Die Beziehung zwischen Leib und Welt in Merleau-Pontys "Das Sichtbare und das Unsichtbare"


Hausarbeit, 2008

37 Seiten, Note: 1,0

Nils Gantner (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

A: Einleitung

B: Die Beziehung zwischen dem Leib und seiner Welt bei MerleauPonty
1.1 Erste Charakteristika der Leibwahrnehmung oder über die Ding und Farbwahrnehmung
1.2 Das taktile Sein des Leibes und seine Beziehung zum Visuellen
1.3 Das Fleisch der Welt und der Leib
1.4 Die Anderen im Fleisch der Welt
1.5 Die Idee, das Fleisch und Proust
1.6 Die Problematik des Haptozentrismus und der NichtKoinzidenz mit Berücksichtigung von Derrida

Bibliografie

A: Einleitung:

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es die Beziehung herauszuarbeiten, die Merleau-Ponty (1908-1961) in seinem Spätwerk Das Sichtbare und das Unsichtbare (fr. 1964, dt. 1986) zwischen dem Leib und seiner Umwelt sieht. Dabei ist es erforderlich auf die wesentlichen Begriffe dieses Philosophen einzugehen, um einen gedanklichen Nachvollzug seiner Konzeption zu ermöglichen. Das ist insbesondere der Begriff des „Fleisches“, dem eine tragende Rolle hier zukommt. Weitere Termini sind das Sichtbare, das Unsichtbare, das Berührbare, die Idee und andere. Das Aufzählen derselben deutet schon auf das, was Merleau-Ponty besonders interessiert, nämlich das taktile und visuelle Sein des Leibes. Was es also bedeutet, dass der Leib Sehender und Berührender ist und welche weiteren Eigenschaften ihn sonst noch auszeichnen, soll aufgezeigt werden. Mit der Erarbeitung der wichtigsten Punkte seiner Konzeption wird zugleich Merleau-Pontys eigenes Verständnis des Leibes zu Tage gefördert. Das dieses den cartesischen Dualismus[1] in Bedrängnis bringt, ist ein zusätzlicher Aspekt, der besprochen werden muss. Das Hauptaugenmerk der Arbeit liegt auf dem vierten Kapitel[2] seines Buches, da dort die essentiellen theoretischen Bestimmungen zum Leib zu finden sind. Neben der Auseinandersetzung mit seiner Leibkonzeption ist ebenso sein Verhältnis zum Phänomenologen Edmund Husserl (1859-1938) zu behandeln, und zwar deshalb, weil dieses an mehreren Stellen im Text selber thematisiert wird. Die hierbei auftretenden Differenzen zwischen ihm und Husserl bezüglich der Auffassung des Leibes bedürfen einer genaueren Untersuchung. Die Frage, ob neben den abgrenzenden Momenten zu Husserl vielleicht auch Gemeinsamkeiten vorliegen, gilt es in diesem Kontext ebenfalls zu berücksichtigen. Abgesehen von diesem, bezieht sich Merleau-Ponty ferner auf den Schriftsteller Marcel Proust (1871-1922), der es nach seiner Einschätzung am weitesten in der Erforschung des Unsichtbaren gebracht hat, wie dessen Roman Unterwegs zu Swann, in dem der Erzähler über ein musikalisches Motiv reflektiert, bezeugt. Auf dessen Gedanken stützt er sich und interpretiert sie im Rahmen seiner Philosophie, da er sie mit seinen Begriffen des Fleisches und der Idee in Verbindung bringt. Der Bezug zur Forschung wird besonders durch das Einbeziehen von Bernhard Waldenfels und Jacques Derrida (1930-2004) hergestellt. Letzterer hat in seinem Buch Berühren. Jean-Luc Nancy (fr. 2000, dt. 2007) einen nicht unbedeutenden Kommentar zu Merleau-Pontys Theorie des Leibes verfasst, dem jedoch in seiner Gänze hier nicht nachgegangen werden kann. Mit diesem soll ein kritischer Blick auf die behandelte Leibkonzeption geworfen werden.

