Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Bootcamps
2.1 Begriffsdefinition und allgemeine Merkmale
2.2 Einrichtungsbeispiel: Die Glen Mills School
2.3 Modell- und Beispieleinrichtungen in Deutschland
3 Konfrontative Pädagogik und Schule
3.1 Begriffsdefinition und allgemeine Merkmale
3.2 Grundsätzliche Handlungskonzepte und Ziele
3.3 Konfrontative Pädagogik in der Schule
4 Modellprojekte für die Grundschule
4.1 Projekt: Konfrontative Pädagogik in Kooperation
4.2 Projekt: Boxenstopp - Wir für uns
4.3 Systematische Präventionsarbeit in der Grundschule
5 Ausblick
6 Literaturverzeichnis
7 Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
Immer wieder erscheinen in den Medien Nachrichten über Gewaltangriffe in der Schule. Die Jugend von heute sei wesentlich aggressiver und gewaltbereiter. Egal welche Art von Gewalt; alle Formen sind für die Opfer unerträglich. Vor allem Lehrer sind in ihren Klassen sichtlich überfordert und ratlos, wie sie gegen die Aggressionen der Schülerinnen und Schüler ankommen. Eine Art der Pädagogik, die sich mit dem Umgang von aggressiven Kindern und Jugendlichen beschäftigt, ist die Konfrontative Pädagogik. Durch intensive Konfrontation mit der Gewalttat, soll der Täter nachhaltig und erfolgreich lernen, mit seinen Aggressionen umzugehen und sie nicht in Form von Gewalt an anderen auszulassen. Die Konfrontative Pädagogik nutzt dazu unterschiedliche Methoden wie z.B. Bootcamps. Diese Camps sind insbesondere in den USA weitverbreitet. Dort soll vor allem mehrfachauffälligen Straftätern aus der Kriminalität und Gewalt herausgeholfen werden. Das Konzept der Camps findet mittlerweile auch in Schulen Anwendung. Ein Beispiel ist die Glen Mills School in Pennsylvania. Diese Schule versucht junge Nachwuchskriminelle bereits seit Jahren mit Bootcamps auf den richtigen Weg zu bringen. Auch in Deutschland gibt es vermehrt ähnliche Einrichtungen wie z.B. die Akademie Lothar Kannenberg oder andere Erziehungscamps. Da bisher die pädagogisch-didaktische Methode in Form von Bootcamps bzw. Erziehungsschulen so noch nicht an Grundschulen erprobt wurde, beschäftigt sich die vorliegende Arbeit daher mit Konfrontativer Pädagogik und Bootcamps als Handlungsperspektive im Kontext der Grundschule. Diesem Thema soll im Folgenden nachgegangen werden, indem zuerst ein Überblick über Bootcamps und deren Anwendungsfälle gegeben wird. Daran anschließend wird die Konfrontative Pädagogik genauer anhand von Handlungskonzepten und Zielen betrachtet. Weiterhin werden die Arten der Konfrontativen Pädagogik in der Schule näher beleuchtet. Anschließend wird ein Modell zur Aggressionstherapie in der Grundschule aufgestellt. Hierbei sollen der Schulalltag wie auch Unterrichtsprinzipien und Organisatorisches bedacht werden. Letztlich werden am Ende der Arbeit die Erkenntnisse in einem abschließenden Ausblick zusammengefasst sowie ein Fazit gezogen.
2 Bootcamps
Bekannt wurde der Begriff „Bootcamp“ zunächst vor allem durch die gnadenlose Grundausbildung der US-Armee, welche des Öfteren auch in den deutschen Medien als eine der härtesten Ausbildungen überhaupt geschildert wurde (vgl.: Krauel 2009). Neben der Militärausbildung wurde der Begriff Bootcamp in den letzten Jahren vermehrt auch in Verbindung mit Schule und schwererziehbaren Kindern und Jugendlichen gebracht. Wie genau das Konzept Bootcamp zu definieren ist und welche Einrichtungen verknüpft mit Schule bestehen, wird im folgenden Kapitel näher betrachtet.
