Narzissmus - Thomas Manns "Felix Krull" als exemplarisches Zeichen der Selbstverliebtheit


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

26 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Gliederung

1. Mythologischer Hintergrund – der Narkissos

2. Begriffsdefinition des Narzissmus bei Sigmund Freud

3. Künstlertypus bei Thomas Mann

4. Analyse der Sekundärliteratur
4.1 Hans Wysling „Narzissmus und illusionäre Existenzform“ (in Auszügen)

Bibliographie

1. Mythologischer Hintergrund – der Narkissos

Der Narziss (griechisch Narkissos, lateinisch Narcissus) war in der griechischen Mythologie ein schöner Jüngling, der als Produkt einer Vergewaltigung des argivischen Flussgottes Kephissos an der Nymphe Leiriope entstand. Er war ein sehr schöner Jüngling, der die Liebe der Frauen als auch der Männer allesamt verschmähte. Der Seher Teiresias hatte ihm vorausgesagt, dass er so lange leben wird, bis er sich selbst kennen gelernt hätte (nach OVID, Metamorphosen 3.339-356). Ab hier gibt es unterschiedliche Geschichten, das Ableben des Narziss’ betreffend.

Nach einer Überlieferung verliebte sich die Nymphe Echo in ihn. Er aber erwiderte auch ihre Liebe nicht, und sie verging aus Liebe zu ihm zur bloßen Stimme. Daraufhin bestrafte Nemesis Narziss damit, dass er sich in sein eigenes Spiegelbild verlieben sollte. Dies geschieht an einer Quelle bei Thespiae, wo er sein eigenes Spiegelbild erblickt und sich unsterblich verliebt. Da ihm aber das Objekt seiner Liebe, sein eigenes Spiegelbild unerreichbar bleibt, verzehrt er sich vor Sehnsucht danach und verwandelt sich letztendlich in die nach ihm benannte Narzisse.

Einer anderen Überlieferung zufolge soll Narziss eine ihm völlig gleichende Schwester gehabt haben. Die beiden liebten sich innig und begleiteten sich überall hin. Als die Schwester starb, versuchte Narziss, sie ihn seinem eigenen Spiegelbild wiederzufinden. Da ihm dies nicht gelang, erstach er sich und aus seinem Blut entspross die Narzisse.

Nach dem mythologischen Vorbild sind also Narzissten jene Menschen, die mit außerordentlicher Schönheit ‚geschlagen’ sind, die sich aber aus eitler Angst vor der Öffentlichkeit nur mit Menschen umgeben, die ihnen nach dem Mund reden, wie ein Echo. Diese Menschen ‚blühen’ nur in ihrer Jugend, wie die Narzisse im Frühling, und verblühen schnell, ohne auch nur den Anschein zu erwecken, jemals da gewesen zu sein.

Literarisch ist der Stoff des Narziss eine relativ späte Erscheinung. Die erste literarische Gestaltung nahm Ovid in seinen „Metamorphosen“ vor. Oscar Wilde benutzte ihn als Grundlage für sein Werk „The picture of Dorian Gray“. Auch Rilke beschäftigte sich in drei seiner zahlreichen Gedichte ausführlich mit dem Mythos des Narziss. In Thomas Manns „Felix Krull“ wird nach Hans Wysling durch Verknüpfung mit dem Hermes – Mythos der „Triumph des Narziss“[1] erreicht.

2. Begriffsdefinition des Narzissmus bei Sigmund Freud

Der Narzisst ist unfähig irgendjemanden außer sich selbst zu lieben, da er befürchtet, wenn er sich darauf einließe, jemand anderen zu lieben, würde dieser eine unermessliche Macht über ihn bekommen. Da dieser Zustand für ihn unerträglich wäre, entzieht er sich gewissermaßen dieser für ihn bedrohlichen Außenwelt und fixiert sich auf sich selbst. Somit ist er aber nicht mehr fähig, zwischen ihm und anderen Menschen zu unterscheiden: für ihn ist alles eins. Er sucht das Objekt seiner Begierde genau da, wo es unerreichbar für ihn ist, in sich selbst. Das Grundproblem des Narzissten scheint also die mangelnde Fähigkeit zu lieben zu sein.

