Darstellung und Zitation von Gewalt in Quentin Tarantinos "Kill Bill"


Bachelorarbeit, 2015

49 Seiten, Note: 1,15


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung ... 5

2 Gewaltdarstellung In Kill Bill ... 8
2.1 Aufbau und Handlung von Kill Bill ... 10
2.2 Analyse der Gewaltdarstellung in Kill Bill ... 12
2.2.1 O-Ren vs. Matsumoto ... 14
2.2.2 Kiddo vs. O-Ren ... 16
2.2.3 Kiddo vs. Elle ... 20
2.2.4 Kiddo vs. Vernita ... 24

3 Intertextualität In Kill Bill ... 27
3.1 Übersicht an zitierten Werken ... 28
3.2 Zitation von Gewalt ... 30
3.3 Der Zusammenhang zwischen Ästhetik und Zitation ... 33

4 Fazit ... 35

Literaturverzeichnis ... 36

Filmverzeichnis ... 38

Abbildungen ... 39

1 Einleitung

Der erste Teil des Films Kill Bill[1] von Regisseur Quentin Tarantino kommt 2003 in die Kinos, der zweite Teil im Frühjahr 2004. Der Rachefilm mit Uma Thurman in der Hauptrolle wird mit den Worten „Revenge is a dish best served cold“ (Kill Bill Vol. 1, 2003: 00:00:40) eröffnet. Nicht nur dieses Zitat, sondern auch der Verweis auf seine Urheber, nämlich die aus demStar Trek-Franchise stammenden Klingonen (vgl. Blaseio/Liebrand, 2006: »Revenge is a dish best served cold.« ›World Cinema‹ und Quentin Tarantinos Kill Bill. Seite 17), zeigen uns zwei Merkmale dieses zweiteiligen Films auf: die kalte Rache bedeutet Gewalt[2] gegenüber jenen, die sie erfahren sollen, und das Zitieren der fiktiven Klingonen bedeutet popkulturelle Referenzen. Diese beiden Merkmale lassen sich im gesamten Werk finden und mitunter auch verbinden: so sind nicht wenige Gewaltakte von Filmen anderer Regisseure beeinflusst, zitiert oder kopiert. Kill Bill, das vierte Filmereignis von Regisseur und Drehbuchautor Quentin Tarantino (vgl. www.imdb.com, letzter Zugriff am 26.01.2015), lebt von exzessiver Gewaltdarstellung. Besonders auffällig sind die Bezüge zu unter anderen japanischen Samuraifilmen und amerikanischen oder italienischen Western. Ist der Gewaltgrad des Filmes ein Bewertungskriterium der Zuschauenden, sind die Darstellungen und Zitationen von Gewalt für die Filmwissenschaft interessant. Die Analyse dieser Gewaltästhetik bahnt sich ihren Weg über verschiedenen Auseinandersetzungen mit dem Thema der Gewalt im Film, über jene Werke, die Kill Bill beeinflusst haben, über die Begriffe der Intertextualität sowie über filmwissenschaftliche Texte über Tarantinos Zweiteiler. Die Gewalt in Kill Bill kann unter vielen verschiedenen Aspekten untersucht werden. Einerseits wäre dies die Motivation für die Gewalt, also die Untersuchung der Gewalttätigen, andererseits auch das oder die Opfer der Gewalt, seien es nun bestimmte Gruppen oder eine einzelne Person. Mögliche Analyseansätze der Gewalt im Film gehen dabei mit Elementen der Dramaturgie Tarantinos einher und bilden im Folgenden die Grundlage einer ästhetischen Untersuchung. Daher soll in der vorliegenden Arbeit Letzteres ausschlaggebend für die Betrachtung der Gewalt in Kill Bill sein, der als Film verstanden wird, in dem es kaum unnötige, sondern motivierte Gewalt gibt, welche häufig in bestimmten ästhetischen Mustern dargestellt wird. Diese Muster sind als eine Zusammensetzung aus alter und neuer Ästhetik zu verstehen, da Kill Bill viele intertextuelle Referenzen zu anderen Filmen unternimmt, sowohl narrativ, dramaturgisch, auditiv als auch visuell. Ein Zusammenhang zwischen der Gewalt und diesen Mustern soll ergründet werden. Hierfür wird die in einigen ausgewählten Szenen aus Kill Bill zu findende Gewaltdarstellung mithilfe gängiger Filmanalysemethoden untersucht, die sich dann auch in diverser Literatur zu Kill Bill und der darin enthaltenen Gewalt, respektive Intertextualität wiederfinden.