2.1 Begriffsdefinition und allgemeine Merkmale
Der Begriff „Bootcamp“ setzt sich aus dem englischen Verb „to boot“ zu Deutsch „einen Fußtritt geben“ (vgl.: Hornby / Wehmeier 2005, S. 167) und „camp“, zu Deutsch „Lager“ (vgl.: Hornby / Wehmeier 2005, S. 214) zusammen. Sinngemäß bilden beide Silben den Begriff Erziehungslager. Ein Bootcamp kann beispielsweise im Sinne eines Gesundheitscoachings für übergewichtige Menschen stattfinden oder aber auch als Synonym der Grundausbildung des amerikanischen Militärs stehen. Bekannt geworden sind Bootcamps jedoch in den letzten zwei Jahrzehnten vor allem durch „jail Bootcamps“ und „juvenile Bootcamps“. Diese Erziehungslager versuchen durch strengen und militärischen Drill, mehrfach auffällige junge Straftäter zu resozialisieren. Die ersten juvenilen Bootcamps wurden in den amerikanischen Staaten Oklahoma und Georgia im Jahr 1983 eröffnet (vgl.: Gescher 1998, S. 45). In den USA haben straffällig gewordene Jugendliche die Möglichkeit, ihre Haftstrafe für zirka drei bis sechs Monate in einem Bootcamp zu absolvieren, anstatt sie in einem Gefängnis absitzen zu müssen. Voraussetzung dafür ist, dass die Straftäter jung und zum ersten Mal straffällig geworden sind. Straftäter, die Gewaltdelikte wie Vergewaltigungen oder bewaffnete Raubüberfälle begangen haben, dürfen meist nicht an einem Bootcamp teilnehmen (vgl.: Gescher 1998, S. 131). Im Alltag wird der Begriff Gewalt meist mit physischen Verletzungen wie Schlägen verbunden, jedoch kann Gewalt auch psychisch angewendet werden, zum Beispiel in Form von Demütigung. Außerdem gibt es noch die verbale Gewalt die bei Beleidigungen oder Erniedrigungen ausgeübt wird. Bisher zeigt sich kein einheitliches Modellkonzept zu Bootcamps, jedoch gibt es einige gemeinsame Grundauffassungen, die alle Bootcamp Programme verfolgen. Allen Bootcamps liegt eine militärische Grundstruktur zugrunde, die unter anderem auch hartes Arbeiten vorsieht. Die Jugendlichen sind aufgrund des jungen Alters besonders gut zu beeinflussen und besitzen außerdem ein Defizit in sozialen Fertigkeiten, Disziplin wie auch „Selbsteinschätzung und Verantwortungsbewußtsein“ (Gescher 1998, S. 12). Mithilfe der militärischen Struktur, sollen Bootcamp Programme „eine Änderung dieser Defizite herbeiführen“ (Gescher 1998, S. 12) können. Die Strafvollzugsalternative Bootcamp ist durch einen auf die Minute geplanten Tagesablauf, strikte Regeln und Disziplin wie auch physischem Training gekennzeichnet. Wesentlich ist außerdem, dass die Jugendlichen aus dem Camp von den restlichen Insassen der Justizvollzugsanstalt räumlich getrennt sind (vgl.: MacKenzie 1990, S. 44f.). Vorschrift für alle Bootcamps in den amerikanischen Staaten ist weiterhin, Unterrichtseinheiten von mindestens drei Stunden pro Tag zu erteilen. Nach dem erfolgreichen Abschluss des Camps, folgt dann eine individuelle und unterschiedlich intensive Bewährungsüberwachung (vgl.: MacKenzie 1993, S. 1). Grundlegend wird zwischen Bootcamps für verurteilte Jugendliche, wie es in den USA gehandhabt wird und Bootcamps, die mehrfachauffälliges und aggressives Verhalten bei Jugendlichen zu therapieren versuchen, auch wenn diese noch nicht verurteilt wurden oder teilweise sogar noch nicht einmal strafmündig sind, differenziert. Kern beider Bootcamps jedoch ist Disziplin und Drill (vgl.: Wolffersdorff 2008, S. 76).
