Einführung in die lösungsorientierte Kurzzeittherapie


Essay, 2016

31 Seiten


Leseprobe


Inhalt

1. Das Konzept

2. Der systemische Ansatz

3. Die Klienten

4. Kennzeichen und Grundannahmen

5. Prozessuales und / oder protokollarisches Vorgehen

6. Protokollarisches Vorgehen in 17 Schritten

7. Grundsätze des therapeutischen Settings

1. Das Konzept

Das Konzept der lösungsorientierten Kurzzeittherapie, so wie ich es anwende, basiert im Wesentlichen auf den Vorstellungen von Steve de Shazer und der systemischen Therapie.

Die Vorstellungen aus der systemischen Therapie brechen mit der Therapie im herkömmlichen Sinn, da sie weder monokausal noch defizitorientiert ist.

Hier wird nicht nach dem gefragt, was dem Klienten fehlt, sondern was der Klient braucht, was er benötigt, um wieder voll funktionsfähig zu werden.

Funktionsfähig, dieser Begriff klingt sehr technisch und kalt, ist aber hier in dem Sinn verstanden, dass der Klient wieder in die Lage versetzt wird, selbstbestimmt voll umfänglich am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können.

Monokausal ist die lösungsorientierte Kurzzeittherapie deswegen nicht, weil sie, systemisch wie sie nun ist, nicht in reinen ‚wenn-dann‘-Beziehungen denkt. Die systemische Therapie sieht den Menschen ganzheitlich, das heißt, als biologisch-organisches, geistig-spirituelles und emotional-psychisches Wesen.

Ursachen von Leiden und Leidensdruck werden multifaktoriell betrachtet, weil alle drei Anteile einer Person und Persönlichkeit ineinander und miteinander kommunizieren und interagieren.

Man kann das Innenleben des Menschen in etwa vergleichen mit einem Mobile, das in einem großen Zimmer an der Decke befestigt ist. Wenn man ein Element des Mobiles in Schwingung versetzt, beeinflusst es die benachbarten Elemente, diese wiederum ihre benachbarten Elemente, und so weiter und so fort. Wenn nun alle Elemente des Mobiles in Bewegung sind und sich permanent gegenseitig in Schwingungen versetzen, kann niemand mehr sagen, woher der Ursprung der Bewegung war. Es kann eine Person gewesen sein, die sich einen Spaß machen wollte, oder es kann ebenso ein mehr oder weniger Windhauch gewesen sein, der durch das offene Fenster oder die offene Tür oder den Kamin kam. Letztlich ist es auch uninteressant, es verbleibt alles im Bereich der Spekulation.

Wenn man nun den Klienten mit einem solchen Mobile vergleicht und die Schwingungen der Elemente zusammenfasst in den Leidensdruck des Klienten, so ist es das Ziel der losungsorientierten Kurzzeittherapie, den Klienten so schnell wie möglich von seinem Leidensdruck zu befreien oder ihn zumindest in die Lage zu versetzen, mit dem Leidensdruck umgehen und wieder am Leiben teilhaben zu können.

Die lösungsorientierte Kurzzeittherapie umfasst in der Regel etwa 10 bis 25 Sitzungen, in manchen Fällen, je nach Compliance des Klienten und gewählter Verfahren kann es auch bis zu 50 Sitzungen werden. Wobei es in diesem Umfang wohl nicht mehr ganz in das Konzept einer Kurzzeittherapie passt. Es ist jedoch manchmal so, dass im Verlauf der Therapie neue, bisher nicht genannte oder diagnostizierte Probleme auftauchen, die dann nach den ersten Erfolgen bei den Hauptsymptomen quasi ‚nachbehandelt, nachtherapiert‘ werden müssen.

Den Hauptakzent legt die lösungsorientierte Kurzzeittherapie, wie oben erwähnt, auf die Bemühung, den Klienten zur Bewältigung seiner Schwächen, Defizite oder dysfunktionalen Einstellungen zu befähigen. Sie konzentriert sich dabei nicht auf die Defizite, sie arbeitet ressourcenorientiert, das heißt, der Therapeut versucht gemeinsam mit dem Klienten, dessen Stärken und Fähigkeiten zu entdecken, zu wecken und zu aktivieren. Damit stärkt der das Selbstwertgefühl, das Selbstbewusstsein und die Selbstwirksamkeit des Klienten, was diesen wiederum befähigt, bewusster und mit gesteigerter Resilienz seinen Problemen gegenüber zu treten und zu lernen, sie zu bewältigen.

