Die Syntax der Bildzeitung. Ein Vergleich zwischen 1964 und 2014


Hausarbeit (Hauptseminar), 2014

38 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Zur Methode

3 Satzlänge

4 Satzarten

5 Einfachsatz

6 Wortstellung und Spannungsfeld Satz
6.1 Das Stellungsfeldermodell in seinen Grundzügen
6.2 Anwendung des Modells zur Erfassung der Syntax der Bild-Zeitung
6.3 Spannungsfeld Satz

7 Weitere Merkmale

8 Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang

Liste der ausgezählten Artikel

Ergebnisse der Auszählungen

Grafische Darstellungen der Auszählungen

1 Einleitung

Bei näherem Hinsehen jedoch werden die Tücken des Objektes offenkundig, die Schwierigkeiten, ein ausschließlich auf Massenkonsum ausgerichtetes emotional überreiztes Zeitungsprodukt wie die BZ [Bild-Zeitung] in den analysierenden Griff wissenschaftlicher Rationalität zu zwingen (Horn 1980: 30)

Gegenstand der Hausarbeit ist die Untersuchung der syntaktischen Eigenschaften der Bild-Zeitung.

Bei der Bild-Zeitung handelt es sich um eine Zeitung, die in der Pressefachwelt „durchweg kritisch“(Schmitt 2004: 76) gesehen wird. Die im Eingangszitat erwähnte Schwierigkeit, ein Zeitungsprodukt mit den Charakteristika der Bild-Zeitung und auch die Kritik an diesem wissenschaftlich zu fundieren, ist ein Aspekt, der zu einer Beschäftigung mit der Syntax der Bild-Zeitung führt. Hier finden sich nämlich Ansatzpunkte von Phänomenen, die scheinbar nur die sprachliche Oberfläche betreffen. Aber gerade durch die Beschränkung auf die reine Satzstruktur kann man Eigenschaften herausfinden und fundieren, die tiefergehende Wirkmechanismen und Aufbauweisen zu Tage fördern. Auch ist es interessant, eine Zeitung zu analysieren, deren Syntax zumindest auf den nicht unerheblichen Teil der Exklusivleser in normgrammatischer Hinsicht einen großen Einfluss ausüben dürfte.

Wesentliches Erkenntnisinteresse ist hierbei, aufbauend auf einer Dissertation zur Syntax der Bild-Zeitung aus dem Jahr 1964, zu untersuchen, welche syntaktischen Phänomene gleich geblieben sind und welche sich verändert oder gesteigert haben, und wie dies einzuordnen, zu analysieren und in seinen Funktionen zu erklären ist.

Eine solche Untersuchung ist also in mehrfacher Hinsicht von Interesse und weist darüber hinaus noch auf allgemeine Phänomene der Zeitungssprache hin.

Zunächst wird die Methode und Herangehensweise bei der Auswertung der Syntax der Bild-Zeitung sowie die Grundlage der vorliegenden Arbeit, nämlich eine Dissertation von 1964 vorgestellt. Darauf aufbauend werden ausgewählte Phänomene der Syntax untersucht: Zunächst ist die Länge der Sätze als grundlegendes sprachliches Merkmal Gegenstand einer Betrachtung. Daran anschließend wird die Häufigkeitsverteilung der verschiedenen Satzarten näher untersucht und interpretiert. Der Einfachsatz, der sich – wie noch zu zeigen sein wird – als prototypisch für die Bild-Zeitung erweist, wird in einem eigenen Kapitel in seinen Eigenarten und Erscheinungsformen in der Bild-Zeitung näher untersucht. Anhand des topologischen Feldermodells werden schließlich die Phänomene und Besonderheiten der Wortstellung und der Beschaffenheit der Verbalklammer in der Bild-Syntax erläutert. Abschließend sollen noch einige Aspekte der syntaktischen Gestaltung gestreift werden, welche die bis dahin erlangten Erkenntnisse untermauern können.

2 Zur Methode

In diesem Kapitel soll dargelegt werden, wie bei der Auszählung und Bewertung der syntaktischen Phänomene in der Bild-Zeitung vorgegangen wurde, um einen Einblick in die Arbeitsweise und die zugrundeliegende Systematik zu geben.

