Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die nicht-direktive Phase
2.1 Fazit der nicht- direktiven Phase
3. Die Klientenzentrierte Phase
3.1 Fazit der klientenzentrierten Phase
4. Die personenzentrierte Phase
4.1 Fazit der personenzentrierten Phase
5. Fazit und Ausblick
6. Schluss
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Der Titelbegriff der vorliegenden Arbeit „Carl Rogers- Vom nicht- direktiven zum Personenzentrierten Ansatz“ lässt offen, ob Carl Rogers Werk in den Bereich der Psychotherapie bzw. Beratung fällt, oder ob es einer Methode der Gesprächsführung zuzuordnen ist. Der theorieleitende Aufsatz mit dem Titel „A Theory of Therapy, Personality and Interpersonal Relationship , as developed in the Client- Centered Framework“ wurde zwar von Rogers verfasst, jedoch wurden die theoretischen Grundlagen „damals sehr vage vorformuliert.“[1] Es wurde somit Raum geschaffen für eigenständige Entwicklungen und Begriffsformulierungen in verschiedenen Kontexten.
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Darstellung der sogenannten „Drei Entwicklungsphasen“ im Werk von Carl Rogers. Als Orientierung dienen die von Sabine Weinberger benannten Phasen: Die nicht- direktive Phase; die klientenzentrierte Phase und die personenzentrierte Phase.[2] Die drei Phasen werden jeweils mit persönlichen Erfahrungen und Lernerlebnissen Carl Rogers gefüllt. Daneben wird das Menschenbild Rogers miteinbezogen, welches die Grundlage seiner Persönlichkeitstheorien darstellt. Zudem wird eine Variable genauer betrachtet, die für die jeweilige Phase von besonderer Bedeutung ist. Alle drei therapeutischen Einstellungen sind eng miteinander verbunden: „Es sind vielleicht drei Dimensionen eines elementaren Faktors.“[3]
Die Schlussbetrachtung sowie der Ausblick geben einen Überblick über einige Schwierigkeiten des Ansatzes von Carl Rogers.
2. Die nicht-direktive Phase
Rogers erstes, in größeren Kreisen bekanntes Buch, wurde „Counseling and Psychotherapy“ genannt, was in Deutschland unter dem Titel „Die nicht- direktive Beratung“[4] bekannt wurde. Die Worte „Beratung“ und „ Therapie“ werden hier nicht voneinander unterschieden. Später etablierte Rogers den „Personenzentrierten Ansatz“[5]. In Deutschland existiert zusätzlich die Bezeichnung der „Gesprächspsychotherapie“, die auf Reinhard Tausch zurückzuführen ist.
In seiner Zeit als Leiter einer sozialpsychiatrischen Beratungsstelle versuchte Rogers in einem ersten Buch seine Erfahrungen theoretisch aufzuarbeiten, indem er sich mit dem damals gängigen Behandlungskonzept über sogenannte „Problemkinder“ auseinandersetzte. Standardisierte Testverfahren sollten es ermöglichen zu verdeutlichen, „was nun gerade für dieses Kind oder für diese Familie geeignet sein könnte“[6].
Rogers gelangte während seiner Zeit in der Beratungsstelle zu der Erkenntnis, „dass der Klient derjenige ist, der weiß, wo der Schuh drückt, welche Richtungen einzuschlagen, welche Erfahrungen tief begraben gewesen sind, und dass der vom Klienten gewählte Problemlösungsprozess meistens der günstigste ist.“[7]
Das für ihn entscheidende Ereignis hatte Rogers jedoch während eines Gespräches mit einer Mutter über deren Sohn. Die Unterhaltung wollte jedoch nicht so recht gelingen, weshalb Rogers vorschlug, das Gespräch zu beenden.
„Als sie dabei war, den Raum zu verlassen, drehte sie sich um und fragte: „Beraten Sie auch Erwachsene?“ Verwirrt antwortete ich, dass dies manchmal der Fall sei. Woraufhin sie ihren Stuhl zurückkehrte, die Geschichte ihrer Schwierigkeiten zwischen ihr und ihrem Mann hervorsprudelte und von ihrem großen Bedürfnis nach Hilfe sprach. Ich war vollständig überwältigt. Was sie mir erzählte, ähnelte in keiner Weise der glatten Geschichte, die ich ihr entlockt hatte. Ich wusste kaum, was zu tun sei, also hörte ich erst einmal zu (...) Das war für mich eine Erfahrung von größter Bedeutung. Ich war ihr gefolgt, nicht sie mir. Ich hatte zugehört, anstatt sie zu dem diagnostischen Verständnis zu bringen, das ich schon erreicht hatte.“[8]
Die Frau fühlte sich durch die mehr persönliche als professionelle Beziehung zu ihm freier, sodass die ehelichen Probleme und auch die Probleme ihres Sohnes abnahmen.[9] Der Klient und eben nicht der Therapeut bestimmt das, was innerhalb der therapeutischen Beziehung geschehen soll. Diese Art der Therapie ist somit weitgehend frei von therapeutischen Interventionen und deshalb „nicht- direktiv“.