In der Film- und Kulturwissenschaft ist Tarantinos Arbeit spätestens seit Kill Bill als Untersuchungsgegenstand zu finden. Geisenhanslüke und Steltz bringen mit Unfinished Business. Quentin Tarantinos »Kill Bill« und die offenen Rechnungen der Kulturwissenschaften (2006) einen Sammelband mit Texten zu Kill Bill heraus, in dem unter anderen Blaseio und Liebrand über dessen Bezug zum „World Cinema“ (Blaseio/Liebrand 2006: 13) schreiben. Steltz untersucht die Intertextualität bei Kill Bill. Über die Ästhetik des Films schreiben Lindemann und Schmidt, daneben ist es Mein, der die Gewalt in Kill Bill mit der Kant’schen Philosophie verbindet und Anmerkungen zur Ästhetik liefert. Beide Texte sind ebenso bei Geisenhanslüke und Steltz zu finden. Kaul und Palmier führen in Tarantinos Filme und Filmästhetik ein, während Grabowski mit der Frage titelt, warum in Kill Bill so viel Blut fließt. Hickethier (2012) soll mit seiner Anleitung zur Analyse von Filmen beim Ergründen der Darstellungsmethoden der Gewalt helfen. Ein weiteres und interessantes Feld, welches bei der Auseinandersetzung von Kill Bill dienlich sein wird, ist das der zahlreichen Besprechungen und Kritiken, Interviews und Statements zu Tarantinos Zweiteiler. Hier lassen sich auch ergänzend diverse Referenzen finden, welche in Kill Bill auftauchen. Jedoch muss, den genannten Texten mehr oder weniger folgend, eine Distanz zu Kill Bill als einem Film von Quentin Tarantino eingehalten werden. Vielmehr wird Kill Bill hier weitgehend ohne die Prämisse ‚Tarantino‘ betrachtet, das heißt so gut es geht ohne Tarantinos Kultstatus und ohne die Betrachtung seiner früheren und späteren Werke.

Die beiden Merkmale, die aus dem klingonischen Zitat hervorgehen, lassen eine Frage aufkommen: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Darstellung und Zitation von Gewalt in Kill Bill? In der vorliegenden Arbeit wird versucht, diese Frage zu beantworten. Der Fokus wird dabei auf die verschiedenen Aspekte der Gewaltdarstellung gelegt, bevor diese dann mit den intertextuellen Bezügen verbunden werden. Die ästhetische Form der Gewalt, also ihre Inszenierung, ist dabei nur einer der Aspekte. Hinzu kommen die im Film wichtigen inhaltlichen Faktoren der Gewalt, wie ihre Motivation oder ihr Ursprung. Dazu ist es nötig, die ausgeübte Gewalt auch inhaltlich und innerhalb des Filmkontextes zu verstehen, um sämtliche Darstellungsaspekte mit einzubeziehen. Der folgende Überblick über die verschiedenen Auseinandersetzungen mit Gewalt im Film soll zu Kill Bill und der Darstellungsaspekte dort führen.