B: Die Beziehung zwischen dem Leib und seiner Welt bei Merleau-Ponty

1.1 Erste Charakteristika der Leibwahrnehmung oder über die Ding- und Farbwahrnehmung

Merleau-Ponty wirft schon zu Beginn die Frage auf, was den Leib als sehenden Leib ausmacht und welche Beziehung zu den sichtbaren Dingen durch ihn konstituiert wird. Dabei betont er, dass zwischen dem Sehen und dem Sichtbaren eine „enge Verbindung“ vorliegt, die vergleichbar ist wie die „zwischen dem Meere und dem Strand“ (SU[3], S.173). Obwohl diese Beziehung so beschaffen ist, bedeutet das aber nicht, dass der Sehende in das Sichtbare aufgeht oder jenes in ihm übergeht. Es bleibt eine gewisse Differenz vorhanden, denn wäre das nicht der Fall, so würde das Sehen mit dem Verschwinden des Sichtbaren selber „im Augenblicke seiner Entstehung“ (ebd.) wegfallen. Allerdings darf man sich die Relation zu den sichtbaren Dingen auch nicht so denken, dass diese sich dem Betrachter erst nach einer gewissen Zeit in ihrer Identität zeigen und ferner nicht, dass jener eine verspätete Offenheit gegenüber ihnen entwickelt. Sie muss vielmehr nach Merleau-Pontys Auffassung in anderer Weise bedacht werden. Die Beziehung zu ihnen ist nämlich durch eine langsame Annäherung charakterisiert, die durch einen Blick vollzogen wird, dem zudem eine tastende Qualität innewohnt. Hierbei wird schon deutlich, dass er nicht zwischen dem visuellen und taktilen Sinn des Leibes trennt, sondern beide in einem Zusammenhang sieht, den es noch weiter zu beleuchten gilt. Das Verhältnis zwischen diesen stellt ja gerade eines der Kernthemen seines Textes dar. Zunächst bleibt er aber bei dem visuellen Sein des Leibes stehen und gibt dem Blick einen gedanklichen Vorzug. Für einen Phänomenologen ist das auch nicht untypisch, da dem Blick innerhalb der phänomenologischen Bewegung selber eine gesonderte Beachtung zu Teil wurde. Bei Sartre (1905-1980) beispielsweise wird ihm ein eigenes Kapitel in seinem Hauptwerk Das Sein und das Nichts (1943) gewidmet. Darin wird eine Theorie entwickelt, wie die Wahrnehmung bzw. der Blick die Beziehung zum Anderen gestaltet. So interessant diese auch klingt, für diesen Kontext reicht es aus zu wissen, dass Merleau-Pontys Überlegungen zum Blick zum Teil als eine Erwiderung auf Sartre gesehen werden müssen, dem er zunächst in Freundschaft verbunden gewesen war, später aber zu einem theoretischen „Antipoden“ wurde[4]. Außerdem muss berücksichtigt werden, dass die menschliche Wahrnehmung für Merleau-Ponty selber eines seiner philosophischen Hauptthemen ist, dem er mehrere Texte gewidmet hat. Exemplarisch steht dafür sein Hauptwerk Die Phänomenologie der Wahrnehmung (1945), das in zeitlicher Nähe zu Sartres genanntem Werk steht. In ihr entwickelt er wahrnehmungstheoretische Positionen, die er in seinem Spätwerk Das Sichtbare und das Unsichtbare teilweise selbstkritisch wieder aufnimmt, revidiert und erweitert. Somit sind die Reflexionen über den Blick nicht gänzlich neu, denn sie gehen teilweise in seine mittlere Werksphase zurück. Was sagt Merleau-Ponty jedoch über diesen Blick, hier in seinem Spätwerk ? Was kennzeichnet ihn? Der Blick enthüllt nicht nur die Dinge, er verhüllt sie zugleich (ebd.), und gerade deshalb kann man sie nie „ganz nackt“ sehen. Diese gedankliche Figur, dass eine Sache gleichzeitig entdeckt und verdeckt werden kann, findet man auch bei Heidegger [5] und erfährt eine Erklärung innerhalb seiner Daseinskonzeption, die allerdings an dieser Stelle nicht behandelt werden kann. Ob dieses Motiv bewusst aus seiner Rezeption Heideggers hier Eingang gefunden hat, bleibt jedoch offen. Als Charakteristikum des phänomenologischen Denkens seit Heidegger sollte es dagegen