Der Begriff des Narzissmus wurde durch Sigmund Freud in die Psychoanalyse eingeführt und bezeichnet dort im Allgemeinen die libidinöse Besetzung des Ich beziehungsweise des Selbst. Freud unterscheidet grundsätzlich zwischen primärem und sekundärem Narzissmus. Der primäre ist als Bestandteil der prägenitalen Triebentwicklung zu sehen. Der sekundäre ist eine Regression: „Die Libido wird von den Außenweltobjekten abgezogen und wieder auf das Ich verlagert.“[2] Freud bezeichnet beispielsweise den schizophrenen Größenwahn als auch den ganz normalen Schlaf als einen narzisstischen Zustand, der Narzissmus ist für ihn eine Fixierung der sexuellen Energie an das Selbst.

Nach einer Definition der Amerikanischen Psychoanalytischen Vereinigung (Moore und Fine, 1967) ist der Narzissmus lediglich die ‚Konzentration seelischen Interesses auf das Selbst’ und ist hier weder etwas Krankhaftes noch werden die auf das Selbst gerichteten Interessen qualitativ bewertet. Der Begriff des Selbst spielt hier eine gewichtige Rolle und umfasst hier die Gesamtheit der seelischen und körperlichen Zustände einer Person, wie Erfahrungen, Bedürfnisse, Fähigkeiten oder Stimmungen. In der Psychoanalyse geht es aber meist um das Bild, das eine Person von sich selbst hat, was wiederum mehr oder weniger von der Realität abweicht. Ein Narzisst hat höchst irreale Selbstbilder von sich geschaffen und ist der festen Überzeugung, das diese auch der Realität entsprechen und ist somit nicht in der Lage, ein reales und angemessenes Selbst zu entwickeln. Es gibt zwei Seiten, die Charaktere eines Narzissten betreffend. Die eine ist eine stark ausgeprägte Liebe zu sich selbst, extreme Eitelkeit, Selbstbewunderung, Überheblichkeit, Arroganz und Angebertum. Die andere sind die tief verwurzelten Minderwertigkeitskomplexe dieser Menschen, die dann aufgrund dieser eine Mauer aus Überheblichkeit und Arroganz um sich herum errichten.

Nach Alice Miller ist Narzissmus eine Art „‚Erbkrankheit’, die besonders in solchen Familien grassiert, in denen Eltern ihre Kinder nicht wirklich lieben, sondern sie zur Befriedigung ihres eigenen frustrierten Geltungsbedürfnisses mißbrauchen. Die Zuneigung [dieser Eltern] beziehe sich nur auf die Schönheit, Klugheit, Begabung, auf die Erfolge und Leistungen ihrer Kinder [nicht auf die Persönlichkeit des Kindes an sich], die die Eltern zum Ersatz ihrer eigenen Selbstwertmängel benötigten. Im Grunde fühlen sich die derart narzißtisch besetzten Kinder und späteren Erwachsenen aber ungeliebt und können sich selbst nur dann akzeptieren, wenn sie ihre eigene Grandiosität mobilisieren und in Szene setzen können. Bleibt ihnen diese Möglichkeit im realen Leben aber versagt, versinken sie in bodenlose Depression und Scham.“[3] Alice Miller schlussfolgert, dass sich Narzissten aus eben diesen Gründen so behandeln und ihre eigenen Schwächen verdrängen, um die Einheit ihrer Psyche bewahren zu können.

Im Folgenden gehe ich vorwiegend auf „Die Einführung des Narzißmus“ von Freud von 1914 ein, da sich Thomas Mann vorwiegend mit ihr beschäftigte im Hinblick auf den auftretenden Narzissmus im „Felix Krull“.

