Am 1. August 1990 stirbt der in Breslau geborene Soziologe Norbert Elias 93- jährig in Amsterdam. Sein langes Leben deckt sich beinahe mit der ganzen Geschichte der Soziologie als noch relativ junger akademischer Fachdisziplin. Als Soziologe analysierte er das Entstehen der kulturellen Eigentümlichkeiten großer gesellschaftlicher Gruppen, sein wissenschaftliches Werk jedoch zielte auf interdisziplinäre Synthesen, auf eine Verbindung verschiedener „Menschenwissenschaften“. Bis ins hohe Alter mußte der 1933 ins Exil getriebene Elias auf ihm angemessene Arbeits- und Forschungs möglichkeiten und auf die Breitenwirkung seines Werkes warten. Die Grundlegung seiner Forschungsperspektive findet sich bereits 1939 erstmals erschienenen, aber erst seit den siebziger Jahren breite Anerkennung findendem Hauptwerk „Über den Prozeß der Zivilisation“ 1 . Darin wurde auch so etwas wie eine „historische Anthropologie bzw. Psychologie“ 2 angeregt, in der es um den Zusammenhang der Herausbildung des modernen Staates und tiefgreifende Verhaltensänderungen der Menschen geht. Gesellschaftliche Wirklichkeiten wollte Elias mit Blick auf langfristige Prozeßzusammenhänge untersuchen, soziale Strukturen und Verhaltensweisen der Menschen also nie ohne deren Einlagerung in eine fortwirkende Geschichte behandeln.
Doch seine Gedanken paßten lange nicht in den „soziologischen Mainstream“ 3 , auch nicht in die erklärten Gegenrichtungen, sein Werk lag neben den oder quer zu den Linien der etablierten Schulen. 4 Noch 1984 beklagt Norbert Elias, daß die Soziologie „bis heute in ihrer vorwissenschaftlichen Phase“ stecke 5 ¸ sie sei, so schreibt er in seinen „Notizen zum Lebenslauf“, unterentwickelt. Die Struktur der menschlichen Gesellschaft werde noch immer nicht „mit derjenigen Klarheit herausgearbeitet (...), mit der sich soziologische Probleme darstellen und lösen lassen.“ 6 Von der Soziologie selbst ist Elias überzeugt. „Sie hat eine große Zukunft und ich helfe ein bißchen dabei.“ 7 Denn: Wenn die Menschen „ihr Leben besser regeln wollen, als es heute der Fall ist, dann müssen sie wissen, wie die Dinge zusammenhängen.“ Und er fügt hinzu: „ Ich meine das ganz praktisch, denn andernfalls handeln wir falsch. Es ist das Elend der gegenwärtigen Menschheit, daß sie sich so oft durch unrealistische Ideen leiten läßt.“ 8
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- August Comte
- Philosophischer Positivismus als Interdependenz von Beobachtung und Theorie
- Bruch mit philosophischer Tradition
- Relative Autonomie der Soziologie
- Methodologie und Methodik
- Prämissen
- Anthropologie
- Allgemeine soziologische Herausforderung
- Figurationen
- Prozesse
- Methode
- Historische vergleichende Analyse
- Engagement und Distanzierung
- Zusammenfassung und Fazit
- Literatur
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit dem soziologischen Erkenntnisbeitrag von Norbert Elias, wobei der Fokus auf die methodologischen und methodischen Aspekte seiner Arbeit liegt. Es wird erläutert, welche Kriterien Elias an eine „wissenschaftliche“ Soziologie stellt, welche Prämissen er voraussetzt und welche methodischen Regeln er für notwendig hält, um seinen hohen Anspruch gerecht zu werden.
- Das Soziologieverständnis von Norbert Elias und seine Kritik an der „vorwissenschaftlichen Phase“ der Disziplin
- Die Relevanz von August Comtes Werk für Elias' eigenes Denken und die Entwicklung seiner Theorie
- Die Rolle von „Prozessen“ und „Figurationen“ in Elias' soziologischem Ansatz
- Die methodischen Prinzipien der historischen vergleichenden Analyse und des Engagements sowie der Distanzierung
- Der Anspruch von Elias, eine „wissenschaftliche“ Soziologie zu etablieren, die die Geschichte und das Zusammenspiel von Mensch und Gesellschaft berücksichtigt
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in das Leben und Werk von Norbert Elias ein. Elias, der als Soziologe die Entstehung kultureller Eigentümlichkeiten großer gesellschaftlicher Gruppen analysierte, verfolgte in seiner Arbeit eine interdisziplinäre Synthese von verschiedenen „Menschenwissenschaften“. Seine Grundlegung findet sich in seinem Hauptwerk „Über den Prozeß der Zivilisation“. Elias’ Werk steht jedoch im Kontrast zum „soziologischen Mainstream“, was ihn zu einer kritischen Betrachtung des Standes der Soziologie selbst führt.
Das zweite Kapitel behandelt August Comte als „Gründer“ der Soziologie. Elias sieht in Comtes Werk das Potential zu einem „Schlüsselerlebnis“ der Wissenschaftsgeschichte und identifiziert darin die Anlagen zu einer soziologischen Denk- und Wissenschaftstheorie, in deren „Tradition“ er sich einreihen möchte.
Im dritten Kapitel geht es um die Methodologie und Methodik von Norbert Elias. Er stellt Prämissen und methodische Regeln auf, die er als notwendig erachtet, um eine „wissenschaftliche“ Soziologie zu etablieren. Hierbei stehen die Konzepte der „Figurationen“ und der „Prozesse“ sowie die Methode der „historischen vergleichenden Analyse“ im Vordergrund.
Schlüsselwörter
Die zentralen Schlüsselwörter und Themenbereiche, die in der Arbeit von Norbert Elias eine bedeutende Rolle spielen, sind: Soziologie, Zivilisationstheorie, August Comte, Positivismus, Prozesse, Figurationen, historische vergleichende Analyse, Engagement, Distanzierung, Menschenwissenschaften, Wissenschaftstheorie.
- Arbeit zitieren
- Joachim Klenk (Autor:in), 2004, Vom Soziologieverständnis des Norbert Elias, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/31635