Heinrich von Kleists "Die Herrmannsschlacht" als operatives Geschichtsdrama

Literarische Darstellung der Möglichkeit eines erfolgreichen nationalen Volks- und Befreiungskrieges


Hausarbeit, 2013

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Einordnung des Dramas in den zeitgenössischen Kontext und in das Werk Heinrich von Kleists
2.1. Erschütterungskunst und literarischer Markt
2.2. Stofftradition und Hermann-Mythos
2.3. Vernetzung der Diskurse - Die Katastrophe von Jena/ Auerstedt und die preußische Heeresreform

3. Die Herrmannsschlacht zwischen Propaganda und Metapropaganda
3.1. Die Herrmannsschlacht als Propaganda
3.2. Poetische Reflexion über Propaganda - Drama der Metapropaganda

4. Die Folgen des totalen Krieges - eine private Tragödie
4.1. Herrmann - Held oder Verbrecher?
4.2. Thusnelda - von der Anwältin der Humanität zur Bärin

5. Schlussbetrachtungen

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Herrmannsschlacht gilt als Heinrich von Kleists Skandalstück und als Skandalon der Kleist-Rezeption.[1] Die Interpreten schwanken zwischen einer ablehnenden Haltung, die in Friedrich Gundolfs Diktum vom "Hohelied des dämonischen Hasses"[2] gipfelt, und der Verteidigung des Dramas als notwendiges Übel unter den Bedingungen eines totalen Befreiungskrieges gegen einen übermächtige Kolonialmacht.[3] Neuere Forschungsbeiträge betonen mehr den Charakter als "operatives Geschichtsdrama"[4], das zeitgenössische Diskurse vernetzt, um daraus eine literarische Handlungsanweisung für einen erfolgreichen Volkskrieg gegen einen verhassten Besatzer zu entwickeln.[5] Wolf Kittler sieht in Kleists Die Herrmannsschlacht die literarische Umsetzung der Theorie des Partisanenkrieges, wie er im Juli 1808 in Spanien mit großem Erfolg gegen Napoleon geführt wurde, und die dramatische Inszenierung der militärischen Theorien eines Volkskrieges, wie sie von den preußischen Heeresreformern Scharnhorst, Gneisenau und Clausewitz vertreten wurden.[6]

Ziel dieser Hausarbeit ist es aufzuzeigen, wie Heinrich von Kleist zeitgenössische Diskurse literarisch aufbereitet und umsetzt. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf dem militärischen Diskurs einer staatlich organisierten Insurrektion eines geeinten deutschen Volkes in Waffen.[7] Kleist zeigt anhand seines Dramentextes die Möglichkeit einer erfolgreichen staatlich organisierten Insurrektion eines bewaffneten, Schulter an Schulter mit regulären staatlichen Truppen kämpfenden vereinten Volkes. Dabei zeigt Kleist seinen Herrmann nicht als den handelnden Kriegerfürsten, sondern als Intellektuellen, der mit Sprache und Theorie wirkt und andere zum Handeln bewegen will.[8] Kleist reflektiert mithin den Beitrag eines Dichters oder Intellektuellen zum Freiheitskampf.[9] Zum militärisch-politischen Diskurs gehört auch Propaganda als Waffe einer asymmetrischen Kriegsführung und der Umgang mit den Folgen eines totalen Krieges ("verbrannte Erde").

Darüber hinaus soll verdeutlicht werden, dass das Drama trotz allem Zeitbezug nichts an Aktualität eingebüßt hat. Unter Aktualität wird hierbei die Spiegelung von Momenten des Jetzigen in fremder Gestalt, z.B. in den poetischen Figuren und in der historischen Handlung des Dramas, verstanden.[10] Gerade der dramatisch inszenierte Propaganda-Partisanenkrieg, der mit unvergleichlicher Grausamkeit und grenzenlosem Hass geführt wird, ist in Zeiten von insurgency und der omnipräsenten Bedrohung durch Terrorismus aktueller denn je. Kleist stellt Propaganda als Mittel asymmetrischer Kriegsführung und deren literarische Verarbeitung kritisch reflektiert dar.

