Masematte. Ein Münsteraner Soziolekt mit jiddischen Einflüssen

Eine Begriffsuntersuchung


Hausarbeit, 2015

15 Seiten

Sebastian Porter (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung
I.1. Forschungsstand

II. Grundlagen
II.1. Sprecherkreise und soziale Gruppen
II.2. Die räumliche Grenze

III. Begriffsanalyse
III.1. „Der seeger hegt die Masematte“
III.2. „Die keimkes hatten auch nicht alle lowi“

IV. Fazit

V. Literatur

I. Einleitung

Maimelt es in Münster öfter als anderswo? [1]

Um dieser Frage nachzugehen benötigt ein Unwissender ein Wörterbuch, es sei denn, er ist mit den „Merkwürdigkeiten“ Münsters vertraut.[2] Doch welches Wörterbuch hilft da wirklich weiter? Im Duden wird man vergeblich suchen. Die einzige Lösung, um den unbekannten Begriff zu entschlüsseln, bietet da ein Blick in ein Wörterbuch der Masematte. Nachdem man fündig geworden ist, muss man sich selbst ein Urteil bilden, ob es in Münster häufiger regnet als woanders, jedenfalls ist die Frage nach dem Begriff ‚maimelt‘ geklärt. Die Münsteraner Masematte ist partiell im heutigen Sprachgebrauch der Einwohner Münster und des Münsterlandes noch immer tief verwurzelt. Dabei hat sich der Sprecherkreis im Laufe der Zeit enorm gewandelt, sodass die Sprache der Vagabunden und Gaukler mittlerweile in den alltäglichen Sprachgebrauch der Einwohner Münsters eingeflossen ist. Die Verwendung der Masematte ist somit im Sprachgebrauch allgegenwärtig und nimmt aus diesem Grund einen hohen Stellenwert innerhalb des Sprachgebrauchs der Münsteraner ein und zeigt die Aktualität der Thematik.

Die Arbeit soll sich mit den Aspekten des Sprecherkreises, der topographischen Grenzen und der Historie befassen. Vor allem soll jedoch die jiddische Komponente innerhalb der Masematte, als ein Dialekt des Rotwelschen untersucht werden. Dabei sollen besonders Textbeispiele als Untersuchungsgegenstand dienen, um Begriffe mit jiddischem Ursprung zu untersuchen. Als Textgrundlage dient das Textbuch „Emmes, Seeger. Masemattengeschichten“, im speziellen Auszüge aus der Erzählung „Als Kotens“.[3]

Auf Grundlage dieser Begriffsanalyse sollen die Komponenten der sozialen Sprecherschicht und der Überlieferung in die Analyse einfließen, um so ein Kompendium aus sozialem Sprecherschicht und Überlieferungsweg nach Münster herstellen zu können. Abschließend soll noch ein Blick auf die Aktualität des Dialekts innerhalb Münsters und darüber hinaus geworfen werden.

I.1. Forschungsstand

Die Forschungslandschaft zur Thematik ist aufgrund der regionalen Sprachgrenzen auf den Münsterländer Raum beschränkt. Aus diesem Grund finden sich bisher nur wenige Forschungstitel zu dem Thema. Von den wenigen Forschungsarbeiten sind hierbei besonders die Autoren Klaus Siewert und Karl Kessenbrock zu nennen, die mit ihren Beiträgen zum einen den Grundstock an Forschungsarbeiten zur Thematik aufgebaut haben und zum anderen, mit der Sammlung von Texten auf Masematte, einige Textbücher herausgegeben haben. So sind auch die Beiträge Klaus Siewerts in der Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik zu nennen.[4] Über diese Autoren hinaus sind bisher kaum oder nur „spekulative Veröffentlichungen“ erschienen.[5] Die Grundlage für eine Begriffsanalyse ist größtenteils Karl Kassenbrock zu verdanken, der mit seinen empirischen Erhebungen einen weitreichenden Beitrag zur Erfassung des Dialekts beigesteuert hat.[6] Trotz dieses Fundaments wurde keine weitere Forschung auf diesem Gebiet betrieben. So ist es kaum verwunderlich, dass eine ausgewiesene Arbeit zum Aspekt des Jiddischen bislang in der Forschungslandschaft zur Masematte fehlt. Die bisherigen Arbeiten behandelten die Thematik des Jiddischen nur randständig. Über den sprachgeographisch begrenzten Bereich der Masematte hinaus gibt es auch andere Arbeiten, die sich mit Dialekten aus dem Rotwelschen beschäftigen,[7] die viele Entlehnungen aus dem Westjiddischen besitzt.[8]

II. Grundlagen

Es ist für eine regionalsoziologische Arbeit unabdingbar, die Grundlagen der Topographie und des Sprecherkreises vorzustellen und dabei zu untersuchen, wie die Masematte nach Münster kam und welche Einflüsse hierbei besonders das Jiddische, auf die Masematte gehabt hat.

