Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Geschichte des englischen Schulsystems
2.1 Von den Anfängen bis in die 1970er Jahre
2.2 Die Struktur des englischen Schulsystems
2.2.1 Primary Schools
2.2.2 Secondary Schools
2.2.3 Privatschulen
2.2.4 Abschlüsse
2.2.5 Rechtliche Rahmenbedingungen
3. Die Reformen unter Margaret Thatcher
3.1 Ansichten der Parteien zum Schulsstem
3.2 Einfluss des Thatcherismus
3.3 Der Education Reform Act von
3.3.1 National Curriculum
3.3.2 Mitsprache der Eltern
3.3.3 Demokratisierung und Privatisierung
4. Folgend und Konsequenzen der Reformen
4.1 Umsetzung der Reformen
4.2 Chancengleichheit
4.2.1 Freie Schulwahl
4.2.2 Neue Schulformen
4.2.3 Zusammenfassung
5. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Das britische Bildungssystem besitzt eine lange Tradition und bis ins 20. Jahrhundert hat es nur wenige große Reformen erfahren. Dies änderte sich unter der Regierung von Margaret That- cher. Während ihrer Amtszeit hat es tiefgreifende Veränderungen in der Bildungspolitik von England gegeben. Peter Wilby hat im Guardian das Thema aufgegriffen und titelte „Margaret Thatcher’s education legacy is still with us - driven on by Gove“1. Er geht in dem Artikel näher auf den Widerspruch ein, dass Thatcher während ihrer Regierungszeit das Ziel hatte, den Staat aus dem Leben der Menschen herauszunehmen, aber in der Bildungspolitik scheinbar das Ge- genteil tat, indem sie engere Kontrollen der Schulen durch den Staat einführte und auch den Lehrplan vorgab. Diese Punkte wurden in der größten Bildungsreform Englands, seit Ende des Zweiten Weltkrieges, den Education Reform Act von 1988 umgesetzt. Ziel war es, auch auf Bildungsebene einen Markt und einen damit einhergehenden Wettbewerb zu schaffen, den sich alle Schulen stellen müssen. Damit wollte Thatcher und speziell ihr Bildungsminister Baker die Qualität der Bildung erhöhen.
Im Folgenden soll zum Verständnis die geschichtliche Entwicklung des englischen Schulsystems umrissen und dessen Strukturen dargestellt werden, um dann auf die Reformen unter Thatcher und speziell auf den Education Reform Act von 1988 einzugehen. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Einführung des National Curriculums, der Mitsprache der Eltern und der Demokratisierung und Privatisierung der Schulen. Es soll aufgezeigt werden, ob die Reformen ihr Ziel erreicht haben, die Qualität der Schulbildung zu erhöhen und inwieweit dies Einfluss auf die Chancengleichheit der Schülerinnen und Schüler genommen hat.
2. Geschichte des englischen Schulsystems
Für das Verständnis der Reformen unter Margaret Thatcher ist es wichtig, die historische Entwicklung des englischen Schulsystems zu betrachten, um dessen lange Traditionen und tiefe Verwurzelungen in die britische Gesellschaft zu verstehen. Ein kurzer geschichtlicher Abriss soll deshalb im folgenden Kapitel in das Thema einführen. Des Weiteren soll die Struktur des Schulsystems dargestellt werden.