Ferner werden die Folgen eines totalen Partisanenkrieges für die an ihm beteiligten Individuen diskutiert. Hier wird das moralische Drama im Privaten aufgezeigt und Kleists Dramentext befragt, ob der Zweck alle Mittel heiligt.[11] Die persönliche Seite des Dramas liegt dabei in der Verwilderung des Menschen und in dem Verlust des Humanen in Zeiten des Krieges. Dazu wird die Figur des Herrmanns zwischen den Polen des Helden und des Verbrechers diskutiert und Thusneldas Wandlung von einer Anwältin der Humanität hin zu einer menschenzerfleischenden Bärin erörtert.[12]

In den Schlussbetrachtungen soll aus einer Zusammenfassung der Hauptthesen heraus nachgewiesen werden, dass die ästhetische Schönheit von Kleists Drama weniger in seiner klassischen Zeitlosigkeit, sondern in der Vernetzung von Diskursen liegt, die auch heute nichts von ihrer Brisanz und Tagesaktualität eingebüßt haben.[13]

2. Einordnung des Dramas in den zeitgenössischen Kontext und in das Werk Heinrich von Kleists

2.1. Erschütterungskunst und literarischer Markt

Alleinstellungsmerkmal für Kleists Werke ist, dass sie um Zusammenbruch kreisen. Der Zusammenbruch von Ordnungen, von Religions- und Rechtssystemen, von Gesellschafts- und Familienstrukturen wird in ihnen verhandelt. Franz M. Eybl prägte dafür den Begriff der Erschütterungskunst.[14] Eybl nennt drei Erklärungsansätze für die Singularität von Kleists poetologisch aus Selbstaussagen nicht ableitbare Poetik der Erschütterung.[15] Zum Einen ist dies Kleists biographische Krisensituation, die bedingt durch seine Schüchternheit, sein Stottern und seine Lebensuntüchtigkeit für sein Scheitern mitverantwortlich war. Ferner kann man die aus den Texten sprechende Erschütterung auch mit der epistemologischen Erschütterung des Wahrheitsbegriffes erklären, die wesentlich durch Kleists "Kant-Krise" mitbestimmt wurde. Und schließlich ist die Poetik der Erschütterung auch Ausdruck für Kleists Überzeugung, dass literarische Mimesis unmöglich ist. Kleist hat deshalb in seinen Texten die Welt verschwommen, im Einsturz begriffen, auf eine Katastrophe zusteuernd und unaufhebbar widersprüchlich dargestellt. Alle drei Erklärungsansätze sind zugleich aber auch Signaturen der Epoche, in der Kleist lebte und wirkte.[16]

Letztendlich bleibt Kleists Werk seinen Zeitgenossen unverständlich und wird verstörend empfunden. Praktisch hatte dies Konsequenzen für den auf Broterwerb angewiesenen Berufsschriftsteller und den sich nach Anerkennung sehnenden Künstler.[17] Kleist selbst reflektiert dies in einem Brief an Cotta vom Juli 1808[18], in dem er sich als Schriftsteller bezeichnet, "den die Zeit nicht tragen kann"[19]. Wollte Kleist seine finanzielle Situation und sein Ansehen als Künstler zumindest zur persönlich akzeptablen Erträglichkeit hin verbessern, musste er sich an den literarischen Markt anpassen.[20] Als solche Anpassungsversuche sind u.a. Das Käthchen von Heilbronn oder auch seine patriotisch-politische Wende[21] mit den sog. patriotischen Schriften, zu denen auch das Drama Die Herrmannsschlacht zu rechnen ist, gewertet worden.[22] Kleist konnte in dieser Situation seinen eigenen Patriotismus und Franzosenhass[23] mit dem politisch-patriotisch aufgeheizten Publikumsgeschmack verbinden.[24] Gerade in der Zeit zwischen 1806 und 1809 sind zahlreiche Schriftzeugnisse präsent, die einen radikalen, chauvinistischen Nationalismus bezeugen und offen zum Kampf gegen Napoleon aufrufen.[25] Dies ist der zeitgeschichtliche Kontext, in dem Kleist sich als patriotischer Befreiungsaktivist profilieren wollte und seine "patriotische Wende" erfuhr.[26] Es ist eine Ironie der Geschichte, dass seine politisch motivierten Schriften zu seinen Lebzeiten nie publiziert und von einer breiten Öffentlichkeit rezipiert wurden.[27] Ein in dieser Hinsicht höchst zweifelhafter Ruhm sollte ihnen erst nach 1871 und besonders nach 1933 zufallen.[28]

