Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Theoretische Modelle
2.1 Neoklassische Theorie
2.2 Kaufkrafttheorie
3 Internationale Entwicklung von Mindestlöhnen
3.1 Mindestlöhne in Europa: Empirische Daten und Erfahrungswerte
3.2 Mindestlohneffekte am Beispiel von Frankreich
3.3 Mindestlohneffekte am Beispiel von England
4 Erwartete Auswirkungen eines Mindestlohnes in Deutschland
4.1 Die Formen des Mindestlohnes
4.2 Der rechtliche Rahmen des Mindestlohnes
4.3 Erwartete Auswirkungen auf das Beschäftigungsniveau
5 Fazit
Quellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Mindestlohn, wenn der Lohn durch den Arbeitsmarkt vorgegeben ist
Abbildung 2: Mindestlöhne in Europa pro Monat in €. Stand: Januar 2015
1 Einleitung
Mit der Einführung eines gesetzlichen, flächendeckenden Mindestlohnes von 8,50 Euro in Deutschland am 1. Januar 2015 wurde ein großes, mit zahlreichen sozialen und politi- schen Risiken verbundenes Experiment gestartet. Bislang gab es in Deutschland keine einheitliche gesetzliche Regelung für einen branchenübergreifenden Mindestlohn. Ver- bindliche Mindestlöhne galten bis dato nur für einzelne Branchen (vgl. Statistisches Bun- desamt 2015). Gemäß dem am 27. November 2013 unterzeichneten Koalitionsvertrag zwischen CSU und SPD sind die mit dem Mindestlohn geplagten Ziele im Vertrag klar definiert. Einerseits wird erwartet, dass vollzeitbeschäftigte Personen ein Arbeitseinkom- men haben sollen, das die Existenz absichert, andererseits wird auch hervorgehoben, dass eine hohe Beschäftigung durch diese politische Neuregelung langfristig nicht gefährdet werden soll (vgl. Knabe, Schöb und Thum 2014: 133).
Mindestlohnregelungen sind eine nicht unumstrittene politische Praxis. Während Befürworter argumentieren, dass entsprechende Regelungen helfen würden, Ausbeutung am Arbeitsmarkt zu verhindern und den Lebensstandard der Arbeitnehmer mit Niedrigeinkommen zu heben, kritisieren die Gegner, dass gering qualifizierten Arbeitnehmern der Jobverlust drohe (vgl. Dolado et al. 1996: 317).
In der wissenschaftlichen Diskussion um den Mindestlohn geht es seit Jahrzehnten um die Fragen, inwiefern der Mindestlohn hilft, das erste Ziel der finanziellen Absicherung zu erreichen und ob beziehungsweise inwieweit er dabei das zweite Ziel, die Beschäfti- gungsquote, gefährdet (vgl. Knabe, Schöb und Thum 2014: 133), wie zum Beispiel Schuster (2013: 2) argumentiert, wenn er von erheblichen Beschäftigungsrisiken durch die Einführung eines branchenübergreifenden Mindestlohnes für den deutschen Arbeits- markt ausgeht.
Im ersten Teil dieser Seminararbeit werden zwei unterschiedliche theoretische Erklä- rungsmodelle herangezogen, um die unterschiedlichen empirischen Ergebnisse aus diver- sen Studien zur Wirkung eines Mindestlohnes theoretisch zu untermauern. Im zweiten Teil werden Erfahrungen mit Mindestlohnmodellen aus anderen Ländern Europas heran- gezogen, um die möglichen Auswirkungen auf den deutschen Arbeitsmarkt abschätzen zu können.
2 Theoretische Modelle
In diesem Teil werden kurz zwei theoretische Modelle vorgestellt, die im Zusammenhang mit dem Mindestlohn als Erklärungsansätze herangezogen werden können. Hierdurch können empirische Ergebnisse und die etwaigen Wirkungen eines Mindestlohnes theoriegeleitet interpretiert werden.
2.1 Neoklassische Theorie
Die Neoklassische Theorie leitet sich aus einem Teil des Ricardo-Modells ab: dem „Marginalprinzip“. Während bei Ricardo das Prinzip der begrenzten Substituierbarkeit, welcher die maßgebliche Annahme der Marginalanalyse zugrunde liegt, lediglich auf den Einsatz von Arbeitskräften in Relation zum Land angewendet wird, wurde dies in der Neoklassischen Theorie formalisiert und verallgemeinert unter der Annahme, dass dies auf alle Faktoren zutrifft. Die theoretische Fundierung des Modells bildet die Marginalanalyse, das bedeutet die Abwägung des Grenznutzens durch den Arbeitseinsatz des Arbeitnehmers und seines Einkommens in Verbindung mit der Grenzproduktivität des Arbeitseinsatzes durch das Unternehmen (vgl. Kaldor 1956: 89).