Rogers stellt seine grundlegende Überzeugung „dass nämlich jedes Individuum die Fähigkeit besitzt, seine eigene Problemlösung selbst zu finden“[10] in dem Aufsatz mit dem Titel „The Process of Therapy“ sehr anschaulich dar. Groddeck fasst einen von Rogers skizzierten idealtypischen Therapieablauf auf, in dem die „Grundlinien des nicht- direktiven Ansatzes“[11] enthalten sind:
„1. Therapie sollte einen guten menschlichen Kontakt zwischen Therapeuten und Klienten herstellen können, in dem der Klient sich sicher und akzeptiert fühlen kann. Der Therapeut müsse Balance finden zwischen Identifikation und Neutralität und sollte sich nicht scheuen, emotionale Wärme zu zeigen.
2. Der Klient sollte sodann seine Gefühle frei ausdrücken und auch ausagieren können. Da dies im Liegen auf der Couch nicht möglich sei, lehnte er das klassische Setting der Psychoanalyse ab und empfahl stattdessen das Setting des Gesprächs in der „face- to- face“- Situation.
3. Der Klient solle in einem Gespräch dann in den von ihm erlebten Gefühlen sein spontanes Selbst erkennen und akzeptieren.
4. Aufgabe des Therapeuten sei es, den Klienten anzuleiten, dass dieser verantwortliche Entscheidungen treffen kann.
5. Der Klient solle sodann zusammenfassende Einsichten aus der Arbeit gewinnen und formulieren (nicht der Therapeut!).
6. An Ende dieser therapeutischen Erfahrung solle schließlich ein Erziehungsprozess oder auch Umerziehungsprozess stehen. D. h. der Therapeut stellt in dieser Phase unterstützende Informationen bereit, damit der Klient seinen Weg alleine weitergehen kann. Lange andauernde Therapien seien nicht nützlich (Rogers 1940)“.[12]
Der Therapeut ist bei diesem Ansatz kein neutraler und emotionsloser Analytiker. Er begegnet dem Klienten auf Augenhöhe und gibt ihm die Möglichkeit, eigene Einsichten und Erfahrungen zu gewinnen. Emotionale Wärme und Akzeptanz sind dabei entscheidende Einflussfaktoren.
„Die wichtigste Technik besteht in der Ermutigung zum Ausdruck von Einstellungen und Gefühlen, bis sich das einsichtige Verstehen spontan und von selbst einstellt. Einsicht wird häufig durch Bemühungen des Beraters, sie hervorzurufen, verhindert und bisweilen unmöglich gemacht.“[13]
In dem folgenden Werk Rogers „Counseling and Psychotherapy“ bricht er mit vielen gängigen Vorstellungen und Selbstverständlichkeiten, die in der Psychotherapie noch breite Akzeptanz fanden.
„Anfängliches Interesse an der Diagnose wich einem viel stärkeren Interesse am Prozess der Beratung und Therapie.“[14]
Für Rogers geht es in seinem Buch nicht um die Analyse und Diagnose, sondern vielmehr um die Therapie und das Verstehen des Individuums an Prozessen, an Hilfe zu gelangen.[15] Rogers fokussiert demnach die „Betrachtung als Prozess“[16].
„Der Terminus „Beratung“ wird besonders im pädagogischen Bereich immer häufiger benutzt. Kontakte mit dem Ziel der Heilung und Wiederherstellung kann man als „Psychotherapie“ bezeichnen; dieser Terminus wird meistens von Psychologen und Psychiatern verwendet. Im vorliegenden Buch werden all diese Bezeichnungen mehr oder weniger austauschbar verwandt werden, und zwar weil sie sich alle auf die gleiche grundlegende Methode beziehen- auf eine reihe direkter Kontakte mit dem Individuum, die darauf abzielen, ihm bei der Änderung seiner Einstellungen und seines Verhaltens zu helfen. (...) Es lässt sich (...) nicht bestreiten, dass intensive und erfolgreiche Beratung von intensive und erfolgreiche Beratung von intensiver und erfolgreicher Psychotherapie nicht zu unterscheiden ist. Beide Begriffe werden deshalb benutzt werden, da beide in diesem Fachbereich allgemein üblich sind.“[17]
Rogers verwendet die Begriffe Beratung und Therapie synonym.
Beratung sei in diesem Kontext jedoch kein „Allheilmittel für sämtliche Fehlanpassungen“[18], die überall angewendet werden könne. Sie ist eine Methode, „wenn auch wichtige Methode im Umgang mit den zahlreichen Anpassungsproblemen, die das Individuum zu einem weniger nützlichen, weniger wirksamen Mitglied seiner sozialen Gruppe werden lasse.“[19]
Der Aspekt, der hier anscheinend zum Tragen kommt, findet sich eher im Bereich der Sozialarbeit. Das Individuum wird als Problem unzureichender gesellschaftlicher Anpassung[20] dargestellt. Die sich später entwickelnde Ansicht Rogers, dass der Mensch ganz die „Person als Mittelpunkt der Wirklichkeit“[21] darstellt, ist an dieser Stelle noch nicht eindeutig „klientenzentriert“ entwickelt.