2.1 Von den Anfängen bis in die 1970er Jahre
England besitzt eine sehr lange Schultradition, die bereits 597 begann, als durch Augustinus, dem Apostel der Engländer, s. g. Song Schools gegründet wurden. Zugänglich waren diese kirchlichen Elementarschulen nur für Jungen.2 Ebenfalls war Augustinus der Begründer der Grammar Schools3, in denen ältere Jungen in lateinischer Sprache, Lesen und Schreiben unter- richtet wurden.4
Im späten Mittelalter wurden die Song Schools von den Petty Schools verdrängt, welche Jungen im Alter von fünf bis sieben Jahren lesen und schreiben anhand von biblischen Texten und außerdem Benehmen unterrichteten. Diese Schulen wurden überwiegend von gebildeten Haus- frauen betrieben. Des Weiteren wurde zu dieser Zeit mit Eton 1440 eine der ersten privatfinan- zierten Schulen gegründet. Mit diesen Entwicklungen und der Lossagung Heinrichs VIII von der katholischen Kirche nahm der Einfluss dieser auf die Schulen allmählich ab.5 Trotz der langen Geschichte des englischen Bildungssystems wurden erst 1839 erstmals öffentliche Gel- der für die Schulen zur Verfügung gestellt und 1862 die Schulpflicht eingeführt. Ein für die Bildungspolitik wichtiger Punkt ist der Forster Act (Education Act) von 1870, welcher das Ziel hatte die Bildungsstandards der breiten Masse zu heben. Dies sollte durch ein duales System von staatlichen und freien Schulen erreicht werden, welches bis heute Bestand hat.6 Gleichzei- tig wurden örtliche Schulbehörden gegründet, durch die Elementarschulen gebaut und finan- ziert wurden. Die Behörden wurden aber bereits 1902 durch den Balfour Act wieder abgeschafft und die Verantwortung für die Schulen auf die Gemeinden übertragen.7
Bis 1918 war, trotz aller Reformen, die Schule nur für einen kleinen Kreis von Kindern zugäng- lich, deren Eltern das Schulgeld bezahlen konnten. Erst ab Ende des I. Weltkrieges konnten alle Kinder die Schule kostenlos besuchen.8 Dies galt jedoch nur für die Grundschulen. 1920 be- suchten nur 9,2% der Kinder in England eine secondary school, da die Eltern für diese Schul- gebühren zu bezahlen hatten.9 Durch den Education Act von 1944 wurde der Besuch von allen Schulen kostenlos und die Schulpflicht wurde bis zum 16. Lebensjahr erweitert.10 Die Schulzeit gliederte sich in drei Phasen: die primary education, die secondary education und die further education. Die Sekundarstufe wurde, wie in Deutschland, in drei Zweige aufgeteilt. Grammar Schools, Secondary Technical Schools und Secondary Modern Schools existierten nebeneinan- der und waren mit den deutschen Gymnasien, Sekundarschulen und Hauptschulen vergleich- bar.11
1964 kam die Labour Party an die Regierung. Sie versuchte, in den folgenden Jahren, die Dreiteilung der Sekundarstufe abzuschaffen und stattdessen eine gemeinsame Sekundarschule, die comprehensive school, einzuführen. Dieses Vorhaben gelang trotz heftigem Widerstandes. Jedoch konnte jede Schulbehörde, die Local Education Authorities (LEAs), entscheiden, welches System am besten für ihren Schulbezirk geeignet war. Die Debatte um die bestmögliche Organisation der Sekundarstufe hält, ähnlich wie in Deutschland, bis heute an.12
2. Die Struktur des englischen Schulsystems
Eine Schulpflicht besteht in England für Kinder zwischen fünf und 16 Jahren. Sie werden mit fünf Jahren eingeschult und besuchen dann sechs Jahre lang die Grundschule, bevor sie auf die secondary school wechseln. Diese können sie dann im Alter von 16 Jahren verlassen oder sie setzen ihre Schulbildung in der sixth form13 fort.14
2.1 Primary Schools
Mit fünf Jahren werden die Schüler in infant schools eingeschult, die die Klassen eins bis drei umfassen. Anschließend wechseln sie mit sieben Jahren an junior schools, die sie bis zum Alter von elf Jahren besuchen.15 Die meisten Schulen unterstehen den lokalen Schulbehörden (LEAs) und nur wenige haben einen gemeinnützigen oder privaten Träger.16
In der Primarstufe werden drei Hauptfächer unterrichtet: Englisch, Mathematik und Naturwissenschaften. Dazu kommen allgemeinbildende Fächer, wie Gestaltung und Technik, Sport, Geschichte, Musik und Kunst.17 Die Schüler sollen Schlüsselfertigkeiten, wie Kommunikationsfähigkeit, Zusammenarbeit mit anderen und problemlösendes Denken entwickeln.18
Im Alter von sieben und elf Jahren, am Ende der key stages19 wird ein nationaler Leistungstest durchgeführt, der jedoch keinen Einfluss auf die weitere schulische Laufbahn der Schüler hat und vor allem dem Vergleich der Schulen untereinander dient.20
2.2 Secondary Schools
Im Sekundarschulbereich soll eine allgemeine Bildung vermittelt werden. Die Kernfächer sind ebenfalls Mathematik, Englisch und Naturwissenschaften. Dazu können die Schüler aus einem breiten Fächerangebot wählen.21 Die secondary schools umfassen verschiedene Schultypen.