Grundlage ist hierbei die Dissertation Ekkehardt Mittelbergs zu „Wortschatz und Syntax der Bild-Zeitung“. Sein Vorgehen wurde zur Vorlage für die Systematik der Auszählung.

Die Auszählung erfolgte für den Zeitraum einer Zeitungswoche vom 29.03.2014 bis zum 04.04.2014. Lediglich die „Bild am Sonntag“ wurde aufgrund ihres anderen Formates und einer möglicherweise abweichenden Syntax ausgelassen.

Ähnlich wie bei Mittelberg (Mittelberg 1967: 194) wurde eine Unterteilung in vier große Sachbereiche der Zeitung vorgenommen, nämlich Aktuelles, Kriminalartikel, politische Artikel und Sportartikel.

Es wurden jeweils drei Artikel aus jedem Bereich pro Tag ausgezählt, so dass sich eine Gesamtheit von zwölf Artikeln pro Tag ergibt, was grob einem Drittel des Gesamtvolumens der Zeitung entsprechen sollte (Mittelberg 1967: 14)

Insgesamt summiert sich so die Anzahl der berücksichtigten Sätze auf 1081, was eine gewisse Repräsentativität der Ergebnisse, zumindest aber das Anzeigen bestimmter Tendenzen sicherstellt.

Es hätte den Rahmen gesprengt, wenn auch noch eine Auszählung einer Abonenntenzeitung als Vergleichsmedium erfolgt wäre. Somit müssen als grober Referenzrahmen die älteren Zahlen der Dissertation Mittelbergs zur Syntax der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) dienen.

Entlang der vier Oberkategorien in der Bild-Zeitung erfolgte zunächst eine Auswertung der Satzlänge. Darauf folgend wurde die jeweilige Satzart zugeordnet. Sodann folgte eine nähere Betrachtung des für die Bild-Zeitung besonders bedeutsamen Einfachsatzes. Schließlich wurden Satzmodelle, passivistische Sätze, unterschiedliche Attribuierungen, Parenthesen, ggf. die Art des Satzgefüges, die Weise der Interpunktion, Wortstellung im Feldermodell, das Spannungsfeld, das durch die verbale Klammer aufgemacht wird, umgangssprachliche Elemente und Ersparungen erfasst.

Auf diese Weise sollte zwar weitgehend der von Mittelberg gewählte Pfad beschritten werden; aber gerade dadurch lassen sich Unterschiede und Konstanzen auf syntaktischer Ebene ausmachen. So wird versucht, aus einer zurückliegenden Momentaufnahme von 1964 in Mittelbergs Dissertation und einer kleineren Momentaufnahme aus dem Jahr 2014 sprachliche Entwicklungstendenzen in der Bild-Zeitung nachzuvollziehen.

Stehen bei der Syntax zwar die „Wortgruppen und ihre Eigenschaften“ (Pafel 2011: 3) im Fokus und damit zunächst scheinbar Oberflächenphänomene der Sprache, lassen sich auch hierüber Rückschlüsse auf die Komplexität, Dichte und Art des vermittelten Inhaltes ziehen.

3 Satzlänge

Im Folgenden soll die Satzlänge in den untersuchten Bild-Zeitungen näher betrachtet werden. Hierbei erfolgt ein Vergleich mit den in Mittelbergs Dissertation erfassten Daten, um mögliche Konstanzen und Veränderungen der Syntax der Bild-Zeitung im Verlaufe der Zeit zu betrachten.

Schon die Bestimmung der Satzlänge bietet einen ersten Anhaltspunkt dafür, wie viel „Denkinhalt sich ein einem einheitlichen Denkschritt“ (Mittelberg 1967: 183) bewältigen lässt, und ist somit ein wichtiges (syntaktisches) Merkmal.

Grundlegend ist hierbei die Unterscheidung von vier Kategorien, um die Satzlängen systematisch einzuteilen. Basierend auf der Arbeit von Hans Eggers (Eggers 1973: 41) wurde folgende Kategorisierung zu Grunde gelegt:

Unter dem Begriff Setzung werden solche Äußerungen zusammengefasst, die keine grammatisch vollständigen Sätze darstellen, und bei denen vor allem das verbale Prädikat und das Subjekt fehlen (Ebd.)

Einfachsätze sind solche Gebilde, die nur aus einem Hauptsatz bestehen, somit also keinen Nebensatz und keinen satzwertigen Infinitiv aufweisen. (Ebd.)

