«Welches ist das amerikafeindlichste Land Europas? Frankreich? Deutschland?»,
fragte die «Weltwoche» am 6. Februar 2003 und antwortete sogleich und gestützt auf
eine repräsentative Umfrage: «Mitnichten. Es ist die Schweiz.»1 Das Resultat dieser
Umfrage ist bemerkenswert. Obwohl unter dem Eindruck des drohenden Irakkriegs
entstanden, wurden von den Schweizerinnen und Schweizern dabei überzeitliche
antiamerikanische Topoi aufgegriffen, etwa jenes von der vermeintlichen kulturellen
Überlegenheit Europas.2
Konträr zu dieser mehrheitlichen Haltung der Schweizer Bevölkerung steht das
geflügelte Wort der beiden Schwesterrepubliken, begründet von einem Zitat des
Bieler Gelehrten Jean-Rodolphe Valltravers vom 14. April 1778 an die Adresse
Benjamin Franklins: «Let us be united as two sister republicks!»3 Eine schwesterliche
Bande soll zwischen den beiden staatlichen Gemeinschaften bestehen – in besagtem
Weltwoche-Artikel wird von einer 200-jährigen «einzigartigen Freundschaft»
berichtet. Wesen und Ursprung der angeblichen Gemeinsamkeit bleiben im
öffentlichen Diskurs allerdings meist diffus. Er bezieht sich jedenfalls nicht oder nicht
nur auf die Übernahme konstitutioneller Elemente in der Bundesverfassung von 1848
– zumal diese Jahreszahl im historischen Bewusstsein ohnehin im Schatten von 1291
steht.
Die schweizerische Einstellung zu Amerika4 erscheint also ambivalent. Sie hat sich
zudem gewandelt – das besagte Zitat von den «sister republicks» stammt aus dem 18.,
die «Weltwoche»-Umfrage aus dem 21. Jahrhundert. Eine Übernahme
konstitutioneller Elemente scheint aus heutiger Sicht schwer vorstellbar. Inwiefern
eine solche Übernahme im 19. Jahrhundert möglich war und erfolgte, will diese Arbeit
mit Fokus auf die föderalistische Struktur untersuchen: Wie kam es, dass gut 60 Jahre
nach Entstehung des ersten Bundesstaat überhaupt in der Neuen Welt diesem Beispiel
gerade hierzulande gefolgt wurde? Wie weit wurde ihm überha upt gefolgt? Dahinter
steht auch das Interesse, die beschriebene ambivalente Amerika-Haltung sowie die
diffus empfundene Verbindung der beiden Staaten aus staatsrechtlicher Sicht zu
erhellen. [...]
1 Kindhauser S. 10.
2 Diner S. 13-40.
3 Netzle, USA als Vorbild, S. 51.
4 In der Folge wird der Begriff «Amerika» für die vormaligen englischen Kolonien in Nordamerika
verwendet.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Fragestellung
- Begriffsdefinition: Föderalismus
- Relevante Artikel
- Literatur und Quellen
- Zum Aufbau der Arbeit
- Die Unionsverfassung von 1787
- Genese der Unionsverfassung
- Zweierlei Amerikas
- Der Weg zu den «Articles of confederation»
- «Federalists» und «Anti-Federalists»
- Der «great compromise»
- Die Unionsverfassung unter föderalistischen Gesichtspunkten
- Allgemeines
- Kompetenzaufteilung
- Zweikammersystem
- Verfassungsrevision
- Der Weg zur Bundesverfassung von 1848
- Alte Eidgenossenschaft
- Helvetik
- Erste Helvetische Verfassung
- Malmaison-Verfassung
- Mediation
- Bundesvertrag von 1815
- Regeneration
- Umwälzungen in den Kantonen
- Versuch einer Bundesreform
- Eskalation in den 1840er-Jahren
- Amerika-Bild und Verfassungsrevision
- Drei Phasen der Rezeption
- «Historische» Annäherung
- «Politische» Annäherung
- «Konstitutionelle» Annäherung
- Die Verfassungskommission von 1848
- Rahmen
- «Neue Männer» in der Verfassungskommission
- Geschlagene Konservative, gelähmtes Ausland
- Verlauf
- Das «Kardinalproblem»
- Wende zum Zweikammersystem
- Die Hintergründe der Wende vom 23. März
- Diethelms Bericht
- Munzinger-Biografie: «Stein des Weisen»
- Weitere Quellen
- Troxlers Einfluss auf die Verfassungsrevision
- Billigung durch die Tagsatzung
- Der 1848-Verfassungstext unter föderalistischen Gesichtspunkten
- Allgemeines
- Kompetenzaufteilung
- Zweikammersystem
- Verfassungsrevision
- Die Genese der amerikanischen Unionsverfassung von 1787 und ihre föderalistischen Elemente
- Der Weg zur schweizerischen Bundesverfassung von 1848, einschließlich der historischen und politischen Hintergründe
- Die Rezeption des amerikanischen Föderalismus in der Schweiz: «Historische», «politische» und «konstitutionelle» Annäherung
- Die Rolle der Verfassungskommission von 1848 und ihre Auseinandersetzung mit dem «Kardinalproblem» der Kompetenzverteilung
- Die Umsetzung föderalistischer Prinzipien in der Bundesverfassung von 1848 im Vergleich zur amerikanischen Verfassung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Seminararbeit untersucht die Einflüsse des amerikanischen Föderalismus auf die erste schweizerische Bundesverfassung von 1848. Die Arbeit analysiert die Rezeption des amerikanischen Modells im schweizerischen Kontext und beleuchtet die politischen und konstitutionellen Prozesse, die zur Entstehung der neuen Verfassung führten.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik ein und stellt die Fragestellung vor: Inwiefern hat der amerikanische Föderalismus die schweizerische Bundesverfassung von 1848 beeinflusst? Die Arbeit definiert den Begriff «Föderalismus» und beleuchtet die Relevanz der relevanten Artikel und Quellen.
Kapitel 2 analysiert die amerikanische Unionsverfassung von 1787 unter föderalistischen Gesichtspunkten. Es beleuchtet die Genese der Verfassung, die Entstehung des «great compromise» und die Bedeutung der Kompetenzaufteilung, des Zweikammersystems und der Verfassungsrevision.
Kapitel 3 beschreibt den Weg zur schweizerischen Bundesverfassung von 1848, beginnend mit der Alten Eidgenossenschaft und den verschiedenen Stadien der Helvetik, Mediation und Regeneration.
Kapitel 4 untersucht das Amerika-Bild in der Schweiz und die Rezeption des amerikanischen Föderalismus in drei Phasen: der «historischen», der «politischen» und der «konstitutionellen» Annäherung.
Kapitel 5 behandelt die Verfassungskommission von 1848 und den Prozess der Verfassungsrevision. Es analysiert die Rahmenbedingungen, den Verlauf der Verhandlungen, das «Kardinalproblem» und die Hintergründe der Wende zum Zweikammersystem.
Schlüsselwörter
Amerikanischer Föderalismus, schweizerischer Föderalismus, Bundesverfassung von 1848, Unionsverfassung von 1787, Kompetenzaufteilung, Zweikammersystem, Verfassungsrevision, Rezeption, Amerika-Bild, Verfassungskommission, «Kardinalproblem», «great compromise»
- Arbeit zitieren
- Michael von Ledebur (Autor:in), 2004, Einflüsse des amerikanischen auf den schweizerischen Föderalismus in der ersten Bundesverfassung von 1848, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/31770