2 Gewaltdarstellung In "Kill Bill"

Es ist nicht leicht, einen in der Literatur über die Gewaltdarstellungen im Film definierten Gewaltbegriff zu finden, da die Gewaltforschung selbst keine eindeutige Definition bietet (vgl. Heitmeyer/Hagan (Hrsg.) 2002: Internationales Handbuch der Gewaltforschung). Die Filmwissenschaft betrachtet meist nur die körperliche Gewalt, wenn also eine Person einer anderen Person physisches Leid zufügt und/oder sie tötet. Hierbei sind einige Merkmale zu beachten: Den Zuschauenden ist klar, dass die Gewalt, die sie im Film sehen, keine echte Gewalt ist, sondern nachgestellte, inszenierte. Die Fäuste und Waffen der Personen auf der Leinwand oder dem Bildschirm treffen nur selten, idealerweise aber nicht wirklich auf die Gesichter und Körper ihrer Gegner. Durch bestimmte Schnitttechniken, Kameraperspektiven, Choreographien, Tricktechnik und auch Geräusche entsteht jedoch der Eindruck. Den Zuschauenden ist auch klar, dass keine menschlichen Körper durchtrennt werden, sondern zum Beispiel Puppen oder digitale Kopien. Das Blut, das spritzt, ist Kunstblut, also eine Mischung aus bestimmten Zutaten, die nur wie Blut aussieht. Die Perfektionierung dieser Inszenierungsmethoden bestimmt die Arbeit von Filmschaffenden seit jeher. Filme, die viel Kunstblut erfordern, sind nicht nur Actionfilme, sondern auch beispielsweise Horrorfilme, gerade das Subgenre des Splatters. Der sichtbare oder thematisierte Gewaltgrad eines Films ist bei der Zielgruppenadressierung ein bestimmender Faktor. Außerdem ist es nicht nur körperliche Gewalt, die zum Beispiel die Vermarktung eines Films und damit seine Reichweite definiert, auch die verbale Gewalt führt zu höheren Altersbegrenzungen. Betrachtet man die Gewalt in manchen Filmen, kann man mindestens zwischen Gewalt als inhaltlich bedingtes Mittel zum Zweck und Gewalt als Belustigung der Zuschauenden unterschieden werden (vgl. Barg/Plöger (Hrsg.) 1996: Kino der Grausamkeit. Seite 4), wenn nicht sogar beides in einem Film oder einer Szene zutrifft. Bei dieser Unterscheidung spielt auch der Realismus eine Rolle: Ist die dargestellte Gewalt so inszeniert, dass sie nachvollziehbar und auf die Welt außerhalb des Kinos übertragbar ist, möglich ist?

Oft wird bei der Betrachtung und Untersuchung von Gewalt in Filmen im selben Atemzug die medienpädagogische Prävention auf den Plan gerufen. Gerade dies ist Grund für die Sammlung verschiedener analytischer Auseinandersetzungen mit diversen Regisseuren und ihren Werken in einem hiervon losgelösten Kontext. Das „Kino der Grausamkeit“ (Barg/Plöger 1996: 6) wird von Werner C. Barg und Thomas Plöger untersucht. Anhand verschiedener Regisseure wie Martin Scorsese, David Lynch und auch Quentin Tarantino untersuchen sie verschiedene „künstlerische Wege filmischer Gewaltdarstellungen […]: Die realistische, die surrealistische und die formalistische Strömung […]“ (Barg/Plöger 1996: 145). In der realistischen Gewaltdarstellung, wie bei Scorsese oder Francis Ford Coppola, sei vor allem die Verbindung zu einer Gesellschaftskritik bedeutend. Dies geschah besonders bei Filmen des sogenannten „New Hollywood“, eine Ära, die ab den Sechziger Jahren bis in die Achtziger hinein andauerte. Das Verlassen des Realen und die Präsentation dessen, was nur mit der Vorstellungskraft sichtbar ist, finden sich im surrealistischen Ansatz der Gewaltdarstellung, zum Beispiel bei David Lynch. Die Rezeption des avantgardistischen Surrealismus sei eine Verbindung von Gemälde- und Filmkunst. Formalistische Tendenzen der Gewaltdarstellung finde man bei Stanley Kubrick und Oliver Stone. Hier ist es die Gewaltigkeit der Bilder, dessen Meister auch Sergio Leone gewesen sei. Barg und Plöger verbinden die drei Tendenzen über ihr Vorhaben, „Gewalt als gesellschaftliches Phänomen [zu] thematisieren“ (ebd.: 148). Sei es Krieg, das Gangstermilieu, der Boxkampf als Hintergrund oder die Verortungen der Handlung in die Vorstadt. Auch präsentierten die besprochenen Regisseure mit ihren Filmen ihre Ansicht des Menschen, in dem kein Gutes vorhanden sei, ein „pessimistisches Menschenbild“ (ebd.) also, das „die ‚niederen Instinkte‘ Habgier, Hass und Gewalt im Leben der Menschen mit filmischen Mitteln“ darstelle. Gegenbeispiel sei zum Beispiel Stone, der die Gewalt im gesellschaftlichen System begründet sehe (vgl. ebd.: 145-148). Die Charaktere in den von Barg und Plöger als Beispiele des Kinos der Grausamkeit ausgewählten Filme verbinde die Darstellung der „Tragik des gewalttätigen Helden“ und Tarantino habe „diesem Archetypus des Gewalttäters eine neue Nuance hinzugefügt“ (ebd.: 150). Seine Charaktere werden hier als „gefühllos, unbeherrscht, chaotisch, aber auch äußerst dilettantisch und somit unberechenbar“ (ebd.) beschrieben. Diese Aussage wurde lange vor Kill Bill veröffentlicht und muss heute um Kill Bill (und auch die nachfolgenden Filme) ergänzt werden. Die Eigenschaften treffen auf viele Figuren in Kill Bill nicht zu. „[…] ohne Gewalt halten es unsere grausamen Kinohelden auch kaum aus“ (ebd.) ist jedoch eine Feststellung, die auch auf Kill Bill zu übertragen ist, wenn Kiddo Bills Frage, ob das Abarbeiten der Todesliste ein gutes Gefühl gewesen sei, bejaht (vgl. Kill Bill Vol. 2: 01:46:23).

