Lessings "Ernst und Falk. Gespräche für Freimäurer". Fingerzeige zwischen den Zeilen


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2015

19 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Inhalt der Gespräche

3 Inhaltliche Überlegungen
3.1 Namen
3.1.1 Falk
3.1.2 Ernst
3.2 Titel, Vorreden und Nachrichten
3.2.1 Einen und Trennen
3.2.2 Mäurer - Das Auge der Vorsehung
3.3 Vorreden
3.3.1 Allgemeines
3.3.2 Erste Vorrede
3.3.3 Zweite Vorrede
3.4 Nachrichten
3.4.1 Allgemeines
3.4.2 Erste Nachricht
3.4.3 Zweite Nachricht

4 Formale Überlegungen
4.1 Die Gespräche als Drama
4.2 Die Gespräche im Kontext des Antipentateuch der Templer

5 Interpretation

6 Schlusswort

7 Literaturverzeichnis
7.1 Quellen
7.2 Darstellungen
7.3 Bildnachweise

1 Einleitung

Lessings Spätwerk kreist thematisch letztlich immer wieder um dieselbe Fragen: Wie findet der Mensch seinen Weg zur aufgeklärten Sittlichkeit, Humanität und Toleranz? Welche Rolle spielen dabei Offenbarung, Erziehung, Vorsehung und Entelechie? Und wie lassen sich komplexe Gedankengänge so in Text verwandeln, dass sie dennoch verstanden werden können? Gerade in Hinblick auf die letzte Frage fallen zwei Hilfsmittel auf, derer sich Lessing immer wieder bedient: die Mäeutik und die Metaphorik, wobei erstere ja bereits auch schon wieder auf letzterer gründet; die sokratische „Hebammenkunst“ ist die metaphorische Umschreibung der Frage-Antwort-Technik, die Lessing im Nathan ebenso verwendet wie in seinen Gesprächen für Freimäurer oder in den Axiomata. Lessings Bildsprache ist etwas, das genuin zu ihm selbst gehört wie seine Nase. Entsprechend hält er im zweiten Anti-Goeze fest: „Jeder Mensch hat seinen eigenen Stil, so wie seine eigne Nase, und es ist weder artig noch christlich, einen ehrlichen Mann mit seiner Nase zum besten haben, wenn sie auch noch so sonderbar ist. Was kann ich dafür, dass ich nun einmal keinen anderen Stil habe?“[1] Nun könnte man einwenden, dass die Form der Nase genetisch determiniert sei, wohingegen ein Stil etwas ist, das man sich im Laufe der Zeit aneignet und das man stets variiert. Doch in seinen an diese Aussage anschliessenden Ausführungen zeigt Lessing auf, dass der Urgrund seines Stiles mit seinem Denken in Bildern zu tun habe und darum eben doch auch wie seine Nase genetisch vorgegeben sei. Und dementsprechend ist ein Denken und Schreiben in Metaphern, Allegorien und Parabeln eine Vorgehensweise, die kein abschliessendes Verstehen ermöglicht. Es setzt lediglich Denkprozesse in Gang, die einen stets nach der Wahrheit des Gesagten suchen lässt. Ein solcher Schreibstil ist dementsprechend mit dem Credo Lessings selbstkongruent: „Nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgendein Mensch ist oder zu sein vermeinet, sondern die aufrichtige Mühe, die er angewandt hat, hinter die Wahrheit zu kommen, macht den Wert des Menschen. Denn nicht durch den Besitz, sondern durch die Nachforschung der Wahrheit erweitern sich seine Kräfte, worin allein seine immer wachsende Vollkommenheit bestehet. Der Besitz macht ruhig, träge, stolz - …“[2]

Allegorien, Parabeln, Metaphern erschweren und erleichtern paradoxerweise den Zugang zu Lessings Gedankenwelt. Man ist gezwungen, die Bilder, die er benutzt, genau zu hinterfragen und auszudeuten. In seinem Dialog „Ernst und Falk“ kommt in diesem Zusammenhang erschwerend hinzu, dass Lessing einen Text produziert, der gleichzeitig zwei Rezipientenebenen anspricht: Freimaurer und Nicht-Freimaurer gleichermassen. Lessing will wohl das Geheimnis der Freimaurer darstellen, nicht aber deren „Heimlichkeiten“ ausbreiten. Dennoch finden sich auch Fingerzeige, die auf solche Heimlichkeiten hinweisen und deren Ausdeutung durchaus dazu beitragen kann, auch das Geheimnis der Freimaurer besser zu verstehen.

In meiner Arbeit werde ich nicht genau auf die komplexe Entstehungsgeschichte des Textes eingehen, sondern mich mit strukturellen Fragen beschäftigen, die als Grundlagen des Gespräches zu verstehen sind. Vor allem interessiert mich, nach welchem Muster der Dialog aufgebaut ist, welche Bedeutung die von Lessing verwendeten Namen haben und was letztlich als Kernbotschaft des Textes zu verstehen ist.

An der Struktur des Dialoges fällt auf, dass er in fünf Gespräche eingeteilt ist. Ich werde in diesem Zusammenhang darum zwei Fragen untersuchen: Inwieweit ist der Text wie ein Drama in fünf Akten konzipiert und gibt es Parallelen zu den fünf Büchern Mose?

2 Inhalt der Gespräche

Vorrede eines Dritten

In einem für die damalige Zeit relativ salopp gehaltenen Brief an Herzog Ferdinand, dem Bruder des regierenden Herzogs Karl, bittet Lessing diesen darum, seine Erkenntnisse über die Freimaurerei vertiefen und publizieren zu dürfen. Seine Motivation bestehe darin, den Lesern aufzuzeigen, was die wahre Freimaurerei letztlich ausmache, und diese Erkenntnis endlich einmal zu verschriftlichen, damit es der Freimaurerei nicht so ergehe wie dem Urchristentum.

1. Gespräch

Das erste Gespräch thematisiert zwei Fragen, die inhaltlich zusammenhängen. Erstens: Ist Falk ein Freimaurer? Und zweitens: Was ist Freimaurerei?

Falk antwortet auf die erste Frage, dass er glaube[3], ein Freimaurer zu sein, während viele Freimaurer bloss zu wissen glaubten, Freimaurer zu sein, es aber in Wahrheit nur der Form nach, nicht jedoch dem Wesen nach seien. Freimaurer könne man dem Wesen nach allerdings auch dann sein, wenn man von keiner Loge aufgenommen worden sei.[4]

Dementsprechend lassen sich die Menschen in vier Kategorien einteilen: die echten und eingeweihten Freimaurer, die scheinbaren, aber eingeweihten Freimaurer, die echten, aber nicht eingeweihten Freimaurer und die restlichen Menschen, die weder eingeweiht noch vom Wesen her Freimaurer sind.

Was denn echte Freimaurerei sei, lasse sich nicht in Worte fassen. Echte Freimaurer erkenne man jedoch an ihren Taten. Das eigentliche Ziel der Freimaurerei sei es jedoch nicht, ständig nur gute Taten zu vollbringen. Die wahrhaft guten Taten der Freimaurer zielten letztlich über Jahrhunderte hinweg daraufhin ab, gute Taten gänzlich überflüssig werden zu lassen, da sie gar nicht mehr benötigt würden. Mit anderen Worten: Die Freimaurer sorgt weltweit für strukturelle gesellschaftliche Verbesserungen, die singuläre Hilfestellungen obsolet werden lassen, da entsprechende Krisensituationen gar nicht mehr auftreten. Wenn es zum Beispiel keine Hungersnöte mehr gibt, müssen auch keine Spenden für Hungernde gesammelt werden.

2. Gespräch

Im zweiten Gespräch wird die Frage erörtert, welche Funktion dem Staate zukomme. Ernst und Falk gelangen zum Schluss, der Staat müsse es dem Individuum ermöglichen, dass es sich im Sinne des Fortschrittes positiv entfalten könne. Der Staat werde dann unnötig, wenn die strukturellen Verbesserungen gute Taten überflüssig werden lassen. Allerdings würden jedoch selbst in einem idealen Superstaat der Komplexität wegen stets Verwaltungseinheiten geschaffen werden müssen, die letztlich (aufgrund von zum Beispiel Klimabedingungen) unterschiedliche, wenn nicht sogar sich widersprechende Bedürfnisse hätten. Darum bedürfe es Menschen, die das Trennende angesichts der menschlichen Unvollkommenheit überwänden und die Menschen wieder zusammenbringen könnten – und das seien die Freimaurer.

3. Gespräch

Beweis für die hehren Absichten der Freimaurer sei, dass sie alle Menschen gleich welchen Standes, welcher Religion und Rasse in ihre Loge aufnähmen, wenn sie sich für eine solche Aufnahme als würdig erwiesen. Die göttliche Vorsehung sorge dafür, dass Irrtümer überwunden werden könnten.

