Leseprobe
Der vorliegende Essay soll der Frage nachgehen, wie die Institution Psychiatrie, die psychische Erkrankungen der Protagonisten und die behandelnden Psychiater beziehungsweise das Pflegepersonal jeweils in den Filmen „Einer flog über das Kuckucksnest“ und „It’s Kind of a Funny Story“ dargestellt werden. Darüber hinaus soll geklärt werden, inwiefern diese Darstellungen stigmatisiert sind.
Nach einer kurzen Handlungsskizzierung sollen die beiden Filme hinsichtlich ihrer unterschiedlichen Darstellungsweisen der eben drei genannten Punkte miteinander verglichen und in Beziehung zueinander gesetzt werden. Die gesammelten Ergebnisse münden in ein Fazit, das die beiden Filme vor dem Hintergrund des damaligen gesellschaftlichen Kontextes beleuchtet. Es gilt herauszukristallisieren, inwiefern die beiden Filme als Ausdruck des damaligen Zeitgeistes gesehen werden müssen. Ziel des Essays soll es aber vor allem sein, herausstellen, was für eine gesellschaftliche Norm auf die Psychiatrische Klinik, die in ihr behandelnden Psychiater beziehungsweise das Pflegepersonal und die zu behandelnden Menschen mit psychischer Störung geworfen wird.
Bei dem Psychodrama „Einer flog über das Kuckucksnest“ aus dem Jahre 1975 von Miloš Forman handelt es sich um eine Romanverfilmung von Ken Kesey, welches von den Insassen einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt erzählt.
Der Protagonist ist hierbei Randel Patrick McMurphy, der aufgrund diverser Gewaltdelikte und Verführung einer Minderjährigen verurteilt und zur Beobachtung in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wurde. McMurphy nimmt zunächst an, dass er mit der Psychiatrie im Vergleich zum Gefängnis das große Los gezogen habe. Allerdings entpuppt sich die Nervenheilanstalt als ein autoritäres menschenverachtendes System mit einem äußerst strengen Regelwerk. Die Patienten werden durch Medikamente ruhiggestellt und stehen unter der Fuchtel der machtbesessenen Oberschwester Mildred Ratched.
Durch McMurphys Rebellion gegen das System gewinnt er die Gunst der anderen Patienten und freundet sich mit dem scheinbar taubstummen Indianer Chief Bromden an. Nach einer Schlägerei mit einem Aufseher werden McMurphy und Chief einer Elektrokonvulsionstherapie unterzogen, woraufhin sie sich entschließen zu fliehen.
Kurz vor der geplanten Flucht soll noch einmal richtig gefeiert werden. Diese ufert jedoch aus, so dass McMurphy betrunken einschläft, anstatt die Klinik zu verlassen. Am nächsten Morgen findet Miss Ratched die verwüstete Station vor und bemerkt, dass der Patient Billy Bibbit fehlt. Dieser ist während der Feier das erste Mal mit einer Frau intim geworden und wird schließlich von Miss Ratched nackt vorgefunden. Der von den anderen Patienten umjubelte Billy kann plötzlich wieder reden ohne zu stottern. Allerdings droht Miss Ratched alles seiner Mutter zu erzählen, woraufhin er McMurphy als Anstifter entlarvt und Selbstmord begeht. McMurphy versucht daraufhin Miss Ratched zu erwürgen, doch ein Wachmann kann ihn stoppen. Aufgrund des Vorfalls wird McMurphy einer Lobotomie unterzogen.
Chief möchte nach wie vor den Fluchtplan in die Tat umsetzen. Als er jedoch realisiert, dass McMurphy aufgrund des operativen Eingriffs nicht mehr in der Lage ist eigenständig zu fliehen, erlöst er ihn, indem er McMurphy mit einem Kissen erstickt. Chief bricht daraufhin alleine aus der Anstalt aus. Der dabei verursachte Lärm weckt die übrigen Patienten, es bleibt jedoch offen, ob die Insassen ebenfalls fliehen.
Der 35 Jahre später erschienene Film „It’s Kind of a Funny Story“ von Anna Boden und Ryan Fleck aus dem Jahr 2010 lässt sich hingegen der Tragik-Komödie zu ordnen und basiert auf dem gleichnamigen Buch von Ned Vizzini aus dem Jahr 2006.
In dem Film geht es um den 16-jährigen Teenager Craig Gilner, der sich aufgrund seiner Depressionen selbst in die psychiatrische Abteilung eines Brooklyner Krankenhauses begibt. Craig hat nicht vor lange zu bleiben, sondern möchte eigentlich nur rasch mit Medikamenten beruhigt werden. Allerdings teilt ihm die behandelnde Psychiaterin Dr. Eden Minerva mit, dass er erst einmal für mindestens fünf Tage zur Beobachtung im Krankenhaus bleiben muss. Hinzukommt, dass die Jugendpsychiatrie gerade renoviert wird und daher mit der Erwachsenenpsychiatrie zusammengelegt wurde. Dort lernt er Bobby kennen, einen seiner erwachsenen Mitpatienten. Schon schnell stellt Bobby Craig unter seine Obhut und entwickelt sich zu Craigs Mentor.
Abgesehen von Craig gibt es nur noch einen weiteren Teenager in der psychiatrischen Erwachsenenabteilung. Es handelt sich dabei um die gleichaltrige Noelle, die sich aufgrund von selbstverletzendem Verhalten in der psychiatrischen Abteilung befindet. Die beiden Teenager befreunden sich später und aus der Freundschaft entwickelt sich schließlich Liebe. Der insgesamt fünftätige Aufenthalt in der psychiatrischen Abteilung verbessert Craigs Zustand deutlich. Nach seiner Entlassung kann er sich endlich wieder auf das freuen, was in seinem Leben noch so ansteht.
Was die filmische Darstellung der Psychiatrie in „Einer flog über das Kuckucksnest“ anbelangt, so wird die Insultation als ein gesellschaftliches Kontroll- und Normierungsinstrument charakterisiert.
Zu Beginn des Films wird zunächst gezeigt, wie die Patienten Gymnastikübungen nach den Anweisungen von Oberschwester Ratched ausführen und ihre Medikamente verabreicht bekommen. Zudem finden sehr oft Gruppensitzungsgespräche statt, bei denen Miss Ratched als Moderatorin und Leiterin auftritt. Die Freizeitaktivitäten der Patienten gestalten sich zumeist so, dass sie Karten oder Monopoly spielen. Insgesamt werden die Tagesabläufe in der Psychiatrie als sehr monoton und streng strukturiert dargestellt. Ein anschauliches Beispiel hierfür ist die Szene in der McMurphy vorschlägt den heutigen Tagesplan leicht abzuwandeln, um abends die Baseball-Endspiele sehen zu können. Miss Ratched betont daraufhin, dass es sich dabei um einen sehr sorgfältig ausgearbeiteten Tagesplan handle und eine Änderung womöglich andere Patienten verwirren würde. Besonders hier zeigt sich die stigmatisierte strenge Reglementierung der Psychiatrie, die keine Abweichungen von der Norm zulässt. Zwar lässt es Miss Ratched noch zu einer Abstimmung kommen, die jedoch nicht von Erfolg gekrönt ist, da die Patienten anscheinend zu verunsichert sind, der autoritären Oberschwester zu widersprechen.
Insbesondere die Konsequenzen bei einer Normabweichung nehmen in dem Film Extreme an. Schon bei der Medikamentenausgabe bleibt den Patienten keine andere Wahl, als die Arzneimittel einzunehmen. McMurphy verweigert zunächst die Einnahme eine Pille, jedoch lassen die Krankenschwestern nicht locker, sodass er schließlich nachgibt. Allerdings gelingt es ihm, das Personal zu täuschen, indem er die Pille im Mund behält und später ausspuckt. Als McMurphy und der Indianer Chief mit einem Aufseher aneinander geraten, werden beide einer Elektroschocktherapie unterzogen, die sie glücklicherweise schadlos überstehen. Damit suggeriert der Film, dass Patienten, die sich in der Psychiatrie nicht anpassen wollen, zwangsweise mit Medikamenten oder anderweitigen Instrumenten ruhiggestellt werden. Dahingehend werden die Stereotype der Elektrokrampftherapie und Lobotomie als Drohmomente der Institution zum Zwecke der Ruhigstellung oder Bestrafung von ungehorsamen Charakteren inszeniert.
In „It’s Kind of a Funny Story“ hingegen handelt es sich zunächst um keine geschlossene Anstalt, sondern um die psychiatrische Abteilung eines Brooklyner Krankenhauses. Da in dem Krankenhaus die Jugendpsychiatrie gerade renoviert wird, wurde diese mit der Erwachsenenpsychiatrie zusammengelegt. Bei Craigs Einweisung muss er zunächst sein Handy und scharfe Gegenstände abgebeben, darunter fallen Taschenmesser und Schlüssel, aber selbst Gürtel und Schnürsenkel. Als Craig seinen ersten Tag in der psychiatrischen Abteilung verbringt, beschreibt er diese als einen Ort, wo die Gemeinschaftsduschen kein Schloss haben, man morgens neben Depressiven aufwacht und bei der Medikamentenausgabe hinter Schizophrenen und Soziopathen anstehen muss. Später nimmt Craig an gemeinsamen Gruppensitzungen, Mal- und Musizierstunden teil und führt in regelmäßigen Abständen Gespräche mit seiner Psychiaterin Dr. Even Minerva.