Barg und Plöger haben nicht nur die Gewaltdarstellungen im Film in verschiedene Tendenzen unterteilt, sie haben auch auf ihre ausgewählten Regisseure Bezug genommen und das Verständnis ihres Werkes analytisch erweitert. Kill Bill ist durch den hohen Gewaltgrad ein ergiebiges Beispiel für die Untersuchung der Gewaltdarstellung in Filmen. Umgekehrt jedoch ist vielmehr die Untersuchung der Gewaltdarstellung eine von vielen Möglichkeiten, Kill Bill als filmisches Werk zu untersuchen. Wird die Inszenierung körperlicher und gewaltsamer Auseinandersetzungen der Untersuchungsgegenstand einer Arbeit, ist dies zweckdienlich für die Analyse und damit auch Erfahrungserweiterung eines Kunstwerkes.

2.1 Aufbau und Handlung von "Kill Bill"

Quentin Tarantinos vierte Regie- und Drehbucharbeit besteht aus zwei Filmen, Kill Bill Volume 1 und Kill Bill Volume 2 und wurde von Miramax 2003 und 2004 in die Kinos gebracht. Der Unterteilung in zwei Filme folgt eine solche in mit Texttafeln betitelte Kapitel[3]. Die Nummerierung der Kapitel ignoriert die Unterteilung in zwei Filme und setzt sich kontinuierlich von eins bis zehn fort. Nach dem Vorspann in Volume 1, folgen „Chapter 1: 2“ (Kill Bill Vol. 1: 00:03:30), „Chapter 2: The blood-splattered Bride“ (ebd.: 00:14:47), „Chapter 3: The Origin of O-Ren“ (ebd.: 33:46), „Chapter 4: The Man from Okinawa“ (ebd.: 00:43:40) und „Chapter 5: Showdown at House of Blue Leaves“ (ebd.: 00:56:07), anschließend eine Vorschau auf Volume 2 und den End Credits (ebd.: 01:39:13)[4]. Teil 2 beginnt mit einem an die Zuschauenden gerichteten Monolog als Vorspann, gefolgt von „Chapter 6: Massacre at Two Pines“ (Kill Bill Vol. 2: 00:01:28), „Chapter 7: The lonely Grave of Paula Schultz“ (ebd.: 00:18:00), „Chapter 8: The cruel Tutelage of Pai Mei“ (ebd.: 00:35:17), „Chapter 9: ELLE and I“ (ebd.: 01:02:00) und dem „Last Chapter: Face to Face“ (ebd.: 01:21:19), schließlich den End Credits (ebd.: 01:59:08)[5]. Die Reihenfolge der Kapitel ist nicht chronologisch zur Handlung geordnet, vielmehr sind die Kapitel gerade so angeordnet, dass sich dramaturgische Höhepunkte bilden. In Kapitel 10 ist eine längere Rückblende zu finden, welche die Handlung vor Kapitel 6 zeigt (zur Übersicht siehe Abb. 1 im Anhang). Deutlich ist, dass sich die beiden Teile von der Kapitelstruktur her unterscheiden und Teil 2 die Geschichte chronologischer erzählt, als dies in Teil 1 der Fall ist. Zum Vorspann aus Volume 2 muss angemerkt werden, dass er nicht dem Handlungsfortlauf, sondern als Exposition, beziehungsweise Zusammenfassung der bisherigen Ereignisse dient.