gewertet werden. Auffallend an diesem Punkt ist, dass das umhüllende Moment des Blickes nicht zu einer völligen Verbergung des gesehenen Dinges führt, was vielleicht zu vermuten wäre. Nur kann seine „Nacktheit“ nicht erfasst werden. Des Weiteren ist wichtig, dass Merleau-Ponty die Umhüllung des Dinges als eine „Bekleidung“ desselben durch das „Fleisch“ des Blickes (ebd.) interpretiert. Was er aber unter diesem genau versteht, soll fürs erste noch zurückgestellt und zu einem gegebenen Moment erklärt werden. Neben den bisher genannten Eigenschaften des Blickes führt er noch andere auf. Dieser wird nämlich als eine „Einkörperung des Sehenden in das Sichtbare“ (ebd.) von ihm verstanden. „Einkörperung“ meint hier, dass durch dem Blick die Möglichkeit gegeben ist, sich auf die sichtbaren Dinge wie ein „verlängerter“ Arm zu erstrecken und sie damit mit dem Körper in Berührung zu bringen, sie zu verleiblichen. Insofern spricht Merleau-Ponty in einer gewagten Formulierung davon, dass die Dinge „Modell meines Leibes“ (ebd.) sind, was nichts als die Einwirkungsart desselben auf sie verdeutlichen soll. Der Leib modelliert sie mit seinem Blick. Anderseits ist die umgekehrte Richtung genauso gegeben, denn die Dinge formen in gleicher Weise den Leib, er ist „Modell“ derselben. Merleau-Ponty ist sogar der Auffassung, dass diese selber auf den Betrachter zurückblicken, sie selber somit über einen eigenen Blick verfügen und ihr „Gesehen-Sein“ nicht ihr eigentliches Sein wiedergibt[6]. Dieses wechselseitige Verhältnis von Blicken und Zurückblicken spielt auf das Motiv der Verflechtung an, welches das Thema des vierten Kapitels seines Buches ist. Es wird im Folgenden noch weiter ausgearbeitet, damit es in seiner vollen Tragweite erkannt werden kann. Seine Wichtigkeit zeigt sich darin, dass Merleau-Ponty immer wieder darauf zurückkommt[7]. Die Wahrnehmung von Dingen ist freilich nicht das einzige, was Merleau-Ponty in diesem Rahmen interessiert. Es ist auch das Sehen von Farben, dem er seine Aufmerksamkeit widmet. Welchen Status haben aber diese Farben für ihn und warum zählt er sie nicht zu den Dingen? Nach traditioneller Auffassung, so Merleau-Ponty, ist eine Farbe wie Rot ein quale (SU, S.174). Der lateinische Terminus quale, dessen Pluralform qualia lautet, bezeichnet eine erlebte Sinnesqualität. So wie der Leib eine Farbe wahrnimmt, so hört er auch einen Ton. Dieser ist dann ebenfalls ein quale, und zwar deshalb, weil er wie die Farbe auf den Leib einen sinnlichen Reiz ausübt, der ihn empfindet[8]. Die traditionelle Sichtweise ist für ihn aber nicht sehr gewinnbringend, da sie für dieses Phänomen nur eine reduktionistische Erklärung bietet. Warum man von einem Reduktionismus sprechen kann, versucht er anhand gewisser Ausführungen über die Farbe Rot zu verdeutlichen. Nach Ansicht der Tradition ist es so, dass das Sehen der Farbe Rot zu einem endgültigen Wissen über das quale und seiner „Botschaft“ führt, vorausgesetzt man „empfängt“ sie. Der Vorgang der Farbwahrnehmung wird von Merleau-Ponty aber noch eingehender beschrieben, um dadurch seine Komplexität zu verdeutlichen. Denn es ist nicht einfach so, dass man dieses Rot schon von Anbeginn an sieht. Vielmehr muss es erst aus einer „undeutlicheren und allgemeineren Röte“ emporsteigen, damit dieses quale an sich betrachtet werden kann, was im Übrigen noch keine Widerlegung der traditionellen Sichtweise darstellt. Das quale befindet sich damit in einem farblichen Kontext. Und dieser nimmt den Blick zuerst in seine Gefangenschaft, „bevor er das quale fixierte“. Insofern gibt es eine Reihenfolge der Wahrnehmung: zunächst der Kontext und dann das quale selbst. Der Blick kann nach der Vertiefung