Der Fokus liegt auf der Suche nach und Definition von Lösungen oder Lösungsmöglichkeiten, die dem Klienten neue Perspektiven eröffnen und ihn motivieren, einige dieser Lösungsansätze oder Lösungswege auszuprobieren. Andere Therapieformen betonen sehr die Ursachenforschung und sehen in der Behebung der Ursachen die wichtigste und oft auch einzige Möglichkeit der Behebung der Schwierigkeiten. Die lösungsorientierte Kurzeittherapie setzt dagegen am anderen Ende an, nämlich an den Symptomen.

Und hier liegt der Hauptvorwurf der Skeptiker und Gegner der Kurzzeittherapie. Sie meinen, es sei lediglich eine Behandlung der Symptome und lasse die Ursachen als Kern der Probleme außer Acht.

Aus Sicht der Skeptiker und Gegner scheint dies auch logisch und zutreffend. Ihr Denken ist noch in ‚wenn-dann‘-Beziehungen verhaftet und sucht für ein Problem immer eine Ursache, also ist dies das traditionelle monokausale Denken. Logisch dagegen erscheint das Konzept der lösungsorientierten Kurzzeittherapie, wenn man im Rahmen der systemischen Therapie denkt.

Nimmt man das Beispiel des Mobiles, so kann man nie sagen, welches Element als erste Ursache für die Dynamik im ganzen System verantwortlich ist. Ein bestimmtes Element kann sowohl erste Ursache sein, als auch ein angeregtes Element, das dann für sein Nachbarelement wiederum Ursache dessen Bewegung wurde.

Wenn man nun ein solches Element als Symptom betrachtet, ein Symptom, das dem Klienten Leidensdruck verschafft, so kann die Beseitigung dieses Symptoms andere, benachbarte Elemente ebenso zur Ruhe bringen, wenn seine Wirkungsdynamik und Wirkungsenergie zu Ende gehen.

Der Therapeut und der Klient gemeinsam (Compliance) stoßen Dinge an und beobachten die Wirkung. Ist das Ergebnis positiv, ist es gut. Tritt kein Erfolg ein, muss ein anderer Weg beschritten werden. Oft ist es aber ach so, dass alleine das Bemühen des Therapeuten gemeinsam mit dem Klienten Prozesse in Gang setzt, die durch ihre Eigendynamik zum Heilungsprozess beitragen oder ihn gar initiieren.

Steve de Shazer selbst formuliert die mögliche Wirkungsweise wie folgt:

‚Ich sehe meine Arbeit als hypnotisch an und bin der Auffassung, dass ich dabei das von Milton Erickson begonnene Werk weiter ausbaue‘. (de Shazer, 1997)

Es gibt eine gemeinsame Grundannahme der neueren Therapieformen, die mit Glaubenssätzen, Grundüberzeugungen oder Schemata arbeiten.

Die gemeinsame Grundüberzeugung ist, dass der Mensch seine Wirklichkeit in einer Art selbstinduzierter Trance konstruiert. Es sind seine Glaubenssätze, Erfahrungen und Bewertungen, die sein Bewusstsein bestimmen.

Sofort erkennbar ist der Einfluss der Philosophie des Konstruktivismus zu erkennen.

Und was bedeutet dies nun für die therapeutische Praxis?

Der Therapeut muss sich gemeinsam mit dem Klienten nun auf die Suche nach diesen Glaubenssätzen, Erfahrungen und Bewertungen machen, überprüfen, ob diese funktional oder dysfunktional sind und gegebenenfalls durch neue durchweg funktionale Glaubenssätze, Erfahrungen und Bewertungen ersetzen. Die Frage hierbei bleibt, ob es sich, um in Computerbildern zu sprechen, lediglich um Überschreibungen alter Muster handelt, oder ob die alten und dysfunktionalen Muster gelöscht werden. Diese Frage ist noch immer nicht geklärt.

Eine Möglichkeit, den gewohnten Blickwinkel zu verlassen, ist, den Klienten zu einem Perspektivwechsel zu bewegen. Er soll zunächst einmal von sich aus über den gewohnten Tellerrand blicken und sich eine andere Möglichkeit in Gedanken ausmalen.

Er soll die Frage beantworten: Was wäre anders, wenn Sie dies änderten?

Ein zweiter Schritt wäre, die Perspektive eines anderen Mitglieds seines Systems einzunehmen.

Er soll die Frage beantworten: Wie würde Ihr Partner davon erfahren, ohne dass Sie selbst ein Wort darüber zu ihm sagen?

Sollte der Klient unter Entwicklungshemmungen oder –störungen leiden, so kann der Therapeut ihn ermuntern oder es ihm ermöglichen, neue emotionale Erfahrungen zu machen, um seine inneren Hemmungen allmählich abzubauen.

