Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Historische Entwicklungen in Deutschland und Frankreich
3. Rahmenbedingungen und Entwicklungen der Familienpolitik
4. Familienpolitik
5. Fremdbetreuungsstrukturen
6. Bi-nationaler Vergleich der familienpolitischen Auswirkungen
7. Fazit
8. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
In Frankreich herrscht das Modell der Ganztagsschule vor und die Frauen werden früh nach der Geburt wieder vollberufstätig. In Deutschland hingegen wird das Modell der Ganztagsschule häufig diskutiert sowie kritisiert, da die Frau in der Rolle als Mutter als elementar wichtig für die Entwicklung des Kindes beschrieben.
Welche Familienpolitik liegt in den zwei Ländern zugrunde?
Welche Auswirkungen ergeben sich aus der Familienpolitik und dem Betreuungssystem für die Berufstätigkeit der Frauen?
Zeugt die frühe Berufstätigkeit französischer Mütter von einer größeren Emanzipation der Frau?
Um diese Fragen genügend beantworten zu können, wird die Erwerbstätigkeit der Frau in beiden Ländern im geschichtlichen Kontext kurz beleuchtet. Darauffolgend werden die Familienpolitiken dargestellt und die Erziehungsstrukturen analysiert, um schließlich einen Bi-Nationalen Vergleich herzuleiten. Bei diesem sollen dann, auf der gegebenen Basis, die Rollen der Frauen in der Gesellschaft analysiert werden.
2. Historische Entwicklungen in Deutschland und Frankreich
Frankreich schaut auf eine lang Ammentradition zurück. Vom 17. bis Mitte des 20. Jahrhunderts war es üblich, dass wohlhabende Familien ihre Kinder bereits kurz nach der Geburt in die Obhut einer Amme gaben. Erst nach zwei bzw. drei Jahren wurde das Kind, nach mangelndem Kontakt zu seinen Eltern, zurück in die Familie geholt. Das empfängnisverzögernde Stillen sollte vermieden sowie eine erneute Schwangerschaft begünstigt werden.1
Während der französischen Revolution im 18. Jahrhundert, spielten Frauen eine aktive Rolle. Diskussionen über Geschlechterrollen sowie über die Frage, inwiefern Frauen Staatsbürger seien und ihnen partizipative Rechte gewährt werden sollten, kamen zustande.
ÄDabei kann ein politischer Aktionismus der Frauen als Ausgangspunkt der gesellschaftlichen Debatte gesehen werden, hinter der gesetzliche Gleichstellungsbestrebungen zurückblieben.“2
Bis ins 20.Jahrhundert hinein, war Frankreich vom dritten Wirtschaftssektor geprägt. Die Industrialisierung erhielt im Vergleich zu Deutschland nur langsam Einzug. Folglich existierten zwei unterschiedliche Familienstrukturen. Die ‚oberen Gesellschaftsschichten‘ wandten sich zunehmend der bürgerlichen Familienstruktur zu, wohingegen die ‚unteren Schichten‘ weiterhin die außerfamiliäre Betreuung am attraktivsten fanden. Mit einer bürgerlichen Familienstruktur bezeichnet Sarter Familien, in welchen der Vater Alleinverdiener und die Mutter für die Betreuung der Kinder zuständig ist. Diese Familienstruktur konnte sich in Frankreich jedoch nicht verfestigen. Zurückzuführen ist dies, auf die lange Tradition der Ammen und der pronatalistischen Ausrichtung des Landes.3
Ziel der frühen Fremdbetreuung ist es folglich, die Reproduktionsverantwortlichkeit der Frau zu fördern. Kam es zum Mangel an Arbeitskräften, wurde auf die Frauen als Reservoir zurückgegriffen. Durch die Schaffung der salles d’asile und der école maternelle4 wurde Abhilfe geschaffen,5 um die Frauen als Arbeitskraft nicht an die Rolle als Mutter zu verlieren. Dennoch lag die normative Betreuungsverantwortung bei der Frau.
