Die Mutter-Kind-Beziehung im Borderline-Kontext. Wie wirkt sich die Krankheit auf die Bindung aus?


Hausarbeit, 2015

25 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Gliederung

1 Einleitung

2 Borderline-Störung
2.1 Begriffsbestimmung
2.2 Klassifikation
2.3 Symptome der Borderline-Persönlichkeit
2.3.1 Affektregulation
2.3.2 Psychosoziale Integration
2.3.3 Kognitive Funktionsfähigkeit
2.3.4 Verhaltensebene
2.3.5 Selbstbildes
2.4 Verbreitung und Verlauf der Erkrankung
2.5 Ätiologie zur Entstehung der Borderline-Persönlichkeit
2.5.1 Persönlichkeit
2.5.2 Traumatisierung/psychische Ursache
2.5.3 Mögliche biologische Ursachen
2.5.4 Familiäre Ursachen
2.6 Dialektisch-behaviourale Therapie

3 Mutter-Kind Bindung
3.1 Begriffsbestimmung: Bindung
3.2 Grundausstattung für Bindungsbeziehung im Säuglingsalter
3.3 Kindliche Signale und mütterliche Feinfühligkeit
3.4 Bindungstheorie nach Bowlby
3.5 Postulate der Bindungstheorie
3.6 Bindungsqualitäten
3.6.1 Sichere Bindung
3.6.2 Unsichere-vermeidende Bindung
3.6.3 Unsicher-ambivalente Bindung
3.6.4 Desorganisierte Bindung
3.6.5 Auswirkungen der Bindungsentwicklung

4 Auswirkungen auf die Mutter-Kind-Beziehung im Borderline-Kontext
4.1 Unterschied zwischen Borderline-Mütter und idealen Müttern

5 Fazit

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit betreue ich, nach § 30 SGB VIII, eine alleinerziehende Mutter, ihren 14-jährigen Sohn und ihre einjährige Tochter. Zwei weitere Kinder sind in Pflegefamilien untergebracht. Der Mutter wurde vor zwei Jahren die Diagnose Borderline gestellt; sie begab sich nicht in Therapie. Der Sohn ist häufig abgängig, konsumiert Drogen und sein Verhalten wird als aggressiv beschrieben. Der mütterliche Umgang mit ihrer Tochter ist sichtlich lieblos und sie scheint wenig auf die Bedürfnisse des Kindes einzugehen. Gerade die Beziehung zu der Einjährigen irritiert mich. Die Kinder haben alle verschiede Väter, von denen jeder den Kontakt zu Kind und Mutter verweigert.

In einer Supervision wurde die Hilfe besprochen und die dysfunktionale Familie nur auf die Erkrankung der Mutter geschoben.

In diesem Setting stehe ich vor der Frage, inwieweit sich die Borderline-Störung der Mutter auf die Beziehung zu ihren Kindern auswirkt.

Auf Grund dessen wird in der vorliegenden Arbeit zum einen das Krankheitsbild der Borderline-Störung beleuchtet. Hierbei unter anderen Begrifflichkeiten erklärt, Symptome definiert und die Ursachen niedergeschrieben, wie ein Therapieansatz vorgestellt.

Zum anderen erscheint es wichtig zu sein, bindungstheoretische Annahmen hinzuzuziehen. So wird die Bindungstheorie von John Bowlby beleuchtet und die Verschiedenheit von Qualitäten der Mutter-Kind-Bindung betrachtet.

Im Anschluss daran werden die Auswirkungen der Borderline-Störung im Kontext auf die Mutter-Kind-Beziehung anhand von Literatur beleuchtet.

Im Fazit wird das Vorangegangene zusammengeführt, die Forschungsfrage beantwortet und ein Ausblick gestellt.

Diese Hausarbeiterhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, da dies den Rahmen sprengen würde. Es wird auf Primär- und Sekundärliteratur zurückgegriffen und für die Bearbeitung verwendungsfähige Internetquellen herangezogen.

2 Borderline-Störung

Die Borderline-Störung, im Folgenden auch mit BLS abgekürzt, ist facettenreich- ebenso wie die Versuche, sie zu beschreiben und zu definieren. Welche Kriterien auf diese schwierige seelische Störung hinweisen, ist heute verbindlich festgelegt.