Im Falle von ungelösten Konflikten kann der Therapeut mit unterstützenden Maßnahmen hilfreich zur Seite stehen, indem er gemeinsam mit dem Klienten Lösungsmaßnahmen oder Entspannungselemente erarbeitet. Liegen beim Klienten Verhaltensstörungen vor, so können mit kognitiven verhaltenstherapeutischen Maßnahmen und Einübungen auch neue Verhaltensweisen quasi ‚nachgelernt‘ werden. Letztlich kann in entsprechenden Fällen der Therapeut auf die Möglichkeiten der Pharmakologie hinweisen, um den Klienten zu entlasten und in schweren Fällen zunächst einmal therapiewillig und –fähig zu machen.

Erst dann kann die eigentliche therapeutische Arbeit in der lösungsorientierten Kurzzeittherapie beginnen. Lösungsorientiert heißt hier nicht, dass das Problem des Klienten nicht von Interesse ist. Das eigentliche Problem muss schon erkannt, diagnostiziert und klassifiziert werden, um die angemessenen therapeutischen Maßnahmen ergreifen zu können. Der Schwerpunkt wird jedoch nicht auf die Analyse und Behandlung des Problems gelegt, es dient als Ausgangspunkt herauszufinden, welche Stärken und Ressourcen der Klient besitzt, ihn dessen bewusst zu machen und diese Stärken und Ressourcen zu aktivieren. Im Sinne der systemischen Therapie beinhaltet die Suche nach Lösungsmöglichkeiten für das Problem bereits die Lösung selbst. Durch die Interventionen werden Bewegungen und Energien ausgelöst, die den ‚Heilungs- und Bewältigungsprozess anstoßen und in Gang halten. Alleine die Tatsache, dass der Klient seine Aufmerksamkeit vom Problem auf die Lösungsmöglichkeit lenkt, ist eine Maßnahme des Perspektivwechsels. Die Betonung einer oder mehrerer Lösungsmöglichkeiten setzt im Bewusstsein des Klienten eine vollkommen neue Prioritätenskala.

Wichtig dabei ist, dem Klienten zu vermitteln, dass es immer, und zwar ausnahmslos immer, mehrere Lösungsmöglichkeiten gibt. Man kann den Klienten auffordern, quasi als Hausaufgabe, sich selbst mehrere Lösungsmöglichkeiten zu konstruieren. Man kann dabei in einer Sitzung unter Anleitung des Therapeuten in einer Art Brainstorming sogar ganz fantastische Lösungsmöglichkeiten entwerfen. Der nächste Schritt wäre dann, die so gefundene virtuelle Lösung auf die persönliche und soziale Wirklichkeit des Klienten zu übertragen. Sicher wird das nicht zu einhundert Prozent gelingen, aber aus dem Perspektivwechsel ergeben sich selbst wiederum neue Aspekte, die einer Lösung näherkommen.

Heißt letztlich, dass Therapeut und Klient eine Lösung konstruieren oder erfinden. Sie tun es gemeinsam, indem sie die Ansätze, die der Klient aus seinen ‚Hausaufgaben‘ mit in die Sitzung bringt, weiter diskutieren, hinterfragen, weiter entwickeln und vielleicht in einer Imaginationsreise oder einer Hypnose tiefer im Unterbewusstsein des Klienten verankern.

Die Fragen, die dabei zu beantworten sind, lauten:

Was erhält das System aufrecht?

Wie konstruieren Therapeut und Klient die Lösung?

Es ist sofort erkennbar, dass der Klient als Element eines Systems gesehen wird, ein Element, das sowohl agiert als auch reagiert und im Reagieren wiederum zum Agens, zum Akteur wird. Jeder Mensch ist in jedem Augenblick nolens volens sowohl Subjekt und Objekt. Und genau das macht die systemische Betrachtungsweise.

2. Der systemische Ansatz

In einer Therapie, in der sich der Therapeut an systemischen Grundsätzen orientiert, wird nie nach Ursache-Wirkungszusammenhängen gefragt, noch spielen die Begriffe Täter oder Opfer eine Rolle und damit verliert auch der Begriff der Schuld seine Bedeutung.