In diesem Modell muss der einzelne Anbieter beziehungsweise der Nachfrager davon ausgehen, dass er keinen bedeutenden Einfluss auf die Höhe des Lohns hat. Sofern der Arbeitsmarkt nicht durch andere Faktoren beeinflusst wird, wird sich der Lohn dort ein- pendeln, wo Angebot und Nachfrage sich decken (vgl. Knabe, Schöb und Thum 2014: 134).
Bei einer wettbewerbsorientierten Lohnfestsetzung erhält jeder Arbeitnehmer den Wert seiner Leistung unter Wettbewerbsbedingungen. Wenn ein Mindestlohn wirksam ist, hat dies nach Auffassung von Stigler (1946: 358) eine von zwei möglichen Wirkungen: 1. Arbeitnehmer, deren Leistungen unter dem Wert des Grenznutzens liegen, verlieren ihre Arbeit und sind gezwungen, sich in nicht regulierten Berufsfeldern eine Beschäftigung zu suchen, oder 2., die Produktivität von Arbeitern, die mit geringer Effizienz gesteigert wird, was die Entlassung der weniger effizienten Arbeiter zur Folge hat.
Die Einführung eines verbindlichen Mindestlohnes würde sich in diesem Modell daher negativ auf die Beschäftigung auswirken. Knabe, Schöb und Thun (2014) verdeutlichen
diese Aussage an folgendem Beispiel: In einem Unternehmen gibt es verschiedene Tätigkeiten, die verschiedene Wertschöpfungen generieren. Die produktivste Tätigkeit generiert eine Wertschöpfung von 12 Euro pro Stunde, die zweitproduktivste 10, die dritte 8 und die vierte 5 Euro, welche in Summe die Arbeitsnachfrage des Arbeitgebers bilden, wie in Abbildung 1 illustriert.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Mindestlohn, wenn der Lohn durch den Arbeitsmarkt vorgegeben ist (Knabe, Schöb und Thum 2014: 134).
Bei einem vom Wettbewerb bestimmten Lohn von 7 Euro die Stunde kann der Unternehmer drei Arbeitnehmer lohnend beschäftigen, da die Wertschöpfungen dieser drei Tätigkeiten über dem Wettbewerbslohn liegen. Durch die Einführung eines Mindestlohnes von 8,50 Euro würde sich die drittgenannte Tätigkeit finanziell auf Dauer nicht mehr für das Unternehmen rechnen, da die Wertschöpfung somit unter dem Mindestlohn läge. Infolgedessen würde es gemäß diesem Modell zu einem Rückgang der Beschäftigung kommen (vgl. Knabe, Schöb und Thum 2014: 134).
Bosch und Weinkopf (2014) hingegen argumentieren, dass der theoretische Zusammen- hang zwischen Mindestlöhnen und Beschäftigung unbestimmt ist. Der im Neoklassischen Modell postulierte vollkommene Wettbewerb mit einer Gehaltstransparenz und gleich starken Verhandlungspartnern sei in der Praxis eher die Ausnahme als die Regel. Bei vorherrschender Arbeitgebermacht können erst durch kollektivvertragliche Regelungen durch Gewerkschaften beziehungsweise durch gesetzliche Regelungen, wie die Festle- gung eines Mindestlohnes, faire Arbeitsbedingungen geschaffen werden (vgl. Bosch und Weinkopf 2014: 304).
2.2 Kaufkrafttheorie
Die zugrunde liegende Idee der Kaufkrafttheorie der Löhne ist, dass in wirtschaftlichen Schwächeperioden die Tarifpolitik einen entsprechenden Beitrag zur Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Situation leisten muss. Bei einer Zunahme des tariflichen Stun- dengehaltsatzes kommt es zu einem Anstieg der Lohnsumme, die in der Folge die ge- samtwirtschaftliche Güternachfrage im Inland ankurbeln würde. Die daraus resultierende erhöhte Kapazitätsauslastung der Unternehmen beeinflusse damit deren Investitionstätig- keit positiv. Als unmittelbare Folge einer steigenden Konsum- und Investitionsnachfrage komme es zu einem Anstieg der Beschäftigung, welcher sich durch die gestiegene Nach- frage an Arbeitskraft wiederum positiv auf die Lohnsumme auswirke und damit erneut die Konsumnachfrage stimulieren würde. Dieser Prozess impliziert somit eine fortwäh- rende spiralförmige Aufwärtsbewegung, die den wirtschaftlichen Fortschritt erst ermög- lichen würde (vgl. Lurweg 2009: 511).