In Deutschland hingegen wurde im Zuge der Einführung der sozialstaatlichen Unterstützungsleistungen, welche auf die Sozialgesetzgebung des Kaiserreiches unter dem Reichskanzler Bismarck zurückzuführen ist,6 das vorherrschende bürgerliche Familienmodell explizit hervorgehoben. Damit ging einher, dass die Betreuung in einer Betreuungseinrichtung im internationalen Vergleich später sowie weniger stattfand und die Betreuung des Kindes vorwiegend in der Verantwortung der Mutter lag. Auch in Deutschland wurde in Zeiten des Arbeitskräftemangels, wie es beispielsweise während der beiden Weltkriege der Fall war, auf Frauen als Erwerbstätige zurückgegriffen.7
Nach der Teilung Deutschlands herrschte in der DDR generell eine hohe Arbeitsmarktintegration der Frau vor. Sarter erläutert jedoch, dass diese keineswegs eine Änderung der normativen Betreuungsverantwortung bedeutete. Mit der Wiedervereinigung im Jahr 1989/90 übernahm Ostdeutschland erneut das westdeutsche System und so kam es zu einer Abkehr von dieser politischen Ausrichtung. Doch auch in Westdeutschland nahm im Zuge der Industrialisierung seit den 60er Jahren der Anteil der in Teilzeit erbstätigen Frauen zu.8
ÄWenn gleich sich in [beiden] Ländern vergleichbare normative Setzungen von Erwerbstätigkeit als vorrangig männliche Tätigkeit finden, unterscheiden sie sich doch in der Stärke ihrer Verankerung in Vergangenheit und in der jeweils vorhandenen Offenheit gegenüber weiblicher Erwerbstätigkeit.“9
3. Rahmenbedingungen u. Entwicklungen d. Familienpolitik
Die EU-Richtlinien zeichnen den Rahmen, in dem sich die nationalstaatlichen Rechtsetzungen bewegen sollen. Sarter erläutert anhand unterschiedlicher Richtlinien der EU, dass die Gleichstellung von Mann und Frau lediglich in Bezug auf das Erwerbsleben und die soziale Sicherung verbindlich aufgegriffen ist. Grund hierfür sind ökonomische, demographische und ähnliche Faktoren. Eine umfassende Gleichstellung der Geschlechter stehe bisher nicht im Mittelpunkt der europäischen Überlegungen, seien jedoch in normativ-intentionistischen Erklärungen ohne verbindlichen Charakter zu finden.10
In Artikel 33 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union werden einzelne Aspekte der Vereinbarkeit von Familie und Beruf aufgeführt. Jedem Arbeitnehmer soll ungeachtet des Geschlechtes die Möglichkeit gegeben werden, eine mind. drei monatige Freistellung für die Kinderbetreuung zu erhalten.11 Der Status während der Freistellung, die Art der Freistellung und die Abhängigkeit von der Beschäftigungsdauer, werden in die Verantwortung der Mitgliedsstaaten gegeben.12 Die Umsetzung in beiden Ländern wird im Folgenden erläutert.
3.1. Frankreich
Nach der Kategorisierung der Sozialstaatsmodelle nach Esping-Andersen gehört Frankreich zu den korporatistisch-staatlichen bzw. Bismarckschen Modellen. Das seit 1945 existierende generelle Sozialversicherungssystem ist beitragsfinanziert,13 wodurch die soziale Sicherung größtenteils von Beruf und Arbeitslosenquote abhängig ist.14 Zu erwähnen ist, dass die Familienförderung als Sozialversicherungszweig etabliert wurde. Die Familien sollten, um die demografische Entwicklung zu fördern, keine Nachteile gegenüber Kinderlosen haben.15
Die erste Ölkrise 1973 bedrohte die Beitragsfinanzierung der Familienförderung. Ab Mitte der 1970er Jahre kam infolge dieser Kritik an der reinen Fließbandarbeit auf und eine generelle Verbesserung der Arbeitsbedingungen wurde gefordert. Des Weiteren wuchs die Vielfalt der Beschäftigungsmodelle, wodurch das Lohnarbeitsmodell untergraben wurde. Auch kam es zu einem Rückgang der Geburtenrate und zu einer wachsenden Arbeitslosenquoten.16
ÄMit einer erhöhten Arbeitslosigkeit wird weniger in die Kassen eingezahlt, während die Zahl derer drastisch steigt, die Sozialstaatsleistungen beziehen.“17
In den 80er Jahren wurden die Defizite so bedrohlich, dass der Staat diese durch Zuschüsse auszugleichen versuchte. Anfang der 90er Jahre folgten als Reaktion verschiedene Reformen, wie beispielsweise die Einführung einer Sozialsteuer.18 Die Integration der Frau am Arbeitsmarkt wurde durch familienpolitische Reformen verstärkt gefördert.
