee

6 Liebes- und Paarbilder zwischen alten Leitbildern und neuen Idealen
6.1 „Versachlichung der Welt“
6.2 Sinn- und Identitätssuche als (neuer) Wert von Ehe/Partnerschaft
6.3 Das romantische Liebesideal im 21.Jahrhundert
6.4 Liebe zwischen Markt und Paarbeziehung
6.5 Liebesbeziehungen- Paarbeziehungen

7 Entwürfe neuer Lebensformen
7.1 Nichteheliche Lebensgemeinschaften
7.1.1 Definition und Ausbreitung
7.1.2 Nichteheliche Lebensgemeinschaften – eine Konkurrenz zur Ehe?
7.1.3 Charakteristika der nichtehelichen Lebensgemeinschaften
7.1.4 Probleme der nichtehelichen Lebensgemeinschaften
7.2 Fortsetzungsehen
7.2.1 Faktoren für und gegen die Wiederverheiratung
7.2.2 Chancen und Risiken
7.3 Commuter-Ehe
7.3.1 Begriff und Merkmale der Commuter-Ehe
7.3.2 Probleme in Commuter-Ehen
7.3.3 Chancen der Commuter-Ehe
7.3.4 Commuter-Ehe - eine Lösung zur Anpassung an den Wandel?
7.4 Ein zweites Resümee

8 Zur Frage der Instabilität bzw. der Stabilität von Ehe-Partnerschaften
8.1 Bedingungen, die die Scheidungswahrscheinlichkeit erhöhen
8.1.1 Die „Scheidungsspirale“
8.1.2 Die „Scheidungstransmission“
8.1.3 Soziodemographische Bedingungen der Scheidungswahrscheinlichkeit
8.2 Bedingungen für gelingende Partnerschaften
8.2.1 Definition des Begriffs „Lebensthema“
8.2.1.1 Wirkungen von Homogenität und Heterogenität der Lebensthemen in Paarbeziehungen
8.2.1.2 Paare und gleiche Lebensthemen
8.2.1.3 Sich ergänzende Lebensthemen
8.2.1.4 Differierende Lebensthemen
8.3 Kommunikation als Stabilitätsfaktor für Paarbeziehungen
8.3.1 Grundlagen der Kommunikation
8.3.2 Bedeutsamkeit von Kommunikation in Partnerschaften
8.3.3 Konstruktive Kommunikation als Möglichkeit zur Lösung von Konflikten in Paarbeziehungen
8.3.4 „Wir können einander nicht verstehen“

9 Schluss
9.1 Zusammenfassung
9.2 „Sind dauerhafte Partnerschaften noch möglich?“ - Eine Stellungnahme
9.3 Fazit

Anhang

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

In den ersten beiden Jahrzehnten der Nachkriegsjahre galt für die Beziehung von Mann und Frau ein Leitbild, welches von der gesamten westdeutschen Bevölkerung mitgetragen, bejaht und gelebt wurde. Ein Leitbild, welches jedem Mann und jeder Frau die eigene Lebensbiographie vorzeichnete, nämlich:

„…die legale, lebenslange, monogame Ehe zwischen Mann und Frau, die mit ihren Kindern in einem Haushalt leben und in der der Mann der Haupternährer und Autoritätsperson und die Frau primär für den Haushalt und die Erziehung der Kinder zuständig ist.“[1]

Entwickelt wurde dieses Leitbild bereits im 19. Jh. vom damaligen Bürgertum in Abgrenzung zu den Gepflogenheiten des Adels und in Abgrenzung zum „Pöbel“. Verknüpft wurde das Leitbild im Bürgertum mit dem Ideal der romantischen Liebe.

Infolge des zweiten Weltkrieges waren viele Familien durch Tod, Vertreibung und Gefangenschaft auseinander gerissen. Viele hatten Hunger, Not- und Angstsituationen erlebt. So lag nach dem Krieg auf der Familie die Hoffnung vieler, neue Sicherheiten zu erlangen, Lebenswertes neu zu erleben und in der Familie Geborgenheit erfahren zu dürfen (vgl. Nave-Herz 1988, S.65). Im Zuge des Wiederaufbaus waren die Familien dementsprechend auch die Basis für den Neubeginn, und die herrschende gesellschaftliche Struktur war (ist) angewiesen auf das „Humanvermögen“, welches die Familien produzier(t)en. Mit zunehmendem Wohlstand war die Familie als „Bewahrerin der Traditionen“ gedacht, ein Schonraum des Privaten, in dem sowohl die Regeneration der Berufstätigen (Männer) stattfinden konnte, als auch die Erziehung und Sozialisation der Kinder. Nachdem die Schrecken der Kriegsjahre überwunden waren und Wohlstand und Sicherheit ins Bewusstsein des Volkes einzog, vollzog sich Mitte der 60er Jahre eine Art „Kulturelle Revolution“, die auch vor den alten Leitbildern von Ehe und Familie nicht Halt machte. So sind Ehe und Familie nicht mehr per se aneinander gekoppelt und für Partnerschaft braucht man nicht mehr zwingend die Ehe. Die Art der Aufgabenverteilung obliegt der Vereinbarung der Partner und die Scheidungszahlen zeigen, dass die Ehe nicht mehr eine Paarbeziehung von Dauer sein muss.

1.1 Problembeschreibung

Wenn die Werte und Normen, die zumindest die Sicherheit boten, dass man wusste, wie man sich zu verhalten hatte, zur Disposition stehen, gibt es keine Begründung mehr, warum man sich an einem alten Leitbild orientieren sollte. Darum muss heute alles beredet, begründet, verhandelt und vereinbart werden und ist deswegen auch jederzeit wieder aufkündbar (vgl. Beck, Beck-Gernsheim 1990, S.15). Dennoch ist das alte Leitbild von Ehe und Familie mitsamt seinen Normen und Werten weiterhin existent, welches ich noch aufzeigen werde. Es ist zwar nicht mehr existent als Zwang oder als Ideal, welches sich eine Gesellschaft selbst gegeben hat, sondern es steht weitestgehend in der „Wahlfreiheit“ des Einzelnen, sich so zu verhalten oder aber auch nicht. Diese „Wahl-freiheit ist das eigentliche Problem: Wenn nichts und niemand mehr sagt, was richtig, falsch, wertvoll oder sinngebend ist, ist man um so mehr auf sich selbst als Maßstab aller Dinge angewiesen. Genau damit scheinen viele Menschen überfordert zu sein, was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass immer mehr Menschen über eine „existenzielle Sinnlosigkeit“ klagen.[2] Längst entstehen (dem Trend unterworfene) immer neue Leitbilder für alle Bereiche des Lebens, und es besteht die Möglichkeit, jede Form des Familien- bzw. Paarlebens auszuprobieren oder für sich als Alternative zu erklären. Dass diese gewonnene Freiheit nicht unproblematisch ist, zeigt sich zum Einen an den steigenden Scheidungen und deren Folgen für alle Beteiligten, insbesondere für die Kinder. Zum Anderen lassen sich die neuen Lebensformen terminologisch zwar erzwingen, sie werden aber häufig gefühlsmäßig von den Betroffenen nicht mitvollzogen (vgl. Hettlage 1998, S.181), was zur verstärkten Verunsicherung sowohl im Einzelnen als auch in der Paarbeziehung führt. Darüber hinaus wirken die Anforderungen des Arbeitsmarktes bis in die Gestaltung der Partnerschaft hinein, indem die Zwänge, die hier erfüllt werden müssen, in der eigenen Person verinnerlicht werden und Lebensplanungen bestimmen. Dies kollidiert dann geradezu mit dem Paar und Familiengefüge (vgl. Beck, Beck-Gernsheim1990, S.14). Der Geschlechtrollenwandel rückt die „Ungleichheit der Geschlechter“ deutlicher in den Blick, und so stehen Paare wie auch ganze Familien heute in der Situation, sich nahezu ohne Vorgelebtes aus anderen Generationen den „Zwängen und Freiheiten“ heutiger Gesellschaft zu unterstellen.