Die Geschichte handelt von Beatrix Kiddo, einer ehemaligen Auftragskillerin des „Deadly Viper Assassination Squad“ (Kill Bill Vol. 1: 00:02:45). Sie möchte nach der Feststellung ihrer Schwangerschaft (Kapitel 10, Rückblende) aus dem Geschäft aussteigen und wird deswegen von ihrem Chef Bill bei ihrer Hochzeitsprobe ins Koma versetzt (Vorspann von Volume 1), wobei ihr zukünftiger Ehemann, ihre Freundinnen und weitere Personen sterben (Kapitel 6). Als sie erwacht, stellt sie fest, dass sie vier Jahre im Koma gelegen hat. Kiddo hält auch ihr Kind für tot. Ihr Vorgehen ist angeleitet von ihrer Rache an den ehemaligen Squad-Mitgliedern, welche sie schriftlich als die „Death List Five“ (ebd.: 01:38:48) verewigt. Zunächst befreit sie sich aus dem Krankenhaus (Kapitel 2) und begibt sich dann nach Tokyo, um sich vom Schwertschmied Hattori Hanzo ein Samuraischwert herstellen zu lassen (Kapitel 4). Anschließend konfrontiert sie die Erste auf ihrer Liste, O-Ren Ishii (deren Werdegang in Kapitel 3 erläutert wird), und tötet sie nach einem langen Kampf mit O-Rens zahlreichen Handlangern (Kapitel 5). Vorher ließ sie O-Rens Untergebene, Sophie Fatale, entstellt am Leben, um sie nach dem Kampf mit O-Ren zu Bill zu schicken um diesen in Beatrix Namen zu warnen. Daraufhin begibt sie sich nach Pasadena in Texas und tötet die Zweite auf ihrer Liste, Vernita Green, die ebenfalls bereits aus dem Squad ausgestiegen ist (Kapitel 1). Als sie bei Nummer drei angelangt ist, Bills Bruder Budd, schießt er mit einer Ladung Steinsalz auf sie und begräbt sie anschließend lebendig (Kapitel 7). Nachdem sie sich an ihre Ausbildung bei dem Kung-FuMeister Pai Mei erinnert (Kapitel 8), kann sie sich befreien und kehrt zurück zu Budds Wohnwagen, in dem die vierte auf Beatrix‘ Liste, Elle Driver, Budd bereits mit einer Giftschlange getötet hat. Beatrix bekämpft Elle, welche nur noch ein Auge hat, da Pai Mei ihr einst eines herausriss. Elle wird nicht von ihr getötet, allerdings reißt Beatrix ihr das verbliebene Auge heraus und überlässt sie sich selbst (Kapitel 9). Schließlich fährt sie zu Bill (Vorspann Volume 2), um dort auf ihre totgeglaubte Tochter B.B. zu treffen und schließlich Bill mit einer speziellen Attacke, welche sie von Pai Mei lernte, fast kampflos zu töten (Kapitel 10).

Die Handlungsstruktur beginnt also mit der Präsentation der Ausgangshandlung, stellt die Fähigkeiten der Hauptfigur Beatrix Kiddo mit dem Kampf gegen Vernita Green vor und läuft dann auf die Konfrontation O-Rens hinaus, die erst nach dem Besiegen mehrerer Zwischengegner bekämpft werden kann, welches den dramaturgischen Höhepunkt des ersten Teils darstellt. Die Zuschauenden werden mit einer überraschenden Wendung und einem Blick auf die im nächsten Film folgende Handlung verlassen. In Kill Bill Vol. 2 erfahren sie mehr über Kiddos Hintergrund, bis diese schließlich, nach einem weiteren großen Kampf gegen Elle, bei Bill ankommt und ihr Ziel erreicht. Sie tötet ihn und ist am Ende mit ihrer Tochter wiedervereint – eine Belohnung für ihren Leidensweg, welche sie nicht erwartet hatte. Beatrix wird von Rache getrieben, erfüllt diese mit Gewalt und erlebt ein Happy End.

2.2 Analyse der Gewaltdarstellung in "Kill Bill"

Die Gewaltdarstellung in Kill Bill ist auch deswegen ein Untersuchungsgegenstand der Filmwissenschaft, weil sie an einigen Stellen kritisiert wird. Eine Sammlung vieler veröffentlichter Kritiken bietet metacritic. Dort findet man unter anderem einen Auszug aus Joe Morgensterns Kritik für das Wall Street Journal: „[…] Kill Bill inflicts intolerable cruelty on its characters, and on its audience.“ (metacritic.com, letzter Zugriff am 26.01.2015). Er bezeichnet Kill Bill auch als „[…] the most violent movie ever released by an American studio“ (ebd.). Er reiht sich ein in mehrere negative Kritiken, steht damit aber auch einer überwiegenden Vielzahl an positiven Kritiken gegenüber. Nicht zuletzt die Polarisierung der Gewalt ist aber eine der Motivationen der Filmwissenschaft, sich genau damit zu beschäftigen.