Geschehen in einer Beziehung der Elemente eines Systems Fehler oder gibt es Störungen, an denen zwei oder mehr Mitglieder des Systems beteiligt sind, wird jedoch die Frage gestellt, welchen Anteil die einzelnen Mitglieder des Beziehungsgeflechts an der Störung haben. Diese Anteile sind Wirkungsmächtigkeiten, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in unterschiedlichen Situationen oder Phasen der Beziehung auch unterschiedlich groß sein können. Da aber jedes Mitglied gleichzeitig Subjekt einer Handlung ist, also eine Aktion von ihm ausgeht, als auch Objekt einer Handlung ist, die von seinem Partner im System ausgeht, stellt sich die Frage nach Schuld im Sinne von Auslöser einer dysfunktionalen Handlung nicht. Denn jede Aktion kann ebenso als Reaktion auf eine andere Aktion gesehen werden, wobei diese Aktion wiederum Reaktion auf einen anderen Impuls gesehen werden kann.

In der systemischen Betrachtungsweise geht es also um die Frage von Wirkungszusammenhängen, um Art und Weise von Interaktionen und Transaktionen sowie um die Natur und Struktur der Kommunikation innerhalb eines Systems oder eines Teilsystems, dem der Klient angehört. Störungsimpulse werden oft von Teilsystemen, denen der Klient angehört, in ein anderes, bei- oder übergeordnetes System eingebracht. So können Störungen im Beruflichen dysfunktionale Verhaltensweisen hervorrufen, die dann in das System Familie mit eingebracht werden.

Der Therapeut fragt also nicht nach den Ursachen eines Problems, aber er lässt sich das Problem schildern und die Frage beantworten:

Was ist das Problem?

Und es folgt die noch wichtigere Frage:

Und wie könnten Lösungen aussehen?

Nicht das Problem steht im Mittelpunkt der therapeutischen Bemühungen, es sind die Problemlösungen, auf sich zu konzentrieren ist.

Es gibt zwei unverrückbare Glaubenssätze in der lösungsorientierten Kurzzeittherapie.

Glaubenssatz 1:

problem talk creates problems

Glaubenssatz 2:

solution talk creates solutions,

will sagen: je mehr man über das oder die Probleme spricht, umso mehr Probleme tauchen auf. Aber je mehr man über Problemlösungen spricht, umso mehr Lösungsmöglichkeiten tauchen auf.

Im Mittelpunkt steht die Salutogenese statt wie in der klassischen Schulmedizin und der tiefenpsychologisch oder psychoanalytisch orientierten Psychotherapie die Pathogenese .

3. Die Klienten

Die Frage, ob die lösungsorientierte Kurzzeittherapie bei jeder Art von Klienten anzuwenden ist, ergibt sich aus der Beschreibung der 3 hauptsächlichen Typen von Klienten.

Der erste Typ nennt man den Kläger.

Er sucht den Therapeuten nur deswegen auf, um über sein Leid zu klagen und um sich über andere zu beschweren. Was er aber nicht möchte ist, seine Situation zu verändern. Denn in seiner Klageecke hat er sich bequem eingerichtet und im Selbstmitleid und der Opferhaltung glaubt er, eine gute Copingstrategie gefunden zu haben, die ihn von aller Selbstverantwortung befreit. Denn Änderung bedeutete ja Anstrengung.

Den zweiten Typ nennt man auch den Besucher.

Der Besucher sucht den Therapeuten auf, ist interessiert und will sich informieren. Er entscheidet sich später, ob der Therapeut und das Ambiente das Richtige für ihn ist. Da er interessiert ist, hat er bereits den Entschluss zur Therapie gefasst, Compliance ist also gegeben, es fehlt nur noch am richtigen Gegenüber.

Den dritten Typ nennt man auch den Kunden.

Der Kunde sucht den Therapeuten auf und hat bereits einen klaren Auftrag an sein Gegenüber. Er formuliert bereits mehr oder weniger klar das Therapieziel. Steve de Shazer wünscht seinen Kollegen, ‚es sollten richtige Kunden sein‘.

Kommt ein Klient zum Therapeuten und sagt, er habe Depressionen, ist die Therapeutenbitte zunächst einmal, sich über das wann und wie und wo und warum zu äußern. Der Klient vertieft sich in seine Problematik und wühlt in seinen Erinnerungen und kramt sich alle möglichen und unmöglichen Erklärungen hervor.

In diese Falle tappt man nicht, wenn man die pathogene Perspektive aufgibt und sich der salutogenen Perspektive zuwendet.

[...]

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Einführung in die lösungsorientierte Kurzzeittherapie
Veranstaltung
Fortbildung
Autor
Jahr
2016
Seiten
31
Katalognummer
V315029
ISBN (eBook)
9783668146112
ISBN (Buch)
9783668146129
Dateigröße
1086 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
einführung, kurzzeittherapie
Arbeit zitieren
Walter Lenz (Autor:in), 2016, Einführung in die lösungsorientierte Kurzzeittherapie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/315029

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