in den farblichen Kontext sich in dieses Rot selbst vertiefen. Diese wird erst wieder aufgehoben, wenn der Blick sich einem neuen Gegenstand widmet. Sobald dies geschieht, bekommt das quale „seine frühere atmosphärische Existenz“ zurück. Es ist letztlich dadurch charakterisiert, dass es über eine „deutliche Gestalt“ verfügt, die allerdings mit einer weniger deutlichen, einer „wolligen“ Textur[9] verbunden ist. Der Unterschied liegt somit zwischen einem bestimmten Rot, was nichts an visueller Deutlichkeit vermissen lässt, und einer „allgemeineren“ rötlichen Umgebung, von dem es zwar abhängig ist, sie selber jedoch in einer kennzeichnenden Unbestimmtheit verbleibt. Dies ist ein erster Aspekt, auf den es Merleau-Ponty bei der Farbwahrnehmung ankommt und den er im Rahmen seiner Phänomenologie genauer dargelegt hat. Damit sind aber noch nicht alle genannt. „Dieses“ Rot tritt beispielweise auch mit anderen „Rottönen der Umgebung“ auf und steht in Beziehung zu diesen. Das ist kein Nachteil, da dadurch seine „Eigenart“ entwickelt wird. Die Beziehung zu den anderen Farben ist von Dominanz geprägt (ebd.), da „dieses Rot“ sie dominieren kann oder es von ihnen dominiert wird. Deshalb lässt sich genauso von einem Kontrasteffekt sprechen, der indes nur möglich ist, weil alle Rottöne gleichzeitig auftreten können. Dieser Punkt der Gleichzeitigkeit wird von Merleau-Ponty in der für ihn typischen Metaphernsprache hervorgehoben, denn er legt die Betonung darauf, dass dieses Rot „einen gewissen Knoten im Gefädel des Simultanen und des Sukzessiven“ (ebd.) bildet. Es ist aus seiner Sicht eine „Konkretisierung der Sichtbarkeit“ und kann daher kein Atom sein. Als drittes Beispiel, um den komplexen Charakter der Farbwahrnehmung zu veranschaulichen, wählt er das „rote Kleid“ (ebd.). Dieses unterscheidet sich von den anderen roten Dingen dadurch, dass es sich im Felde derselben besonders hervorhebt und selbst im „Feld der roten Kleider“ eine „Markierung“ ist. Zu letzterem zählt er neben Frauenkleidern ebenso die Roben von Bischöfen, Richtern, Professoren[10] usw. Worauf er an dieser Stelle ebenfalls Wert legt, ist die Tatsache, dass die „Röte des Kleides“ nicht dieselbe bleibt, sondern je nachdem, in welchem Kontext man sich befindet, sich verändert. Das Festhalten an einer Farbkonstanz wäre dementsprechend nicht adäquat. Das Rot eines Frauenkleides oder das einer Richterrobe können für ihn nicht identisch sein, gerade da sie in unterschiedlichen Kontexten auftreten. Das hält ihn allerdings nicht davon ab, es zum „Webstoff“ des sichtbaren und unsichtbaren Seins[11] zu zählen (ebd.). Ein letzter Aspekt seines mehrteiligen Farbarguments, der von ihm jedoch recht kurz gehalten wird, ist der Vergleich eines bestimmten Rots mit einem „Fossil“ (SU, S.175), welches aus dem „Untergrund“ einer imaginären Welt hervorgeholt werden müsste. Der Vergleich mit einem Fossil soll zeigen, dass ein bestimmtes Rot so in der Wirklichkeit nicht auftritt, es selber damit ein Produkt der Einbildungskraft, der Imagination ist und keinen konkreten Anhalt in der Außenwelt hat. Nachdem Merleau-Ponty sein Argument in mehreren Schritten derart aufgebaut hat, kommt er nun zur entscheidenden Konklusion. Denn sofern man zugesteht, dass die Farbwahrnehmung in der Weise funktioniert, wie er sie beschrieben hat, kann man nicht mehr behaupten, so wie die Tradition es tut, dass eine „bloße Farbe“ wie Rot z.B. und auch nicht etwas Sichtbares einem absolut harten und unteilbaren Stuck „Sein“ gleichkommt, welches sich mit einem „Blick“ in seiner Gänze erfassen lässt. Die Sache muss in anderer Weise begriffen werden, denn die Farbe ist in seiner Sprache ausgedrückt eher (ebd.):