Satzreihen sind „Koordinationsstrukturen“ (Dürscheid 2010: 57), d.h. einzelne in der Regel selbstständig vorkommende Sätze. Sie stehen in einer logisch nebengeordneten Relation.

Unter einem Satzgefüge schließlich werden solche Gebilde verstanden, die aus einem Hauptsatz und einem oder mehreren Nebensätzen bestehen, die dem Hauptsatz untergeordnet sind (Ebd).

Diese vier Kategorisierungen ermöglichen es, in systematischen Abstufungen unterschiedlich komplexe Satzgebilde zu unterscheiden und in der Gesamtschau die wesentlichen Strukturmerkmale eines Textes zu erfassen.

Zunächst seien die Ergebnisse der Dissertation Mittelbergs genannt: Setzungen kommen zu 20% vor, Einfachsätze zu 60%. Reihungen sind mit 3% vertreten und Gefüge mit 17% (Mittelberg 1967: 184).

Auch im Jahr 2014 hat sich an diesem Grundbefund der Verteilung der Satzlänge im Wesentlichen nicht viel geändert: Setzungen: 21,2%, Einfachsätze: 50,5% Reihungen: 11,5%, Gefüge: 16,6%.

Auch nach der gegenwärtigen Momentaufnahme lässt sich als erstes syntaktisches Phänomen die überwiegende Kürze der Sätze festhalten, das von Mittelberg als „Stenosyntax“ (Lüger 1995: 32) charakterisiert wird. Nach wie vor sind rund 70% der Sätze keine Gefüge oder Reihungen und damit relativ einfach verständlich und kurz. Es wird auf „unübersichtliche, relativ schwer verständliche Konstruktionen“ (Schmitt 2004: 84) weitgehend verzichtet.

Hierzu passt folgender Befund in Bezug auf die Empfängerseite: „Die durchschnittlichen Bildzeitungsleser kommen mit komplizierten Satzgefügen nur passiv in Berührung und dies relativ selten (Sandig 1972: 76).“

Dominierendes Element ist der Einfachsatz mit auch in der Gegenwartssprache der Bild-Zeitung immerhin noch rund 50%. Die Bild-Zeitung treibt somit einen allgemein auszumachenden Trend in der modernen Schriftsprache, nämlich den der Verkürzung der Sätze, auf die Spitze (Eggers 1973: 36)

Neben der Verknappung, Verkürzung und Vereinfachung von Sachverhalten erzeugt dieses eine größere Nähe zum Leser bzw. zur Leserin und ermöglicht einen „schnellen Lesekonsum“(Horn 1980: 33)

Auffällig ist, dass eine größere Anzahl von Reihungen bei der Auszählung auszumachen ist als im Jahr 1964. Bei Mittelberg heißt es hierzu:

Für uns ist wesentlich, daß [sic] der Leser bei einer Reihung gewissermaßen einen Dreisprung der Gedanken unternehmen muß [sic], bei dem er in der Anspannung nicht nachlassen darf. Solche Anspannung der Gedanken mutet die BZ ihrem Leser nur selten zu (Mittelberg 1967: 188)

Insbesondere im Bereich der Kriminalartikel liegt hier mit rund 14% ein signifikant höherer Anteil vor. Vor allem Vorgangsbeschreibungen, die in besonderer Weise dramatisierend oder raffend wirken sollen und plastisch beschreibend sind, werden in Form von Reihungen wiedergegeben: Ein Beispiel findet sich in einem Kriminalartikel, der den Vorgang eines Totschlags oder Mordes beschreibt: „Er forderte Marvin auf, sich zu wehren und ohrfeigte ihn immer wieder.“[1]

Auch Verläufe in Sportartikeln, beispielsweise Pässe beim Fußball, werden zum großen Teil durch Reihungen wiedergegeben: „Rafinha flankt, der eingewechselte Mandzukic legt mit dem Kopf ab und Schweinsteiger trifft technisch perfekt per Dropkick vom Elfmeterpunkt.“[2]