In einer Anmerkung zu seiner 1905 erschienenen Schrift „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“ im Jahre 1909 beschreibt Freud den Narzissmus als ein Stadium der libidinösen Entwicklung Homosexueller. In der frühen Mutter – Kind – Phase, in der das Kind eine intensive Bindung mit der Mutter erlebt, unterscheidet das Kind nicht zwischen der Person der Mutter und seiner eigenen und identifiziert sich somit mit ihr. Für Freud schließt sich daran an, dass „sie sich dann ‚selbst zum Sexualobjekt nehmen, das heißt vom Narzißmus ausgehend jugendliche und der eigenen Person ähnliche Männer aufsuchen, die sie so lieben wollen, wie die Mutter sie geliebt hat.’ “[4] In seiner Abhandlung über den „Fall Schreber“ bezeichnet der Narzissmus „ein Stadium in der Entwicklungsgeschichte der Libido […], welches auf dem Wege vom Autoerotismus zur Objektliebe durchschritten wird.“[5] Die hier angesprochene Autoerotik bezeichnet die Ästhetik des Selbstwertgefühls, welche die zurückgenommene Leidenschaft der Wahrnehmung am Körper, besonders in den Regungen des eigenen Körpers zurückgewinnt.

In seiner entscheidenden Schrift zum Narzissmus unternimmt Freud eine „metapsychologische Fundierung“[6] desselben. Freud verwendet den Begriff des Narzissmus für vier verschiedene Phänomene:

1. in klinischer Hinsicht, um die sexuelle Perversion zu beschreiben, bei der der eigene Körper als Sexualobjekt gesehen wird; dazu in Freuds Narzissmusarbeit:

„Der Terminus entstammt der klinischen Deskription und ist von P.[aul] Näcke 1899 zur Bezeichnung jenes Verhaltens gewählt worden, bei welchem ein Individuum den eigenen Leib in ähnlicher Weise behandelt wie sonst den eines Sexualobjektes, ihn also mit sexuellem Wohlgefallen beschaut, streichelt, liebkost, bis es durch diese Vornahmen zur vollen Befriedigung gelangt. In dieser Ausbildung hat der Narzißmus die Bedeutung einer Perversion, welche das gesamte Sexualleben der Person aufgesogen hat, und unterliegt darum auch den Erwartungen, mit denen wir an das Studium aller Perversionen herantreten.“[7]

2. in einem genetischen Zusammenhang zur Beschreibung eines psychischen Entwicklungsstadiums, des sogenannten primären Narzissmus:

In diesem Stadium konzentriert sich das Interesse des Kindes noch komplett auf sich selbst, es unterhält keinerlei Objektbeziehungen. „Es lebt in einer symbiotischen Einheit mit der Mutter, ohne diese jedoch als von sich getrennte Person wahrnehmen zu können.“[8] Dieser Zustand wird als vollkommen empfunden, ist jedoch nur von kurzer Dauer. Durch dieses Ende des Ideals wird eine Sehnsucht nach diesem vollkommenen Zustand erzeugt, wodurch der Mensch sich laut Freud eine andere Instanz schafft, und zwar das Idealich, dem nun wiederum die Liebe gilt, quasi als Ersatzbefriedigung. In diesem sogenannten sekundären Narzissmus wird die Liebe von bereits durch sie besetzten Objekten abgezogen und wieder auf das Selbst verlagert, „es handelt sich dabei also um einen narzißtischen Rückzug von Libido“[9].

3. die Beziehung zwischen dem Selbst und anderen Objekten:

Freud beschreibt hier zwei Erscheinungen: einmal den Typ der Objektwahl und die Art, mit der Welt in Beziehung zu treten. Es werden zwei Typen unterschieden. Der erste ist der sogenannte Anlehnungstyp, der sich nach dem primären Objekt, also der Mutter, richtet. Danach liebt man dann entweder die nährende Frau oder den schützenden Mann. Beim zweiten Typ ist die Triebentwicklung gestört und man wählt sein Objekt nicht nach dem Vorbild der Mutter, sondern nach seiner eigenen Person. Dieser Typ wird der narzisstische Typ der Objektwahl genannt; solch ein Mensch liebt was er selbst ist, selbst war, selbst sein möchte oder die Person, die ein Teil der eigenen war. Es ist nicht untypisch, dass die reale Partnerwahl eine Mischung beider Typen beinhaltet. Männer neigen allerdings eher zum Anlehnungstyp, währenddessen die Frau dazu tendiert, ihren Partner nach dem narzisstischen Typ zu wählen. Die Art mit der Welt in Beziehung zu treten, wird beim Narzissten durch einen Mangel an Objektbeziehungen gekennzeichnet; er zieht sich von den Objekten zurück in sich selbst. Freud führte Beispiele von Erkrankungen an, die dieses Muster aufweisen, wie zum Beispiel Schizophrenie, körperliche Erkrankungen, Hypochondrie oder den Schlaf (letzteres ist in der Fachwelt allerdings äußerst umstritten).