„eine Art Engführung zwischen stets aufklaffenden äußeren und inneren Horizonten, etwas, das verschiedene Regionen der Farbenwelt und der sichtbaren Welt sanft berührt und sie von weitem anklingen lässt, eine bestimmte Differenzierung, eine ephemere Modulation dieser Welt (…) .“

Sie wird mit anderen Worten als eine Differenz gedacht, die zwischen den Dingen und den Farben besteht. Sie kann daher nicht Farbe im traditionellen Sinne mehr sein und darf auch nicht als Ding betrachtet werden. Vielmehr ist sie „augenblickliche Kristallisation des Farbigseins oder der Sichtbarkeit“ (ebd.). An dieser Differenz ist wichtig, dass sie nicht aus sich selber her besteht. Sie wird nämlich durch eine „Gewebe“ getragen und gefüttert, was Merleau-Ponty auch das „Fleisch der Welt“ nennt. Und dieses ist selbst kein Ding, wie er im gleichen Atemzug klarstellt, da dieses Fleisch selber noch die Dinge „unterfüttert“. Bisher wurden damit erste Grundzüge der menschlichen Wahrnehmung deutlich, die für Merleau-Ponty besonders in dem Betrachten von Dingen und Farben liegen. Diese sind wiederum auf ein „Fleisch“ angewiesen sind, um entsprechend wahrgenommen werden zu können. Das es sich erst um grundlegende Charakteristika der Wahrnehmung hier handelt, sollte inzwischen ersichtlich sein. Merleau-Ponty wird seine Reflexionen über das Sehen, den Blick, das Sichtbare und das Unsichtbare in verschiedenen Kontexten wieder vertiefend aufnehmen und so wird ihm in dieser Hinsicht auch gefolgt. Die Thematik der Wahrnehmung[12] und ihre Beziehung zum taktilen Sein des Leibes ist damit erst von ihm eröffnet worden. Dass er dem Tastsinn eine größere Bedeutung zumisst als bisher angenommen, wird im Folgenden noch gezeigt werden.

[...]


[1] Der von Descartes ausgehende Dualismus steht vereinfacht gesagt für ein an den Kategorien Subjekt und Objekt orientiertes Denken, das Merleau-Ponty mit seiner Philosophie aufheben will, wie im Folgenden noch gezeigt werden soll.

[2] Dieses hat den Titel Die Verflechtung - Der Chiasmus.

[3] Die Abkürzung SU steht von nun an für sein Buch Das Sichtbare und das Unsichtbare.

[4] Hierzu ist noch zu bemerken, dass auch in Husserls Werk die Wahrnehmung eine Thematisierung erfährt. In den Passagen aus den Cartesianischen Meditationen beispielsweise, in denen er seine Intersubjektivitätstheorie entwickelt, wird neben der Wahrnehmung des Anderen zugleich die der Dinge behandelt und dabei auch die Rolle des Blickes von ihm diskutiert. Husserl, mit dessen Werk Merleau-Ponty gut vertraut war, ist die inspirative Quelle für seine Phänomenologie der Wahrnehmung. Diese ist eine kritische Fortführung des husserlschen Ansatzes.

[5] Vgl. Martin Heidegger, Sein und Zeit, S.222.

[6] Vgl. dazu auch Bernhard Waldenfels, Das leibliche Selbst (2000, S.387f.): „Es beginnt damit, daß etwas sichtbar wird und an unser Sehen appelliert. Man kann hinzufügen, daß nicht nur Andere uns anblicken; es gibt Äußerungen von Malern, auf die Merleau-Ponty mehrfach anspielt, die besagen: die Dinge selber blicken mich an, sie gehen mich an (von mir hervorgehoben, F.F.). Das klingt nach bloßer Metaphorik. Betrachten wir die Dinge wie Personen, dann können auch sie gucken; nehmen wir das wörtlich, so enden wir, so scheint es, beim Animismus, bei einer Personalisierung von Dingen (von mir hervorgehoben, F.F.). Doch dem widerspricht der Umstand, daß ich das Sehen nicht einfach in der Hand habe. Auch die Dinge schauen mich an, das heißt: die Initiative geht nicht einfach von mir aus, sondern «etwas wird sichtbar». Wenn etwas mir auffällt, so ist dies kein Akt, den ich vollziehe. Das steht bei fast allen Phänomenologen, und auch manch andere Theoretiker würden das nicht bestreiten. Die Frage ist nur, ob man daraus hinreichende Konsequenzen zieht. «Etwas fällt mir auf» heiß nicht: am Anfang steht ein Akt der Beobachtung, sondern in der Beobachtung versuche ich das, was mir auffällt, zu bestimmen, es einzukreisen. Deshalb ist es sozialpsychologisch einigermaßen naiv, von einem Beobachterstandpunkt (von mir hervorgehoben, F.F.) auszugehen. Der Beobachterstandpunkt ist schon ein sehr abgehobener Standpunkt (von mir hervorgehoben, F.F.), dem das Modell des Sehens als Akt oder aber eine funktionale Sehoperation zugrunde liegt.“

[7] An diesem Punkt muss darauf hingewiesen werden, dass bisher selbstverständlich mit einem ungeklärten Dingbegriff gearbeitet worden ist. Es soll hier, um Klarheit zu schaffen, auf eine Definition zurückgegriffen werden, die von Waldenfels stammt (2000, S.97). Er versteht unter demselben „ein Etwas, das konstante Eigenschaften hat, also relativ kontextunabhängig ist“. Das bedeutet nicht, dass es sich immer um die Wahrnehmung von Gegenständen handeln muss. Das Sehen von Dingen als Gegenstände kann aber in der Wahrnehmung vorkommen.

[8] Die Empfindung von Reizen wird philosophiegeschichtlich in bedeutender Weise von David Hume (1711-1776) thematisiert. Dieser wird dem englischen Empirismus zugerechnet. Empirismus ist grob gesagt eine erkenntnistheoretische Position, die alle Erkenntnis auf Erfahrung zurück führen will. Eine besondere Form desselben ist der moderne Sensualismus, der das Fundament der Erkenntnis in der Sinneswahrnehmung, letztlich in den physiologischen Reizen sieht. Warum wird das so ausführlich hier dargestellt? Nun, weil Merleau-Ponty sich mit seiner Konzeption auch gegen die empirisch-sensualistische Sichtweise stellt. Die Farbe Rot wäre für den Empiriker Hume eine empfundene Sinnesqualität, ein Zustand, in dem sich der Leib befindet. So argumentiert er jedenfalls in seinem Traktat über die menschliche Natur (2000, S.47). Ohne die Kenntnis dieses philosophiegeschichtlichen Hintergrundes, der allerdings in diesem Kontext nur oberflächlich behandelt werden kann, ist nicht zu verstehen, wovon sich Merleau-Ponty mit seiner Sichtweise abgrenzen will. Diese Sichtweise begründet er im Rahmen seiner Spätphilosophie.

[9] Diese Textur ist nichts anderes als das Fleisch der Welt, wie noch im Weiteren gezeigt werden wird.

[10] Das Tragen von roten „Roben“ ist für Professoren heute nicht mehr üblich und deshalb ist dieses Beispiel dem damaligen zeitlichen Kontext geschuldet, aus der Merleau-Ponty selber heraus schreibt. Nur in diesem macht es Sinn.

[11] Warum er es ebenso mit dem unsichtbaren Sein in Verbindung bringt, kann erst verständlich werden, wenn die Beziehung des Sichtbaren zum Unsichtbaren erläutert wird.

[12] Bezüglich der Wahrnehmung muss an dieser Stelle noch ergänzend gesagt werden, dass Merleau-Ponty einerseits den wahrnehmungstheoretischen Positionen Edmund Husserls folgt, wie sie vom selbem in seiner Phänomenologie entwickelt worden sind, anderseits durch den noch ungeklärten Fleischbegriff über ihren Rahmen hinausgeht.

Ende der Leseprobe aus 37 Seiten

Details

Titel
Die Beziehung zwischen Leib und Welt in Merleau-Pontys "Das Sichtbare und das Unsichtbare"
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Philosophie)
Veranstaltung
Seminar
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
37
Katalognummer
V316635
ISBN (eBook)
9783668155909
ISBN (Buch)
9783668155916
Dateigröße
717 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Französische Philosophie im 20. Jahrhundert
Arbeit zitieren
Nils Gantner (Autor:in), 2008, Die Beziehung zwischen Leib und Welt in Merleau-Pontys "Das Sichtbare und das Unsichtbare", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/316635

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