Hier ist also ein erster Unterschied zu den Befunden Mittelbergs aus dem Jahr 1964 auszumachen: Reihungen kommen häufiger vor, allerdings weniger zur Wiedergabe komplexer Gedankengänge, als vielmehr zur raffenden Darstellung linearer Handlungsverläufe. Somit passt auch dieser neue Befund in das Schema einer bereits festgestellten Morse- oder Stenosyntax.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Kürze der Sätze, die weniger zur Prägnanz als vielmehr zu einem flüchtigen Lesen führt, konstitutives Element der Syntax der Bild-Zeitung ist. Die zahlreichen verblosen Setzungen strukturieren die Texte und drängen zusammen mit Einfachsätzen als wichtigster Kategorie der Bildzeitungssyntax komplexe Gefüge weitgehend zurück. Reihungen machen Verläufe plastisch und kompakt nachvollziehbar, sorgen aber nicht für eine tiefergehende Struktur, die auf einen komplexen Inhalt schließen lassen könnte.

4 Satzarten

Nach einer ersten Untersuchung der Satzlänge sollen nun die verschiedenen Satzarten und die Häufigkeit ihres Vorkommens untersucht werden.

Zuerst erfolgt hierzu eine syntaktische Unterscheidung der verschiedenen Satzarten, um dann die Bedeutung dieser Unterscheidung mit Blick auf Pressetexte zu spezifizieren. Schließlich wird auch hier wie im vorangegangenen Kapitel ein Vergleich zwischen Mittelbergs Dissertation und den aktuellen Resultaten vorgenommen.

Es gibt insgesamt vier einschlägige Satzarten, die Mittelberg betrachtet:

Der Aufforderungssatz dient dazu, von einem Gesprächspartner einen noch nicht existenten Sachverhalt realisieren zu lassen (Helbig/Buscha 2001: 618).

Der Ausrufesatz bezweckt es, auszudrücken, dass ein Sprecher bzw. eine Sprecherin an einem Sachverhalt emotional beteiligt ist (Hentschel/Weydt 2013: 379).

Entscheidungsfragen sind Fragen, die sich auf einen bereits vollständig bekannten Sachverhalt beziehen, bei denen aber die Existenz dieses Sachverhaltes unsicher ist (Helbig/Buscha 2001: 615). Schließlich wurde noch die rhetorische Frage angeführt, die einen „grammatischen Sonderstatus“ (Hentschel/Weydt 2013: 378) einnimmt. Diese Fragen werden nicht in der Absicht geäußert, jemanden zu einer Antwort zu veranlassen, sondern haben stilistische Funktion (Ebd.). Diese kann auch darin liegen, eine gewisse Tendenz durch die Frage vorzugeben, die dem Leser bzw. der Leserin suggeriert werden und näher gebracht werden soll.

Eine häufiges Vorkommen dieser Satzarten hätte für den Zeitungstext folgende Bedeutung: Die Verwendung eines Aufforderungssatzes bewirkt eine Aktivierung des Lesers und ggf. dessen Instrumentalisierung für einen gewissen (politischen) Zweck. Ausrufe­sätze können dem Text eine emotionale Färbung geben. Entscheidungsfragen stellen den Leser bzw. die Leserin vor zwei sich ausschließende Alternativen und können Sachverhalte vereinfachen. Rhetorische Fragen schließlich können lenkend und tendenziöse wirken.

Mittelberg selbst fasst seine Ergebnisse folgendermaßen zusammen:

Die große Anzahl von Aufforderungs- und Ausrufesätzen, von rhetorischen und Entscheidungsfragen fordert die Aufmerksamkeit des Lesers mehr, als wenn ruhige Aussagesätze die Syntax beherrschten. [...] In der BZ [Bild-Zeitung] beleben aber etwa achtmal mehr Ausrufe- und sechsmal mehr Aufforderungssätze die unruhige Syntax als in der FAZ (Mittelberg 1967: 198).

Neben Kürze wird also Unruhe zu einem weiteren Merkmal der Bild-Syntax.