Zur Nachricht

Falk hält fest, dass Ernst sich entschlossen habe, nun selbst auch Freimaurer zu werden. Und die Folgen dieser Initiation führen schliesslich zu einem vierten und fünften Gespräch.

Vorrede eines Dritten

Der Herausgeber des zweiten Teils der Gespräche erklärt, dass der (anonyme) Autor des Urtextes nach der Veröffentlichung der ersten drei Gespräche aufgrund eines „bittenden Winkes … höheren Ort’s“ die Veröffentlichung der letzten beiden Gespräche verhindert habe. Es gebe aber Abschriften davon, von denen er eine gelesen habe und daraufhin nicht umhin gekommen sei, die Gespräche wegen ihres wichtigen Inhalts dennoch zu publizieren. Er habe aber aus Rücksicht bestimmte Namen bewusst nicht aufgeführt.

4. Gespräch

Ernst ist schwer enttäuscht vom realen Erscheinungsbild der Freimaurerei. Die Gleichheit der Logenmitglieder ist weder religiös noch standesmässig gegeben und die Mitglieder beschäftigten sich hauptsächlich mit esoterischen Thematiken wie der Alchemie, der Geisterseherei und den Templern. Den Logen gehe es nur um Macht, Einfluss und Geld. Falk widerspricht nicht und sieht im aktuellen Zustand der Freimaurerei, in der strikte und late Ordonanz um die Vorherrschaft streiten, bloss eine zeitweilige Verirrung. Das eigentliche Wesen der Freimaurerei ist in seinen Augen weiterhin eine natürliche Notwendigkeit. Irrtümer müssten immer und überall möglich sein, denn sonst wäre der Mensch ja bereits perfekt. Die Logen verhielten sich zur Freimaurerei wie die Kirche zur Religion.

Falk sieht insbesondere im Templerorden die Vorgängerorganisation zu den Freimaurern. Er unterscheidet zwischen Heimlichkeiten und Geheimnissen der Freimaurer. Die Verwandtschaft zu den Templern sei eine Heimlichkeit, die sprachlich mitteilbar sei, wenn es auch früher sinnvoll gewesen sein mag, dies zu verschweigen. Das Geheimnis der Freimaurer hingegen könne weiterhin nicht in Worte gefasst werden, weil es sich der Sprache entziehe. Falk hofft nur, dass jene Freimaurer, die nun mit den Templern „schwanger“ gingen, den „rechten Punct“ sähen und fühlten.[5] Allerdings fürchtet er, dass dem nicht so sei. Zugleich aber weiss er auch, dass die Vorsehung schon darum besorgt sei, dass die Menschen alle Irrwege dereinst überwinden würden. Denn das, was heute Freimaurerei heisse, habe eine uralte Geschichte.

5. Gespräch

Falk klärt Ernst über die Ursprünge der zeitgenössischen Freimaurerei auf. Diese sei eine sehr junge Erscheinung und erst im 18. Jahrhundert entstanden. Ihre Essenz aber sei so alt wie die menschliche Zivilisation selbst. Er führt aus, dass Masonry eigentlich auf das Wort Masony zurückzuführen sei, von Mase als Tisch, Tafel und nicht von mason als Maurer. Die Tafelrunde des König Arthus sei ein Beispiel einer solchen Gesellschaft gewesen. Der Gedanke, während eines Essens über Probleme zu diskutieren, sei eine deutsche Sitte, die von den Sachsen nach England mitgebracht worden sei. Insbesondere die Masoneien der Templer hätten im 12. Und 13. Jahrhundert ein hohes Ansehen genossen. Die Templer seien dann zwar als Orden vernichtet worden, hätten im Geheimen aber weiterhin weiterexistiert. Der eigentliche Gründervater der modernen Freimaurerei sei Christoph Wren, der Erbauer der St.-Pauls-Kathedrale in London. Wren sei Mitglied einer solchen Templer-Gesellschaft gewesen und habe die moderne Freimaurerei auf der Basis des alten Gedankenguts gegründet.

Durch die Geheimhaltung sei die Geschichte der Freimaurerei schnell zu einer Geschichtsklitterung verkommen. Dinge, die falsch seien, würden im Laufe der Jahrhunderte aufgrund ihrer Überlieferung plötzlich scheinbar wahr – seien aber in Wahrheit natürlich weiterhin falsch.[6]

Nachricht

Der Text schliesst mit einer weiteren Nachricht, in der ein sechstes Gespräch angekündigt wird, das aber „nicht abzubilden“ sei und im Wesentlichen für kritische Anmerkungen zum fünften Gespräch gedacht sei, jedoch zurückgehalten werde.