2.2. Stofftradition und Hermann-Mythos

Auslöser für ein verstärktes Interesses an dem Hermann-Mythos in der deutschen Literatur war die Entdeckung von Tacitus Germania (1455 in Rom) und seinen Annales (1505 im Kloster Corvey).[29] In den Jahren zwischen 1750 und 1850 erreichte die Popularität des Mythos mit etwa 200 verfassten Dichtungen und Opern einen Höhepunkt.[30] Ein erstes Hermannsdenkmal wurde bereits 1790 im Seifersdorfer Tal in Sachsen errichtet.[31] Die hohe Popularität des Hermann-Mythos zwischen 1750 und 1850 steht in engem Zusammenhang mit dem Bedürfnis der Deutschen nach einer nationalen Identifikationsfigur.[32] Im Siebenjährigen Krieg übernahm Friedrich II. von Preußen vorübergehend diese Rolle.[33] In der Phase der napoleonischen Hegemonie war kein deutscher Fürst zu finden, der als Identifikationsfigur hätte dienen können. Die deutsche Schwäche, die Napoleon die Eroberung deutscher Gebiete erlaubte, wurde in der Uneinigkeit der deutschen Fürsten gesehen. Die Einigung der Deutschen, um eine Invasion zu bekämpfen, wurde als eine gerade für die Gegenwart um 1805 vorbildliche und zukunftsweisende Leistung des Cheruskerfürsten angesehen.[34] Die Rückbesinnung auf Arminius mag damit begründbar sein. Es kam schnell zu einer propagandistischen Vereinnahmung des Mythos. Die Schlacht im Teutoburger Wald (9 n.Chr.) wurde zum Gründungsmythos der deutschen Nation stilisiert.[35] Im Rahmen dieser Verklärung und als Abwehrreaktion auf die französische Dominanz verstärkte sich der langsam entstehende deutsche Patriotismus, der sich zunächst in einem Interesse an der deutschen Vergangenheit (als identitätsstiftend für die Kulturnation) manifestierte, die zunehmend erforscht und literarisch aufbereitet wurde.[36] Der Hermann-Mythos eignete sich besonders hinsichtlich der romantischen Vorliebe für triadische Geschichtsmodelle. Die germanischen Stämme lebten vor der römischen Invasion in quasi paradiesischen Zuständen, die ein jähes Ende mit der römischen Dominanz und Okkupation fanden und durch Hermanns Sieg im Teutoburger Wald wiederhergestellt wurden. Das Symbol Hermann hatte damit doppelte Valenz. Einmal als Einigung der Deutschen und zum zweiten als Sieg über (über)mächtige Feinde.[37] Dass diese Verklärung der Geschichte vereinzelt auch kritisch gesehen wurde, kann an Heinrich Heines Karikatur von der mythischen Allzweckwaffe Hermann in den Versen von Deutschland. Ein Wintermärchen gesehen werden.[38] Wichtige Quellen, die Kleist vermutlich kannte und verwendete, sind Klopstocks Hermann-Trilogie (1769-1787), die auf den römischen Quellen des Tacitus (Germania und Annales) und des Velleius Paterculus (Historiae Romanae) basiert, und Wielands Hexameter Epos Hermann (1751).[39]

Herauszuheben ist, dass Kleist den historischen Mythos abwandelte. Die wichtigsten Veränderungen sind, dass Marbod kein Bündnispartner des historischen Hermanns war und nicht nur nicht an der Schlacht gegen die Römer teilnahm, sondern sogar später von Hermann in einer Schlacht um die Vorherrschaft bekämpft und besiegt wurde.[40] Die zweite wichtige Veränderung ist, dass Hermann nicht zum liberator Germaniae und germanischen König ausgerufen wurde, sondern sogar von den germanischen Fürsten 19 n.Chr. hingerichtet wurde, weil er ihnen zu mächtig wurde.[41] Hier stellt sich unverzüglich die Frage, warum Kleist Aspekte verschweigt und abändert.

[...]


[1] Günter Blamberger: Heinrich von Kleist. Biographie. 2. Auflage. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag 2011, S. 365.

[2] Vgl. Wolf Kittler: Die Geburt des Partisanen aus dem Geist der Poesie. Heinrich von Kleist und die Strategie der Befreiungskriege. 1. Auflage. Freiburg im Breisgau: Verlag Rombach 1987, S. 226.

[3] Vgl. Franz M. Eybl: Kleist-Lektüren. Wien: Facultas Verlag (UTB 2702) 2007, S. 208.

[4] Vgl. Günter Blamberger: Heinrich von Kleist, S. 366.

[5] Vgl. Ingo Breuer: Kleist Handbuch. Leben-Werk-Wirkung. Stuttgart/Weimar: Metzler 2009, S. 76.