Mit Otto Rank benennt Rogers eine Quelle, die es erlaubt, die „neuere Psychotherapie“ von der Psychoanalyse abzugrenzen.
„Der neuere Ansatz unterscheidet sich von dem älteren dadurch, dass er ein grundlegendes anderes Ziel hat. Er zielt direkt auf die größere Unabhängigkeit und Integration des Individuums ab, statt zu hoffen, dass sich diese Resultate ergeben, wenn der Berater bei der Lösung des Problems hilft. Das Individuum steht im Mittelpunkt der Betrachtung und nicht das Problem. Das Ziel ist es nicht, ein bestimmtes Problem zu lösen, sondern dem Individuum zu helfen, sich zu entwickeln, so dass es mit dem gegenwärtigen Problem und mit späteren Problemen auf besser integrierte Weise fertig wird. (...) Erstens stützt [sich der Ansatz] viel stärker auf den individuellen Drang zum Wachsen, zur Gesundheit und zur Anpassung.“[22]
Das Menschenbild Carl Rogers in dieser ersten Phase ist demnach das Individuum, das den Drang zum Wachsen, zur Gesundheit und Anpassung aufweist.
Diese Auffassung hat zur Konsequenz, dass dirigistische Interventionen nicht die Aufgabe des Therapeuten sind. Er hat vielmehr die Aufgabe, den Klienten in seinem Streben nach Wachstum und Entwicklung zu unterstützen.
Rogers benennt zudem weitere Kriterien, die ältere und neuere Psychotherapie voneinander unterscheiden:
- die neue Therapie kommen vor allem emotionale Elemente und Gefühlsausdrücke zum Einsatz, anstatt intellektuelle Aspekte in den Vordergrund zu stellen: „Sie verwirklicht endlich die seit langem vorhandene Erkenntnis, dass die meisten Fehlanpassungen keine Mängel des Wissens sind, sondern dass Wissen unwirksam ist, weil es blockiert wird durch die emotionalen Befriedigungen, die das Individuum durch seine gegenwärtigen Fehlanpassungen erhält.“[23]
- Innerhalb der neueren Therapie dominiert die derzeitige Situation, das „Hier und Jetzt“ und nicht die Vergangenheit. „ Vergangenes ist zum Zwecke der Forschung und zum Verständnis der Genetik des menschlichen Verhaltens sehr wichtig. Für die Therapie ist es aber nicht unbedingt wichtig.“[24]
- Die therapeutische Beziehung wird in der neueren Therapie als Erfahrung von Entwicklung und Wachstum erlebt. „In ihr lernt das Individuum, sich selbst zu verstehen, unabhängig zu entscheiden und sich erfolgreich und auf erwachsenere Weise in Beziehung zu einer anderen Person zu bringen.“[25]
Rogers versuchte seinen Ansatz gegenüber den „älteren Theorien“ mit Hilfe empirischer Forschung zu untermauern. Dazu gründete er eine „neue klinisch- psychologische Forschungseinrichtung“[26]. In „Counseling and Psychotherapy“ werden verschiedene Interventionen und Kennzeichen des Direktiven und Nicht- direktiven Ansatzes aufgezeigt. Rogers und seine Mitarbeiter beschreiben dabei den wahrnehmbaren Prozess der Interaktion zwischen Therapeut und Klient. Eine Analyse, wie sie bei Freud zu finden ist, wird verzichtet. Der nicht- direktive Ansatz erfährt hierdurch eine besondere Beachtung.
[...]
[1] Vgl. Vorbemerkungen des Übersetzers in: Rogers 2009 S. 10ff
[2] Vgl. Weinberger S. 22 ff
[3] Rogers 2007a S. 163
[4] Rogers 2007
[5] Vgl. Kriz/Slunecko S. 7
[6] Groddeck S. 67
[7] Christen S. 28.
[8] Rogers Rosenberg S. 191 f
[9] Vgl. ebd.
[10] Groddeck S. 70
[11] Groddeck S. 79
[12] Groddeck S. 79
[13] Rogers 2007, S.177
[14] Rogers 2007 S. 13
[15] Vgl. ebd.
[16] Ebd. S. 17
[17] Rogers 2007 S. 17
[18] Rogers 2007 S. 23
[19] ebd.
[20] „ Mit Anpassung ist nicht gemeint, dass das Individuum unkritisch die Forderungen von Autoritätspersonen oder Normen der Gesellschaft übernimmt, sondern dass es sich gewissermaßen an sich selbst anpasst, indem es seine Ziele auswählt, diesen Zielen entsprechend handelt und dazu fähig ist, Probleme und Schwierigkeiten aus eigener Kraft zu bewältigen.“ Bommert S. 15
[21] Vgl Rogers/Rosenberg 2005
[22] Rogers 2007 S. 36f
[23] Bommer S. 15
[24] ebd.
[25] Ebd.
[26] Pavel in: GwG S.25