3 Inhaltliche Überlegungen

3.1 Namen

3.1.1 Falk

Wie ungeheuer dicht Lessings Bildsprache gepackt ist, lässt sich sehr schön am folgenden Sachverhalt aufzeigen: Gegen Ende des ersten Gesprächs entdeckt Falk einen Schmetterling, den er unbedingt fangen will. Es ruft Ernst zu, es handle sich um den Falter der „Wolfsmilchraupe“.[7] Diese Raupe entpuppt sich als Wolfsmilchschwärmer und ist ein Schmetterling (Nachtfalter) aus der Familie der Schwärmer, die mit wissenschaftlichem Namen „Sphingidae“, also „Sphinxe“ bezeichnet wird und sich vom Nektar der Wolfsmilchpflanzen ernährt.[8]

„Wolfsmilch“ erinnert an Romulus und Remus, die bekanntlich von einer Wölfin gesäugt worden sind und als die mythischen Gründer Roms gelten. Die Römer wiederum können als das Kulturvolk gesehen werden, das Europa Zivilisation, Philosophie und Kultur gebracht hat. Unter anderem hat Cicero in seiner Schrift „De re publica“ wichtige Gedanken zum Wesen des Staates entwickelt – und tatsächlich thematisiert Lessing im auf die Szene nachfolgenden Gespräch das Staatswesen. Abb. 1:

Der Schmetterling steht als indexikalisches Symbol sowohl für die Seele[9] und als auch für die Freimaurerei;[10] Falk geht für die Freimaurer auf Seelenfang – wie der Seelenfischer Simon Petrus. Auf Englisch heisst der hier gejagte Wolfsmilchschwärmer „Spurge- Hawk-Moth“, also „Wolfsmilch-Falken-Motte“.

[...]


[1] Barner W. et al. (Hrsg.): Gotthold Ephraim Lessing: Werke und Briefe. Bd. 9, Deutscher Klassiker Verlag (Suhrkamp/Insel), Frankfurt a.M. 2014, Anti-Goeze 2, S. 150.

[2] Barner, Bd. 8, Eine Duplik 1, S. 510.

[3] Im Sinne sowohl eines Glaubens als auch einer Vermutung zu verstehen.

[4] Diese Ansicht korreliert mit Lessings Vorstellung, die er auch im Zusammenhang mit dem Christentum in der „Erziehung des Menschengeschlechts“ entwickelt: Die Offenbarung beschleunigt lediglich den Prozess der Humanisierung der Gesellschaft; aber die Anlagen dazu sind dem Menschen bereits angeboren.

[5] Barner, Bd. 10, Ernst und Falk, S. 50.

[6] Auch hier sieht Lessing eine Parallele zur Geschichte der Offenbarung.

[7] Barner, Bd. 10, Ernst und Falk, S. 21.

[8] Vgl. Barner, Bd. 10, Ernst und Falk, S. 764.

[9] Psyche heisst im Griechischen sowohl „Schmetterling“ als auch „Seele“. Bereits in der Antike wird somit der Schmetterling mit der Seele assoziiert. Aus der Raupe wird durch Verwandlung ein farbenprächtiger, nahezu schwereloser Falter mit wunderbaren Flügeln. Er steht im Christentum sinnbildlich für den Engel, zu dem die Seele nach dem Tode wird.

[10] „In der Freimaurerei fungiert der Schmetterling als Symbol des Unvergänglichen, hier wohl <als Symbol für den wahren Begriff und das unsagbare Geheimnis der Freimaurerei>.“ Stellenkommentar Barner, Bd. 10, Ernst und Falk, S. 764.

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Details

Titel
Lessings "Ernst und Falk. Gespräche für Freimäurer". Fingerzeige zwischen den Zeilen
Autor
Jahr
2015
Seiten
19
Katalognummer
V314076
ISBN (eBook)
9783668127739
ISBN (Buch)
9783668127746
Dateigröße
829 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Lessing, Ernst und Falk, Gespräche für Freimäurer, Moira, Horus
Arbeit zitieren
Niklaus Vértesi (Autor:in), 2015, Lessings "Ernst und Falk. Gespräche für Freimäurer". Fingerzeige zwischen den Zeilen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/314076

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