4. die Beschreibung und Erklärung verschiedener Ausprägungen des Selbstwertgefühls, welches von der Qualität der Besetzung durch die Libido abhängig ist. Das Entscheidende hierbei ist das Ziel der Besetzung, also das Verhältnis zwischen Besetzung der Libido von Objekten im Verhältnis zur Besetzung des Selbst durch die Libido.

„Alle genannten Zustände wurden theoretisch so begriffen, als repräsentierten sie jene Libidoverteilung, bei der das Selbst zum Objekt genommen wird. Das Interesse bzw. die Energie, die eigentlich dem Objekt gebührt, bleibt entweder im Selbst oder wird wieder auf das Selbst zurückgezogen.“[10] Wenn die Energie im Selbst verbleibt, spricht Freud vom primären Narzissmus, im anderen Falle, wenn also diese Energie auf das Selbst zurückgezogen wird, vom sekundären Narzissmus. Wie bereits früher erwähnt, konzentriert sich die Libido beim primären Narzissmus komplett auf das Selbst, was auch Grundlage für eine gesunde geistige Entwicklung ist. Nach und nach besetzt die Person verschiedene Objekte mit seiner Libido, somit wird die Ichlibido zur Objektlibido. Aber je mehr Liebe der Mensch an andere Objekte abgibt, desto weniger verbleibt im eigenen Selbst. Wenn nun diese Liebe wieder von den Objekten abgezogen, und auf das eigenen Selbst konzentriert wird, spricht Freud vom sekundären und krankhaften Narzissmus, den er hier sogar dem Größenwahn gleichsetzt.

„Grundlage aller Narzißmen sowie des Ich – Ideals und des Selbstwertgefühls ist das kindliche Allmachtsgefühl des primären Narzißmus.“[11]

[...]


[1] siehe Bibliographie; Nummer 2; Seite 6

[2] „Narzissmus“, Microsoft ® Encarta ® 99 Enzyklopädie. © 1993 – 1998 Microsoft Corporation

[3] siehe Bibliographie; Nummer 4; Seite 70/71

[4] siehe Bibliographie; Nummer 4; Seite 72, 1. Absatz

[5] siehe Bibliographie; Nummer 4; Seite 72, 4. Absatz

[6] siehe Bibliographie; Nummer 4; Seite 73, 3. Absatz

[7] siehe Bibliographie; Nummer 4; Seite 76, 1. Absatz

[8] siehe Bibliographie; Nummer 4; Seite 76, 3. Absatz Mitte

[9] siehe Bibliographie; Nummer 4; Seite 77, 2. Absatz

[10] siehe Bibliographie; Nummer 4; Seite 79, 5. Absatz

[11] siehe Bibliographie; Nummer 5; Seite 46

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Narzissmus - Thomas Manns "Felix Krull" als exemplarisches Zeichen der Selbstverliebtheit
Hochschule
Universität Erfurt
Veranstaltung
Antike Urbilder in der europäischen Literatur
Note
1,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
26
Katalognummer
V31673
ISBN (eBook)
9783638325974
ISBN (Buch)
9783638651370
Dateigröße
593 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Narzissmus, Thomas, Manns, Felix, Krull, Zeichen, Selbstverliebtheit, Antike, Urbilder, Literatur
Arbeit zitieren
Claudia Wipprecht (Autor:in), 2004, Narzissmus - Thomas Manns "Felix Krull" als exemplarisches Zeichen der Selbstverliebtheit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/31673

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