Wieso existiert Leid in der Welt, wenn Gott allmächtig ist? Die Lehre von der Willensfreiheit als Lösungsversuch des Theodizee-Problems


Seminararbeit, 2010

21 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

INHALTSVERZEICHNIS

I) Einleitung

II) Das Problem der Theodizee
1) Die Wirklichkeit des Leidens
2) Die Eigenschaften Gottes – Allmacht und Allgüte

III) Das Argument der Willensfreiheit
1) Das formale Argument der Willensfreiheit
2) Die Willensfreiheit
a) Das Anderskönnen
b) Die Intelligibilität
c) Die Urheberschaft
3) Das Übel/Leid
4) Der logische Zusammenhang zwischen Willensfreiheit und Leid
5) Der moralische Zusammenhang zwischen Willensfreiheit und Leid
6) Willensfreiheit und Erbsünde
7) Die Willensfreiheit und die ,,Seelenbildung‘‘

IV) Die Kritik des Argumentes der Willensfreiheit
1) Praescientia und Praedeterminatio
2) Das Bestreiten der Willensfreiheit
3) Das Bestreiten der Werthaftigkeit der Freiheit
4) Die Willensfreiheit und das natürliche Übel

V) Schlussfolgerungen

LITERATURVERZEICHNIS

I) Einleitung

Als am zweiten Weihnachtsfeiertag 2004 das Unglück über Indonesien, Thailand und andere Länder Südostasiens in Gestalt eines gewaltigen Tsunamis hereinbricht, kommt die Frage auf: Wie kann Gott zulassen, dass Hundertausende sterben, Millionen obdachlos und ganze Städte ausradiert werden? Diese Katastrophe erinnert an das gewaltige Erdbeben in Lissabon 1755, das schon den Kinderglauben von Johann Wolfgang von Goethe in Frage stellte: ,,Gott, der Schöpfer und Erhalter Himmels und der Erden, den ihm die Erklärung des ersten Glaubens-Artikels so weise und gnädig vorstellte, hatte sich, indem er die Gerechten mit den Ungerechten gleichem Verderben preisgab, keineswegs väterlich bewiesen.“[1] Doch es ist nicht die Allmacht Gottes, die hier eine Grenze findet, sondern unsere Vorstellungen von dieser. Die Allmacht Gottes besteht nämlich nicht darin, dass er alles Schlechte und alle Gefahren, also das Leiden von uns fern hält. Die folgende Arbeit soll zeigen, dass Gott dem Menschen nichts Böses will, sondern sich in Liebe dem Menschen zuwendet. Diese Liebe drückt sich in der Freiheit aus, die Gott dem Menschen lässt, sich für oder gegen ihn zu entscheiden. Freiheit aus Liebe ist das alles bestimmende Prinzip der Schöpfung und in diesem Zusammenhang muss auch das Leiden, das Bestandteil dieser Schöpfung ist, betrachtet werden.

II) Das Problem der Theodizee

Der Begriff ,,Theodizee“ kommt aus dem Griechischen und setzt sich zusammen aus θεός ,,Gott“ und δίκη ,,Gerechtigkeit“. Es kann mit ,,Rechtfertigung Gottes“ übersetzt werden. Geschaffen wurde der Begriff vom Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz, vermutlich in Anlehnung an Röm 3,5[2]. Mit der Verwendung dieses Begriffs sind verschiedene Antwortversuche auf die Frage gemeint, wie das Leiden in der Welt mit der Allmacht und Allgüte Gottes vereinbart werden kann.

Ist der Begriff der Theodizee noch relativ jung, so ist das Problem schon in der Antike bekannt gewesen. Bereits der Philosoph Epikur (341-271 v. Chr.) erkannte, dass Gott, wenn er das Übel nicht beseitigen kann, nicht allmächtig ist, und wenn er es nicht beseitigen will, nicht allgütig ist. So scheint die Existenz des Leidens die Existenz Gottes auszuschließen, oder wie z.B. der französische Schriftsteller Stendhal (eigentlich Marie-Henri Beyle) es formulierte: ,,Die einzige Entschuldigung für Gott besteht darin, dass er nicht existiert.“ Einige gehen sogar so weit und bezeichnen dieses Problem gar als den ,,Fels des Atheismus“.