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Abbildung 1: Bootcamp-Programme für Jugendliche in den USA
Um eine genauere Vorstellung von Bootcamps in Amerika zu bekommen, lässt eine Gegenüberstellung der verschiedenen Camps in den Staaten einen Vergleich herstellen. Neben den unterschiedlichen Namen der Camp Programme, unterscheiden sie sich auch in Träger, Eröffnungsjahr, Kapazität, Programmdauer und Altersgrenze der Teilnehmer. Auffallend ist vor allem, dass alle Bootcamps, bis auf das Orleans Parish Prison in New Orleans, Louisiana, das bereits im Jahr 1985 eröffnet wurde, in den 1990-er Jahren eröffnet wurden. Das minimale Alter, mit dem Jugendliche beziehungsweise Kinder an einem Bootcamp in den USA teilnehmen können, liegt bereits bei zehn Jahren. Das Maximalalter hingegen bei 20 Jahren. Alle Camps ergeben eine Durchschnittsaufenthaltsdauer von ~111 Tagen, wobei es Bootcamps gibt, die mit 30 Tagen eine kürzere Programmdauer haben oder, mit 168 Tagen als längster Aufenthalt, relativ stark vom Durchschnitt abweichen. Aufgrund ungenauer Angaben konnten die Camps Polk County, Florida und Orleans Parish Prison, New Orleans, Louisiana nicht mit einbezogen werden. Des Weiteren können die Camps durchschnittlich bis zu ~80 Jugendliche aufnehmen, wobei die Zahlen der Aufnahmekapazitäten von Camp zu Camp dennoch stark schwanken. Die höchste Teilnehmerzahl ist 275, die kleinste 6.
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Abbildung 2: Gewichtung der Programmelemente in Bootcamps
Weiterhin kann prozentual zwischen der Gewichtung von Drill, Arbeit und Training sowie
Unterricht und Beratung in Camps unterschieden werden. Durchschnittlich nehmen Drill, Arbeit und Training ~39% des Tagesprogramms ein. Unterricht und Beratung stehen daher mit ~61% mehr im Vordergrund als physisches Training. Grundsätzlich weichen die Angaben der Camp Programme nicht allzu stark voneinander ab, wobei die Extremwerte äußerst weit auseinander liegen. Der höchste Anteil an Drill und Training liegt bei 58%, der geringste bei 24%. Der höchste prozentuale Anteil an Unterricht und Beratung liegt bei 76%; der Tiefstwert bei 42%. Letztlich weichen alle Höchst- und Tiefstwerte von den zuvor bestimmten Durchschnittswerten stark ab.
2.2 Einrichtungsbeispiel: Die Glen Mills School
Wie im vorigen Kapitel schon näher beschrieben, sind Bootcamps heute nicht mehr nur harte Ausbildungscamps beim Militär. Harter Drill, konsequenter Umgang und physisches Training werden nun auch zusammen mit der Bildungseinrichtung Schule verbunden, um bei Jugendlichen Disziplin wiederherzustellen und Aggressionen zu bekämpfen. Ein bekanntes Beispiel ist die „private, nicht-geschlossene Jugendanstalt“ (Förster / Weidner 2005, S. 21) Glen Mills School in Pennsylvania, die ein behavioristisches Behandlungskonzept verfolgt (vgl.: Förster / Weidner 2005, S. 5). Die Glen Mills School arbeitet übergreifend zwischen Jugendhilfe und Jugendstrafvollzug. Mehrfachauffällige Straftäter sollen mithilfe eines stringenten Erziehungsprogramms Unterstützung bekommen, um nicht mehr kriminell zu werden. Die Glen Mills School ist geprägt von überaus konkreten Verhaltensregeln, welche das Verhalten der Jugendlichen „in allen Lebensbereichen reglementiert“ (Schäfer 2011, S. 98). Werden die Regeln doch einmal gebrochen, greift nicht nur das Personal ein, sondern auch die anderen Jugendlichen. Im Fall eines Normverstoßes wird derjenige sofort von den umgebenen Mitinsassen auf seine begangene „Tat“ angesprochen, damit konfrontiert und direkt kritisiert. Fachbegrifflich nennt sich dieser Vorgang „Positive Peergroup Culture“, da hierbei die Gemeinschaft dem Einzelnen den Weg weist. Dieses Gruppengefühl, das bei einer solchen Konfrontation aufkommt, spornt nicht nur an, sondern unterstützt und sanktioniert zugleich (vgl.: Tischner 2004, S. 41). Glen Mills hebt sich vor allem durch die nachhaltige Gewaltbekämpfung der Jugendlichen hervor