In Lessings Dramen „Miß Sara Sampson“ und „Emilia Galotti“ stehen Vater-Tochter-Beziehungen im Zentrum des tragischen Konfliktes, der in beiden Fällen tragisch mit dem Tod der Tochter endet. Die Symbiose von patriarchaler Herrschaft, Emotionalisierung der Familienbindung und Repression der weiblichen Sexualität sowie deren Ursachen werden hierbei durch Lessing untersucht.
Die empfindsamen bürgerlichen Trauerspiele der mittleren Phase der Aufklärung (circa 1740 bis 1780) präsentieren die Beziehung zwischen Vätern und Töchtern als ein wesentliches Handlungsmotiv. Für die Literatur der Aufklärung ist in diesem Zusammenhang die Frage nach einer rational begründeten und damit legitimierten Autorität sowie damit eng einhergehend die Frage nach der „rechten Vaterschaft“ zentral. Aufklärung als Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit verstanden wirft nach Peter Horst Neumann auch die Frage nach dem idealen Vater-Kind-Verhältnis auf.
Der Vater verkörpert in diesem Verhältnis sowohl die irdische als auch die göttliche Autorität. Das Verhältnis der dramatis personae wird wesentlich durch die Tugend-Laster-Opposition und ihr Verhältnis zur Tugend bestimmt. Mündigkeit wurde zunächst als juristischer Begriff verstanden, der bei Kant philosophisch erweitert wird. Ursprünglich meint Mündigkeit die Beendigung des Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Vater und Kind.
In Kants Erweiterung bezeichnet Mündigkeit die selbstverantwortliche Fähigkeit des Menschen, sein Verhältnis zur Autorität kraft eigener Vernunft zu bestimmen. Dabei zielt der Begriff der Mündigkeit nicht auf die Beseitigung von Autorität, sondern auf deren vernünftiger Legitimation. In den beiden hier untersuchten Dramen Lessings konkretisiert sich dieses Begründungsproblem der Autorität in der Rolle des Vaters. Das Kind hat eine Gehorsamspflicht gegenüber dem Stellvertreter Gottes auf Erden. Jede Störung dieses Verhältnisses ist folglich auch eine Störung der irdischen und der göttlichen Weltordnung. Anhand der Vaterfiguren wird das Funktionieren autoritärer Mechanismen kritisch beleuchtet.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Sir William Sampson und Miß Sara Sampson
- Sir William Sampson als verzeihender und liebender Vater
- Miẞ Sara Sampson und die Möglichkeit eines Lebens im Einklang von Gefühl und Tugend
- Darstellung der Vater-Tochter-Beziehung zwischen Sir William Sampson und Miẞ Sara Sampson
- Odoardo Galotti und Emilia Galotti
- Odoardo Galotti als autoritärer pater familias
- Emilia Galotti als unmündige „Erziehungsleiche“
- Darstellung der Vater-Tochter-Beziehung zwischen Odoardo und Emilia Galotti
- Schlussbetrachtungen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Hausarbeit analysiert die Vater-Tochter-Beziehungen in Lessings bürgerlichen Trauerspielen "Miß Sara Sampson" und "Emilia Galotti", um die Bedeutung von Tugend und Autorität in diesen Beziehungen aufzuzeigen.
- Die Entwicklung des Vater-Tochter-Verhältnisses im Kontext der Aufklärung
- Die Rolle der Tugend in der Gestaltung des Familienlebens
- Die Auswirkungen von patriarchalischer Herrschaft auf die Töchter
- Kritik an gesellschaftlichen Konventionen und Gottesbildern
- Die Frage nach Mündigkeit und Selbstbestimmung in der Vater-Tochter-Beziehung
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel beleuchtet die Figur von Sir William Sampson in "Miß Sara Sampson" und zeichnet ihn als einen verzeihenden und liebenden Vater. Die Beziehung zwischen Vater und Tochter wird im Kontext des gesellschaftlichen Wandels und der Frage nach der "rechten Vaterschaft" betrachtet. Das zweite Kapitel widmet sich der Figur von Odoardo Galotti in "Emilia Galotti" und analysiert seine autoritäre Haltung und die Auswirkungen seiner Erziehung auf seine Tochter Emilia. Die beiden Kapitel zeigen die unterschiedlichen Ausprägungen der Vater-Tochter-Beziehung im Kontext des bürgerlichen Trauerspiels.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit den Themen Vater-Tochter-Beziehung, bürgerliches Trauerspiel, Aufklärung, Tugend, Autorität, Mündigkeit, Patriarchat, gesellschaftliche Konventionen, Gottesbilder, "Miß Sara Sampson", "Emilia Galotti", Lessing.
- Arbeit zitieren
- Thomas Franz (Autor:in), 2013, Problematisierung und Politisierung der Vater-Tochter-Beziehungen in Lessings bürgerlichen Trauerspielen "Miß Sara Sampson" und "Emilia Galotti", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/316988