Es lässt sich in der aktuellen Auszählung eine Verschärfung des ausgemachten Trends, insbesondere im Bereich der Ausrufesätze feststellen. Waren es bei Mittelberg noch 5% der Sätze, bei denen es sich um Ausrufesätze handelt (Ebd.), so sind es im Gesamtdurchschnitt nach der aktuellen Auszählung rund 9%. Insbesondere die emotionale Hervorhebung eines Themas oder der Ausdruck von Empörung, Ablehnung oder Wichtigkeit sind hierbei Motive der Verwendung. So zum Beispiel im Bild-Kommentar, in dem es zur außenpolitischen Verortung Jürgen Trittins in der Ukraine-Krise polemisch heißt: „Die werden sich bedanken!“[3]

Aufforderungssätze sind vor allen Dingen ein Instrument, das in politischen Artikeln (rund 4%) zum Einsatz kommt und hier nach wie vor aktivierend wirken soll. Auch wenn politisch gesehen viele klassische Feindbilder seit dem Fall der Mauer entfallen, hindert dies die Bild-Zeitung nicht daran, punktuell auch recht aggressiv Stellung zu beziehen und hierfür den Aufforderungssatz als aktivierendes Element zu nutzen.

Rhetorische Fragen und Entscheidungsfragen werden nach wie vor punktuell eingestreut und verstärken ebenfalls den Eindruck einer unruhig gestalteten Syntax.

Alles in allem kann man festhalten, dass eine Tendenz zur Verstärkung der Unruhe der Syntax vorliegt, die sich vor allem in einem weiter verstärkten Gebrauch von Ausrufesätzen zeigt. Insbesondere beim politischen Artikel treten häufig Aufforderungssätze auf, die politisch aktivierend wirken sollen.

Durch eingestreute rhetorische Fragen und Entscheidungsfragen werden zusätzliche Spitzen gesetzt.

5 Einfachsatz

Im Folgenden sollen der Einfachsatz und seine Verwendung in der Bild-Zeitung näher betrachtet werden.

Der Einfachsatz kann als prototypisch für die Bildzeitungs-Syntax gelten, weshalb ihm Mittelberg ein eigenes Kapitel widmet (Mittelberg 1967: 200-207). In seiner Grundform enthält er mindestens ein finites Verb und ein regiertes Nomen (Wellmann 2008: 136)

Der Kurzsatz als Grundform des Einfachsatzes spielt nach wie vor eine wichtige Rolle. Dies bestätigen die Werte der Auszählung: Rund 9% der ausgezählten Sätze sind Kurzsätze. Interessant ist die Tatsache, dass dieser Anteil bei politischen Artikeln besonders hoch ist (rund 15%). Man würde erwarten, dass die Komplexität der Materie eine größere Zurückhaltung bei dem Einsatz von solch radikalen Verkürzungen mit sich bringt. Hier ist der Befund also entgegengesetzt zu dem Mittelbergs, der noch feststellte, dass Kurzsätze in anderen Sparten als dem politischen Artikel der Zeitung „noch mehr Gepräge“ (Mittelberg 1967: 202) bringen.

So scheint es, als hätte sich die Bild-Zeitung im Verlaufe der Jahre nicht nur noch weiter emotionalisiert, sondern auch die Verkürzung und Verknappung komplexer Sachverhalte weiter gesteigert. Zumindest lässt die aktuelle Stichprobe solche Rückschlüsse zu. Dies wird schon deutlich wenn man scheinbar nur die oberflächlichen Phänomene aus dem Bereich der Syntax betrachtet.

Besonders auffällig ist die Tendenz zu einer künstlichen Simplifizierung anhand der Zertrümmerung von Gliedsätzen. Insbesondere bei den politischen Artikeln wird hier wiederum eine Tendenz ersichtlich, die sich durch die gesamte Zeitung und ihre einzelnen nie völlig trennscharfen Sparten zieht, nämlich die der massiven Zersplitterung eigentlich zusammengehöriger Satzteile.

Eine geringere Rolle spielt die weitere Zerlegung von Einfachsätzen oder das Substantivieren von Infinitiven und satzwertigen Partizipien. Dies deckt sich im Wesentlichen mit dem Befund Mittelbergs, dass die Bild-Zeitung vor allem in einem „raschen Verbalstil“ (Mittelberg 1967: 204) schreibt.

Es lässt sich abschließend sagen, dass auch und gerade im Bereich des Einfachsatzes eine gesteigerte Tendenz zu einer noch radikaleren Vereinfachung gerade bei den politischen Artikeln zu finden ist. Dies scheint zunächst paradox, ist es doch wenig sachdienlich, komplexe Sachverhalte derart verkürzt darzustellen, ergibt aber Sinn in Anbetracht der Tatsache, dass gerade die als wenig unterhaltsam empfundenen Politikartikel so besser dem Leser bzw. der Leserin zugänglich gemacht werden können. Zudem führt eine Vereinfachung zu einer Verringerung des Reflexionsniveaus und ermöglicht es, ungefilterter politische Stimmungen aufzugreifen und zu verstärken.