und verzeichnet damit eine Rückfallquote von weniger als 40%. Die Leitvorstellung in Glen Mills entspricht der Etablierung einer subkulturfreien und normativen Gesellschaft, mithilfe des gegenseitigen Respekts und dem Verantwortungsgefühl gegenüber anderen Mitmenschen. Durch ein Angebot verschiedener sozialer, schulischer und beruflicher Entwicklungsvarianten, bekommen die Delinquenten die Perspektive geboten, sich individuell entfalten zu können. Wichtige Bausteine für die Entfaltung sind dabei vor allem ein Gefühl von Sicherheit, die Garantie, den gleichen Status wie die Gleichaltrigen zu erhalten und ein Belohnungsprinzip, indem die Jugendlichen durch soziales, verantwortungsbewusstes wie auch konstruktives Verhalten, bedeutsam belohnt werden. Glen Mills bietet daher neben einem kostspieligen Sportangebot, auch zahlreiche Ausbildungsmöglichkeiten. Die Glen-Mills-Planer achteten bei der Errichtung des Programms vor allem darauf, den Druck der Peer-Gruppen zu nutzen und nach dem Prinzip „Jugend erzieht Jugend“ zu arbeiten. Die Erreichung eines hohen Gruppenstatus ist für die Jugendlichen von enormer Bedeutung, sodass sie dadurch angespornt werden, konstruktiv und sozial zu handeln. Die in der Glen Mills School herrschenden Normen sind für die Straftäter meist völlig neu und unterscheiden sich klar von den ihnen bisher bekannten „Straßen-Normen“. Um diese Normen annehmen und richtig anwenden zu können, bekommen neu Eingewiesene einen Paten zugewiesen, der ihnen in der Anfangszeit in Glen Mills zur Seite steht. Die Paten sind schon seit längerer Zeit in Glen Mills und stehen den Neuankömmlingen als großer Bruder auch bei Problemen wie Fluchtgedanken oder Heimweh zur Seite. Gerade in der Anfangszeit fällt es den Jugendlichen in der Glen Mills School nicht leicht, die neuen Regeln einzuhalten. Bei einem Regelverstoß entwickelten die Glen-Mills-Planer daher das Programm „Seven Levels of Confrontation“. Hierbei handelt es sich um eine Abfolge von Umsetzungen die erfolgt, sobald ein Delinquenter gegen eine Norm verstößt.
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Abbildung 4: Gründe der Einweisung nach Glen Mills
Die Jugendlichen, die nach Glen Mills eingewiesen werden, sind zwischen 14 und 18 Jahren alt und männliche, gewaltbereite Wiederholungstäter. Meist werden die Delinquenten bereits im Alter von 13 Jahren straffällig und im Durchschnitt mit 16,5 Jahren nach Glen Mills eingewiesen. Im Gegensatz zu anderen Bootcamp Programmen in Amerika, nimmt Glen Mills auch Mehrfachstraftäter auf, die bereits zum zweiten oder dritten Mal zu einer Haftstrafe verurteilt wurden (vgl.: Förster / Weidner 2005, S. 21f.). Einbruch zählt mit einem Höchstwert von 635 straffällig gewordenen Jugendlichen (23%) zu einem der Hauptgründe der Aufnahme in Glen Mills. Mord gilt mit 14 Jugendlichen (weniger als 1%) hingegen als eine der wenigen Straftaten, die zu einer Glen Mills Einweisung führten. Gesetzeswidrigkeiten wie Einbruch, Raubüberfall oder Eigentumsdelikte sind die mit am höchsten begangenen Straftaten. Diese hohe Zahl zeigt deutlich, dass versucht wird, die noch als harmlos zu bezeichnende Gewaltbereitschaft der Jugendlichen, im Gegensatz zu Mord oder Vergewaltigung, durch das Glen Mills Programm zu beenden. Dennoch zeigt die Glen Mills Institution auch, im Vergleich zu anderen juvenilen Bootcamps, die Bereitschaft, schwere Gewalttäter aufzunehmen, um sie zu therapieren und zu resozialisieren. Das Konzept der Glen Mills School hat sich mittlerweile bis nach Europa ausgebreitet, sodass in den Niederlanden vor einigen Jahren ein Ableger der Glen Mills School gegründet wurde. In Deutschland gibt es bisher keine offizielle Glen Mills Einrichtung. Es gibt jedoch Programme und Camps, die den Programmpunkten der Glen Mills School sehr ähnlich sind (wie zum Beispiel das Projekt Chance) und zum Zweck der Aggressions- und Gewaltminderung ebenfalls in ihrer Einrichtung Anwendung finden.