2.1 Begriffsbestimmung

Der junge Begriff Borderline stammt aus dem englischen und bezeichnet Menschen, die in einem Grenzbereich leben. Der Ursprung des Begriffs liegt in der Psychoanalyse und der Psychopathologie. Die Erkrankung wurde bereits im 17. Jahrhundert durch den englischen Arzt Thomas Sydenham beschrieben. Er sprach von Menschen, die ohne Maß lieben und die sie ohne Grund hassen. Sydenham berichtete über Patienten, die immense Wut und Schmerzen zum Ausdruck brachten, und über die Angst, die sie verspürten. Die begriffliche Zuordnung unterliegt einem steten Wandel und die unterschiedlichen Formen des Störungsbildes erfahren Änderungen und Ergänzungen.

1938 wurde der Begriff Borderline erstmals verwendet. Ein amerikanischer Psychoanalytiker namens Adolph Stern prägte ihn in seiner Schrift über die "borderline group of neuroses". Stern definierte Borderline als eine Störung, die weder eine Neurose noch eine Psychose war. Vielmehr treten Psychosen und Neurosen abwechselnd auf. In den Siebziger- und Achtzigerjahren verwendete man den Begriff Borderline als eine Sonderform schizophrener Psychosen (vgl. Sendera/Sendera 2012, S. 2).

In der Literatur tritt der Begriff Borderline in verschiedenen Verbindungen auf, welche wie folgt voneinander abgegrenzt werden:

Das Borderline-Syndrom bezieht sich auf die typischen Anzeichen und Symptome der Krankheit, die regelhaft in Verbindung miteinander auftreten und so ein Syndrom bilden.

Die Begriffe Borderline-Persönlichkeit und Borderline-Persönlichkeitsorganisation beschreiben die gleichbleibende, innere Struktur eines Menschen und meinen nicht notwendigerweise eine Krankheit oder Störung. Als letzter Begriff ist der Borderline-Zustand zu erklären. Dieser bezeichnet eine Krankheitsepisode, in der ein Betroffener mit einer Borderline-Persönlichkeit die für ihn typischen Symptome aufweist. Ausgelöst durch innere oder äußere Belastungen, die der Erkrankte nicht mehrausbalancieren bzw. kompensieren kann.

Der Begriff Borderline-Störung, der weiterhin Verwendung findet, beschreibt also die Spannbreite von der Persönlichkeitsstruktur bis hin zu erkennbaren Krankheitsphasen, in der alle Symptome der Störung auftreten (vgl. Niklewski/Riecke-Niklewski 2003, S. 16f).

2.2 Klassifikation

Es gibt zwei medizinisch-psychiatrische Klassifikationssysteme, nach denen psychische Störungen von Ärzten, Psychiater und Psychotherapeuten diagnostiziert werden. Zum einen, nach das von der American Psychiatric Association herausgegebene "Diagnostische und statistische Manual psychischer Störungen" (Niklewski/ Riecke-Niklewski 2003, S. 17), kurz DSM-IV genannt. Zum anderen gibt es den ICD-10, sprich die "Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme" (ebd.) der Weltgesundheitsorganisation.

Das DSM legt bezüglich der BLS einen Kriterien-Katalog vor, wovon mindestens fünf der nachfolgender Kriterien dauerhaft für eine Diagnose erfüllt sein müssen:

"1. Verzweifeltes Bemühen, reales oder eingebildetes Verlassen werden zu verhindern
2. Instabile und intensive zwischenmenschliche Beziehungen, für die ein Wechsel zwischen extremer Idealisierung und Abwertung typisch ist
3. Identitätsstörung: ausgeprägte und beharrlich instabiles Selbstbildes oder Selbstwertgefühl
4. Impulsivität in mindestens zwei Bereichen, die potenziell selbstzerstörerisch sind (zum Beispiel: Kaufsucht, Sex, Drogenmissbrauch, risikoreiches Autofahren, Fressanfälle)
5. Wiederkehrendes suizidales Verhalten mit entsprechenden Gesten oder Drohungen oder selbstverletzendes Verhalten
6. Affektive Stimmungsschwankungen und ausgeprägte Anfälligkeit für äußere Situationen (zum Beispiel intensive, periodisch auftretende Depressionen, Gereiztheit oder Angst, deren Phasen meistens einige Stunden und selten länger als ein paar Tage anhalten)
7. Chronische Gefühl der inneren Leere
8. Unangemessene, intensive Wut oder Schwierigkeiten, diese Wut zu Kontrolle zu bringen (das heißt häufige Wutausbrüche, ständige Wut, wiederholte körperliche Auseinandersetzungen)
9. Vorübergehende, au Stress beruhende Paranoia oder schwere Symptome von Dissoziation (Gefühle von Unwichtigkeit)"

(Kreismann/Straus 2008, S. 28 und vgl. Niklewski/ Riecke-Niklewski 2003, S. 18-24)