Dies zeigt sich schon durch das Lemma Masematte:

Es kommt aus dem Jiddischen (masso umattan) was zweierlei Bedeutungen hat. Zum einen bedeutet es so viel wie Handel, Geschäft, oder auch „gewagte Geschäfte“. Daneben existiert aber eine weitaus negativere Konnotation, die „üble Machenschaften“ oder auch „Diebstahl“ bedeuten kann.[9] Für die Münsteraner Masematte lässt sich konstatieren, dass beide Begriffsbedeutungen den Ausgangspunkt für die Masematte darstellen, was einen in diesem Kontext unweigerlich zum Sprecherkreis führt.

II.1. Sprecherkreise und soziale Gruppen

Zunächst einmal lässt sich konstatieren, dass es die berühmte „Stunde null“ im Falle der Masematte nicht gab und der Soziolekt nicht plötzlich Einzug in Münster erhielt. Es war vielmehr ein Prozess, der durch die verschiedenen Sprechergruppen und damit durch die unterschiedlichen Einflüsse geprägt wurde. Klaus Siewert identifiziert insgesamt fünf Sprecherkreise, die der „Zugehörigkeit der Masemattesprecher“ angehören: „1. Ambulante Händler und Hausierer, 2. Schausteller, 3. Viehhändler, 4. Landfahrer, 5. Einzelwanderer“.[10]

Besonders die erste Gruppe unterliegt einer Unterteilung, die durch Dienstleistungen oder mit Waren ihren Unterhalt verdiente. Hierbei waren besonders die jüdischen Händler von „Wohn- und Gewerbebeschränkungen“ betroffen, die sie „zum Wanderhandel gezwungen“ haben.[11] Sie bildeten somit im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts eine Gruppe, die den beruflichen Restriktionen untergeordnet waren. Durch diese Maßnahmen wurde die Emanzipation der Juden unterbunden und machte die Juden zum „sozialen[n] und kulturelle[n] Außenseiter“.[12] Dieses Bild der Außenseiter wurde gefördert durch „für Außenstehende unverständliche Sprache“, die sie zu einer abgesonderten Gruppe innerhalb des Stadtgefüges machte.[13] Neben den Händlern und Hausierern ist besonders die dritte Kategorie, die Viehhändler, eine jüdische Domäne für den oben genannten Zeitraum.

Während besonders die kaufmännischen Bereiche in jüdischer Hand waren, so sind die Schausteller, Landfahrer und Einzelwanderer besonders durch „Zigeuner“, „Bettler“ und „Vagabunden“ vertreten worden, was der Grund dafür ist, dass sich dort kaum jüdische Einflüsse nachweisen lassen.[14] Man darf sich diese Kategorien jedoch nicht als undurchlässige Grenzen vorstellen. Es waren vielmehr komplexe Verschränkungen, in denen es gegenseitigen Austausch gab und es so durchaus zu sprachlichen Kontakt kam.

Dieses Konglomerat aus verschiedenen sozialen Gruppen, Ethnika und Sprachbenutzer bildet einen Teil der sozialen Unterschicht in Münster, die drei Charakteristika in sich vereinen.[15] Sie sind als „Fahrende“ zu klassifizieren, die Diskriminierungen ausgesetzt waren und „Geheimsprachen“ nutzten, um sich zu verständigen.[16] Ein weiteres Kriterium wird durch die räumlichen Grenzen geschaffen, die die Sprechergruppe auf ein, von anderen Vierteln abgetrenntes Gebiet reduziert.

II.2. Die räumliche Grenze

Die räumliche Grenze bezieht sich auf die Zeit bis zum zweiten Weltkrieg, wo man noch von einem geschlossenen Sprechergebiet innerhalb dieser Wohngrenzen in Münster sprechen kann. Die sprachliche Hochphase erfolgte im Zeitraum von 1850 bis zum Ausbruch, bzw. Ende des Krieges 1939/1945. Mit der Zerstörung des Stadtbildes durch den Krieg und dem Wandel des sozialen Milieus durch äußere Einflüsse, wie der Vertreibung und der Deportation, verschwand auch der größte Teil des Sprecherkreises aus der Stadt.

Wenn man den Zeitraum vor 1933 betrachtet, dann lassen sich vier Viertel in der Stadt Münster ausmachen, in denen besonders Masematte gesprochen wurde und die ein geschlossenes Sprachgebiet bilden. Zu denen gehören das „Kuhviertel“ und das „Sonnenstraßenviertel“ im Innenstadtbereich mit ihren alten Stadtmauern. Am Stadtrand lassen sich ebenfalls zwei Gebiete identifizieren, zum einen das „Herz-Jesu-Viertel“ und das Arbeiterviertel Pluggendorf.[17] In diesen beiden Vierteln wurde nur teilweise Masematte gesprochen wurde.

Von besonderem Interesse ist das „Kuhviertel“, da dort mehr Juden ansässig waren als in den anderen Vierteln, da sie die dortigen Unterstellplätze für ihre Pferde und ihr Vieh nutzten. Da in unmittelbarer Nähe auch Märkte stattfanden (im Katthagen), es besonders viele Gaststätten gab und sich dort viele Geschäfte befanden, zählte das Kuhviertel zum pulsierenden Zentrum Münsters.[18] Als Zentrum für Arme sind hingegen die Straße Tasche, Brinkstraße und Ribbergasse zu nennen, in denen besonders alte, verfallene und vielbewohnte Häuser standen.[19] Das Sonnenstraßenviertel ist besonders durch ungelernte Bauarbeiter und Schausteller geprägt.

Das Stadtrandgebiet Herz-Jesu-Viertel (im Volksmund „Muffi“ genannt) ist durch einen hohen Anteil an Ausländern geprägt, die sich dort niederließen,[20] während der Stadtteil Pluggendorf ein „Arbeiterviertel“ war.[21] All diese Viertel verbindet aber die Gemeinsamkeiten, dass dort Bewohner von sozial niedrigem Status lebten und die Wohnungen meist in einem deutlich schlechteren Zustand waren, als im Rest Münsters. Diese Faktoren führten nicht zuletzt dazu, dass es eine Abschottung von der restlichen Bevölkerung innerhalb der Stadt gab und man sagte: „In das Viertel gingen normale Menschen nicht hinein. Die hatten alle Angst vor denen die da wohnten. Unter uns hieß es immer ‚Tasche, Brink und Ribbergasse, Messerstecher erster Klasse!“.[22]

III. Begriffsanalyse

Nachdem die soziologischen und topographischen Grundlagen des Sprecherkreises der Masematte dargestellt wurden, soll nun dazu übergegangen werden, die sprachliche Komponente der Masematte zu untersuchen, wobei der Fokus auf die jiddischen Einflüsse auf die Masematte gelegt werden soll. Insgesamt fließt sowohl „rotwelsches, jiddisches, zigeunerisches und niederdeutsches (westfälisches) Wortgut“ in die Masematte ein.[23] All diese für die gemeinen Bürger der Stadt unverständliche Sprache, dient dazu, sich abzugrenzen und durch dieses Konstrukt einer Geheimsprache kommunizieren zu können. Diese Kommunikation erfolgte durchweg mündlich, sodass keine schriftlichen Überlieferungen erfolgt sind. Die Rekonstruktion der Sprache erfolgte demnach über das Mittel des ‚Interviews‘ mit Sprachanwendern, die noch mit der Masematte aufgewachsen sind und die Sprache in ihrem sozialen Umfeld gehört und/oder gesprochen haben. Zeitlich kann man den Ursprung der Masematte nach 1870 in Münster belegen.[24] Bis heute sind noch etwa „40 ‚Primärsprecher“ bekannt, die sich für das Projekt zur Erforschung der Masematte zur Verfügung gestellt haben.[25] Aus diesen Sprecherkreis wurde auch der Großteil der Begriffe und Textbücher rekonstruiert.

[...]


[1] Zitat aus: Maimel, Malocher, Mischpoke. Masematte-Streifzug durch Münster, in: Westfälische Nachrichten, vom 17.11.2014, online unter: http://www.wn.de/Muenster/Kultur/1792818-Maimel-Malocher-Mischpoke-Masematte-Streifzug-durch-Muenster (letzter Abruf am 30.12.2014).

[2] Vgl. Ebd.

[3] Vgl. Kassenbrock, Karl: Emmes, Seeger. Masemattengeschichten, Osnabrück: Tangente 1989, S. 31-33.

[4] Vgl. Siewert, Klaus: Masematte. Zur Situation einer regionalen Sondersprache, in: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 58.1 (1991), S. 44-57.

[5] Zitat nach Kassenbrock, Karl / Strunge, Margret: Masematte. Das Leben und die Sprache der Menschen in Münsters vergessenen Vierteln, Münster: Eigenverlag 1980, S. 2.

[6] Anm. Auf diesen Gundstock baut Klaus Siewert weiterhin auf.

[7] So zum Beispiel Jütte, Robert: Sprachsoziologische und lexikologische Untersuchungen zu einer Sondersprache. Die Sensenhändler im Hochsauerland und die Reste ihrer Geheimsprache ( = Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik: Beihefte; 25), Wiesbaden: Steiner 1978.

[8] Vgl. allgemein, Aptroot, Marion / Gruschka, Roland: Jiddisch. Geschichte und Kultur einer Weltsprache, München: Beck 2010, S. 81-89 und Althaus, Hans Peter: Die jiddische Sprache. Eine Einführung, Köln: Germania Judica 1968, S. 17f.

[9] Zitat nach Althaus, Hans Peter: Kleines Lexikon deutscher Wörter jiddischer Herkunft, München: Beck 2010, S. 128

[10] Zitat nach Kassenbrock, Karl: Masematte, S. 5.

[11] Zitat nach Kassenbrock, Karl: Masematte, S. 7.

[12] Zitat nach Kremer, Arndt: Deutsche Juden – deutsche Sprache. Jüdische und judenfeindliche Sprachkonzepte und -konflikte 1893-1933 (= Studia Linguistica Germanica; 87), Berlin / New York: Walter de Gruyter 2007, S. 78.

[13] Zitat nach Kassenbrock, Karl: Masematte, S. 8.

[14] Vgl. hierzu Kassenbrock, Karl: Masematte, S. 8-16.

[15] Anm. Dies gilt bis zu dem Zeitraum, als die Juden und Minderheiten wie Sinti und Roma oder die „Asozialen“ durch das nationalsozialistische Regime verfolgt und „ausgerottet“ wurden.

[16] Vgl. für das Modell der Dreiteilung Kassenbrock, Karl: Masematte, S. 19.

[17] Anm.: Durch welche Straßenzüge die jeweiligen Gebiete getrennt wurden vgl. Kassenbrock, Karl: Masematte, S. 22-43. Im Zuge der Arbeit wurde versucht anhand der Untersuchungen von Siewert durch die einzelnen Straßennamen eine grobe Skizze der Sprachgebiete im heutigen Münster zu rekonstruieren.

[18] Vgl. Kassenbrock, Karl: Masematte, S. 23f.

[19] Für die Genese der Namen und die Beschaffenheit der Straßenzüge vgl. Kassenbrock, Karl: Masematte, S. 24f.

[20] Unter ihnen besonders Italiener und Holländer, vgl. Kassenbrock, Karl: Masematte, S. 39.

[21] Vgl. Siewert, Kassenbrock, Karl: Masematte, S. 42f.

[22] Zitat nach Kassenbrock, Karl: Masematte, S. 26.

[23] Zitat nach Kassenbrock, Karl: Masematte, S. 48.

[24] Vgl. Siewert, Kassenbrock, Karl, S. 48.

[25] Zitat nach Siewert, Klaus: Boofkenrackewehle. Prolegomena zu einem sondersprachlichen Wörterbuch, in: Beckmann, Susanne / Frilling, Sabine (Hrsg.): Satz – Test – Diskurs. Akten des 27. Linguistischen Kolloquiums, Bd.1. (= Linguistische Arbeiten; 312), Tübingen: Max Niemeyer 1994, S. 291-303, hier S. 294.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Masematte. Ein Münsteraner Soziolekt mit jiddischen Einflüssen
Untertitel
Eine Begriffsuntersuchung
Autor
Jahr
2015
Seiten
15
Katalognummer
V316585
ISBN (eBook)
9783668154841
ISBN (Buch)
9783668154858
Dateigröße
486 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
masematte, münsteraner, soziolekt, einflüssen, eine, begriffsuntersuchung
Arbeit zitieren
Sebastian Porter (Autor:in), 2015, Masematte. Ein Münsteraner Soziolekt mit jiddischen Einflüssen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/316585

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