6 Wortstellung und Spannungsfeld Satz

Als Nächstes sollen die Wortstellung und verbale Spannungsfelder in der Bild-Zeitung erläutert werden. Hierfür ist das Stellungsfeldermodell hilfreich, welches zunächst in seinen Grundzügen vorgestellt werden soll, um anschließend eine Einordnung der Sätze der Bild-Zeitung vorzunehmen und wiederum die Funktion bestimmter Wortstellungen zu analysieren.

6.1 Das Stellungsfeldermodell in seinen Grundzügen

Das Stellungsfeldermodell, auch topologisches Feldermodell genannt, ist nützlich als „Hilfsmittel zur Beschreibung der Oberflächenstruktur von Sätzen“ (Dürscheid 2010: 104) und kann so unter anderem einen Beitrag dazu leisten, festzustellen, welcher Abschnitt des Satzes bzw. Teilaspekt besonders in den Fokus rückt (Dürscheid 2010: 105).

Das Feldermodell grenzt sich von der lateinischen Schulgrammatik ab und wurde auf das Deutsche spezifiziert. Hierbei erfasst und systematisiert dieses Modell die Reihenfolge von Phrasen. Populär wurde es durch Drach gemacht (Pittner/Berman 2007: 79).

Zur Beschreibung der Topologie des Satzes werden meist sechs Positionen oder Felder unterschieden: das Vor-Vorfeld, das Vorfeld, die linke Satzklammer, das Mittelfeld, die rechte Satzklammer und das Nachfeld (Eisenberg 2013: 375-376).

Bei der Erläuterung der Felderbesetzung sollen hier im Wesentlichen die Felder fokussiert werden, die für die Erfassung der Syntax der Bild-Zeitung von besonderem Interesse sind. Interessant ist hierbei insbesondere eine Abweichung von der unmarkierten Wortfolge, die dem zweiten Behagel’schen Gesetz der Wortstellung folgt: Wichtiges kommt, wenn es nicht als markiert empfunden wird, nach dem weniger Wichtigen, was sich eng an die Thema-Rhema-Struktur anlehnt (Eisenberg 2013: 386).

Das Vorfeld kann auf der einen Seite mit Nominalphrasen oder anderen Phrasen besetzt werden, durch die Vorerwähntes wiederaufgegriffen wird (Dudenredaktion 2005: 891). Es kann auch durch eine Besetzung des Vorfeldes für den Sprecher bzw. die Sprecherin auch etwas Bedeutsames hervorgehoben werden (Dürscheid 2010: 99). Gerade diese Funktion ist nach dem Befund Mittelbergs für die Bild-Zeitung, die „auf eine expressive Wortstellung“ (Mittelberg 1967: 272) bedacht ist, einschlägig, da in der Spitzen- oder Ausdrucksstellung häufig Wörter oder Satzglieder zu finden seien, die in anderen Zeitungen dort nicht zu finden sind (Ebd.). Sie sind normalerweise im Mittelfeld anzutreffen, das durch die Verbalklammer abgegrenzt wird (Dürscheid 2010: 99).

Ebenso ist deshalb das Nachfeld unter dem Gesichtspunkt der Ausklammerung einzelner Satzglieder wichtig (Dudenredaktion 2005: 901). Finden sich doch hier nicht nur dem Gesetz der wachsenden Glieder folgend komplexe Nebensatzkonstruktionen, sondern auch nominale und präpositionale Satzglieder, die besonders hervorgehoben werden sollen (Dürscheid 2010: 102).

Neben der Möglichkeit einer Hervorhebung durch Besetzung der Vorfeld- oder Nachfeldposition in markierter Wortfolge, hat Mittelberg auch das Spannungsfeld betrachtet, das durch die Verbalklammer eröffnet wird. Hier ist es also wichtig, die linke und rechte Satzklammer in ihrer Besetzung in den Blick zu nehmen.

In der linken Klammer findet sich bei Komposita, also zusammengesetzten Verben, der finite Teil des Verbes, die rechte Satzklammer wird im Regelfall mit den infiniten Verben und trennbaren Verbbestandteilen, Verbpartikeln und Verbzusätzen besetzt (Pittner/Bermann 2007: 90).