Darüber hinaus erzwingen Scheidungszunahme und Geburtenrückgang eine hohe öffentliche Aufmerksamkeit und damit „die Wiederkehr der gesellschaftlichen Kontrolle der Familie“. Dies geschieht u.A. durch die Zunahme professioneller Helfer sowohl für das Ehe- als auch für das Familiensystem. Auch kann man davon ausgehen, dass Beziehungskrisen, Liebesleid und Trauerarbeit hohes volkswirtschaftliches Vermögen wie Ressourcen, Kraft und Geld verbraucht und weiterhin verbrauchen wird. Man kann daraus, trotz Ermangelung konkreter Zahlen, schlussfolgern, dass Trennungen einen nicht unbeträchtlichen Teil des Bruttosozialprodukts verschlingen (vgl. Beck, Beck-Gernsheim 1990, S. 105).

1.2 Zielsetzung und Definitionen

Ich werde in dieser Diplomarbeit aufzeigen, wie sich Paarbeziehung heute zwischen alten Leitbildern und neuen Lebensformen gestaltet. Wenn ich in dieser Arbeit von Partnerschaft spreche, meine ich die Intimbeziehung von Mann und Frau, mit dem Ziel dauerhaft zusammen zu leben. Mit „Dauerhaftigkeit“ bezeichne ich hier was in der Formel: „…bis dass der Tod euch scheidet.“, im Kirchlichen Trauritus ausgesagt wird:

Diese Arbeit stellt eine Analyse dar, wie sich Partnerschaft heute angesichts gesellschaftlicher Veränderungen gestaltet, einschließlich der abschließenden Stellungnahme zu der Frage: „Ist Dauerhaftigkeit noch möglich?“ Diese Frage wird dabei sowohl die Richtung als auch in der Beantwortung das Ziel der Diplomarbeit bestimmen.

Das Thema Familie entsprechend dem alten Leitbild wird dabei jeweils peripher mitgedacht und ist nicht Thema meiner Analyse. Das Gleiche gilt für die Thematik der Scheidung und deren Folgen. Dabei ist auch zu beachten, dass ich zwar entsprechend dem alten Leitbild die Form der Ehe zugrunde legen werde, diese Arbeit aber nicht explizit eine Analyse darstellt vom Zerfall oder Bestand der Ehe.

Strukturgebend für diese Arbeit wird für mich die Wissenschaft der Soziologie - hier Familiensoziologie sein - die die sozialen Bedingungen, in denen bestimmte Handlungen und Verhaltensweisen stattfinden, untersucht und dabei die Handlungsmöglichkeiten der involvierten Individuen (oder Gruppen) analysiert. Darüber hinaus zeigt die Soziologie auf, wie die jeweiligen sozialen Bedingungen in Verbindung mit den Handlungen der Individuen stehen, und wie ihre interaktiven Verknüpfungen gesellschaftliche Folgen haben.[3] Dabei wird das Wissen aus anderen Wissenschaften - wie insbesondere der Psychologie - zur Vervollständigung der folgenden Analyse beitragen.

1.3 Zur Schwierigkeit der begrifflichen Abgrenzung von Partnerschaft und Familie

Innerhalb der Familiensoziologie wird der Begriff der Ehe unter den Familienbegriff subsumiert, anders als im anglo-amerikanischen Sprachraum, wo die Bezeichnung „marriage and the family“ üblich ist. Ehen werden also in der Familiensoziologie in erster Linie aus dem Blickwinkel der Familie thematisiert. Dagegen ist die Ehe und Partnerschaft primär ein Forschungsfeld primär der Psychologie, (vgl. Nave-Herz 1997, S.45). Die Koppelung von Ehe und Familie in der Familiensoziologie, führt dazu, dass die Ehe auf die Phase des Familienzyklus festgeschrieben wird. Dabei führten die historischen Veränderungen der letzten 200 Jahre zu einem Anstieg der Lebenserwartung bei gleichzeitiger Reduktion der Kinderzahl, so dass in heutiger Zeit die Ehezeit weit länger dauert als die Familienzeit. Die Zeitspanne des „In-Familie-Lebens“ beträgt heute lediglich ein Viertel der Gesamtlebenszeit, während dies vor zweihundert Jahren noch für drei Viertel der Lebenszeit galt. Die genannte Koppelung entspricht also nicht mehr der sozialen Gegenwart, (vgl. Nave-Herz 1997, S.47). Dementsprechend gestaltete sich die Beschränkung meines Themas auf den Partnerschaftsbegriff unter dem Aspekt der Soziologie, insbesondere der Familiensoziologie mitunter als sehr schwierig, so dass die Hinzunahme psychologischer Aspekte unvermeidlich war.

Eine weitere Schwierigkeit lag im Wesen dieser Arbeit selbst begründet. Die Auseinandersetzung mit „Liebe und Partnerschaft zwischen alten Leitbildern und neuen Lebensformen“ beinhaltet das Wort „zwischen“. Dieses „zwischen“ deutet auf ein Spannungsverhältnis des „Noch-nicht“ und „Nicht-mehr“ hin. Wenngleich ich glaube, dass meine Arbeit einen logischen Aufbau hat und Stringenz aufweist, sind, entsprechend dem Spannungsverhältnis in dem Paarbeziehungen heute stehen, evtl. Sprünge von einer Wissenschaftsdiziplin in die andere nicht vermeidbar gewesen. Daneben ist dies auch mit dem Wesen von Paarbeziehung begründbar, die ja auch immer eine Liebesbeziehung ist, deren Erforschungsgebiet - wie schon betont - eher die Psychologie ist.

1.4 Orientierung an der Individualisierungsthese

Inhaltlich orientiert sich diese Arbeit an der Individualisierungsthese von U. Beck (1986). Aus Sicht der Soziologie wird Individualisierung als historisch-soziologische Kategorie verstanden, die sich mit Lebenslagen- und Lebenslaufforschung beschäftigt. Sie analysiert das Maß und das Vorhandensein von Individualisierung angesichts der Veränderung von Lebenslagen und Biographien. Darüber hinaus stellt sie sich die Frage, welche Form von Lebenslagen und welcher Typus von Biographie sich unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen durchsetzen (vgl. Beck, 1986 S.207)? Das Individualisierungstheorem verdichtet Beck zu einer Zentralthese, indem er sagt:

„Das, was sich in den letzten zwei Jahrzehnten in der Bundesrepublik (und vielleicht auch in anderen westlichen Industriestaaten) abzeichnet, ist nicht mehr im Rahmen der bisherigen Begrifflichkeiten als eine Veränderung von Bewusstsein und Lage der Menschen zu begreifen, sondern…muß[!] als Anfang eines neuen Modus der Vergesellschaftung gedacht werden, als eine Art „Gestaltwandel“ oder kategorialer Wandel“ im Verhältnis von Individuum und Gesellschaft.“[4]

Kritiker dieser These betonen allerdings, dass Individualisierung kein universelles Phänomen ist, sondern nur für bestimmte gesellschaftliche Gruppen gelte. Damit sind die (bildungs- und einkommensstärkeren) Gruppen der „Privilegierten Mittelschicht“ gemeint. Darüber hinaus enthalte diese These auch ideologische Anteile, indem es sich um eine Illusion handele, dass der These zufolge die Lebensbiographiengenerell steuerbar seien (vgl. Keddi 2003, S.61). Daneben existieren noch viele andere Kritiken an dieser These, die aufzuzeigen hier nicht der Platz ist. Es handelt sich jedoch bei dieser These „…um ein gesellschaftlich und sozialwissenschaftlich hoch wirksames Deutungsmuster der „Selbstkontrolle, Selbstverantwortung und Selbststeuerung“, das letztlich alle gesellschaftlichen Schichten – in unterschiedlicher Weise und Intensität – erfasst hat… “[5] und auch für Paarbeziehungen von hoher Bedeutung ist, weshalb ich mich auch daran im Wesentlichen orientieren werde.