Eine, in die Französische Revolution zurückgreifende, laizistische Bestrebung, führte 1905 zu dem ‚Gesetz über die Trennung von Kirche und Staat‘ (franz.: ‚Loi de séperation des Églises et de L’Etat‘).19 Durch diese Trennung begünstige Frankreich ein traditionelles Familienmodell nicht.20
3.2. Deutschland
Auch Deutschland zählt zu den Bismarckschen Modellen nach EspingAnderesen. Dieses hat sich insbesondere aus der Sozialgesetzgebung des Kaiserreiches unter dem Reichskanzler Bismarck entwickelt. Diese beinhaltete eine erste Krankenversicherung, eine Unfallversicherung und eine Altersrente. Heute umfasst das Leistungsspektrum drei Säulen: Fürsorge, Versorgung und Versicherung. Die Leistungen der Familienpolitik sind in unterschiedlichen Säulen enthalten. Das Kindergeld wird beispielsweise innerhalb des Versorgungsprinzips und die Zahlung während des Mutterschaftsurlaubs als Versicherungsleistung für den Lohnausfall gezahlt.21
Ab Mitte der 1970er Jahre kam es auch in Deutschland durch die Folgen der Ölkrise zu einer Abflachung des Wirtschaftswachstums der Nachkriegsjahrzehnte, einer wachsenden Arbeitslosenquote22 und einem Rückgang der Geburtenrate, wodurch die Finanzierung dieses Versicherungsmodells ebenfalls bedroht war.23
Mit Ausnahme der DDR, welche eine anti-kirchliche Politik verfolgte, spricht sich Deutschland, im Gegensatz zu Frankreich, weder für eine strikte Trennung von Kirche und Staat, noch für eine stark religiös begründete Politik aus.24 Das Verhältnis zwischen Staat und Kirche beruht zum einen auf dem Grundsatz der rechtlichen und organisatorischen Trennung und gewährleistet das Recht auf Religionsfreiheit. Auf der anderen Seite regelt jedoch das Staatskirchenrecht die Rechten und Pflichten in der Wechselwirkung zwischen Staat und Kirche.25 Auffällig ist Sarter zufolge, dass in der laizistischen Bestrebung der DDR die Frauenerwerbstätigkeit stärker forciert wurde, als in dem weniger laizistischem, vereintem Deutschland heute.26
4. Familienpolitik
Etwa 11,2% der Sozialleistungen Deutschlands wurden 2012 für Familie und Kinder ausgegeben. In Frankreich hingegen lag der Anteil bei ca. 7,9% der gesamten Sozialleistungen. In Relation zu dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) ergeben ich folgende Angaben: Frankreich: 2,6%, Deutschland: 3,2%.27
4.1. Frankreich
Familienpolitik gilt in Frankreich als Angelegenheit des Staates (L'affaire d'Etat)28 und strebt, wie bereits erwähnt, keine bestimmte Familienstruktur an. Allerdings begünstigte sie eine hohe Natalität. Während der Krise des beitragsfinanzierten Versicherungsmodells in den 1970er Jahren, nahm die