Das Spannungsfeld eines Satzes, von dem bei Mittelberg die Rede ist (Mittelberg 1967: 279), beinhaltet das Auseinandertreten von finitem und infinitem Teil des Verbs in der soeben beschriebenen Verbalklammer. Auch hier lässt sich viel über normgrammatische Korrektheit und Komplexität des Satzes aussagen, betrachtet man die Häufigkeit, in der die Teile des Verbs sich berühren (Kontaktstellung), auseinandertreten (Nahstellung) oder ganze Satzglieder zwischen sich bergen (Distanzstellung).

Weitergehende Besonderheiten und Details sowie auch Grenzfälle, Schwierigkeiten und Schwächen des Stellungsfeldermodells sollen hier nicht diskutiert werden, da sie für eine Erfassung der Syntax der Bild-Zeitung nicht weiter relevant sind.

6.2 Anwendung des Modells zur Erfassung der Syntax der Bild-Zeitung

Auffällig ist zunächst in der aktuellen Auszählung der Befund durch alle Sparten hinweg und insbesondere in den Kriminalartikeln, dass es zahlreiche Belege für eine Spitzenstellung des Adverbs und der adverbialen Bestimmung gibt: Sie kommen in rund 16% aller Sätze vor und sind sogar in 22% der Kriminalartikel anzutreffen.

Mittelberg hebt die Häufigkeit dieser Phrasenkategorie nicht besonders hervor, nennt aber zwei Grundfunktionen, welche die Spitzenstellung von Adverben oder adverbialen Bestimmungen erfüllen kann: Entweder sie fungieren auf diese Weise als Leseanreiz, oder sie sind Ausdruck einer möglichen emotionalen Beteiligung des Journalisten bzw. der Journalistin (Mittelberg 1967: 275). Das gesteigerte Vorkommen dieser Wortgruppen deckt sich insofern mit dem Befund der noch weiter gesteigerten Hektik und Emotionalisierung der Bild-Zeitung (siehe oben) in Laufe der Jahrzehnte, als dass die Schaffung eines Anreizes zum Lesen, das Sensationserheischende und die verstärkte emotionale Färbung in der Funktion dieser Spitzenstellung zusammenkommen.

Ein Beispiel für eine Verwendung der adverbialen Bestimmung, die eine emotionale Beteiligung des Journalisten bzw. der Journalistin vermuten lässt, ist zum Beispiel die Vorgangsbeschreibung eines als Foltermord charakterisierten Tötungsdeliktes: „Während der Gewaltorgie brüllt der Mann“.[4] Im selben Artikel, der wie viele Artikel eine solche Spitzenstellung gehäuft aufweist, findet sich auch ein Nachweis für eine Verwendung als Leseanreiz, der zudem die besondere Aktualität des berichteten Geschehens hervorhebt: „Gestern wurde Björn F. wegen Mordes und sexuellen Missbrauchs seiner Freundin zu lebenslanger Haft verurteilt (Ebd.).“

Als ein weiteres Element einer „gefühlsbetonten Syntax“ (Mittelberg 1967: 274) wird die Spitzenstellung des Objekts gewertet. Auch hier verdichtet sich in dem zwar nicht derart häufig aber mit rund 3% aller Sätze immer noch relevanten Vorkommen dieser Art von Spitzenstellung der Hinweis, dass die Bild-Zeitung alle emotionalisierenden Elemente wenn nicht gesteigert so zumindest in gleicher Intensität fortgeführt hat.

Darüber hinaus soll nun die Spitzenstellung des Verbs in den Fokus genommen werden: Eine normgrammatische Wertung nimmt Mittelberg vor, wenn er feststellt, dass Zurückhaltung bei der Voranstellung des Verbes und allgemein der Besetzung der Spitzenstellung geboten sei, da diese grundsätzlich für „gefühls- und willensbeladene Wörter“ (Mittelberg 1967: 273) vorgesehen ist.