[6] Vgl. Wolf Kittler: Die Geburt des Partisanen aus dem Geist der Poesie, S. 224 f.

[7] Vgl. Ebd., S. 14.

[8] Vgl. Kleist, Heinrich von: Hermannsschlacht. In: Ilse-Marie Barth, Klaus Müller-Salget, Stefan Ormanns und Hinrich C. Seeba (Hrsg.): Heinrich von Kleist. Sämtliche Werke und Briefe in vier Bänden. Band II. 2. Auflage. Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag 2011, S. 1107. Im Folgenden wird diese Ausgabe mit der Sigle DKV, mit der römischen Zahl des Bandes und mit der arabischen Seitenzahl zitiert (hier: DKV II, S. 1107).

[9] Vgl. Ebd., S. 1108.

[10] Vgl. Gerhart Pickerodt: „zerrissen an Leib und Seele“: Studien zur Identitätsfrage bei Heinrich von Kleist. Marburg: Tectum 2011, S. 10.

[11] Vgl. Günter Blamberger: Heinrich von Kleist, S. 372.

[12] Vgl. Sigrid Horstmann: Bilder eines deutschen Helden. Heinrich von Kleists Herrmannsschlacht im literarhistorischen Kontext von Klopstocks Hermanns Schlacht und Goethes Hermann und Dorothea. Frankfurt am Main: Peter Lang Verlag 2011, S. 20 f. und S. 27 ff.

[13] Vgl. Wolf Kittler: Die Geburt des Partisanen aus dem Geist der Poesie, S. 16.

[14] Vgl. Franz M. Eybl: Kleist-Lektüren, S. 9.

[15] Vgl. Ebd., S.10 f.

[16] Vgl. Ebd., S.10 f.

[17] Vgl. Gerhard Schulz: Kleist. Eine Biographie. 1. Auflage. München: C.H.Beck 2011, S. 408.

[18] Also genau zur Entstehungszeit von Die Herrmannsschlacht.

[19] DKV IV, S. 418.

[20] Vgl. Franz M. Eybl: Kleist-Lektüren, S. 205.

[21] Vgl. Ebd., S. 223.

[22] Vgl. Ebd., S. 205.

[23] DKV IV, S. 364.

[24] Vgl. Gerhard Schulz: Die deutsche Literatur zwischen Französischer Revolution und Restauration. Zweiter Teil. München: C.H.Beck 1989, S. 25.

[25] Vgl. Detlef Kremer: Romantik. 3. Auflage. Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler 2007, S. 241.

[26] Vgl. Ebd., S. 241.

[27] Vgl. Ingo Breuer: Kleist Handbuch, S. 77.

[28] Vgl. Ebd., S. 77 und 79.

[29] Vgl. Sigrid Horstmann: Bilder eines deutschen Helden, S.13.

[30] Vgl. Ebd., S. 13.

[31] Vgl. Ebd., S. 13.

[32] Vgl. Detlef Kremer: Romantik, S. 241.

[33] Vgl. Sigrid Horstmann: Bilder eines deutschen Helden, S.14.

[34] Vgl. Wolf Kittler: Die Geburt des Partisanen aus dem Geist der Poesie, S. 225.

[35] Vgl. Ingo Breuer: Kleist Handbuch, S. 76.

[36] Vgl. Sigrid Horstmann: Bilder eines deutschen Helden, S.16.

[37] Vgl. Franz M. Eybl: Kleist-Lektüren, S. 207.

[38] Vgl. Günter Blamberger: Heinrich von Kleist, S. 368.

[39] Vgl. Ebd., S. 365 und Ingo Breuer: Kleist Handbuch, S. 76.

[40] Vgl. Günter Blamberger: Heinrich von Kleist, S. 366.

[41] Vgl. Ebd., S. 366.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Heinrich von Kleists "Die Herrmannsschlacht" als operatives Geschichtsdrama
Untertitel
Literarische Darstellung der Möglichkeit eines erfolgreichen nationalen Volks- und Befreiungskrieges
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Institut für neuere deutsche und europäische Literatur)
Note
1,0
Autor
Jahr
2013
Seiten
22
Katalognummer
V316985
ISBN (eBook)
9783668164857
ISBN (Buch)
9783668164864
Dateigröße
551 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Heinrich von Kleist, Herrmannsschlacht, Hermannsschlacht, Gewalt, Literatur, Drama
Arbeit zitieren
Thomas Franz (Autor:in), 2013, Heinrich von Kleists "Die Herrmannsschlacht" als operatives Geschichtsdrama, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/316985

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