Nach dem ICD-10 Kapitel V ist die Borderline-Störung als eine der „emotional instabilen Persönlichkeitsstörungen“ (vgl. Dilling/Mombauer 2008, S. 246 ff.) mit zwei Unterformen festgelegt. F60.30 stellt den impulsiven Typus vor, der neben emotionaler Instabilität, vordergründig eine mangelnde Impulskontrolle aufweist. Diese führt zu Ausbrüchen, gewalttätigen und bedrohlichen Verhaltens. Der Code F60.31 kennzeichnet hauptsächlich die emotionale Instabilität des Borderline-Typs, sowie die Unklarheit und die Störung des Selbstbildes, innerer Präferenzen und Zielen. Die Gefühlslage wird als chronische Leere beschrieben. Patienten haben eine Neigung zu intensiven, jedoch unbeständigen Beziehungen, die zu emotionalen Krisen führen und auch mit übermäßiger Anstrengung nicht beendet werden können. Hierbei folgen Suiziddrohungen oder selbstschädigende Handlungen, die auch ohne Auslöser Vorkommen können (vgl. Dilling/Mombauer 2008, S. 250).

Die Diagnose-Stellung wird als schwierig bezeichnet, da diese Erkrankung so individuell wie der Mensch selbst ist. Kein Merkmal sei immer vorhanden, den Borderline-Patienten gebe es nicht (Niklewski/Riecke Niklewski 2003, S. 17).

2.3 Symptome der Borderline-Persönlichkeit

Die im DSM IV definierten Kriterien können zum Erfassen der Hauptsymptome in fünf Problembereiche gegliedert werden.

2.3.1 Affektregulation

Im Zentrum der BLS sehen Forschergruppen die Störung der Affektregulation. Darunter wird das Vorhandensein einer niedrigen Reizschwelle verstanden. Alle Kriterien, die im DSM-IV genannt werden können entweder als direkte Auswirkung dieser Regulationstörung oder als Versuch ihrer Kompensation gesehen werden. Zum einen betrifft dies eine niedrige Reizschwelle in Bezug auf das Auslösen von Emotionen; zum anderen das hohe Erregungsniveau, welches mit sehr heftigen Gefühlen einhergeht, sowie die verzögerte Rückkehr zum emotionalen Ausgangsniveau. Unter starkem Stress nimmt der Borderline- Patient Gefühle nicht differenziert wahr und erlebt ein "Gefühlswirrwar" (Bohus 2002, S. 6). Das bedeutet, dass unterschiedliche und widersprüchliche Gefühle gleichzeitig erlebt werden. Ein Symptom, das fast alle BLS Patienten gemeinsam haben, seien aversive, sprich widerwillig hervorgerufene Spannungszustände, die viele Stunden anhalten. Diese Spannungen können von den Betroffenen nicht auf ein bestimmtes Gefühl bezogen werden und die Handlungs-und Lösungsmöglichkeiten seien blockiert. Dies habe zur Folge, dass diese Anspannung zur Entstehung dissoziativer Symptome, sprich "Störungen der Selbst- und Realitätswahrnehmung unter Einschränkung der sensomotorischen Reizverarbeitung" (Bohus 2002, S. 7) führt. Als Bewältigungsstrategie dienen in diesem Zustand Selbstverletzungen. Im Gegensatz zu den gefühlsüberwältigten Phasen erleben Patienten auch Episoden, in denen sie emotionale Taubheit spüren. Dieser Zustand ist gezeichnet durch das völlige Fehlen von Gefühlswahrnehmung, was mit einem ausgeprägten Verlust des Identitätsgefühls einhergeht (vgl. ebd.).

2.3.2 Psychosoziale Integration

Borderline-Patienten erleben ein Gefühl des anders sein als andere, fühlen sich isoliert und abgeschnitten von der Realität. Einsamkeit gepaart mit dem Gefühle des Verlassenseins, ist laut Bohus die grundlegende Empfindung der Betroffenen. In diesen Bereich gehört auch "die Schwierigkeit der Regulation von Nähe und Distanz" (Bohus 2002, S. 7). Dies zeige sich in den wiederkehrenden Mustern chaotischer Beziehungen in allen wichtigen Bereichen wie Familie, Liebe, Arbeit. Menschen die den Borderliner umgeben, werden an einem Tag geliebt und am nächsten Tag gehasst, was für den Betroffenen als emotionale Achterbahn empfunden wird (vgl. Kreisman/Straus 2008, S. 77). Aus dieser Lage heraus versuchen sie Personen an sich zu binden, vor allem in Liebesbeziehungen. Diese Gefühlswahrnehmung von Geborgenheit und Nähe schlägt nachfolgend in Angst, Schuld oder Scham um. Diese alternierende Aktivierung von Emotionen scheint zu den auffälligsten Verhaltensmustern der Betroffenen zu zählen. Bohus präzisiert: "So aktiviert etwa das Bedürfnis nach Zärtlichkeit und Geborgenheit die Selbstwahrnehmung, gewalttätig und zerstörerisch zu sein" (Bohus 2002, S. 8).