Über 90% der Schüler besuchen eine Comprehensive School. In dieser gibt es drei verschiedene Methoden der Lerngruppenzusammensetzung: Bei der Mixed Ability gibt es keine Differenzierung und die Zusammensetzung der Klassen erfolgt zufällig, wodurch leistungsheterogene Gruppen entstehen.22 Anders erfolgt die Einteilung beim streaming, wo die Schüler nach den Schulleistungen in den Kernfächern in A-, B- oder C-Kurse eingeteilt werden. Die dritte Form ist das setting, wo wiederum die Leistung im Kernfach darüber entscheidet, ob der Schüler in diesem Fach einen A-, B- oder C-Kurs besucht.23
Bei den comprehensive schools gibt es zwei verschiedene Typen mit und ohne angegliederter oberer Sekundarschule, die Sixth Form.24 Des Weiteren bestehen neben den Gesamtschulen auch weiterhin die Grammar Schools, Secondary Technical Schools und Secondary Modern Schools. Erstgenannte zu einem Drittel in den Regionen Kent und Medaway.25 Die Grammar Schools sind mit den deutschen Gymnasien vergleichbar. Zugangsvoraussetzung ist ein Eignungstest und ein persönliches Vorstellungsgespräch. Secondary Technical and Modern Schools gibt es nur noch vereinzelt, sie wurden vor allem durch die Schulreformen in den 1960er Jahre in Comprehensive Schools umgewandelt.26
2.3 Privatschulen
Traditionsgemäß haben Privatschulen in England eine besondere Bedeutung. Bis 1870 befand sich das gesamte Schulwesen in privater Trägerschaft. Allerdings entwickelte sich der private Sektor in den folgenden Jahrzehnten deutlich zurück und erreichte 1976 mit einem Schüleran- teil von 5,6% einen Tiefstand. Heute besuchen gut 7% aller Schüler eine private Schule.27 In der Öffentlichkeit ist das Bild der Privatschulen geprägt von den exklusiven Public Schools28 wie Eton, Harrow und Winchester, welche alle einen hervorragenden Ruf besitzen.29 Da die Schulen nicht dem staatlichen Schulsystem unterstehen, erhalten sie keine öffentlichen Gelder und werden deshalb z. B. durch Unternehmen finanziell unterstützt. Der Großteil der Einnah- men der Privatschulen sind jedoch die Studiengebühren, welche sich je nachdem, ob die Schüler im schulinternen Internat wohnen oder nur den Unterricht besuchen, unterscheiden.30
2.4 Abschlüsse
Zum Abschluss der Sekundarstufe I legen die Schüler in England mit 16 Jahren die General Certificates of Secondary Education (GCSEs) ab. Die Notenskala reicht von A+ bis G, wobei A+ die beste Note darstellt und G als nicht bestanden gilt.31 Ebenfalls fließt in die Bewertung die Beurteilung des Lehrers zu 20% ein, damit wollte die Regierung den Lehrern mehr Einfluss bei der Bewertung geben. Allerdings besteht die Beurteilung aus der Bewertung einer oder mehrere Hausarbeiten, deren Bewertung wiederum nach Korrekturrichtlinien vorgeschrieben ist.32
Schüler, die die Sixth Form besuchen, schließen die Schule mit den Advanced Levels (A-Level) Prüfungen ab. Die Schüler werden in drei oder vier frei wählbaren Fächern geprüft. Die Resul- tate, welche auf entsprechende GCSEs aufbauen müssen, entscheiden dann über die Zulassung zu einem Hochschulstudium. Damit legen sich Schüler in England bereits bei der Wahl der GCSE-Fächer auf ihre A-Level-Kombinationen fest und schränken damit häufig ihre Studien- möglichkeiten ein.33
2.5 Rechtliche Rahmenbedingungen
Seit 1992 steht das Department of Education, das Bildungsministerium, dem englischen Bil- dungswesen vor. Es ging aus dem Department for Education and Science hervor. Beide Insti- tute waren verantwortlich für die Entwicklung, Interpretation, Ausführung und Überwachung der nationalen Bildungspolitik. Für die Überwachung des nationalen Bildungswesens war bis 1992 das Inspektorat ihrer Majestät (HMI) zuständig, welches dann vom Office for Standards in Education (OFSTED) abgelöst wurde. Bis zum Education Reform Act (ERA) von 1988 waren die LEAs für den gesamten Bildungsbereich außerhalb der Universitäten verantwortlich. Sie waren finanziell unabhängig und konnten in ihrem Schuldistrikt Entscheidungen autonom fäl- len, z. B. über die Form der secondary school, über den Bau von Schulen oder die Lehrpläne.34
[...]