Die Gewalt, die in Kill Bill zu sehen ist, wird hauptsächlich vom Motiv der Rache bestimmt. Dabei ist es nicht nur Beatrix Kiddo, der wir auf ihrem Racheweg folgen. Auch O-Ren begeht einen Racheakt, der ihr weiteres Leben bestimmt. Bill rächt sich an Kiddo, indem er sie erschießt, die anderen Vier des Squads erledigen ihre Arbeit (oder sehen das Töten von Kiddos Freundinnen und ihrem Verlobten, sowie den anderen Personen in der Kirche selbst auch als Akt der Rache an Kiddo an, da sie das Squad verlassen hat). Eine Ausnahme bildet Elle, die Budd aus anderen Gründen tötet. Hier spielt ein „komplexes Netz aus Liebe, Eifersucht, Abhängigkeit und Rivalität“ (Grabowski 2007: Gewalt als Stilmittel. Warum fließt in Kill Bill so viel Blut?. Seite 22) eine Rolle. Die Motivation von O-Ren, Vernita, Budd und Elle beim Kampf gegen Kiddo ist die, nicht getötet zu werden. Gerade Elle macht den Wunsch, Kiddo zu töten, am deutlichsten. Sie versteht deswegen auch nicht, dass Bill sie den Auftrag, Kiddo noch im Krankenhaus zu töten, schließlich doch nicht ausführen lässt, kurz bevor sie ihn beendet.

Grabowski spricht der Gewalt in Kill Bill mehrere filmische und kulturelle Ursprünge hinzu. Im Actionfilm könne die Rache die Struktur des Films sein, wie es bei Kill Bill ebenso der Fall sei. Die Handlung schreite an den Racheakten voran, bis zu ihrem Ziel. Weiter geht sie auf die Coolness ein. Diese „[…] beinhaltet die Selbstinszenierung, das bewusste Tragen bestimmter Rollen, bis sie realer Teil der Identität werden […]“. Coolness bilde eine glatte Oberfläche, an der alles abpralle, das perfekte Tragen einer Rolle zur Verbergung der eigenen Verletzlichkeit. Der Begriff sei aber auch schwer zu definieren und Tarantino benutze nur seine oberflächliche Bedeutung. Das Konzept der Coolness, im Actionkino divers verarbeitet, sei auf die Gewalt in Kill Bill zu übertragen, da „[d]er Körper und seine Zerstörung, die Demontierung […] zelebriert und in Szene gesetzt [werden]“– sprich, die Darstellung von Gewalt sei als Resultat der Coolness der Körperlichkeit zu verstehen. Cool sei alles, die Musik, der Nervenkitzel, das Gefühl des Zuschauers bei spritzendem Blut (vgl. Grabowski 2007: 25-31).

Ebenso habe Gewalt im Actionkino eine narrative Funktion. Grabowski bezieht sich hier auf Aaron Anderson (Anderson 2005: Mindful violence: the visibility of power and inner life in Kill Bill. www.ejumpcut.org. Letzter Zugriff am 26.01.2015). Gewalt eigne sich neben Kameraarbeit, Musik, Farbe und weiterem, „innere Vorgänge nach außen zu kehren“ (Grabowski 2007: 32). Gewalt sei die einfache Vermittlung von Kräfteverhältnissen, der Ausdruck von Konflikten. Genres hätten bestimmte Muster bei der Ausführung von Gewalt, das Verhalten gegenüber diesen Mustern in schwierigen Situationen zeige den Charakter der Person, das Actiongenre nutze solche Situationen um die Charakterentwicklung zu zeigen. Sie stimmt Anderson zu, dass Gewalt ein Mittel sei, „um Kräfteverschiebungen oder die innere Stärke einer Figur sichtbar zu machen“ (ebd.). Gewalt sei auch durch die Verbindung zu Mythologien und Traditionen eine erzählende Instanz (vgl. ebd.: 31-33).