Um am christlichen Gottesbild, das geprägt ist von einem allmächtigen und allgütigen Gott, festhalten zu können, gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten zur Lösung des Problems. Entweder man setzt bei der Wirklichkeit des Leidens oder bei den Eigenschaften Gottes, also der Allmacht bzw. Allgüte, an.

1) Die Wirklichkeit des Leidens

Ziel dieses Versuches ist es, durch Bonisierung bzw. Depotenzierung des Leidens das Theodizee-Problem zu lösen. Die Depotenzierung läuft darauf hinaus, dass das Leiden mit Blick auf das Jenseits banalisiert oder trivialisiert wird. Diesen Weg verfolgte der hl. Augustinus (354-430) indem er in seiner sog. ,,Privationsthese“ (privatio boni) behauptet, dass es das Übel, welches Leiden hervorruft, gar nicht gebe. Es sei lediglich ein Mangel an Gutem.[3] Eine Krankheit stellt sich demnach als ein Mangel an Gesundheit heraus, ebenso wie der Hass ein Mangel an Liebe ist. Dieser Ansatz beschreibt zwar das Wesen des Übels, muss sich jedoch für einen leidenden Menschen als höchst unbefriedigend darstellen, weil es nicht auf das ,,warum“ des Übels eingeht.

Die Bonisierung versucht das Leiden als einen Bestandteil eines höheren Gutes darzustellen. Sie verfolgt hierfür zwei Strategien, nämlich eine Pädagogisierung und eine Ästhetisierung des Leidens.

Bei der Pädagogisierung stellt das Leid ein Mittel zur Erziehung des Menschen dar, um ihn dadurch zu bessern. Das Leid erfolgt sozusagen als eine Strafe für begangene Sünden. Dieses Prinzip folgt dem sogenannten Tun-Ergehen-Zusammenhang, der jedoch der Wirklichkeit komplett widerspricht. Denn so wie nicht jeder Mensch, der im Glück lebt, frei von Sünden ist, leidet nicht jeder leidende Mensch für seine Sünden.

Die Ästhetisierung hingegen besagt, dass durch die Konfrontation mit dem Leiden das Gute besser und stärker zum Vorschein kommt. Der Wert der Gesundheit z.B. kann demzufolge erst vollständig erfasst werden, wenn man krank ist. Die Schönheit und Harmonie aller Dinge speist sich somit aus Gegensätzen.[4] Es bleibt jedoch die Frage, ob die Quantität des Leidens (wie in Auschwitz) auch wirklich notwendig ist, um den Wert dessen zu erkennen, was schön und gut ist. Für den Einzelnen bleibt in seinem Leiden oftmals unbegreiflich, was seine Situation für einen ästhetischen Nutzen haben könnte. Der Ansatz am Leiden selbst zur Lösung des Theodizee-Problems bleibt also höchst unbefriedigend.

2) Die Eigenschaften Gottes – Allmacht und Allgüte

Eine weitere Möglichkeit zur Lösung des Problems ist die Modifikation einer der Eigenschaften Gottes. Für das christliche Gottesbild ist die Allgüte Gottes un-veräußerlich, sodass als einziger Ansatzpunkt hier nur die Modifikation der Allmacht Gottes übrig bleibt. Entweder ist die Macht Gottes durch eine andere (zweite Macht) von Anfang an eingeschränkt, wie im Manichäismus oder Gott hat sich selbst in seiner Macht zugunsten eines anderen eingeschränkt, nämlich zugunsten des Menschen und seiner Freiheit.[5] Bei letzterem drängt sich die Frage auf: Ist die Freiheit des Menschen wirklich ein solch hohes Gut, dass sie das Leiden rechtfertigt. Das soll u.a. im Folgenden nun erörtert werden.