Emanzipation innerhalb der Familienpolitik zu, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern. Die Qualität öffentlicher Familienpolitik wird jedoch seit Ende des 20.Jahrhundert vor allem danach bemessen, welchen Beitrag sie zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie leistet.29
Die Schaltstelle für die Familienleistungen sind in Frankreich die staatlichen Familienkassen (CNAF) und deren Kassen auf regionaler Ebene (CAF).30 1985 wurde das "Allocation parentale d'éducation" (APE) eingeführt, welches als Erziehungsgeld übersetzt werden kann. Zunächst richtete es sich an Familien mit drei und mehr Kindern, wurde innerhalb der Reformierung im Juli 1994 jedoch auf Familien mit zwei Kindern erweitert. Voraussetzung für das Erhalten der Leistung war, dass die Eltern zwei von den fünf Jahren vor Geburt des Kindes erwerbstätig waren. Im Zuge der Reform stieg die Anzahl der Empfänger bis 1996 um 65000 Frauen. Damit ging der Rückgang der Erwerbsquote der Mütter mit Kindern unter drei Jahren von 73% (1994) auf 55% (1998) einher. Die Arbeitslosenquote blieb jedoch konstant, da die Mütter mit dem Beziehen des Erziehungsgeldes auf ihren Erwerbsstatus verzichteten.31 Nach erneuten Reformen von 2004, ergeben sich folgende Leistungen:
Das monatliche, einkommensunabhängige ‚Allocation familiale‘, welches mit dem Kindergeld in Deutschland vergleichbar ist, wird erst ab dem zweiten Kind und bis zum 20. Lebensjahr gezahlt. 2013 betrug das Kindergeld für das zweite Kind 128€ und für jedes weitere 165€, wodurch es niedriger ausfällt als das Kindergeld in Deutschland. Für Kinder im Alter von 11-15 wird allerdings ein Aufschlag in Höhe von 36€ und ab einem Alter von 16 Jahren in Höhe von 64€ bezahlt.32
Die ‚prestation d’accueil du jeune enfant‘ (PAJE) (zu Deutsch: Die kombinierte Leistung für Kleinkinder), welche für Kinder gilt, welche ab 2004 geboren wurden, umfasst vier mögliche Leistungen. Zum einen wird eine einmalige, einkommensabhängige Prämie bei Geburt des Kindes gezahlt.
[...]
1 Vgl. (Moulin 2013)
2 (Sarter 2012, S.149)
3 Vgl. (Sarter 2012, S.153f.)
4 Erklärung: Betreuungsstrukturen für Kinder unter 6 Jahren
5 Vgl. (Sarter 2012, S.117f.)
6 Vgl. (BpB, Der deutsche Sozialstaat 2013)
7 Vgl. (Sarter 2012, S.152ff.)
8 Vgl. (Sarter 2012, S.150ff.)
9 (Sarter 2012, S.157)
10 Vgl. (Sarter 2012, S.177ff.)
11 Charta der Grundrecht der Europäischen Union
12 Vgl. (Sarter 2012, S.181)
13 Vgl. (Esping-Andersen 1990)
14 Vgl. (Stern 2011, S.6)
15 Vgl. (Grillmayer 2013)
16 Vgl. (Stern 2011, S.6)
17 (Stern 2011, S.6)
18 Vgl. (Grillmayer 2013)
19 Vgl. (Stern 2011, S.6)
20 Vgl. (Reuter 2003)
21 Vgl. (BpB, Der deutsche Sozialstaat 2013)
22 Vgl. (Bmwi 2015)
23 Vgl. (Stern 2011, S.6)
24 Vgl. (Sarter 2012, S.152)
25 Vgl. (Kolfenbach 2015)
26 Vgl. (Sarter 2012, S.152)
27 Vgl. (Duisbug-Essen 2014)
28 Vgl. (Sarter 2012, S.118)
29 Vgl. (Veil 2003)
30 Vgl. (Veil 2003)
31 Vgl. (Reuter 2003)