2.3 Modell- und Beispieleinrichtungen in Deutschland
Wie im vorigen Kapitel erwähnt wurde, gibt es derweil auch in Deutschland Erziehungseinrichtungen, die sich mit der Resozialisierung jugendlicher Straftäter beschäftigt. So zum Beispiel die Akademie Lothar Kannenberg. Die Akademie Lothar Kannenberg ist eine seit März 2014 gegründete Jugendhilfe- und Bildungseinrichtung, die männliche Jugendliche im Alter von 12 bis 18 Jahren vollstationär betreut. Diese Einrichtung hat es sich zur Aufgabe gemacht, Jugendliche „durch Sport und Disziplin wieder auf den rechten Weg zu bringen“ (Akademie Lothar Kannenberg 2014). Verpflichtend ist in der Akademie, neben Sport, außerdem die Teilnahme an schulischem Unterricht. Kannenberg, Becker und Precht, die Vertreter der Einrichtung, sind der Meinung, dass jeder Jugendliche weder asozial noch dumm ist und lediglich mithilfe von „Liebe, Wärme und Geborgenheit“ (Akademie Lothar Kannenberg 2014) wieder Mut und Stärke zur Perspektivschaffung für das zukünftige Leben erlangt. Eine weitere Einrichtung die ebenfalls von Lothar Kannenberg errichtet wurde, ist das Trainingscamp Diemelstadt. Dieses Camp fungiert als stationäre Erziehungshilfe und beinhaltet ein breitgefächertes Angebot an erzieherischen Maßnahmen, um „soziales Verhalten zu fördern und destruktiven Handlungsmustern entgegenzuwirken“ (Trainingscamp Diemelstadt 2014). Das Trainingscamp Diemelstadt wurde 2004 durch den Verein „Durchboxen im Leben e.V.“ gegründet und von Lothar Kannenberg geleitet. Damals noch unter dem Namen „Trainingscamp Lothar Kannenberg“, ist das Camp heute bekannt als „Trainingscamp Diemelstadt“, da Kannenberg seit 2014 die Verantwortung in die Hände des Vereins gegeben hat und sich mit weiteren Projekten, u.a. der vorhin erwähnten Akademie Lothar Kannenberg, beschäftigt. In diesem Camp sollen 13 bis 19 jährige männliche Jugendliche durch Kernelemente wie Sport, Gemeinschaftsleben, Rituale sowie einer engen und vertrauensvollen Beziehung zwischen Mitarbeitern und Jugendlichen wieder Orientierung im Leben bekommen und sich realistische Ziele für die Zukunft setzen können. Nicht nur Jugendliche mit abweichendem und gewalttätigem Verhalten werden im Trainingscamp aufgenommen, sondern auch Jugendliche mit Drogensuchtproblemen oder Schulverweigerer. Um selbstgesetzte Ziele besser erreichen zu können, hilft einerseits der Sport, der zentral im Programm des Camps steht und andererseits intensive Beziehungsarbeit, das Überwinden von Grenzen und eine aktive Tagesgestaltung (vgl.: Trainingscamp Diemelstadt 2014).