2.3.3 Kognitive Funktionsfähigkeit

Bohus führt klinische Untersuchungen an die belegen, dass ca. 60% der Borderline- Patienten eine ausgeprägte dissoziative Symptomatik in Bezug auf Depersonalisations- und Derealisationserleben aufweisen. Das bedeutet, dass Veränderungen der Raum oder Zeit und Ich-Wahrnehmung die für einen gesunden Menschen unterschieden werden können, von einem Patienten der BLS nicht getrennt werden können (vgl. Bohus 2002, S. 8). Ebenso werden Flashbacks erlebt, in denen der Patient traumatisierende Ereignisse kognitiv in die Vergangenheit zuordnen kann, diese aber emotional real erlebt. Als letztes Symptom in diesem Bereich sind "Pseudohalluzinationen" zu nennen. Betroffene wissen, dass sie akustische oder optische Halluzinationen erleben (vgl. ebd.).

2.3.4 Verhaltensebene

Bohus, wie Kreisman und Straus, fixiert die Tendenz zu selbstverletzendem Verhalten. Schnittwunden, Verbrennungswunden an verschiedenen Stellen des Körpers wurden festgestellt (vgl. Bohus 2002, S. 8 und Kreisman/Straus 2008, S. 166f). Auch das Schlagen des Schädels an harte Flächen, Verätzungen, Verbrühungen werden genannt. Bohus schreibt, es seien achtzig Prozent der Fälle, bei denen Borderliner angeben, vor - und während der Verletzung nichts zu spüren; darauf folge Entspannung, Ruhe und Entlastung. Als weiteres extrem hohes Risiko im Verhaltensmuster ist beispielsweise das Balancieren auf Hochhäusern, Bahnschienen, Autobahnbrücken zu nennen, wobei hier die Betroffenen Ohnmachtsgefühle zu regulieren versuchen (vgl. ebd.).

In diesen Bereich gehören nach Niklewski und Riecke-Niklewski die Themen Sucht und Abhängigkeit sowie Essstörungen. Diese Symptome zählen zu dem Bereich des selbstschädigendem Verhalten, was bei vielen Betroffenen verzeichnet wird. Zu unterscheiden sind hier die Funktionen. Wenn Borderline-Patienten Drogen konsumieren geschieht das aus dem Gefühl innerer Leere, der Langeweile oder Spannung (vgl. Niklewski/Riecke-Niklewski 2008, S. 70). Fressanfälle oder auch Magersucht zeigen das Verlangen nach Impulskontrolle und Spannungsabbau (vgl. Niklewski/Riecke-Niklewski 2008, S. 72 und vgl. Bohus 2002, S. 9).

2.3.5 Selbstbild

Viele Borderline-Patienten berichten über extreme Unsicherheit bezüglich ihrer eigenen Identität und Integrität. 70% verspüren kein verlässliches Gefühl, wer sie wirklich sind und fühlen sich abgeschnitten von sich selbst. Die Einschätzung des eigenen Körperbildes fällt schwer wie auch die Einstellung zum eigenen Körperbild (vgl. Bohus 2002, S. 7).

[...]

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Die Mutter-Kind-Beziehung im Borderline-Kontext. Wie wirkt sich die Krankheit auf die Bindung aus?
Hochschule
Hochschule Koblenz (ehem. FH Koblenz)
Veranstaltung
Theorieprojekt
Note
1,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
25
Katalognummer
V314359
ISBN (eBook)
9783668143265
ISBN (Buch)
9783668143272
Dateigröße
649 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Borderline, Bindungstheorie, Mutter-Kind-Beziehung, Krankheitsbild, Borderline-Syndrom
Arbeit zitieren
Nicole Jacob (Autor:in), 2015, Die Mutter-Kind-Beziehung im Borderline-Kontext. Wie wirkt sich die Krankheit auf die Bindung aus?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/314359

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Die Mutter-Kind-Beziehung im Borderline-Kontext. Wie wirkt sich die Krankheit auf die Bindung aus?



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden