Kognitionspsychologische und didaktische Grundlagen der Wortschatzvermittlung im Fremdsprachenunterricht

Mit Beispielen aus dem Spanischen


Seminararbeit, 2015

19 Seiten, Note: 1,3

Marisa Göhler (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Überblick

2. Der Wortschatz
2.1 Begriffsklärung und Klassifikation
2.2 Die lexikalische Einheit

3. Kognitionspsychologische Grundlagen zum Wortschatzlernen
3.1 Wie lernen wir?
3.2 Das mentale Lexikon

4. Wortschatzvermittlung
4.1 Phasen
4.2 Verfahren
4.3 Allgemeine Prinzipien

5. Fazit

6. Bibliografie

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Überblick

Die folgende Arbeit soll sich mit der Wortschatzvermittlung im Fremdsprachenunterricht (FSU) beschäftigen. Trotz der Erkenntnis, dass eine gut strukturierte Wortschatzarbeit das Erlernen der fremdsprachlichen Lexik erleichtert, wird das Wörterlernen i.d.R. „aus dem Unterricht ausgelagert“ (Sommerfeldt, 2011: 117)[1]. So sind Lehreräußerungen wie: „Lernt die Vokabeln zu dieser Lektion bis nächste Woche auswendig!“ oder „Schaut euch jetzt die Vokabeln an. Gibt es Fragen dazu? Keine Fragen, gut, dann lernt sie auswendig!“, keine Seltenheit. Durch diese gängige Unterrichtspraxis werden Schüler[2] mit dem Erlernen des fremdsprachlichen Wortschatzes weitgehend allein gelassen, was wiederum meist zum sturen ‚Pauken‘ von Vokabellisten[3] führt und das Behalten der Wörter erschwert. Zudem umfasst der Wortschatzerwerb „weit mehr als das Wissen um die Entsprechung des einzelnen Wortes in der Muttersprache“ (Hutz, Kolb, 2010: 6)[4].

Im Unterricht selbst, wird das Augenmerkt zumeist auf die Grammatikarbeit gelegt, obwohl die Kommunikation auch bei fehlenden Grammatikkenntnissen durchaus gelingen kann, beim Fehlen von Lexik jedoch meist ins Stocken gerät oder gänzlich zum Erliegen kommt (Sommerfeldt, 2011: 117). Angesichts dieser Tatsache, zeigt sich die Wichtigkeit eines sicheren Grundwortschatzes bei Lernern, was zur Folge hat, dass der hohe Stellenwert der Wortschatzarbeit auch im Unterricht mehr Umsetzung finden muss, da insbesondere die semantische Komponente von zentraler Bedeutung für die Verwirklichung von Äußerungsabsichten ist (vgl. Reinisch u.a., 2013: 97)[5]. Dies erfordert jedoch Regelmäßigkeit und eine gewisse Vorbereitung durch die Lehrkraft, da die Wörter systematisch wiederholt und variationsreich geübt werden müssen. Da der Rahmen dieser Arbeit nicht ausreicht, um sich mit allen Punkten und Facetten der Wortschatzarbeit zu beschäftigen, soll das Hauptaugenmerk auf der Erstvermittlung neuer Lexik liegen. Dabei sollen die verschiedenen Möglichkeiten der Bedeutungsvermittlung näher betrachtet werden und die einzelnen Phasen im Unterricht vorgestellt werden. Aufgrund der zahlreichen Möglichkeiten, die sich dem Lehrer dabei auftun, stellt sich die Frage, wie neue Wörter am besten eingeführt werden sollen und worauf dabei geachtet werden muss. Soll die Vermittlung einsprachig oder zweisprachig erfolgen? Welche Faktoren beeinflussen die Behaltensleistung der Lerner und wie wird der Wortschatz einer Person im Gehirn gespeichert?

Diese Fragen sollen im Folgenden beantwortet werden. Daher soll im nächsten Kapitel zunächst auf den Begriff ‚Wortschatz‘ und seine Klassifikation eingegangen werden. Dabei soll auch die lexikalische Einheit erklärt und mit ihren einzelnen Komponenten vorgestellt werden, da diese bei der Wortschatzvermittlung berücksichtigt werden sollten. Im weiteren Verlauf der Arbeit sollen außerdem die Prozesse des Lernens im Gehirn sowie das mentale Lexikon von Interesse sein. Schließlich soll im vierten Kapitel die Wortschatzvermittlung im Mittelpunkt stehen und anhand der Erkenntnisse zur Lernforschung Prinzipien für die Vermittlung neuer Lexik abgeleitet werden. Zudem werden verschiedene Methoden der Wortschatzarbeit vorgestellt und kritisch betrachtet. Abschließend sollen die Ergebnisse zusammenfassend dargestellt werden.

2. Der Wortschatz

2.1 Begriffsklärung und Klassifikation

Aus linguistischer Sicht stellt der Wortschatz „die Menge der Wörter einer Sprache und deren lexikalisch-semantische Beziehung zu einem bestimmten Zeitpunkt“ (Bergmann, 2014: 190)[6] dar. Diese Wortmenge ist nicht genau erfassbar, da der Wortschatz einer Sprache kein statisches Gebilde ist und sich durch Wortschatzerweiterung und Wortschatzverlust unablässig verändert. Kurz, es handelt sich um die Gesamtheit der Wörter einer Sprache (Kabatek; Pusch, 2009: 43)[7].

Betrachtet man den individuellen Wortschatz einer Person, so spricht man vom ‚mentalen Lexikon‘. Dieser individuelle Wortschatz ist ebenfalls durch seine Offenheit bezüglich Erweiterung und Verlust gekennzeichnet. Zudem lässt sich das mentale Lexikon nochmals in zwei Gruppen unterteilen, welche eine Aussage über die Verwendung der im individuellen Wörterbuch präsentierten Lexeme treffen (vgl. Sarter, 2006: 82)[8].

a) Produktiver Wortschatz

Bei Lexemen, welche im produktiven Wortschatz präsentiert sind, handelt es sich um den Mitteilungswortschatz, welchen wir beim Sprechen und Schreiben einfach abrufen können. Es handelt sich also um Lexik, die wir tatsächlich selbst verwenden.

b) Rezeptiver Wortschatz

Der rezeptive Wortschatz ist der Verstehenswortschatz. In diesem sind alle Wörter, welche wir aktiv verstehen, gespeichert, d.h. er umschließt auch den produktiven Wortschatz und ist etwa vier bis fünf Mal größer als der produktive Wortschatz

Früher wurden auch die Begriffe ‚aktiver‘ und ‚passiver‘ Wortschatz verwendet. „Diese Begriffe sind jedoch irreführend: Auch der sogenannte <passive> Wortschatz verlangt eine aktive Verstehensleistung“ (Nodari, Claudio, 2006: 1)[9], sodass heute die oben genannten Termini ‚produktiv‘ und ‚rezeptiv‘ bevorzugt werden.

Des Weiteren wird teilweise der ‚potenzielle Wortschatz‘ unterschieden. Hier handelt es sich um für den Rezipienten unbekannte Lexik, welche er aber dennoch versteht, da es sich um zusammengesetzte Worteinheiten handelt oder der Sinn durch Ableitungen erschlossen werden kann (Ludinová, 2008: 25)[10].

2.2 Die lexikalische Einheit

Wortschatzwissen umfasst jedoch nicht nur die Kenntnis einzelner Lexeme, sondern auch das Wissen um ihre Verwendung, Orthografie, Aussprache und Grammatik, also jenes Wissen, welches für den Gebrauch des Wortes notwendig ist. All diese Wissenskomponenten werden unter dem Begriff ‚lexikalische Einheit‘ zusammengefasst.

Diese Komponenten der lexikalischen Einheit sind im FSU besonders wichtig, denn nur wenn ein Lerner ein Wort mit all seinen Komponenten gelernt hat, kann dieses sicher und richtig verwendet werden (vgl. Borgwardt u.a., 1993: 196)[11]. Zu den Komponenten der lexikalischen Einheit im FSU zählen folgende Komponenten (vgl. Borgwardt u.a., 1993: 91ff.):

- Die semantische Komponente umfasst die Bedeutung/en in der L1 (Muttersprache bzw. Schulsprache).
- Die akustisch-artikulatorische Komponente beinhaltet das Wissen zum Klang und zur Artikulation des Wortes.
- Die opto-grafomotorische Komponente enthält das Wissen zur Orthografie.
- Die grammatische Komponente umfasst das Grammatikwissen z.B. zur Flexion.
- Die kombinatorische Komponente enthält Wissen dazu, wie ein Wort mit anderen in Verbindung treten kann, d.h. seine syntagmatische Beziehungen.
- Die lexikologische Komponente beinhaltet Wissen bezüglich Wortbildungsprozessen.

Die Aufgabe der Lehrkraft besteht darin, den entsprechenden Input zu den einzelnen Komponenten im Unterricht bereitzustellen, d.h. beispielsweise ein richtiges Sprachvorbild bezüglich der akustisch-artikulatorischen Komponente zu liefern.

3. Kognitionspsychologische Grundlagen zum Wortschatzlernen

3.1 Wie lernen wir?

Damit eine Lehrkraft den Unterricht oder in diesem Fall die Vermittlung neuer Lexik möglichst optimal an die Bedürfnisse der Lerner anpassen kann, ist es wichtig, zu wissen, wie das Lernen funktioniert und welche Faktoren die Behaltensleistung beeinflussen, da das Gelernte möglichst lange behalten werden sollte, um einen progressiven Wissensaufbau zu ermöglichen.

Erhält unser Gehirn eine neue Information, so gelangt diese zuerst in das Ultrakurzzeitgedächtnis bzw. den sensomotorischen Speicher. Dort verbleit sie nur für den Bruchteil einer Sekunde und wird nach unterschiedlichen Sinneseindrücken gefiltert. Dabei sortiert unser Gehirn nach relevanten und belanglosen Informationen, welche bei Belang in das Kurzzeitgedächtnis weitergeleitet werden oder, wenn es sich um unwichtige Informationen handelt, vergessen werden. Das Vergessen ist zugleich die wichtigste Aufgabe des sensomotorischen Speichers, da er dafür sorgt, dass unser Gehirn nicht mit Sinneseindrücken überschüttet wird (vgl. Wortschatzvermittlung)[12].

Relevante Informationen, welche in das Kurzzeitgedächtnis (KZG) bzw. den Arbeitsspeicher gelangen, können dort bis zu vier Minuten bearbeitet werden. Zudem fällt dort die Entscheidung, welche Informationen ins Langzeitgedächtnis (LZG) weitergeleitet werden. Im LZG werden die neuen Informationen in das bereits vorhandene Wissen eingebettet. Dies führt dazu, dass das Wissen im LZG immer wieder neu geordnet und miteinander verknüpft wird. Dabei wird das Wissen in erster Linie nach Bedeutung geordnet, also nach semantischen Prinzipien und nicht nach grammatischer Form.

Wie gut neue Informationen in bereits vorhandenes Wissen eingebettet werden kann und mit diesem vernetzt wird, hängt von der Intensität bzw. Tiefe der Aktivierung im KZG ab. Die kognitive Intensität, aber auch die affektive Tiefe spielt eine wichtige Rolle für den Erfolg nachhaltigen Lernens, sodass neues Wissen in einen persönlichen Zusammenhang gestellt werden sollte. Das heißt, dass wenn wir uns auf einer emotional ansprechenden Ebene mit einem Thema beschäftigen, können wir uns neues Wissen dazu besser einprägen. Eine kognitive Tiefe kann durch zahlreiche Vernetzungen im Gehirn erreicht werden, denn umso mehr Vernetzungen vorhanden sind, umso leichter können wir auf dieses Wissen zugreifen. Dies bedeutet, dass Wissen in möglichst vielen Bezugssystemen gespeichert werden sollte und anhand unterschiedlichster Kontexte erworben werden sollte. Zudem fördert die Aktivierung verschiedener Sinne (mehrkanaliges Lernen) eine langfristige Speicherung von Wissen im Gehirn (vgl. Wellenreuther, 2009: 71)[13].

3.2 Das mentale Lexikon

Nachdem die Funktionsweise des Lernens im Allgemeinen erläutert wurde, soll jetzt das Ordnungssystem des mentalen Lexikons verdeutlicht werden. Das mentale Lexikon stellt jenen Teil des LZG dar, in dem der gesamte Wortschatz eines Menschen verankert ist. Wie bereits erwähnt, wird Wissen hauptsächlich nach semantischen Ordnungskriterien gespeichert und ist im besten Fall in mehreren Wissensnetzen verankert. Dabei lassen sich bei der Speicherung lexikalischer Einheiten folgende Netze unterscheiden (Thaler, 2013: 15)[14]:

- Thematische Netze
- Paradigmatische Netze
- Syntagmatische Netze
- Wortfamilien
- Klangassoziationen
- Affektive Assoziationen

Daraus schlussfolgert sich, dass Wörter sich besser behalten und sicherer anrufen lassen, wenn sie geordnet gelehrt und gelernt werden, was eine wichtige Erkenntnis für die Wortschatzvermittlung im FSU ist. Insbesondere Versprecher liefern zahlreiche Argumente für diese Theorie der Ordnung unseres mentalen Lexikons. Versprecher wie: „Das war doch nur ein *Sperz“, deuten darauf hin, dass sich die Wörter ‚Spaß‘ und ‚Scherz‘ in demselben paradigmatischen Netz befinden.

[...]


[1] Sommerfeldt, Katrin (Hrsg.) (22011): Spanisch Methodik. Handbuch für die Sekundarstufe I und II, Berlin: Cornelsen.

[2] Zur Erleichterung des Leseflusses werden im Folgenden die Begriffe „Lehrer“, „Lerner“ und „Schüler“ generisch verwendet und bezeichnen ebenso das weibliche wie auch das männliche Geschlecht.

[3] Pro Schuljahr werden im Fremdsprachenunterricht 500 bis 700 neue Wörter eingeführt, sodass ein Lerner nach drei Lernjahren einen Grundwortschatz von etwa 2000 Wörtern besitzen sollte.

[4] Hutz, Matthias; Kolb, Annika (2010): Am Anfang war das Wort. Prinzipien der Wortschatzvermittlung. in: Grundschulmagazin Englisch 1.

[5] Reinisch, Katrin; u.a. (2013): Wortschatzarbeit im Englischunterricht, in: Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (Hrsg.): Sprachbildung und Leseförderung in Berlin. Berlin: LISUM.

[6] Bergmann, Anka (Hrsg.) (2014): Fachdidaktik Russisch. Eine Einführung, Tübingen: Narr.

[7] Kabatek, Johannes/ Pusch, Klaus D. (2009): Spanische Sprachwissenschaft, Tübingen: Narr.

[8] Sarter, Heidemarie (2006): Einführung in die Fremdsprachendidaktik, Darmstadt: WBG.

[9] Nodari, Claudio (2006): Grundlagen zur Wortschatzarbeit. http://www.foermig.uni-hamburg.de/cosmea/core/corebase/mediabase/foermig/kooperation/grundlagen__wortschatzarbeit.pdf.

[10] Ludinová, Lenka (2008): Lerntypengerechte Wortschatzarbeit im Deutschunterricht für Erwachsene, Brünn: Masaryk Universität.

[11] Borgwardt, Ulf; u.a. (1993): Kompendium Fremdsprachenunterricht, Ismaning: Hueber.

[12] Wortschatzvermittlung. http://207.244.83.244/presentations/410479/Wortschatzvermittlung.

[13] Wellenreuther, Martin (2009): Forschungsbasierte Schulpädagogik. Anleitungen zur Nutzung empirischer Forschung für die Schulpraxis, Baltmannsweiler: Schneider Verlag.

[14] Thaler, Engelbert (2013): Semantisierung. in: Praxis Fremdsprachenunterricht 5.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Kognitionspsychologische und didaktische Grundlagen der Wortschatzvermittlung im Fremdsprachenunterricht
Untertitel
Mit Beispielen aus dem Spanischen
Hochschule
Universität Potsdam  (Institut für Romanistik)
Note
1,3
Autor
Jahr
2015
Seiten
19
Katalognummer
V314565
ISBN (eBook)
9783668139954
ISBN (Buch)
9783668139961
Dateigröße
717 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit enthält Beispiele auf Spanisch, die jedoch aufgrund der deutschen Erklärungen verstanden werden.
Schlagworte
Wortschatzvermittlung, Lexik, Wortschatz, Lexikarbeit, Fremdsprachenunterricht, Didaktik, Semantisierung, mentales Lexikon, Grundlagen des Lernens, Vernetzung im Gehirn
Arbeit zitieren
Marisa Göhler (Autor:in), 2015, Kognitionspsychologische und didaktische Grundlagen der Wortschatzvermittlung im Fremdsprachenunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/314565

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