Misogynie als Grundeinstellung? Unwägbarkeiten bei der Auslegung von "Tentamina"

Eine Untersuchung der "Historia von den sieben weisen Meistern und dem Kaiser Diocletianus"


Hausarbeit, 2014

18 Seiten, Note: 2,0

Anna Em (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung ... 3

2. Die Stoffe ... 4
2.1. Die Historia von den sieben weisen Meistern. ... 5
2.1.1. ›Tentamina‹ Das vierd exempel des vierden maisters ... 6
2.2. ››Das Decameron‹‹ von Boccacio ... 7
2.2.1. ›Die 9. Geschichte des 7. Tages‹ ... 7

3. Analyse ... 8
3.1. Motivik ... 8
3.2. Die Figuren: Mann Frau Beraterin ... 10
3.2.1. Die Figur des alten Mannes ... 11
3.2.2. Die Figur der Frau. ... 12
3.2.3. Die Figur der eingeweihten Frau: Mutter Kammerjungfer ... 14

4. Zusammenfassung ... 15

Literaturverzeichnis ... 17

Primärliteratur ... 17

Sekundärliteratur ... 17

Enzyklopädien ... 18

1. Einleitung

Zentraler Bezugspunkt dieser Arbeit ist die Erzählung von den ››Sieben weisen Meistern‹‹, einer im Mittelalter weit verbreiteten Exempelsammlung, deren textgeschichtliche Wurzeln mit großer Wahrscheinlichkeit bis ins Persische Reich um 900, vermutlich sogar weitere 600 Jahre zurück bis nach Indien reichen.1

Im europäischen Raum tauchen verschiedene Versionen der Erzählung erstmals im 11./12. Jahrhundert in altfranzösischer, lateinischer und altspanischer Sprache auf, wobei die altfranzösische2 die älteste der westeuropäischen darstellt. Als in Europa am weitesten verbreitete Variante gilt die lateinische ››Historia septem sapientum‹‹ 3, die wiederum die Vorlage für die dieser Arbeit zu Grunde liegende frühneuhochdeutsche Fassung mit dem Titel ››Die Historia von den sieben weisen Meistern und dem Kaiser Diocletianus‹‹ 4 darstellt. Übergreifendes, allen Versionen gemeinsames Merkmal ist der strenge Aufbau in Form einer umfassenden Rahmenerzählung, in die kleinere Binnenerzählungen, Exempel, eingefügt werden, die den Figuren der Rahmenerzählung als Argumente dienen. Abweichungen zwischen den verschiedenen Versionen zeigen sich in Anzahl und Auswahl der Exempel und/oder in der Besetzung der Exempel - Erzähler(innen)rolle.

Aufmerksamkeit verursacht die Tatsache, dass sich die einzelnen Exempel nicht immer als logisch begründete Argumente erweisen, sondern eher sperrig erscheinen. Vor allem die Erzählungen der Kaiserin weisen fehlerhafte Bezüge und Ungereimtheiten auf, wirken teilweise absurd und befremdend. Im literaturwissenschaftlichen Diskurs entstanden dazu unterschiedliche Erklärungsansätze. Die mangelhafte Plausibilität wurde zuletzt von Hans-Henning Steinmetz als „narrative Kritik des argumentativen Exempelgebrauchs" interpretiert (vgl. Steinmetz 2000, S. 60 ff.). Unzweifelhaft beruht die mangelhafte Stimmigkeit einerseits auf - welcher Intention auch immer folgend - unpassenden Bezügen zwischen Exempel und Rahmenhandlung, andererseits aber auch auf der Konstruktion einer Art schwer fassbaren Schwebezustands, der Fragen nach Schuld und Unschuld nicht eindeutig beantworten lässt. Bea Lundt´s Untersuchungen zur Frage, wie in dieser Zeit Lebensplanungen und Handlungsmöglichkeiten in den sprachlichen Äußerungen der Menschen kreiert wurden und in welcher Weise diese Denkmodelle geschlechtsspezifisch variierten, bieten für diesen Aspekt hilfreiche Zugänge (vgl. Lundt 2002).

In dieser Arbeit soll der Frage der Auslegbarkeit offenbar misogyner Inhalte am Beispiel der ›Tentamina‹ nachgegangen werden, da für dieses Exempel aufgrund seiner zentralen Stellung im Gesamttext eine besondere Bedeutung vermutet wird. Die Fragestellung lautet daher:

Wodurch und inwieweit wird im Exempel ›Tentamina‹ eine misogyne Grundeinstellung ausgedrückt und worin zeigen sich die Unwägbarkeiten bei der Auslegung?

Um die Auffälligkeiten und Besonderheiten deutlicher herauszuarbeiten, wird dem Text der ››Historia‹‹ ein um 1350 entstandener Paralleltext, der aus der Quelle des ›Tentamina‹-Exempels gespeist wurde, gegenübergestellt. Es handelt sich um die 9. Erzählung des 7. Tages aus Boccaccios Novellensammlung ››Il Decamerone‹‹.5

2. Die Stoffe

Boccaccios Werk ist in Form einer additiven Aneinanderreihung von Einzelerzählungen aufgebaut. Diese Erzählungen haben Novellencharakter, dienen vordergründig der Unterhaltung, weniger stark der Belehrung. Hierin liegt ein markanter Unterschied zur ››Historia‹‹, denn dort sind Exempel und Rahmenerzählung ineinander verwoben und beeinflussen sich wechselseitig. Die Funktion des Exempels liegt eindeutig auf Belehrung durch argumentatives Erzählen.

Im Folgenden sollen die beiden Werke in ihrer Essenz kurz dargestellt werden.

2.1. Die Historia von den sieben weisen Meistern

Die Handlung der Rahmenerzählung gleicht sich in allen Versionen der ››Historia‹‹. Der junge Sohn eines Kaisers wird von sieben weisen Meistern fernab vom Hof erzogen und soll nach sieben Jahren zu seinem Vater zurückkehren. Vor seiner Rückkehr deutet er aus der Konstellation der Gestirne, dass er sieben Tage schweigen muss, um sein Leben zu retten. Am väterlichen Hof versucht seine Stiefmutter, ihn zu verführen. Da er sie zurückweist, spielt sie die Opferrolle und bezichtigt ihn vor seinem Vater der versuchten Vergewaltigung. Daraufhin soll der Prinz hingerichtet werden. Dies zögern die weisen Meister jedoch durch das Erzählen von Exempeln, die die wahren Vorgänge der Rahmenerzählung erkennbar werden lassen, Tag um Tag hinaus. Jeder Geschichte der Meister folgt eine Gegenerzählung der Kaiserin, in der sie den Kaiser auf die Schlechtigkeit von machtbesessenen Söhnen und unlauteren Beratern hinweist und die Tötung des Prinzen fordert. Nach Ablauf der Schweigefrist erzählt der Prinz eine umfangreiche Geschichte und entdeckt seinem Vater damit die boshafte Täuschung durch seine Frau. Statt seines Sohnes lässt dieser nun die Kaiserin mit ihrem Geliebten hinrichten. Die Frage des Herrschaftsanspruchs von Vater und Sohn wird abschließend von beiden Seiten vertrauensvoll als eine genealogisch vorgegebene Machtübernahme zu einem gebührenden Zeitpunkt anerkannt.

›Tentamina‹ nimmt als achte Erzählung die zentrale Stellung unter den Exempeln ein und weckt daher besonderes Interesse. Woher der Stoff stammt, konnte bislang nicht geklärt werden. Möglicherweise hat er in der von Streit geprägten Beziehung zwischen Sokrates und Xanthippe seinen Ursprung (vgl. Steinmetz 2001, S. 81).

2.1.1. ›Tentamina‹ Das vierd exempel des vierden maisters

Meister Waldrach, der dieses Exempel vorträgt, gibt dem Kaiser erstmals einen direkten Hinweis auf den Bezug zwischen Inhalt der Erzählung und dem ehelichen Zusammenleben des Kaiserpaares und warnt den Kaiser, den Lügen seiner Frau nicht zu glauben: „[sonst] geschiht euch on zwifel als ainem ritter mit sinem weib" (ebd., S. 25, Z.95 f.). Diese Warnung wird zum Abschluss der Erzählung nochmals vorgebracht.

Erzählt wird die Geschichte eines Ritters, der nach langer Zeit des Alleinseins auf Anraten seiner Freunde eine schöne und dazu wohlhabende junge Frau ehelicht. Da der Ritter „kalt vnd alt" (ebd., S. 26, Z. 23) ist, bleibt die Ehe jahrelang kinderlos und die Frau beschließt, sich einen Liebhaber zu suchen.

In dieser Absicht unterwegs, begegnet ihr ihre Mutter, welche versucht, sie von ihrem Plan abzubringen. Die Tochter begründet ihr Vorhaben mit der Freud- und Lieblosigkeit ihres Ehelebens und entdeckt der Mutter, sich einen Pfaffen nehmen zu wollen, der aufgrund seiner eigenen Sündhaftigkeit schweigen müsse und ihren Ruf nicht gefährden werde. Die Mutter fordert mit dem Verweis auf die den Eltern zu erbietende Achtung, die Langmut ihres Ehemannes vor dem Ehebruch auf die Probe zu stellen. Ihr zuliebe lässt sie sich darauf ein, fällt den Lieblingsbaum ihres Mannes und verheizt das Holz. Der Ritter zeigt darauf großen Unmut, vergibt ihr aber, als sie zu weinen anfängt. Die Mutter, die sie nächsten Tags an der Kirche erwartet, überredet sie ein weiteres Mal, ihr Vorhaben aufzuschieben und nun den Lieblingshund des Ritters zu töten. Die Tochter willigt widerstrebend ein und tötet den Hund im Beisein des Mannes im Schlafzimmer. Des Ritters Zorn versiegt, als die Frau klagt, sie werde von ihm weniger als der Hund geachtet. Auch am dritten Morgen wartet die Mutter an der Kirche und überzeugt sie endlich, die Geduld des Ritters noch ein letztes Mal zu versuchen. Am Tag, an dem ihr Mann „ritter vnd herren vnd die pesten ze Rom ladet ze tisch" (ebd., S. 30, Z. 134 f.), zieht sie mit gespieltem Ungeschick das Tischtuch, auf dem „köstlich essen vnd silbre vnd gůlde köpf vnd pecher waren" (ebd., Z.143 f.), auf den Boden. Obwohl das Unglück humorvoll bereinigt wird, vergisst der vor den Herren beschämte Ritter es seiner Frau nicht und plant, sie durch einen Aderlass von ihrem „böß blüt" (ebd., 30, Z.155) zu befreien, um damit zukünftige schlimmere Geschehnisse zu verhindern.

[…]


1 Vollständig geklärt wurde der Ursprung noch nicht, jedoch liegt der Rückbezug auf das neupersische Sindbadbuch nahe, welches wiederum auf das altindische Pañcatantra, einer Sammlung moralischer Geschichten, Fabeln und Tiergeschichten zur höfischen Erziehung der Prinzen, zurückgeführt werden kann. Das Pañcatantra, um 1270 von Johannes von Capua ins Lateinische übersetzt, hielt unter dem Titel Directorium vitae humanae Einzug an den europäischen Fürstenhöfen und weist große Ähnlichkeit in Bezug auf Titel, Motive und Gestaltungsweisen auf (vgl. Lundt 2007, S. 654 - 660).
2 „Roman de sept sages de Rome" (Steinmetz 2001, S. IX).
3 Älteste Handschrift ist der in der Universitätsbibliothek Innsbruck verwahrte Codex 310 (Verfasser und Entstehungsort unbekannt) aus dem Jahr 1342 (vgl. Roth 2004, S. 7).
4 Gießener Handschrift 104 (Steinmetz 2001).
5 Gewählt wurde die neubearbeitete Fassung ››Das Decameron‹‹ von Johannes von Guenther (1940), die auf der selten gewordenen Übersetzung von August Gottlieb Meißner aus den Jahren 1782 - 84 basiert. Dessen altertümlich gefärbter Sprachstil erscheint für eine adäquate Wiedergabe der italienischen Dichtung am angemessensten (vgl. Boccaccio, S. 15).

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Details

Titel
Misogynie als Grundeinstellung? Unwägbarkeiten bei der Auslegung von "Tentamina"
Untertitel
Eine Untersuchung der "Historia von den sieben weisen Meistern und dem Kaiser Diocletianus"
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für deutsche Literatur)
Veranstaltung
Seminar
Note
2,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
18
Katalognummer
V313907
ISBN (eBook)
9783668126053
ISBN (Buch)
9783668126060
Dateigröße
625 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
7 weise Meister, Diocletianus, Historia, exempel, Tentamina, Historia septem sapientum, Misogynie
Arbeit zitieren
Anna Em (Autor:in), 2014, Misogynie als Grundeinstellung? Unwägbarkeiten bei der Auslegung von "Tentamina", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/313907

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