Nachdem der EuGH am 16. Juni 2015 sein Urteil über ein etwaiges OMT-Programm der EZB gefällt und dieses mit dem EU-Recht für vereinbar erklärt hat, ist keineswegs alles geklärt. Insbesondere die Frage, wie das BVerfG auf die gegenläufige Auslegung des EuGH reagieren wird und welche Folgen damit verknüpft sind, wird in dieser Arbeit analysiert. Das BVerfG hat sich in seiner Vorlage nämlich eine abweichende Letztentscheidung vorbehalten, sollte der EuGH das OMT-Programm für uneingeschränkt mit dem EU-Recht vereinbar halten. Das Verfahren und dessen letztlicher Ausgang sind folglich von großer Relevanz für das Verhältnis der beiden Gerichte und beispielhaft für deren Selbstverständnis bei der Prüfung von Unionsrecht. Neben der Kontrollkompetenz des EuGH, der Rolle und dem Mandat der EZB werden ebenfalls die Interpretationen des Art. 123 AEUV diskutiert. Die zentrale Fragestellung der Arbeit lautet: Wer darf letztlich über einen ausbrechenden Rechtsakt entscheiden, falls ein solcher vorläge? Anhand der Analyse des OMT-Verfahrens wird dargelegt, welche Argumente der beiden Gerichte in Bezug auf die ultra-vires-Kontrollkompetenz überzeugender sind, ob eine umfassende Kontrolle aller Staatsgeschäfte überhaupt sinnvoll ist und welche die wahrscheinlichste Reaktion des BVerfG auf das EuGH-Urteil ist.
Kommentar von Prof. Dr. Dr. h.c. Christian Tomuschat:
"Ehe die Autorin sich mit dem konkreten Rechtsfall auseinandersetzt, [...] stellt sie zunächst das gegenseitige Verhältnis zwischen deutschem und europäischem Recht vor, porträtiert die EZB und ihre Aufgaben und führt schließlich die ultra-vires-Doktrin ein. Bei der Untersuchung der Rechtssache C-62/14 wird zunächst der Vorlagebeschluss des BVerfG gewürdigt, es folgt eine ausführliche Zusammenfassung der Schlussanträge von Generalanwalt Cruz-Villalón sowie des Urteils des EuGH. All dies wird sehr kompetent resümiert, was nicht leicht war, da alle drei Dokumente sehr ausführlich gehalten sind. Alsdann kann sich die Autorin voll entfalten, da es nun darum geht, den weiteren Gang der Ereignisse zu prognostizieren. Der Leser ist überrascht und beeindruckt, wie gut der Autorin dies gelingt. Geradezu mit Meisterschaft werden die Gesichtspunkte erörtert, die für den einen oder den anderen Weg sprechen. Die Ausführungen liegen weit über dem Niveau einer üblichen Masterarbeit. Auch einem erfahrenen Jurist würde es schwerfallen, zu der konkreten Problematik einen höheren Grad konstruktiver Gedankenarbeit zu erreichen."
Inhaltsverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis
- 1 Einleitung
- 2 Das Verhältnis zwischen nationalem und europäischem Recht sowie BVerfG und EuGH
- 2.1 Der unionsrechtliche Anwendungsvorrang
- 2.2 Die Vorlagepflicht des BVerfG im Vorabentscheidungsverfahren
- 3 Die EZB und ihre Rolle in der EU
- 3.1 Rechtsstellung und geldpolitisches Mandat der EZB
- 3.2 Das Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung
- 3.3 Geldpolitische Maßnahmen in der Finanzkrise: Die OMT-Beschlüsse
- 4 Die ultra-vires-Doktrin
- 4.1 Die ultra-vires-Lehre im Europa- und Völkerrecht
- 4.2 Das Selbstverständnis des BVerfG in der ultra-vires-Kontrolle
- 5 Die Rechtssache C-62/14
- 5.1 Vorlagebeschluss des BVerfG
- 5.1.1 Überschreitung des Mandats der EZB
- 5.1.2 Verstoß gegen das Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung
- 5.1.3 Berufung der EZB auf die Störung des Transmissionsmechanismus
- 5.1.4 Möglichkeit zur unionsrechtskonformen Auslegung
- 5.1.5 Ultra-vires-Vorbehalt
- 5.2 Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón
- 5.2.1 Zum Letztentscheidungsvorbehalt des BVerfG
- 5.2.2 Zum Vorwurf der Mandatsüberschreitung der EZB
- 5.2.3 Zum Verstoß gegen das Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung
- 5.2.4 Vorschlag zur Beantwortung der Vorlagefragen
- 5.3 Urteil des EuGH
- 5.3.1 Zum Letztentscheidungsvorbehalt des BVerfG
- 5.3.2 Vereinbarkeit des OMT-Programms mit dem Mandat der EZB
- 5.3.3 Vereinbarkeit mit dem Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung
- 5.3.4 Ergebnis
- 6 Nach dem EuGH-Urteil
- 6.1 Überzeugungskraft der Argumente
- 6.1.1 Zielsetzung
- 6.1.2 Wahl der Mittel
- 6.2 Weitere Kritik am Vorlagebeschluss des BVerfG
- 6.2.1 Offensichtlichkeit
- 6.2.2 Verfahrenszugang nach Art. 38 GG
- 6.3 Grenzen der Gerichtsbarkeit
- 6.4 Die Frage des letzten Wortes
- 6.5 Mögliche Reaktionen des BVerfG
- 7 Fazit
- Die Rolle des BVerfG und des EuGH im europäischen Rechtsrahmen
- Die Rechtsgrundlage des OMT-Programms
- Die Anwendung der ultra-vires-Doktrin im europäischen Recht
- Die Bedeutung des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts
- Die Grenzen der Gerichtsbarkeit im europäischen Integrationsprozess
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Masterarbeit analysiert den Beschluss des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Rechtssache C-62/14, der sich mit der Frage des Mandats der Europäischen Zentralbank (EZB) im Rahmen des Outright Monetary Transactions (OMT)-Programms befasst. Die Arbeit untersucht die Argumentation des EuGH im Detail und diskutiert die möglichen Folgen für die Beziehungen zwischen den nationalen Verfassungsgerichten und dem EuGH.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik des OMT-Programms und die damit verbundenen rechtlichen und ökonomischen Debatten ein. Kapitel 2 beleuchtet das Verhältnis zwischen nationalem und europäischem Recht sowie die Rolle des BVerfG und des EuGH. Kapitel 3 beschreibt die Rechtsstellung und das geldpolitische Mandat der EZB sowie das Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung. Kapitel 4 befasst sich mit der ultra-vires-Doktrin und ihrer Anwendung im Europa- und Völkerrecht. Kapitel 5 analysiert die Rechtssache C-62/14, den Vorlagebeschluss des BVerfG, die Schlussanträge des Generalanwalts und das Urteil des EuGH. Kapitel 6 diskutiert die Überzeugungskraft der Argumente des EuGH sowie weitere Kritikpunkte am Vorlagebeschluss des BVerfG. Schließlich fasst das Fazit die wichtigsten Erkenntnisse der Arbeit zusammen.
Schlüsselwörter
Die Masterarbeit befasst sich mit den Themen des Europäischen Rechts, insbesondere des Unionsrechts, der Europäischen Zentralbank (EZB), des Outright Monetary Transactions (OMT)-Programms, des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), der ultra-vires-Doktrin, dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts und dem Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung. Die Arbeit analysiert die juristischen und ökonomischen Aspekte des OMT-Programms und diskutiert die Auswirkungen des EuGH-Urteils auf die Beziehungen zwischen den nationalen Verfassungsgerichten und dem EuGH.
- Quote paper
- Larissa Naujoks (Author), 2015, Das OMT-Programm der EZB unter gerichtlicher ultra-vires-Kontrolle, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/316777