Während in der politischen Diskussion die Kaufkraft häufig als Argument angeführt wird, spielt sie im Gegensatz dazu in der akademischen Diskussion nur eine untergeordnete Rolle. Durch einen höheren Lohn steigt zwar die Kaufkraft der weiterhin beschäftigten Arbeitnehmer, im selben Umfang sinkt jedoch die Kaufkraft des Arbeitgebers bezie- hungsweise sinkt die Kaufkraft aller Konsumenten gegenüber allen übrigen Gütern, wenn es bedingt durch die Lohnerhöhung zu einer Preiserhöhung kommt und diese Mehrkosten auf die Konsumenten abgewälzt werden. Ohne eine Anpassung der Beschäftigung kommt es infolgedessen entweder zu einer Umverteilung von Arbeitgebern zu Arbeitnehmern oder zu einer Umverteilung der Kaufkraft der übrigen Konsumenten, deren Realeinkom- men sinkt, hin zu den Mindestlohnbeziehern. Daraus lässt sich, so Knabe, Schöb und Thum (2014: 135), jedoch netto kein Gewinn an Kaufkraft ableiten.
3 Internationale Entwicklung von Mindestlöhnen
In diesem Abschnitt werden internationale Erfahrungswerte sowie Studien zu Mindestlohneffekten vorgestellt. Um einen Bezugsrahmen für die potenziellen Auswirkungen eines Mindestlohnes in Deutschland zu schaffen, werden insbesondere Frankreich und Großbritannien im Vergleich dargestellt.
3.1 Mindestlöhne in Europa: Empirische Daten und Erfahrungswerte
Mindestlöhne haben eine mehr als hundertjährige Tradition. Der erste Mindestlohn wurde im Jahr 1894 in Neuseeland eingeführt. Wenig später (1896) wurde auch im australischen Bundesstaat Victoria ein Mindestlohn eingeführt. In Europa wurde erstmals 1909 ein Mindestlohn in Großbritannien gesetzt (vgl. Schuster 2013: 3).
Die Mindestlohngesetzgebung verfolgt für gewöhnlich zwei Ziele: die Reduktion der Kontrolle der Arbeitgeber über die Löhne sowie die Bekämpfung der Armut (vgl. Stigler 1946: 363). In sowohl der politischen als auch der wissenschaftlichen Diskussion Deutschlands werden häufig Erfahrungen aus anderen Ländern angeführt. Infolgedessen werden zwei Länder mit unterschiedlichen Mindestlohnsystemen als Vergleich herange- zogen: Frankreich und Großbritannien (vgl. Knabe, Schöb und Thum 2014: 133).
3.2 Mindestlohneffekte am Beispiel von Frankreich
Frankreich führte erstmals 1950 einen Mindestlohn ein, mit dem Gesetz zur Gründung der SMIG (salaire minimum interprofessionel garanti) werden Arbeitnehmern Mindestlöhne garantiert. Das französische Recht erlaubt zudem nicht, dass kollektivvertragliche Abschlüsse unter dem Mindestlohn angesetzt werden.
Zu Beginn der 1980er-Jahre lagen zahlreiche Mindestsätze über dem gesetzlichen Min- destlohn, da jedoch der gesetzliche Mindestlohn stärker wuchs als die sektoralen Min- destlöhne, lagen bis 1990 60 Prozent der sektoralen Vereinbarungen unter dem gesetzli- chen Mindestlohn (vgl. Dolado et al. 1996: 337-338). Hierin kann ein Beleg für die Re- duktion regionaler und branchenspezifischer Ungleichheit in der Entlohnung seit den 1960er- bis Mitte der 1980er-Jahre gesehen werden. Zudem kam es in diesem Zeitraum zu einem signifikanten Beschäftigungswachstum in den Départements, die anfänglich niedrige Löhne aufwiesen, was der Neoklassischen Theorie widerspricht, wonach Min- destlöhne Jobs vernichten würden. Die Fakten sprechen für eine gegenteilige Entwick- lung, nämlich eine Zunahme der Arbeitsplätze durch die Einführung eines Mindestlohnes trotz substanzieller Erhöhung Mitte der 1980er-Jahre.
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