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Abbildung 5: Tagespläne aus dem Trainingscamp Lothar Kannenberg
Ähnlich wie in den amerikanischen Bootcamps, ist ein Tag im Trainingscamp Diemelstadt genauestens durchgeplant. Bis auf den Sonntag, sind alle Wochentage von Montag bis Samstag gleich gestaltet. Der Sonntag unterscheidet sich von den restlichen Tagesplanungen, indem bis 18h ein nicht allzu straffes Programm durchgeführt wird wie an den anderen Tagen. Die Jugendlichen werden statt um 5.55h, erst um 7.55h geweckt. Außerdem wird sonntags länger gefrühstückt und auf das Mittagessen verzichtet. Die Jugendlichen haben ab 16h eine DVD- und Telefonzeit. Diese geht zwei Stunden lang. Danach folgt das Abendessen und der Abend wird weitergeführt, wie an den anderen Tagen auch. Nicht nur Lothar Kannenberg errichtete Alternativeinrichtungen zum Jugendjustizvollzug, sondern auch der seit Sommer 2001 gegründete Verein „Projekt Chance“ in Stuttgart. Die vom Justizministerium Baden-Württemberg gehaltene Konferenz zur Jugendkriminalität im Jahre 1999 forderte ein „Modellprojekt im Bereich der Erziehung junger Mehrfach- und Intensivtäter“ (Dreßel 2007, S. 62). Mehrfachauffällige jugendliche Intensivtäter sollten daher mit einem Strafvollzug in freier Form bestraft und resozialisiert werden. Der offene Vollzug sollte als Hauptkriterien vor allem eine berufliche Wiedereingliederung unterstützen und einen starken Realitätsbezug im gesamten Erziehungsprogramm beinhalten. Neben dem fungierenden Projektträger „Projekt Chance“, fand sich als Projektbetreiber das Christliche Jugenddorfwerk Deutschlands e.V. (kurz: CJD), welcher 2002 als Standort für das Modellprojekt, das Kloster Frauental in der Gemeinde Creglingen aussuchte. Für das Projekt geeignete Jugendliche werden in der Jugendstrafanstalt Adelsheim ausgewählt, um ihre Strafzeit im Projekt Chance, anstelle in der Justizvollzugsanstalt zu verbringen. Als geeignete Jugendliche werden diejenigen bezeichnet, bei denen keine Fluchtgefahr besteht und die sowohl psychisch als auch physisch an den täglichen Herausforderungen des Projekts Chance teilnehmen können. Des Weiteren sollen diese Jugendliche auch den wirklichen Willen dazu aufweisen, etwas in ihrem Leben und ihrem eigenen Verhalten ändern zu wollen, weshalb sie sich selbstständig zunächst um einen Platz zur Teilnahme am Projekt Chance bewerben. Stimmt das Gefängnis zu, darf der Bewerber am Programm teilnehmen. Halten sich die Jugendlichen an die Regeln im Projekt und entwickeln sich positiv nach den Vorstellungen der Betreuer und Pädagogen, bekommen sie die komplette Zeit im Kloster als Strafzeit angerechnet und werden direkt von der Einrichtung aus entlassen. Benimmt der Häftling sich nicht nach den entsprechenden Normen im Modellprojekt, muss er die Einrichtung verlassen und wird zurück in die Justizvollzugsanstalt nach Adelsheim gebracht. Im Projekt Chance wird neben der Vorbereitung zur beruflichen Kompetenz, auch viel Wert auf das Aneignen von Höflichkeitsformen und einem angemessenen Umgangston gelegt. Des Weiteren soll bei den Jugendlichen ein Gefühl von Eigenverantwortung und Selbstsicherheit aufgebaut werden. Das Projekt Chance versucht den Jugendlichen die Normalität des Alltags zu vermitteln, damit sie dies nach der Vollzugszeit selbst umsetzen und dauerhaft anwenden können. Die Jugendlichen sollen ohne kriminelle Auffälligkeit wieder in die Gesellschaft integriert werden und ein ganz normales Leben führen können. Die Stärken jedes Einzelnen sind im CJD Programm das Wichtigste. Die sportlichen oder handwerklichen Begabungen werden den Jugendlichen im Kloster Frauental mehr und mehr in ihr Bewusstsein gebracht, sodass sie stolz auf sich sein können und motiviert werden, weiterhin diesen Weg zu gehen und an sich zu glauben. Das Projekt Chance in Creglingen ähnelt mit seinem Konzept der im vorigen Kapitel erläuterten Glen Mills School aus Pennyslvania und Wezep. Durch Besuche der Glen Mills School beim CJD und umgekehrt, wurde die CJD Pädagogik „mit zusätzlichen und besonderen Aspekten der Glenn-Mills-Pädagogik bereichert“ (Dreßel 2007, S. 63). Aber nicht nur im Kloster Frauental wird das Konzept Projekt Chance umgesetzt, sondern auch im Seehaus Leonberg, in der Nähe von Stuttgart. Projektbetreiber ist hier der Verein Seehaus e.V. Wie in Creglingen, nahm auch das Seehaus Leonberg im Jahre 2003 seine Arbeit im offenen Strafvollzug auf. Mittlerweile findet das Modellprojekt auch Aufmerksamkeit in anderen Bundesländern, sodass 2011 das sächsische Staatsministerium das Seehaus e.V. beauftragte, in Sachsen ebenfalls eine Alternative zum Jugendstrafvollzug zu gründen. Somit wurde im Lutherstift Störmthal im Landkreis Leipzig in Sachsen, das Seehaus Störmthal eröffnet. In allen Einrichtungen wird neben der Gewaltbeherrschung versucht, die individuellen Bedürfnisse der Insassen zu Beispiel nach Aufmerksamkeit und Anerkennung, wie auch der Selbstsorge und Fürsorge für Mitmenschen zu fördern.