1.5 Wegbeschreibung und Begründungen

Am Beginn meiner Arbeit wird ein kulturhistorischer Rückblick aufzeigen, wie sich Ehe und Familie in der Zeit des ausgehenden Mittelalters bis in die 1960 Jahre gründete und veränderte. Im Mittelpunkt wird dabei die Entwicklung des „Bürgerlichen Ehe- und Familienideals“ stehen. Dabei wird auch berücksichtigt, dass Ehe und Liebe lange Zeit nicht miteinander kompatibel schienen, welches zum einen mit den gesellschaftlichen Strukturen dieser Zeit zusammenhing aber ebenso mit der Stellung der Frau zu dieser Zeit, wie auch mit der herrschenden Moral und den Vorstellungen von Liebe und Sexualität. Dies aufzuzeigen, scheint mir wichtig um deutlich zu machen, dass die Grundlage der Werte und Normen bezüglich der Ehe und der Liebe auf der Hierarchie der Geschlechter beruhte wobei es eben die „männliche Welt“ war, die diese Werte und Normen weitestgehend bestimmten. Dies findet noch seinen Ausdruck im alten Leitbild von Ehe- und Familie der Nachkriegsjahre. So möchte ich mich Norbert Elias anschließen, der sagt:„Oft genug lässt sich das, was heute geschieht, überhaupt nicht verstehen, wenn man nicht weiß, was gestern geschah.“[6]

Wenn man Wandel unterstellt, ist es notwendig die Anzeichen dafür zu benennen. Der dritte Punkt beschäftigt daher sich mit den Kennzeichen die auf einen Wandel im alten Leitbild von Ehe und Familie hinweisen. Dazu gehören die sinkenden Heiratsneigungen ebenso wie die Zunahme der Scheidungen und das Anwachsen neuer Lebensformen.[7] Zu den Kennzeichen des Wandels gehört ebenso die Zunahme von gesellschaftlichen Individualisierungs- und Pluralitätstendenzen, die ihre Entsprechung im Leben des Einzelnen genauso wie in der Gruppe finden. Wie schon in der Problemstellung beschrieben beinhaltete das alte Leitbild von Ehe und Familie gesellschaftliche Werte und Normen, die sukzessive nicht mehr die ehemalige Kraft hatten, normierend auf die Mitglieder dieser Gesellschaft zu wirken.

Im vierten Teil meiner Arbeit werde ich daher die gesellschaftlichen Ursachen beschreiben, die diesen Wandel der Werte und Normen verursachten. Dazu habe ich den Wertewandel, der 1963 mit dem Ende der „Ära Adenauer“ stattfand zugrunde gelegt (vgl. Klages 1993,S.73). Die von Klages beschriebenen Veränderungen im Bewusstsein eines Volkes dokumentieren, wie ich meine, in anschaulicher Weise wie es zu den Veränderungen kam. So beschreibe ich sowohl dessen Entstehung, die Kennzeichen des Wertewandels, als auch dessen inhaltliche Bedeutung auf den Wandel der Werte in der Gesellschaft, einschließlich der Bedeutung die dieser Wandel auf die Bindungsfähigkeit der Bevölkerung ausübte.

Wie sehr das alte Leitbild von Ehe und Familie an der klaren Aufgabenteilung von Mann und Frau gebunden war werde ich in Punkt fünf darlegen. Dieser Punkt beschäftigt sich mit dem Geschlechterrollenwandel, der durch den Wertewandel induziert wurde. Insbesondere für Frauen erweiterten sich die grundsätzlichen Lebensoptionen. Die Auswirkungen auf die Partnerschaft und auf das Familienleben werden bereits in diesem Punkt deutlich.

Paarbeziehungen unterstehen heute, mehr denn je, den Einflüssen gesellschaftlicher Veränderungen. Welche Auswirkungen der Wandel explizit auf die Paarbeziehung hat und unter welchen gesellschaftlichen Einflüssen sich heute Partnerschaft bewähren muss oder auch scheitert, zeigt der nächste Punkt auf. Eine Arbeit über Partnerschaft ist meiner Meinung nach auch immer eine Arbeit, die von Liebe handelt, zumal dieses Wort im Untertitel meines Themas erwähnt ist. Und so werde ich der Liebe einen „eigenen Punkt“ zuweisen. Dies zum Teil als Exkurs in die Humanistische Psychologie, die meiner Meinung nach am ehesten etwas dazu kann wieso die Suche nach Liebe und Sinn scheinbar zum Wesen des Menschen gehört.

Dass neue Lebensformen von Partnerschaften sich immer noch (auch) an dem alten Leitbild von Ehe und Familie orientieren, zeigt ein weiterer Punkt. Hier werde ich neue Lebensformen von Partnerschaft auf ihren Gehalt hin untersuchen. Dazu habe ich erstens die Nichteheliche Lebensgemeinschaft gewählt, weil diese hinsichtlich der Intimstruktur (Liebesbeziehung, Freundschaft, Partnerschaft) von Mann und Frau und des Zusammenlebens der Ehe am meisten verwandt zu sein scheint. Des weiteren werde ich die „Lebensform“ der „Fortsetzungsehe“ vorstellen, weil daran manche dokumentieren, dass die Ehe als Institution nicht grundsätzlich gefährdet sein kann, allerdings die Vorstellung der lebenslangen Ehe damit aushebelt wird. Eine völlig neue und noch relativ wenig erforschte Lebensform von Ehe (und Familie) ist die „Commuter-Ehe“, die ich ebenfalls vorstellen werde. Diese scheint einem gelungenen Anpassungsprozess an die Erfordernisse des Arbeitsmarktes und der Gleichberechtigung der Geschlechter sehr nahe zu kommen, wobei sie in ihrer Lebensweise nicht mehr dem alten Leitbild entspricht, da die Ehepartner nicht in einem Haushalt zusammenleben.

Um ein wirklich umfassendes Bild zur Frage „ob dauerhafte Paarbeziehungen noch möglich sind“ zu bekommen, ist es unerlässlich auch die Faktoren zu untersuchen die die Instabilitäts- bzw. Stabilitätswahrscheinlichkeiten von Paarbeziehungen erhöhen bzw. fördern. Dazu werde ich als erstes die Faktoren beschreiben, die die Instabilität begünstigen. Dies anhand der Thesen von der Scheidungsspirale“[8], der „Scheidungstransmission“[9] und den Soziodemographischen Bedingungen . Zuletzt werde ich die Bedingungen, die der Stabilität von Paarbeziehungen förderlich sind beschreiben und benennen. Dazu habe ich zwei Modelle gewählt. Zum einen die „These von der Homogenität bezüglich der gemeinsamen oder komplementären Lebensthemen als Stabilitätsfaktor“. Zum anderen ist es mir ein Anliegen die Relevanz der Kommunikations- und Interaktionsweise in Paarbeziehung als bedeutsamen Weg darzustellen, der der Stabilität von Partnerschaften nicht nur förderlich sondern sogar eine ihrer Hauptbedingungen ist.

Der Abschluss meiner Arbeit besteht aus drei Teilen. Im ersten Teil werde ich einen zusammenfassenden Überblick der Arbeit geben um dann im zweiten Teil Stellung nehmen zu der Frage: „Sind dauerhafte Partnerbeziehungen heute noch möglich? Dazu beziehe ich unter anderem auch wieder die humanistische Philosophie mit ein. Das Ende wird ein abschließendes Resümee sein.

2 Kulturgeschichtlicher Hintergrund

Um deutlich zu machen, wie es zur Entstehung eines „bürgerlichen Lebensideals“ kommen konnte, werde ich am Beginn dieser Arbeit den Prozess der gesellschaftlichen Umstrukturierung ab dem Beginn des 19.Jh. skizzieren. Wichtig in diesem Zusammenhang scheint mir die Differenzierung des „Bürgertums“ zu sein, da es nie „das Bürgertum“ gab. Obwohl in der Individualisierungsthese von Beck postuliert wird, dass in heutiger Zeit eine Tendenz zur völligen Auflösung von Klassen und Schichten bestehe, (vgl. Beck 1986, S.121) findet man Individuali­sierungsprozesse vorwiegend in den oberen Schichten des „akademischen Umfeldes, “…denn mit höherem Wohlstand ist eine stärkere Freisetzung aus materiellen Zwängen und mit höherer Bildung ein höheres Maß an Selbstreflexion und eine weitergehende Lösung aus traditionellen Bindungen verknüpft.“[10] Vieles spricht also dafür, dass in heutiger Zeit wiederum Veränderungen vorwiegend aus der gesellschaftlich sowohl oberen Schicht als auch aus der Mitte heraus induziert werden, die dem damaligen „Bildungsbürgertum“ und dem „Besitzbürgertum“ in etwa entsprechen.

2.1 Von der Stände- zur Klassengesellschaft.

Ab dem Beginn des 19.Jh. veränderte sich die Gesellschaftsstruktur von einer Ständegesellschaft in eine Klassengesellschaft. Gegenüber dem europäischen Feudalismus, der sich gliederte in vier Hauptstände (Adel, Geistlichkeit, Bürger und Bauern) entstand im beginnenden Zeitalter der Industrialisierung[11] eine Klassengesellschaft, die sukzessive in sich durchlässiger wurde. In einen Stand wurde man hineingeboren, in eine Klasse konnte man sich auch hocharbeiten. Wenn bislang die beiden oberen Stände der Feudalgesellschaft (Adel und Geistlichkeit) die gesamte politische, kulturelle und soziale Lebenswelt dieser Ständegesellschaft regeln, so verloren diese immer mehr an Zuständigkeit und Gewicht. Aber auch die Privilegien der Zünfte und Gilden veränderten sich und wurden gebrochen. Die Kleinbauern unterstanden nicht mehr dem Leibeigentum eines Feudalherrn und im Zuge der Verstädterung und der zunehmenden Mobilisierung verwischten sich die Unterscheidungen von „städtisch-bürgerlicher“ und „ländlich-bäuerlicher“ Bevölkerung. Die Zugehörigkeit zu einer Klasse war mehr und mehr von ökonomischen Faktoren abhängig. Durch immer weiter vorangehende technologischen Entwicklungen und die damit verbundenen gesellschaftlichen Veränderungen fanden immer wieder neue Umschichtungen in der Klassenzugehörigkeit statt bzw. entwickelten sich neue Klassen und Schichten.

Soziologen differenzieren heute vier „bürgerliche Gruppen“ die auf die darunter liegenden Klassen eine große Anziehungskraft ausübten. Die Anziehungskraft resultierte aus der Möglichkeit durch Kapital, Wissen, Leistung oder auch Heirat in eine dieser unterschiedlichen Gruppen des Bürgertums „aufzusteigen“.

- Das „Großbürgertum“ zeichnete sich aus durch den Besitz an Kapital. Es orientierte sich stark am Adel und versucht u.a. durch Heiratsverbindungen diese Verbindung zu stärken. Neben dem Adel stieg insbesondere das Großbürgertum zur Regierungs- und Wirtschaftsmacht auf.
- Die bevölkerungsmäßig eher kleine Klasse des „Bildungsbürgertums“ verfügte über eine akademische Ausbildung. Seinen Kern bildeten die Beamten, Geistliche, freie Berufe und später auch die Manager, Ingeneure und Naturwissenschaftler. In dieser Klasse befanden sich vorwiegend die Verfechter liberaler gesellschaftlicher und politischer Ideen.
- Das „Besitzbürgertum“ zeichnete sich aus durch eine mehr oder weniger wohlhabende Lage, die von der Entwicklung der Industrialisierung profitierten. Die ärmeren „Kleinbürger“ hatten dagegen zu kämpfen, da die Konkurrenz der industriellen Herstellung von Produkten ihre Existenz bedrohte.
- Zu den „kleinbürgerlichen Berufsgruppen“ zählten die kleineren Handwerker und Händler und die vielen Kleinbauern. Daraus entwickelte sich sukzessive ein neuer „Mittelstand“.(vgl. Geißler,2002,S.33f)

Im Jahre 1882 wiesen sich 4,7% aller Erwerbstätigen als Angestellte aus und arbeiteten in Handelshäusern, Warenhäuser, Banken oder als Techniker, Werkmeister (vgl. Geißler 1982, S.35).Sie hatten eine Ausbildung genossen und wurden, gemessen an anderen Lohnarbeitern, gut bezahlt. Ihre Lebensweise orientierte sich an der Lebensweise der „Mittelschicht“ und sie waren oftmals bemüht durch Bildung, Heirat und Leistung den Aufstieg in das Bürgertum zu realisieren.

2.2 Eheschließungsmotive vor der Industrialisierung

Die meisten Soziologen (z.B. Peukert, Kopp, Hill, u.a.) sprechen von der typischen Sozialform „des ganzen Hauses“, welches in vorindustrieller Zeit das vorherrschende Wirtschafts- und Sozialgebilde war. Dies bedeutet, dass alle Familienmitglieder einer Arbeits- und Wohngemeinschaft angehörten. Dazu zählten ebenso die Mägde und Knechte auf den Bauernhöfen wie die Lehrlinge und Gesellen im Handwerk. Hier wurde eine Vielzahl gesellschaftlicher Funktionen gleichzeitig erfüllt, wie die Produktion, die Konsumtion, die Sozialisation und die Alters- und Gesundheitsvorsorge. Demzufolge waren bei der Partnerwahl eher wirtschaftliche Motive (die Fähigkeiten, die Arbeitskraft, Gesundheit und Mitgift der Frau) ausschlaggebend als Liebe und Zuneigung der beiden Eheleute.

Die freie Partnerwahl, die auch schon damals zu Beginn des 2.Jahrtausends zumindest von der Kirche als Bedingung für eine Eheschließung konzipiert war, war rein praktisch kaum umsetzbar. Abgesehen davon war ein „kennen Lernen“ von Mann und Frau außerhalb des eigenen Standes kaum möglich: „Man blieb bei Seinesgleichen“. Bei der bäuerlichen Bevölkerung ging es um die Fortführung des Hofes, bei den Handwerkern „dominierte die ökonomische und zunftmäßige Eignung“ die Partnerwahl, der Adel heirate eine Frau/Mann „von Stand“ und zwar oftmals aus politischen Gründen oder um Macht und Grund und Boden zu vergrößern (vgl. Hill und. Kopp 2002, S.36f) . Eine Ehe begründete nicht in erster Linie ein liebendes Verhältnis zwischen den Eheleuten, sondern war in der Regel ein Aushandlungsprozess zwischen den Familien der Eheleute. Waren beide Seiten mit den Angeboten zufrieden, kam die Ehe als ein Vertrag zwischen den Familien zustande (vgl. Schröter 1985, S. 44). Bei den Reichen stand dabei das Interesse im Vordergrund, jede Frau möge durch die Geburt von Kindern das Familienerbe sichern und durch eine reichliche Mitgift vergrößern. Bei den ärmeren Familien sicherte das neu hinzukommende Familienmitglied die Existenz durch ihre Arbeitskraft und ihre Fruchtbarkeit. Aus diesem Grunde wurden auch Mehrfachehen höher geschätzt als eine einmalige Heirat (vgl. Kaufmann 1981, S. 44). Außerdem galten für breite Schichten der Bevölkerung staatliche oder gutsherrschaftliche Heiratsverbote. Das Gebot, dass nur der heiraten durfte, der über ein geregeltes Einkommen verfügte, galt als Zustimmungsvorbehalt zur Heirat durch den Grund- oder Lehnsherren.[12]

„Die Ehe, die der Mann erst eingeht, wenn er eine Frau versorgen kann, ist ein Mittel zur Wahrung und Mehrung von Besitz und zur Steigerung von gesellschaftlichem Ansehen, nicht eine Liebesbeziehung zwischen zwei Menschen… Hielten mittelalterliche Ehen zusammen, war das ein Resultat sozialer Kontrolle, aber auch die Folgen biologischer Kurzlebigkeit (sukzessive Bigamie). Länger als 20 Jahre lebten Eheleute kaum zusammen.“[13]

2.3 Die Entwicklung eines neuen Familien- und Ehemodells am Beispiel des Bürgertums

In den Städten entstand im 18. und 19. Jahrhundert der Typ der bürgerlichen Familie. Mit zunehmender Industrialisierung löste sich die Einheit von Produktion und Familienleben immer mehr auf. Das sich etablierende Bürgertum versuchte, sich durch eine neue Wertorientierung von den noch immer vorherrschenden „Allüren“ des Adels abzugrenzen, (in diesem war es durchaus üblich sich mehrere Mätressen zu halten) wie auch von den (angeblichen) „Triebbestimmten dumpf dahinvegetierenden Unterschichten“ (vgl. Herrmann 2001, S.93). Die neuen Werte des sich eta­blierenden neuen Bürgertums charakterisiert Herrmann dabei folgendermaßen:

„Es ist an nützlichem, verwertbaren Wissen interessiert,...sieht auf das von seinesgleichen definierte Maß- und versteht darunter nicht zuletzt Sparsamkeit...Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit, ist ordnungsliebend, korrekt und pünktlich. Arbeit ist keine Strafe mehr (wie in der Bibel), sondern Tugend, Pflicht, Beruf.“[14]

Durch die Entkoppelung von Wohnen und Produktion wurden die Frauen auf Haushalt und Kindererziehung reduziert, welches insbesondere in Handwerker- und Kaufmannskreisen unüblich war, da doch die Frauen, z.B. bei Abwesenheit des Mannes, einen erheblichen Teil zur Geschäftsführung beitrugen. Die neue Ordnung entsprach allerdings lediglich einer Neuorientierung der „patriarchalischen Grundordnung“ (vgl. Hill und Kopp 2002, S.47).[15]

Aufgabe der Frau war es nunmehr, die emotionale Fürsorge für Haushalt und Familienmitglieder zu übernehmen, die sich jetzt immer mehr aus den unmittelbar miteinander Verwandten konstituierte[16] (vgl. Peukert 2002, S.22). Das Gesinde wird zunehmend räumlich ausgegliedert und die bürgerliche Familie erhebt diesen Bereich zu ihrer ganz persönlichen Privatsphäre, die sich immer mehr der Öffentlichkeit entzieht. Grundlage dafür sind die nunmehr emotional–intimen Verhältnisse der Familienmitglieder, die es nicht mehr erlauben, mit anderen (familienfremden) Personen unter einem Dach zu wohnen.

Durch die aufkommende Idee der romantischen Liebe wird sukzessive die Liebe zum einzig zentralen Motiv für eine Heirat und man beginnt in bürgerlichen Kreisen sich mit „Du“ anstatt in der dritten Person, anzusprechen. In adeligen Kreisen wurde allerdings die Nase gerümpft über diese „Neuerung“ im Bürgertum.

Das Ideal der romantischen Liebe entwickelte sich zunächst am literarischen Diskurs dieser Zeit, (romantisch bedeutet:„… dem Geist der mittelalterlichen Dichtung entsprechend, romanhaft“[17]) sollte aber bald ein neues kulturelles Leitbild postulieren.

2.4 Die „Erfindung“ der Liebe als Motiv für die Eheschließung

Das bis in die heutige Zeit reichende Leitbild, dass die Ehe auf der Zuneigung der Partner gegründet sein soll, scheint im Kulturvergleich die große Ausnahme zu sein, so Franz-Xaver Kaufmann. In dieser Zeit geschieht auch die „Entdeckung der Kindheit“ (Pillipe Aries) und so änderte sich nicht nur die Grundlage für die Ehe sondern auch das Verhältnis zu den Kindern. Dies war eine revolutionäre Erneuerung, da man vorher die Kinder in die Obhut anderer Personen gab wie z.B. Ammen oder dem Gesinde anvertraute. Es entwickelte sich ein Mutterideal: Die höchstpersönliche Verantwortung der Mutter für ihre leiblichen Kinder hatte gegenüber allen anderen Pflichten zurückzutreten (vgl. Kaufmann 1981, S. 45). So wuchs immer mehr ein Familienmodell, welches es in dieser Form noch nicht gegeben hatte.

Das Konzept der romantischen Liebe indes ist ganz neu, ist sie doch verwandt mit der „höfischen Liebe“ im Mittelalter, die als erste die Liebe in der Freundschaft zwischen Mann und Frau anstrebte, aus der dann Erotik und Sexualität erwachsen konnte.[18] Im Gegensatz zur höfischen Liebe, die eher die geistig-seelische Vereinigung anstrebte, strebte die romantische Liebe jedoch eine Synthese an von „…,Sinnen- und Seelenliebe‘ (Kluckhohn 1966), die ,Einheit von sexueller Leidenschaft’ („geistiger Wolllust“; vgl. „Lucinde“) und ,affektiver Zuneigung’ („sinnlicher Seligkeit“).“[19] Mehr als je zuvor stand nun das Paar im Mittelpunkt. Die Umwelt der Liebenden wurde ausgeblendet und die Ungleichheit der Geschlechter aufgehoben. Erstmalig wird dabei die Gleichwertigkeit von Frau und Mann gedacht. Dies alles auf dem Hintergrund einer Zeit, die vielen Veränderungen und damit auch Brüchen in den Traditionen ausgesetzt war, eine Zeit des Übergangs von einer alten zu einer neuen Zeit. So schreibt Peter Gay in seinem Buch „Die zarte Leidenschaft“, dass das Bürgertum sich nur rational verhielt, wenn es auf der einen Seite an seiner Privatsphäre und deren Normen festhielt und sich auf der anderen Seite auf die Suche machte nach neuen lebbaren Erfahrungen in Sachen Liebe und Sexualität (vgl. Peter Gay 1986, S.9ff).

2.5 Anspruch und Wirklichkeit von Liebe und Ehe im 19.Jh.

Die Zeit des Bürgertums war noch eine Zeit der rigiden Konventionen, Regeln, Normen und trotz der durchlässigen Schichtzugehörigkeiten von Traditionen gehalten. Die Familie galt als Bewahrerin dieser Traditionen. Die literarischen Werke dieser Zeit aber beschäftigten sich mit der Idee, dass die Liebe es vermöge, alle Ketten und Schranken zu sprengen. Freiheit, Gesellschaftskritik, Gleichheit und Liebe waren wesentlicher Inhalt der damaligen Literatur.[20]

“…die Weisheit des gesunden Menschenverstandes sah in der Liebe eine Leiter zur Freiheit; sie erlaubte dem Liebenden die Überwindung der ihnen von der Konvention in den Weg gelegten Hindernisse, mochten es die Unterschiede des Standes, der Religion oder der landsmannschaftlichen Verbundenheit sein.“[21]

Die Meinung der Öffentlichkeit stand den neuen Möglichkeiten der Freiheit mit gemischten Gefühlen gegenüber. Die einen sahen darin einen Sittenverfall und andere sahen sie als neue Möglichkeit, moderne Familie zu leben. Insbesondere dort, wo auch die Emanzipationsbewegung der Frauen immer mehr um sich griff, war Liebe, die per Definition die Möglichkeit der freien Wahl beinhaltete, schon verdächtig als „…ein weiteres Brett zur subversiven feministischen Plattform“[22]. In dem Buch des Grafen de Gasparin dagegen (über „die moderne Familie“) verglich dieser die Praxis der Eheschließung in Frankreich mit den „neuen“ Gepflogenheiten von England und Deutschland und kam zu dem Schluss:

“Hier herrscht von Rechts wegen große Freiheit des Verkehrs zwischen jungen Männern und Frauen. Sie haben einander kennen gelernt, sie werden über alles Ehrenhafte gesprochen haben, und ihre Einwilligung in die Ehe ist alles andere als leere Formalität“.[23]

Für junge wohlerzogene junge Mädchen war die Liebe dennoch ein seltener Luxus, den sie sich mit dem (heimlichen) Lesen von Liebesromanen verschafften und mit deren Heldinnen sie sich oftmals identifizierten (vgl. Gay1987, S.104). Doch immer wieder siegte im Falle einer Ehe der Druck der Normen und des Anstandes. Die Liebe, so die Meinung der damaligen Zeit, würde sich dann schon irgendwann einstellen.

„Die Liebe wurde verordnet - vom Vater, von Ehehandbüchern, ja sogar vom Gesetz: `Die Frau hat ihrem Gatten zu gehorchen, in Liebe, Achtung und uneingeschränktem Gehorsam mit ihm zu leben`, besagte das russische Gesetzbuch 1836, `und ihm als dem Herrn im Haus jede Liebenswürdigkeit und Zuneigung entgegenzubringen.`“[24]

Auch in den anderen Ländern bleibt die Frau im Wesentlichen dem Manne untergeordnet. Die Geschlechterrollen werden eindeutig definiert und Liebe, Ehe und Elternschaft werden als Einheit definiert.

Das Ehe- und Familienideal des Bürgertums wurde aus ökonomischen und soziostrukturellen Gründen nur von Wenigen durchgängig gelebt (vgl. Peukert 2002, S. 23). So waren die wirtschaftlichen Bedingungen der allgemeinen Bevölkerung davon geprägt, das physische Überleben zu sichern. Das Liebesideal des Bürgertums stand diesen Gegebenheiten entgegen. Die strukturellen Bedingungen dieser Zeit sorgten auch nicht gerade dafür, dass in den Familien affektive Gefühlsbeziehungen aufkommen konnten. Im Gegenteil: bedingt durch den „regierenden Absolutismus“, der sich bis in die Familien fortsetzte, die Gesetze der Erbfolge (geschlossene Gütervererbung), das Elend und die Abhängigkeit in Arbeiterfamilien herrschte eher Unfrieden in den Familien als affektive Gefühlsbeziehungen (vgl. Hettlage 1998, S.42).

Im Laufe der Zeit, mit zunehmend positiverer wirtschaftlicher Lage, wurde die Liebesheirat, die Privatsphäre und die lebenslange monogame Ehe das kulturelle Leitbild des Bürgertums und damit als ein kultivierter Wert zum ehe- und familienstiftenden Motiv erklärt. Aber erst im Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit der 50er und 60er Jahre gelangte das bürgerliche Ehe- und Familienideal zu voller Blüte und zwar quer durch alle Schichten. Die Ungleichheit der Geschlechter war dabei bis in unsere Zeit hinein die konzeptionelle Grundlage für das lange Zeit geltende normative Leitbild von Ehe und Familie.

2.6 Liebe, Ehe und Kirche

Die Lehre von der Sakramentalität der Ehe entstand erst zu Beginn des zweiten Jahrtausend. Das Sakrament, welches von Gott eingesetzt ist, begründet die Unauflöslichkeit der Ehe. Dies galt aber nur unter den getauften Christen, die miteinander eine Verbindung eingingen. Die Sakramentalität der Ehe und deren Unauflöslichkeit sind weiter begründet mit der Verbundenheit Gottes und seiner Kirche (vgl. Pesch 1981, S. 12).

Die mittelalterliche Kirche befand sich bezüglich der Ehe in einem Konflikt, der sich ausdrückte zwischen ihrem Ideal des „…keuschen Zölibats“ und der Geschlechtlichkeit in der Ehe. „Liebe und Liebe innerhalb und außerhalb der Ehe waren nicht dasselbe.“[25] So versuchte die Kirche eine Synthese herzustellen zwischen der erotischen Liebe der Griechen und der christlichen Agape.[26] Die erfolgte Synthese von Eros und Agape schließt das Begehren aus bzw. richtet diese Art des Verlangens auf die Enthaltsamkeit in der Beziehung (vgl. Metral 1989, S. 57). So legitimierte bereits Thomas von Aquin die Geschlechtlichkeit in der Ehe als eine Notwenigkeit zur Schaffung von Leben, die einer natürlichen Ordnung entspricht und schon vor dem Sündenfall da gewesen sein müsse und demnach nicht Sünde sein kann. Diesem „Stachel der fleischlichen Liebe“ konnte man nur beikommen, indem man die Ehe zum einzigen Ort aufwertete wo die Fleischlichkeit ihren Sinn in der Zeugung von Nachkommenschaft erhielt und damit den Sinn von Ehe definierte (vgl. Kaufmann 1981, S.16). So führte zwar die Unterscheidung von Liebe in der Ehe und Liebe außerhalb der Ehe zu manch unliebsamen Verwicklungen, aber sie konnte immerhin, „…die Ehe und die Liebe in Grenzen stabilisieren. Die Ehe weil sie nicht der Vergänglichkeit der Leidenschaft ausgesetzt war, die Liebe, weil sie freigehalten war von den Zwängen der Elternschaft und der Dauer“.[27]

Die Lehre von der Ehe als Sakrament und deren Unauflöslichkeit löste immer wieder auch Diskussionen unter den Theologen aus. Erst recht heute im Hinblick auf die hohen Scheidungszahlen und die Anzahl der Menschen, die nach der Scheidung wieder heiraten und denen damit der Zugang zu den Sakramenten versperrt ist. So schreibt der Theologe Pesch, dass:

„…niemand in die Gewissen solcher Ehepartner hineinschauen kann, dass also niemand weiß, ob ihre ersten Ehen wirklich, also menschlich und theologisch, Ehen genannt werden können, und dass vor allem eine solche neue Ehe ja wirklich eine Ehe sein will und daher alles andere als ein „wildes“ Konkubinat, dann dürfte es nicht angehen, nach altem Schema die geschiedenen Wiederverheirateten einfach den „öffentlichen Sündern“ zuzurechnen und mit den dafür kirchlichen Sanktionen zu drohen.“[28]

Die Frage, wie Kirche damit angesichts ihres klar umrissenen Leitbildes von der Ehe umgehen soll, ist noch nicht beantwortet. In dem Zwiespalt von kirchlicher Lehre und den praktischen Erfahrungen der Menschen in und außerhalb der Kirche hat die Kirche immer wieder versucht, einen Konsens herzustellen und die Sakramentenlehre bezüglich der Ehe wird in die verschiedensten Richtungen interpretiert. Nichtsdestotrotz ist das Leitbild der Kirche für geschlechtliche Liebe nach wie vor die Ehe und für die Ehe deren Orientierung an Nachkommenschaft, einschließlich der lebenslangen und monogamen Verbindung.

2.7 Ehe und Liebe in den Nachkriegsjahren bis 1960

Eine ehemals kleine Minderheit, das Bürgertum, konnte sich mit ihren Idealen über ihre Standesgrenzen hinweg durchsetzen und auf diese Weise entstand ein allgemeines Modell, das als das allein sittlich akzeptable definiert wurde.