1 Peter Wilby, Margaret Thatcher's education legacy is still with us - driven on by Gove, in: The Guardian, 15.4.2013.
2 Vgl. Rolf Bischoff, Gegenwart und Geschichte des englischen Schulsystems, Marburg 2001, S. 19.
3 Die Schulform der Grammar Schools hat sich bis heute, trotz mehrerer Versuche diese durch Gesamtschulen zu ersetzen, vor allem durch die Labour Party, bis heute gehalten.
4 Vgl. Ebd., S. 20.
5 Vgl. Ramona Basel, Lernen und Lehren in Deutschland und England. Vergleich der Bildungssysteme - Stärken und Schwächen, München 2013, S. 28 f.
6 Vgl. Christian Dube, Vergleich der Schul- und Hochschulsysteme der Bundesrepublik Deutschland und England/Wales unter besonderer Berücksichtigung der Bildungsfinanzierung, München 2006, S. 31.
7 Vgl. John Oakland, British civilization. An introduction, London, New York 2006, S. 212.
8 Vgl. Bischoff, S. 25 f.
9 Vgl. Oakland, S. 212.
10 Vgl. John Hils u.a., Towards a more equal society? Poverty, inequality and policy since 1997, Bristol 2009, S. 15.
11 Vgl. Basel, S. 30.
12 Vgl. Oakland, S. 214.
13 Oberstufe, welche zwei Jahre dauert und auf den Besuch der Universität vorbereitet.
14 Vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung, Vertiefender Vergleich der Schulsysteme ausgewählter PISA-Teilnehmerstaaten, Berlin 2007, S. 44 f.
15 Vgl. Ebd., S. 44.
16 Vgl. European Commision, Eurydice. Structures of Education and Training Systems in Europe. United Kingdom. England, Brüssel 2010, S. 22.
17 Vgl. Basel, S. 34.
18 Vgl. European Commision, S. 25.
19 Der englische national curriculum (Lehrplan) ist in vier Schlüsselphasen (key stages) gegliedert, wobei die Schlüsselphasen 1 und 2 den Primarbereich und die Schlüsselphasen 3 und 4 den Sekundarbereich I abdecken.
20 Vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung, S. 44.
21 Vgl. Neville Harris u. Stephen Gorard, Vereinigtes Königreich von Großbritannien, in: Hans Döbert (Hg.), Die Bildungssysteme Europas. Albanien, Andorra, Armenien, Aserbeidschan, Belarus, Belgien, Bosnien-Herzego- wina, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Färöer Inseln, Finnland, Frankreich, Georgien, Griechenland, Irland, Island, Italien, Kosovo, Kroatien, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Luxemurg, Malta, Makedonien, Mol- dawien, Monaco, Montenegro, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Russische Föde- ration, San Marino, Schweden, Schweiz, Serbien, Slowakische Republik, Slowenien, Spanien, Tschechische Re- publik, Türkei, Ukraine, Ungarn, Vereinigtes Königreich, Zypern (= Grundlagen der Schulpädagogik, Bd. 46), Baltmannsweiler 20103, S. 823-852, hier S. 838. 4
22 Vgl. Bischoff, S. 76.
23 Vgl. Werner Wiater, Unterrichtsprinzipien. Prüfungswissen - Basiswissen - Schulpädagogik, Donauwörth 2008 3, S. 27.
24 Vgl. Basel, S. 36.
25 Vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung, S. 44.
26 Vgl. Bischoff, S. 78.
27 Vgl. Johannes Taphorn, Neuere Entwicklungen im englischen Bildungswesen unter besonderer Berücksichtigung der beruflichen Bildung, Hamburg 1998, S. 25.
28 Synoym dem deutschen Terminus Privatschulen
29 Ebd.
30 Vgl. Bischoff, S. 80.
31 Vgl. European Commision, S. 35.
32 Vgl. Bischoff, S. 45.
33 Vgl. Ebd., S. 46. 6
34 Vgl. Taphorn, S. 15 f.