Als ein weiteres Charakteristikum der Bild-Zeitung macht er hier aus, dass gerade nicht gefühlsbetonte Wörter in der Spitzenstellung stehen. Dies kann als ein inflationärer Gebrauch einer markierten Wortabfolge gesehen werden, der verrät, wie schon auf syntaktischer Ebene das Sensationelle zum erklärten Normalfall wird. Neben dem vermutlich in den vier Jahrzehnten allgemein fortgesetzten Trend der Satzverkürzung kann dies auch als eine weitere Erklärung für die Tendenz zur Steigerung der 1964 beobachteten Phänomene in der Syntax der Bild-Zeitung sein. Aus dem inflationären Gebrauch sensationsheischender und verkürzender syntaktischer Elemente ist gewissermaßen eine innere Dynamik entstanden, den Sensationsgehalt bereits an der Satzoberfläche immer weiter zu steigern. Mit anderen Worten ließe sich sagen, dass eine Gewöhnung der Leserinnen und Leser eine immer drastischere Darstellungsweise erfordert, um noch als sensationell und neuartig wahrgenommen zu werden. In Anbetracht der Tatsache, dass die Bild-Zeitung keine Abonnentenzeitung ist, scheint die These einer inneren Überbietungslogik – auch um den Verbreitunsgsgrad zu erhalten – als ein besonderer Faktor neben dem Befolgen allgemeiner Trends im journalistischen Sprachgebrauch Sinn zu ergeben (Vgl. Sandig 1972: 70)

Ein Beispiel für die Spitzenstellung eines Verbs in dieser Logik ist folgender Satz: „Angefertigt hat sie das renommierte Royal United Services Institute (RUSI), ein unabhängiges Forschungsinstitut mit Sitz in London.“[5] Wobei es schwierig ist, zwischen dem Gebrauch der Spitzenstellung als Marotte oder eben als einem Gebrauch in verfremdender Absicht zu unterscheiden, wie schon Mittelberg feststellte (Mittelberg 1967: 272)

Auch die Spitzenstellung des artikellosen Substantivs ist ein weiterhin auszumachender Trend in der Bild-Zeitung, so dass sich auch hier eine starke Akzentuierung und Intonation gut in das Gesamtbild der Syntax der Bild-Zeitung fügen („Hoch `Linus` bringt uns bis zu 12 Stunden Sonne und weit über 20 Grad!“[6] ).

Nach der Stichprobe von 2014 scheinen sich lediglich die Spitzenstellungen des Adjektivs marginalisiert zu haben. Dies ist aber nicht ein Ergebnis einer Reduktion von Nominalsätzen, die unmittelbar im Geschehen einsetzen. Vielmehr ist hier ein Blick auf eine weitere bei Mittelberg untersuchte syntaktische Kategorie von Nöten, nämlich die der Attribute. Insbesondere sollen hier Adjektive in den Blick genommen werden, die als Attribute zu einem Substantiv auftreten (Dudenredaktion 2005: 348).

Hier stellt Mittelberg fest, dass nur wenige nicht alltägliche oder originelle Adjektive anzutreffen sind (Mittelberg 1967: 232). Dieser Prozess einer Verarmung der Originalität, Vielfältigkeit und Lebendigkeit des Gebrauches der Adjektive und Attribute im Allgemeinen scheint sich soweit fortgesetzt zu haben, dass zugunsten einer typisierenden und simplifizierenden Syntax nicht nur der semantische Gehalt der Adjektive weniger facettenreich, sondern schlicht ihre schiere Anzahl geringer geworden ist, betrachtet über den Zeitraum, der zwischen der Dissertation und der Stichprobe liegt.

[...]


[1] Bild-Zeitung vom 02.04.14, Seite 3.

[2] Bild-Zeitung vom 02.04.14, Seite 9.

[3] Bild-Zeitung vom 03.04.14, S.2.

[4] Bild-Zeitung vom 03.04.14, S. 6.

[5] Bild-Zeitung vom 04.04.14, S. 2.

[6] Bild-Zeitung vom 04.04.14, S. 1.

Ende der Leseprobe aus 38 Seiten

Details

Titel
Die Syntax der Bildzeitung. Ein Vergleich zwischen 1964 und 2014
Hochschule
Universität Münster  (Germanistisches Institut)
Veranstaltung
Syntax
Note
1,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
38
Katalognummer
V315725
ISBN (eBook)
9783668153349
ISBN (Buch)
9783668153356
Dateigröße
1682 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
syntax, bildzeitung, vergleich
Arbeit zitieren
Philipp Hülemeier (Autor:in), 2014, Die Syntax der Bildzeitung. Ein Vergleich zwischen 1964 und 2014, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/315725

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