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Abbildung 6: Das Stufensystem des Projekts Chance im CJD Creglingen
Durch gute und aktive Teilnahme am Programm im Modellprojekt, arbeiten sich die Jugendlichen in dem im Camp herrschenden Stufensystem, immer eine Stufe höher, sodass sie mehr Privilegien erhalten. Dieses Stufensystem motiviert die jungen Straftäter sehr, da sie zum Beispiel öfter ihre Familie sehen dürfen, sich alleine ohne einen Mitarbeiter auf dem Gelände der Einrichtung bewegen dürfen oder auch die Erlaubnis erhalten, einen Fernseher auf dem Zimmer haben zu dürfen. Dadurch entwickelt sich gleichzeitig auch die Wertvorstellung, im Leben für etwas arbeiten zu müssen, damit man sich etwas leisten kann. Im Camp beginnt der Delinquente im ersten Monat zunächst als Neuling A, im zweiten Monat steigt er auf als Neuling B und wird im dritten Monat als Sammler bezeichnet. Diese einzelnen Stufen dienen der Orientierungsphase und dem ersten Beweis, dass der Jugendliche sich ernsthaft ändern möchte und sich bemüht, im Stufensystem weiter aufzusteigen, damit er mehrere Privilegien eingeräumt bekommt. Ab dem vierten Monat kann der Jugendliche dann durch gutes Benehmen in der Vergangenheit in die Stufe des Kandidaten und Tutors aufsteigen. Beide werden zusammengefasst unter den zwei Phasen der Verantwortung, da die Jugendlichen in dieser Stufe nun zu festgelegten Zeiten die Einrichtung verlassen dürfen, um ein Praktikum machen oder auch die Familie besuchen zu können. Die Phase gilt als längste Phase im Projekt Chance, worauf im Anschluss die ca. drei monatige Phase der Stabilisierung als Repräsentant folgt. Hier werden die sogenannten Repräsentanten auf ihre Entlassung vorbereitet und es wird ein sogenanntes Integrationsmanagement mit ihnen durchgeführt. Ab dem 13. Monat erfolgt die Phase der Integration, in der der Absolvent nach der Entlassung aus der Einrichtung, in seinem neuen Alltag nachbetreut wird. Im Vordergrund stehen hier vor allem die schulischen, sozialen und beruflichen Perspektiven des Jugendlichen.
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Abbildung 7: Die Tagesstruktur des Projekts Chance im CJD Creglingen
Wie im Trainingscamp Lothar Kannenberg, der Glen Mills School oder anderen zahlreichen Erziehungscamps, sorgt auch im Projekt Chance ein straffer Zeitplan für Struktur. Der Tag beginnt für die Jugendlichen bereits um 6:10 Uhr früh morgens mit Frühsport. Danach haben die Jugendlichen Zeit, um sich zu duschen und ihr Zimmer aufzuräumen, sodass eine Grundordnung herrscht. Anschließend folgt das Frühstück. Danach unterscheidet sich der Alltag in der Einrichtung für die Jugendlichen soweit, dass sie ihren Stufen entsprechend entweder Unterricht haben, arbeiten oder ein Projekt durchführen. Der Vormittag ist abwechslungsreich gestaltet und besteht nicht allein aus Unterricht, Arbeit und Projekten, sondern auch aus einem zweiten Frühstück und einem Gruppentraining. Ab 17:00 Uhr ist der Arbeitstag zu Ende und es folgt ein gruppendynamisches Training sowie Abendessen. Ab 19:00 Uhr besteht die Möglichkeit zwischen verschiedenen Angeboten wie Beratung, Freizeitgruppen, Sport oder künstlerischer Gestaltung. Die Nachtruhe beginnt dann je nach Stufe ab 22:00 Uhr bis 22:45 Uhr.
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