In der Nachkriegszeit der 50erJahre war die Gesellschaft gekennzeichnet durch die Zerstörung von Produktionsstätten und der Infrastruktur. Wohnräume waren zerstört und Familien durch Tod im Krieg, Vertreibung oder Gefangenschaft auseinander gerissen. Die besondere Wertschätzung der Familie für diese Zeit begründet Nave-Herz (vgl. Nave-Herz 1988, S.65) damit, dass dies u.a. zurückzuführen sei auf die langen Trennungen im Krieg zwischen den Familienangehörigen und die vielen gemeinsam erlebten Not- und Angstsituationen während des Krieges. So schreibt sie: „Man sehnte sich nach Lebenswerten, die einzulösen der Familie zugesprochen wurde.“[29] Lebensformen wie die „nichtehelichen Lebensgemeinschaften“ wurden eher abgewertet und sogar diskriminiert (vgl. Peukert 2002, S. 25). Die Situation der Wohnungsnot begünstigte dabei die hohe normative Akzeptanz der Ehe. Dabei war die rechtliche Situation bis in die 70erJahre hinein so, dass Eheschließungen damit belohnt wurden, dass den verheirateten Paaren z.B. eine Wohnung zugeteilt wurde. Nur innerhalb der Ehe gab es die Möglichkeit einer dauerhaften sexuellen Paarbeziehung und somit war die Eheschließung nicht nur eine ökonomische Notwendigkeit sondern auch eine moralische Pflicht. Man machte sich strafbar, wenn man Wohnraum an Paare vermietete, die nicht miteinander verheiratet waren.[30]

Ehepartner gaben 1950 als Grund für ihre Eheschließung folgende Gründe an: Schwangerschaft, die Zuteilung von Wohnraum, beruflichen und materiellen Nutzen, den Wunsch nach einem Partner zum Zwecke der gemeinsamen Familiengründung und die Möglichkeit einer dauerhaften sexuellen Beziehung. Ehe und Familie waren institutionalisiert und die Eheschließung gehörte für jeden Erwachsenen zur Normalbiographie, die zu erfüllen jeder per Moral und Norm verpflichtet war (vgl. Nave -Herz 1988, S.66). So betrug zu Beginn der 60er Jahre „…die Wahrscheinlichkeit überhaupt mal zu heiraten für die 18jährigen jungen Männer 96% und für die 16jährigen jungen Frauen 95% und weit über 90% der Kinder unter sechs Jahren lebte mit beiden leiblichen Eltern zusammen.“[31] Das bürgerliche Liebesideal wurde in dieser Zeit zur Norm und dem Ehesystem wurde ein hoher Eigenwert gegenüber dem gesamten Familiensystem zugesprochen. So war denn auch die Entscheidung zur Eheschließung eine bewusste Entscheidung für gerade diesen Partner. Dass daraus Kinder entstanden war eine Gegebenheit, die nicht in Frage gestellt wurde (vgl. Nave-Herz 1988, S. 68).

Die meisten Menschen dieser Zeit standen der Scheidung ablehnend gegenüber und fanden, dass die Möglichkeiten zur Scheidung erschwert werden sollten bzw. das die Ehe generell untrennbar sein sollte (vgl. Peuker 2002, S. 26). Für das bürgerliche Eheideal der 50er-bis Ende der 60 Jahre galt: „Dass man nicht plausibel heiraten, aber das Zusammenleben verweigern kann usw. Hier fordert sinnhaft das eine das andere, und wenn einer A gesagt hat, nicht auch B sagt, entwertet er zwangsläufig A, stellt alles in Frage“.[32] Die Ehe hatte nicht mehr den vorwiegenden Zweck Traditionen zu bewahren sondern das persönliche Glück in der Ehe kam als „Nutzungskomponente“ hinzu. Die Beziehung zwischen Mann und Frau wurde als „Ehebund“ und Institution zugleich definiert (vgl. Hill u. Kopp 2002, S.267).

Dieses Ehe- und Familienmodell wurde von Staat und Kirche unterstützt und favorisiert.

2.8 Das Leitbild wird brüchig

Ende der 60er Jahre wurde das bürgerliche Ehe- und Familienmodell zunehmend brüchig. Normative Leitbilder verlieren ihre Verbindlichkeit und immer mehr steigen Zweifel auf an der Möglichkeit der Realisierung einer lebenslangen, monogamen Ehe/Partnerschaft. Die Zeit Mitte-Ende der 60er Jahre kennzeichnet für die Soziologen den Beginn eines tief greifenden sozialen Wandels in dem soziostrukturelle Gegebenheiten aufbrechen und Institutionen wie die Ehe und Familie ihre Gültigkeiten zu verlieren scheinen. Die verbesserten Arbeits- und Einkommensbedingungen und der wirtschaftliche Aufschwungs der 50er und 60er Jahre, führen insgesamt zu einer Verbesserung des Lebensstandartes. Die Menschen der damaligen Zeit waren immer weniger bereit, die alten Rollen- und Leitbilder fraglos zu übernehmen. Der Anspruch der Normen und Traditionen, die Werte der Nachkriegsgeneration und die Wirklichkeit der Lebensrealitäten brachen auseinander und führten zu einer öffentlich geführten Diskussion, ob die alten Normen und Leitbilder noch den Lebensrealitäten entsprachen (vgl. Nave-Herz 1988, S. 66). Maßgeblich beteiligt an dem Auseinanderbrechen von alten Leitbildern waren die Frauenbewegungen, die Studentenbewegung und die Kommunenbewegung. Alle drei Bewegungen forderten mehr Rechte, Freiheiten und Mitspracherechte in Politik und Gesellschaft. Vor allem die Frauenbewegung ist nicht ohne Einfluss auf das Familiensystem geblieben. Sie forderte die (realisierte) Gleichstellung von Mann und Frau und die Zuschreibung der Geschlechterrollen wurde in Frage gestellt. In der Kommunenbewegung wurden neue Lebensformen ausprobiert, und es entstand, zunächst vermutlich als eine Art Protestreaktion gegen das Establishment und die überkommenden Traditionen, die Lebensform der „nichtehelichen Lebensgemeinschaften“. Dies wurde u.a. möglich durch die Abschaffung des Kuppelei-Paragraphen (1973), (vgl.Nave-Herz.1988, S. 66). Immer mehr Frauen qualifizierten sich durch höhere Schulbildung und gewannen an ökonomischer Selbstständigkeit. Die sexuelle Befreiung durch die Pille und die kontrovers geführten Diskussionen des sexuellen Missbrauchs und Gewalt gegen Frauen, die Kampagnen gegen den § „218“ StGB führten die Frauen sukzessive aus ihrer traditionellen Rolle heraus. Die Ehe als Partnerschaft sollte dabei nicht mehr deren institutionellen Charakter hervorheben sondern die Gleichwertigkeit von Mann und Frau. Dabei implizierte der Begriff Partnerschaft auch deren prinzipielle Möglichkeit zur Auflösung (vgl. Hill u. Kopp 2002, S.267).

Die Ehe als Institution verlor somit immer mehr an Status und Notwenigkeit. Die bevölkerungsstatistischen Untersuchungen zeigen ab dieser Zeit einen stetigen Rückgang der Eheschließungen an. Parallel dazu steigen die Scheidungszahlen. So machten 1960 die Zahl der Ehescheidungen weniger als ein Zehntel der Eheschließungen (49 325 gegenüber 521 445) des gleichen Jahres aus; während im Jahre 1975 auf 386 681 Eheschließungen 106 932 Ehescheidungen kamen (vgl. Kaufmann 1981, S.48). Ebenso zeigen die Ambivalenzen in der Einstellung zu Ehe und Familie aber auch deutlich die Wichtigkeit der Differenzierung in empirischen Erhebungen, da die Familie, für den Einzelnen nicht an Wert verloren hat (Schaubild I im Anhang zeigt was die Menschen mit „Familie“ verbinden).

2.9 Zusammenfassung:

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Geschichte der Liebe wie der Ehe und auch der Familie sich in Laufe von Jahrhunderten ja sogar von Jahrtausenden gewandelt und entwickelt hat. Dabei waren diese Entwicklungen auch immer den gesellschaftlichen Strukturen und deren Wandel unterworfen. Erst ab dem 19.Jh. wurde die Liebe anstandshalber in die Institution der Ehe überführt (vgl. Filser 1978, S. 72). Wenn Filser von „anstandshalber“ spricht, so ist dies meiner Meinung nach ein Hinweis darauf, dass Liebe und Ehe einander bedingen sollen, weil Liebe im Zusammenhang mit Sexualität und Erotik den Hinweis auf mögliche „Promiskuität“ beinhaltet und demzufolge Zuwiderhandlungen gegen das Leitbild sowohl rechtlich (vgl. Kuppeleiparagraph) als auch moralisch verfolgt wurde.