III) Das Argument der Willensfreiheit

1) Das formale Argument der Willensfreiheit

Das formale Argument der Willensfreiheit besagt, dass Gott, als Ausdruck seiner Güte und Liebe, in sich Wertvolles schaffen will, nämlich Geschöpfe mit Willensfreiheit. Damit soll eine freie Zuwendung des Geschöpfes zu seinem Schöpfer ermöglicht werden.[6] Das Argument geht von der Allmacht Gottes aus und sieht gerade diese geschöpfliche Freiheit des Menschen als besonderen Ausdruck seiner Allmacht.[7] Aber um in dieses Freiheitverhältnis eintreten zu können, muss Gott jedoch auch das Risiko des moralischen Übels (,,malum morale“) in Kauf nehmen, das auch zu Leid unter seinen Geschöpfen führen kann.[8] Das setzt jedoch voraus, dass es Menschen mit Willensfreiheit gibt und dass diese Existenz von Menschen, die in Freiheit das moralisch Richtige wählen können, besser ist, als die Existenz von Menschen, deren Handeln vollständig determiniert ist. Das hat logischerweise zur Folge, dass wenn Menschen die Freiheit haben, das moralisch Richtige zu tun, ihnen im Gegenzug auch die Möglichkeit gegeben sein muss, das moralisch Falsche zu tun. Denn Freiheit setzt auch eine Handlungs-alternative voraus. Dies wiederum impliziert die Möglichkeit, dass das moralisch Falsche dann auch faktisch (irgendwann) getan wird. Damit dieser Willensfreiheit ein positiver Wert zukommen kann, muss sie die Ergebnisse falscher bzw. leiderzeugender Entscheidungen aufwiegen können. Die Frage, die hier an dieser Stelle jedoch aufkommt ist: Ist diese Inkaufnahme des Leids durch Gott moralisch zu rechtfertigen? Dafür muss zunächst der Begriff ,,Willensfreiheit“ definiert werden.

2) Die Willensfreiheit

Es stellt sich an dieser Stelle die Frage: Kann es überhaupt ,,echte“ Willensfreiheit geben oder ist diese lediglich eine Illusion? Willensfreiheit im libertarischen Sinne ist dann gegeben, wenn der Mensch nicht nur tun kann, was er will (kein [äußerer] Zwang), sondern auch wollen kann, was er will. Hingegen wird Willensfreiheit im kompatibilistischen Sinn so definiert, dass der Mensch zwar tun oder lassen kann, was er will, was er jedoch will, ist durchgehend determiniert. Letzteres würde heißen, dass die menschliche Freiheit mit einem deterministischen Weltbild vereinbar (kompatibel) ist, was wiederum auf eine Letztverantwortlichkeit Gottes für das Leiden hinausläuft. Will jedoch die ,, free-will-defense “ als Lösung der Theodizee-Problematik Erfolg haben, muss der Mensch im libertarischen Sinne frei sein. Das ist dann der Fall, wenn drei Kompo-nenten menschlicher Willensfreiheit gegeben sind. Diese sind erstens das Moment des Anderskönnens, zweitens das der Intelligibilität und drittens jenes der Urheberschaft.[9]

[...]


[1] Johann Wolfgang von Goethe: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit, 1811, S. 29.

[2] Vgl. Thomas Pröpper, Magnus Striet: Art. Theodizee, 2006, Sp. 1396.

[3] Vgl. Aurelius Augustinus: De civitate dei, Buch 11, Kap. 22, S. 35.

[4] Vgl. Klaus von Stosch: Einführung in die systematische Theologie, 2009, S.106.

[5] Vgl. Friedrich Hermanni: Das Böse und die Theodizee, 2002, S. 241.

[6] Vgl. Stephen T. Davis: Logic and the nature of god, 1983, S. 98.

[7] Vgl. Klaus von Stosch: Gott-Macht-Geschichte, 2006, S. 229.

[8] Vgl. Armin Kreiner: Gott im Leid, 2005, S. 213.

[9] Vgl. Klaus von Stosch, Gott-Macht-Geschichte, 2006, S. 235.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Wieso existiert Leid in der Welt, wenn Gott allmächtig ist? Die Lehre von der Willensfreiheit als Lösungsversuch des Theodizee-Problems
Hochschule
Universität Augsburg
Veranstaltung
Philosophie-Seminar
Note
1,0
Autor
Jahr
2010
Seiten
21
Katalognummer
V316416
ISBN (eBook)
9783668159693
ISBN (Buch)
9783668159709
Dateigröße
702 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Theologie, Leid, Gott, Willensfreiheit, Intelligibilität, Philosophie, Erbsünde, Übel, Plantinga, Augustinus, Goethe, Kreiner
Arbeit zitieren
Alexander Winter (Autor:in), 2010, Wieso existiert Leid in der Welt, wenn Gott allmächtig ist? Die Lehre von der Willensfreiheit als Lösungsversuch des Theodizee-Problems, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/316416

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