Für die Betrachtung der Gewalt in Kill Bill im Kontext der erläuterten Fragestellung bieten sich vor allem vier Szenen an. Die als zum Teil als Anime gestaltete Geschichte von O-Ren Ishii, in der gezeigt wird, warum sie wurde, wer sie ist, bietet die Vorlage für den Transport von typischen Darstellungen des japanischen Zeichentricks in Tarantinos Film. Der Kampf gegen die Crazy 88 am Ende von Kill Bill Vol. 1 endet in dem Sieg Kiddos über O-Ren und zeigt nicht nur die brutalste Gewalt, sondern auch die konzentrierteste. Außerdem ist noch der in Budds Trailer stattfindende Kampf gegen Elle Driver zu betrachten, in dem vor allem die Räumlichkeit ihren Teil zur Gewalt beiträgt. Ähnlich verhält es sich mit dem ersten zu sehenden Kampf überhaupt, gegen Vernita Green. Vergleiche zwischen den Kämpfen bieten sich hier über die Ebenen der Figuren, der Waffen und der Szenerien an. Diese vier Sequenzen sollen nun Gegenstand jeweiliger erkenntnisorientierter Analysen nach Hickethier werden.

2.2.1 O-Ren vs. Matsumoto

In Kapitel 3 von Kill Bill erfahren die Zusehenden den Werdegang von O-Ren Ishii alias „Cottonmouth“ (Kill Bill Vol. 1: 00:33:45). Die Biografie wird, erzählt von Kiddo aus dem Off, im Stil eines japanischen Animes[6] gezeigt. Eingestiegen wird mit einer Lokalisierung von O-Rens Kindheit. Sie, die eine „halb japanisch und halb chinesisch-amerikanische“ (ebd.: 00:33:52) Herkunft hat, wächst auf einer amerikanischen Militärbasis in Tokio auf. Viel mehr von ihrer Kindheit ist bis dahin nicht zu erfahren. Es folgt die Ermordung ihrer Eltern durch den Yakuza-Boss Matsumoto und seine Handlanger. O-Ren versteckt sich unter dem Bett und muss mitansehen, wie erst ihr Vater, dann ihre Mutter durch das Schwert Matsumotos sterben. Zu diesem Zeitpunkt ist sie erst neun Jahre alt. Einer der Handlanger Matsumotos legt ein Feuer und O-Ren muss fliehen, nachdem alle verschwunden sind. Vor den Flammen ihres Zuhauses schwört sie Rache. Zwei Jahre später tötet sie Matsumoto im Bett, da dieser pädophil ist und sie sich so einen Weg zu ihm bahnen konnte. Sie tötet ihn ebenso mit einem Schwert, wie er ihre Eltern umbrachte. Das Aufeinandertreffen mit zwei Schergen Matsumotos, die sie angreifen, zeigt uns die Fähigkeiten O-Rens. Sie besiegt die Zwei spielend. Mit zwanzig ist sie Auftragskillerin, wir sehen, wie sie von einem Dach her einen Mann in den Kopf schießt, während er sich in einem Auto mit zwei Damen vergnügt. Fünf Jahre später passiert das Massaker in der Hochzeitskapelle in El Paso, Texas, bei dem Bill Kiddo in den Kopf schießt. O-Ren wird später, als das Squad nicht mehr existiert, zur Yakuza-Chefin in der Tokioer Unterwelt. Ihre Hintergrundgeschichte erzählt uns zwei Dinge über ihren Charakter: Sie ist durch die grausame Hinrichtung ihrer Eltern traumatisiert und sie ist (höchstwahrscheinlich) deswegen auch kriminell geworden. O-Ren ist durch dieses Kapitel im Film die einzige Gegnerin mit einer mehr oder weniger ausgebauten Hintergrundgeschichte, welche zur Charakterzeichnung beiträgt. Nicht nur deswegen ist es ein einprägsamer Teil des Films, auch weil er sich durch die Anime-Gestaltung vom Rest des Films abgrenzt. Die in der gesamten Sequenz zu findende Anime-Ästhetik ist geprägt von einem Nachempfinden einer realen Kameraführung[7], da das Bild durchgehend wackelt und oft auch erschüttert wird. Auch in der Szene in O-Rens Zuhause ist dies der Fall. Wenn Figuren sich schnell bewegen, gut zu beobachten bei dem Versuch von O-Rens Vater, sich gegen die Schläger zu verteidigen, reduzieren sich ihre Formen und Konturen teilweise, was sicher die Bewegungsunschärfe ersetzt (Abb. 2). Auffällig sind auch die lauten und markanten Geräusche, etwa beim Knacken von Knochen, beim Spritzen von Blut oder beim Eindringen eines Schwertes in den menschlichen Körper. Gerade das Spritzen von Blut ist ein Stichwort, welches die Gewaltdarstellung ins ‚Übertriebene‘ hebt. Nicht nur, dass sich der Film in einer unrealistischen, weil animierten Ebene befindet, innerhalb der Animation verlässt er die Ebenen einer realistischen Darstellung ebenso. Wenn mit der Kamera eine Realfilmästhetik nachempfunden werden möchte (und zwar durch das Wackeln der Kamera), wird mit dem Zerfall des Körpers eine andere Richtung eingeschlagen. Die Menge an Blut, die aus dem Körper von O-Rens Vater schießt (Abb. 3), sowie die Fontäne selbst, wirken nicht weniger brutal, aber befremdlich, solche Darstellungen werden aber wiederrum im japanischen Anime verortet. Weitere Stereotypen des Anime sind die mehrfachen Wiederholungen einer wichtigen Bewegung im Detail, hier ist es die Schwertführung durch Matsumoto gegen O-Rens Mutter. Er schießt hinunter, schreit dabei und drei Mal wird dieses Bild nacheinander geschnitten (Abb. 4), immer gleich, nur beim dritten Mal langsamer und länger. Was ebenso auffällt, ist, dass die gezeigte Gewalt innerhalb eines Nachempfindens des Blickes der Personen passiert. Dies ist einmal zu beobachten, als O-Ren sich unter dem Bett versteckt und die Kamera in ihre Augen zoomt, um dann das Geschehen im Raum zu zeigen (Abb. 5), und wiederrum dann, wenn O-Ren auf Matsumoto sitzt und sie in seinen Augen zu sehen ist (Abb. 6). Die Gewaltdarstellung passiert in dieser Sequenz sehr stark über die Menge des Blutes, welches sich in einer signalhaften roten Farbe in den Räumen verteilt. Mal spritzt es, mal fließt es, mal tropft es auf das Gesicht O-Rens. Immer bedeutet es den Tod, vor allem durch das Schwert. Der wohl stärkste Einsatz von Blut findet statt, wenn O-Ren das Schwert aus Matsumoto herauszieht und sein Blut an die Wand spritzt. Dabei wird die Form von O-Rens Körper ausgelassen, so dass ihre Tat als ‚Gemälde‘ an der Wand sichtbar wird.