Die Geschichte des Abendlandes ist stark auch mit der Geschichte des Christentums verbunden und die Kirche hat (hatte) Einfluss auf Politik und Gesetzgebung. In der Verfassung der Bundesrepublik von 1949 heißt es dementsprechend: Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und dem Menschen, von dem Willen beseelt, als ….“[33] . Die große Übereinstimmung bezüglich des Ehe- und Familienbildes, in Staat und Kirche war meiner Meinung nach einer der Gründe, die es ermöglichten, in der Zeit der 50er und 60er Jahre ein homogenes Ehe- und Familienmodell zu leben. Das Leitbild der bürgerlich modernen Ehe und Familie lautete folgendermaßen:

„…die legale, lebenslange, monogame Ehe zwischen Mann und Frau, die mit ihren Kindern in einem Haushalt leben und in der der Mann Haupternährer und Autoritätsperson und die Frau primär für den Haushalt und die Erziehung der Kinder zuständig ist.“[34]

[...]


[1] Peukert, Rüdiger: Familienformen im Wandel. 4.Aufl. Opladen, 2002, S.29.

[2] Vgl.: Frankl, Victor, E.: Ärztliche Seelsorge. 9.,erg. Aufl. Wien 1979, S.235.

[3] Vgl.: Fachlexikon der sozialen Arbeit. Hrsg.: Deutschem Verein für öffentliche und private Fürsorge. 4.Aufl. Köln,1997, S. 905.

[4] Beck, U.: Risikogesellschaft. Frankfurt/M.,1986. S.205.

[5] Keddi, Barbara: Projekt Liebe. Opladen 2003. S.62

[6]. In: Schröter, Michael: Wo zwei zusammen kommen in rechter Ehe. Frankfurt/M.,1985.S.VIII.

[7] Vgl.: Geißler, Rainer: Die Sozialstruktur Deutschlands. Wiesbaden, 2002. S. 401. Wobei Lebensformen die relativ stabilen Beziehungsmuster beschreiben, die allgemein als Formen des Alleinlebens oder Zusammenlebens, sowohl mit als auch ohne Kinder beschrieben werden. Familie ist insofern ein Begriff, der sich der Oberkategorie der privaten Lebensform unterordnet

[8] Meyer, Thomas: Private Lebensformen im Wandel. In: Geißler Rainer: Die Sozialstruktur Deutschlands. 3.Aufl. Wiesbaden 2002, S.411.

[9] Meyer, Thomas. Private Lebensformen im Wandel. .In: Geißler, Rainer. (2002) S.411.

[10] Geißler, Rainer. ( 2002) S. 140.

[11] Vgl. Geißler, Rainer. (2002) S.23. Der Begriff der Industrialisierung bringt zum Ausdruck, dass Veränderungen in der Produktionsweise auf der Basis von technologischen Veränderungen den Kern des damaligen sozialen Wandels ausmachten. Darüber hinaus strahlt dieser technisierte Wandel auf alle Bereiche der Gesellschaft aus und zieht weitere soziale, kulturelle und politische Veränderungen nach sich

[12] Vgl. .Kaufmann, Franz-Xaver: Zur gesellschaftlichen Verfassung der Ehe- heute. In: Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft. Hrsg. Böckle, Franz; Kaufamnn, Franz-Xaver; Rahner, Karl; Welte Bernhard: Enzyklopädische Bibliothek, Bd.7.Freiburg i. Breisgau, S.45. Kaufmann erwähnt dass dieser Zustimmungsvorbehalt in späterer Zeit immer mehr zum Instrument bevölkerungspolitischer Eindämmung von Bettel und Armut wurde.

[13] Herrmann, Horst: Liebesbeziehungen – Lebensentwürfe. Münster 2001,S.20.

[14] Herrmann, Horst. (2001) S. 83.

[15] Vgl.: Hill, Paul; Kopp Johannes: Familiensoziologie.2.Aufl.Wiesbaden2002, S.47. Die Separierung von häuslichem Familienleben und Berufssphäre und die damit verbundene systematische Trennung von weiblichen und männlichen Lebenswelten bewirkte eine starke Subordination der Frau

[16] Vgl. Peukert, Rüdiger. (2002) S.22. Diese Veränderungen sind nach Peukert die zentralen Punkte in einem neuen Familienmodell.

[17] Herrmann, Horst. (2001) S.210.

[18] Vgl.: Metral, Marie, O. : Die Ehe. Frankfurt/M, 1981, S.211ff. Im Mittelalter war die „intersexuelle Liebe“ unbekannt. Es gab die Liebe der Griechen, die eine „platonische“ – mehr noch die Liebe unter Männern, war. Und die Liebe des Christentums war „geschlechtslos- weil universal.

[19] In: Peukert, Rüdiger. (2002) S.23.

[20] Vgl. Gay, Peter: Die zarte Leidenschaft. New York, 1986, S.141. Aus dem Englischen übersetzt von Holger Fließbach. München 1987. „…die Liebe war für den Roman des 19. Jahrhunderts der am wenigsten entbehrliche, für den Romancier der am leichtesten verkäufliche Artikel.“

[21] Gay, Peter (1986) S.101.

[22] Gay, Peter (1986) S.103.

[23] In: Gay, Peter (1986) S.103.

[24] Gay, Peter (1986) S.105.

[25] Beck, Ulrich: Die Irdische Religion der Liebe. In: Beck, U., Beck-Gernsheim, E.: Das ganz normale Chaos der Liebe. Frankfurt/M 1990, S.246.

[26] Vgl. Metral ,Marie O. (1981).S.57. Dabei ist der Eros der Griechen Begehren und Sehnsucht, ist der Zug nach oben zu Gott hin eine Eigenleistung und baut auf Selbsterlösung. Eros konstatiert Wert bei einem Gegenstand und liebt ihn. Eros ist Erhebung zur Unsterblichkeit, zur Vollendung. Demgegenüber ist Agape Opfer und der Weg Gottes zu den Menschen. Sie ist Selbsthingabe und damit göttlich. Agape liebt und schafft dadurch den Wert bei ihrem Gegenstand.

[27] Beck, Ulrich (1990) S. 246.

[28] Pesch, Otto Hermann: Spiritualität der Ehe. In: Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft .Hrg. Böckle Franz u.a. Enzyklopädische Bibliothek. Bd.7.Freiburg im Breisgau,1981, S.41f.

[29] Nave-Herz, Rosemarie: Kontinuität und Wandel von Ehe und Familie. In: Wandel und Kontinuität der Familie in der Bundesrepublik Deutschland. Hrsg. Nave-Herz,R. Stuttgart, 1988. In: Der Mensch als soziales Wesen. Hrsg. Schneewind, K. u.a. Bd. 8

S. 65.

[30] Vgl.: Schönke, A.; Schröder H.: Strafgesetzbuch. Kommentar.. München, 1972 §180 [Kuppelei],S.1042.

[31] Peukert, Rüdiger (2002) S. 26.

[32] Nave-Herz, Rosemarie (1988) S.67.

[33] Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. In: Gesetze für Sozialberufe. Hrsg. Stascheit, Ulrich. Stand 1.September 2000. 7.Aufl. S.1.

[34] Peukert, Rüdiger (2002) S. 29.

Ende der Leseprobe aus 118 Seiten

Details

Titel
Sind dauerhafte Partnerbeziehungen noch möglich? Liebe und Parternschaft zwischen alten Leitbildern und neuen Lebensformen
Hochschule
Katholische Fachhochschule Norddeutschland Vechta
Note
1,5
Autor
Jahr
2003
Seiten
118
Katalognummer
V31278
ISBN (eBook)
9783638323321
ISBN (Buch)
9783638916394
Dateigröße
1242 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sind, Partnerbeziehungen, Liebe, Parternschaft, Leitbildern, Lebensformen
Arbeit zitieren
Dipl. Sozialpädagogin Mechthild Nitsch (Autor:in), 2003, Sind dauerhafte Partnerbeziehungen noch möglich? Liebe und Parternschaft zwischen alten Leitbildern und neuen Lebensformen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/31278

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