Thomas Bernhards Bühnenstück „Heldenplatz“ entstand im Auftrag von Claus Peymann als Beitrag zum 100-jährigen Bestehen des Wiener Burgtheaters 1988. Die primäre Intention des Auftraggebers war, anlässlich des 50. Jahrestags der Annexion Österreichs durch Hitler-Deutschland das österreichische Theaterpublikum an die eigene ruhmlose Vergangenheit zu erinnern. Diesem Wunsch entsprechend zeigte Thomas Bernhard in „Heldenplatz“ die komplexen Konsequenzen der lange Zeit beschwiegenen nationalsozialistischen Verstrickung Österreichs exemplarisch anhand einer Wiener Familiengeschichte auf.
Aus der Sicht einer jüdischen Bürgerfamilie beantwortete er aktuelle Fragen zu der Selbst- und Fremdwahrnehmung, u.a. was Wien (bzw. Österreich), wer ein Österreicher und wer ein Jude in Wien (bzw. Österreich) Ende der 1980er Jahre sei. Zugleich stellte er aus demselben Blickwinkel und in Zusammenhang mit der Identitätsproblematik dar, inwiefern der sogenannten Opfergeneration sowie deren Kindern die (Re-)Integration in ihrem Vaterland, bzw. dem Vaterland die Integration der jüdischen (Re-)Migranten misslang:
1. Auf die Ignoranz und Ausgrenzung seitens der Aufnahmegesellschaft reagiert die Familie Schuster lediglich sporadisch und nur mit längst überholten politischen Mitteln des einstigen Österreich-Ungarn. Anstatt pro-aktiv am öffentlichen und politischen Leben teilzunehmen, ziehen sie sich immer mehr ins Privatleben zurück und trösten sich mit der Entwicklung eines Spiels für die Familie und deren jüdischen Freundeskreis. Das antifaschistische Widerstandsspiel "Zeichen der Zeit" wird zum Ventil, um die alltägliche politische Erfahrung der Solidaritäts- und Empathieverweigerung seitens der Wiener untereinander abzureagieren.
2. Der psychisch bereits angeschlagene Josef Schuster lässt es zu, dass bei ihm aus dem harmlosen Widerstansspiel eine Besessenheit, gar eine Manie entsteht, und dass das allmählich zum Selbstläufer gewordene Lebensspiel "Zeichen der Zeit" die Kontrolle übernimmt. Dabei wird die nationalsozialistische Vergangenheit Österreichs hypostasiert, das heißt für Professor Schuster stets unüberwindbar präsent.
3. Die totale Heimat- und Rastlosigkeit der Schusters wird durch doppelbödige Ehespiele unabänderlich besiegelt. Sie machen ihre historisch-politisch und psychisch bedingten Wahrnehmungsverluste irreversibel, und ihre persönliche Situation völlig ausweglos...
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die österreichische Erinnerungskultur während des Kalten Krieges
- Das große Beschweigen
- Die kollektive Opferidentität als nationale Deckerinnerung
- Der Heldenplatz als Schauplatz und Gedächtnisort
- Die Utopie Wien
- Der zweite historische Schock für die Familie Schuster
- Das Spiel „Zeichen der Zeit“
- Das Buch „Zeichen der Zeit“
- Verhängnisvolle Ehespiele
- Professor Schuster, der „Wandernde Jude“
- Die Zeichen der Zeit in Thomas Bernhards „Heldenplatz“. Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Aufsatz analysiert Thomas Bernhards Bühnenstück „Heldenplatz“ aus kulturwissenschaftlicher Perspektive. Er untersucht, wie Bernhard die österreichische Erinnerungskultur im Kontext des Kalten Krieges und der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit thematisiert. Das Stück wird im Lichte der Selbst- und Fremdwahrnehmung Wiens und Österreichs nach 1945 betrachtet, wobei die Integration von jüdischen (Re-)Migranten in die österreichische Gesellschaft im Fokus steht.
- Österreichische Erinnerungskultur im Kalten Krieg
- Der Heldenplatz als Schauplatz und Gedächtnisort
- Die Selbst- und Fremdwahrnehmung Wiens und Österreichs
- Integration von jüdischen (Re-)Migranten in die österreichische Gesellschaft
- Die Rolle von Schuld und Verantwortung in der österreichischen Geschichte
Zusammenfassung der Kapitel
- Die Einleitung stellt die Entstehung von „Heldenplatz“ im Kontext des 100-jährigen Jubiläums des Wiener Burgtheaters vor. Sie beleuchtet die Intention des Auftraggebers, Claus Peymann, die österreichische Gesellschaft an ihre eigene Vergangenheit zu erinnern.
- Das zweite Kapitel beleuchtet die österreichische Erinnerungskultur während des Kalten Krieges. Es wird dargelegt, wie die nationalsozialistische Vergangenheit durch ein „Beschweigen“ aus dem nationalen Selbstbild verdrängt wurde.
- Kapitel drei analysiert den Heldenplatz als zentralen Schauplatz und Gedächtnisort in Bernhards Stück. Der Heldenplatz wird als Ort des historischen Bruchs, der nationalsozialistischen Vergangenheit und der postnationalsozialistischen Gegenwart betrachtet.
- Das vierte Kapitel beleuchtet die Utopie Wien, die in Bernhards Stück als Idealbild einer bürgerlichen Gesellschaft entlarvt wird. Es wird die Kluft zwischen dem Selbstbild Wiens und der Realität seiner Vergangenheit und Gegenwart aufgezeigt.
- Kapitel fünf thematisiert den „zweiten historischen Schock“ für die Familie Schuster, der durch die Annexion Österreichs durch Hitler-Deutschland eingeleitet wurde. Die Familie steht exemplarisch für die Herausforderungen, die durch die nationalsozialistische Vergangenheit und die NS-Verfolgung entstanden sind.
- Im sechsten Kapitel wird das „Spiel „Zeichen der Zeit“ analysiert. Dieses Spiel verdeutlicht die Auswirkungen der Vergangenheit auf die Gegenwart und die Schwierigkeiten, mit der eigenen Geschichte umzugehen.
- Kapitel sieben beleuchtet das Buch „Zeichen der Zeit“, das in Bernhards Stück eine zentrale Rolle spielt. Es wird die symbolische Bedeutung des Buches für die Figuren und deren Auseinandersetzung mit der Vergangenheit analysiert.
- Das achte Kapitel thematisiert die „verhängnisvollen Ehespiele“ in Bernhards Stück. Diese dienen als Metapher für die komplizierte und konfliktgeladene Beziehung zwischen den Generationen und die Folgen der Vergangenheit auf die Gegenwart.
- Kapitel neun analysiert Professor Schuster, der als „Wandernder Jude“ dargestellt wird. Die Figur wird als Opfer und gleichzeitig als Repräsentant der jüdischen Geschichte und Erfahrung im Wien des 20. Jahrhunderts betrachtet.
Schlüsselwörter
Die wichtigsten Schlüsselwörter des Textes sind: Österreichische Erinnerungskultur, Kalter Krieg, Heldenplatz, Wien, Identität, Nationalsozialismus, Antisemitismus, Schuld, Verantwortung, Integration, jüdische (Re-)Migranten.
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- Krisztina Kaltenecker (Author), 2014, Die Zeichen der Zeit in Thomas Bernhards "Heldenplatz". Eine kulturwissenschaftliche Betrachtungsweise, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/315639