[…]


[1] Wenn in der vorliegenden Arbeit von Kill Bill die Rede ist, sind immer die beiden Teile Kill Bill Vol. 1 (2003) und Kill Bill Vol. 2 (2004), welche gemeinsam produziert wurden, dennoch mit mehreren Monaten Abstand in die Kinos kamen, gemeint.
[2] Mit dem Begriff „Gewalt“ ist der körperliche Angriff gegen eine Person von einer weiteren Person ausgehend gemeint. Darunter fällt das Benutzen des eigenen Körpers als Waffe, sowie der Gebrauch von Waffen wie Schwertern, Schusswaffen oder sonstigen. Verbale Gewalt ist nicht der Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit.
[3] Folgend wird von den genannten Kapiteln jeweils sinngemäß und die im Film gesetzte Reihenfolge einhaltend als Kapitel 1 – 10 gesprochen.
[4] An den Zeiten zu den jeweiligen Kapitelüberschriften lässt sich ein zeitlicher Aufbau erkennen: Die Kapitelunterteilung bis Kapitel 5, das Finale, ist ungefähr viertelstündlich, Kapitel 5 ist dann fast 45 Minuten lang.
[5] Hier ist die stringente Einteilung des ersten Teils nicht mehr zu finden, die Längen der Kapitel variieren mehr.
[6] Anime sind in Japan produzierte Zeichentrickfilme oder –serien. Das Wort „Anime“ ist die Kurzform von „animēshon“, die japanische Entlehnung des englischen Wortes „animation“.
[7] Mit „realer Kameraführung“ ist die Kameraführung (Bewegung, Perspektive, Einstellung) von real gedrehten Filmen gemeint.

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Details

Titel
Darstellung und Zitation von Gewalt in Quentin Tarantinos "Kill Bill"
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg  (Institut für Kunst und visuelle Kultur)
Note
1,15
Autor
Jahr
2015
Seiten
49
Katalognummer
V316091
ISBN (eBook)
9783668169210
ISBN (Buch)
9783946458364
Dateigröße
2330 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
tarantino, ästhetik, aesthetics, kill bill, gewalt, violence, rache, motivation
Arbeit zitieren
Steffen Pilney (Autor:in), 2015, Darstellung und Zitation von Gewalt in Quentin Tarantinos "Kill Bill", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/316091

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