Ansätze für einen Umgang mit der Kurzgeschichte „An diesem Dienstag“ von Wolfgang Borchert im Unterricht


Hausarbeit (Hauptseminar), 2013

23 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einführung in den aktuellen Diskurs über Ziele des Literaturunterrichts und die Rolle der Literaturinterpretation

2. Gegenstandsorientierte Betrachtung - Wolfgang Borchert : „An diesem Dienstag“
2.1. Das Leben von Wolfgang Borchert
2.2. Das literarische Wirken von Wolfgang Borchert / Die Gattung der Kurzgeschichte
2.3. Ausgewählte Kurzgeschichte Wolfgang Borcherts : „An diesem Dienstag“

3. Didaktische Überlegungen - Potentiale der Kurzgeschichte „An diesem Dienstag“

4. Didaktische Begründung - Methoden und Konzepte zum Umgang mit der Kurzgeschichte im Literaturunterricht

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis
6.1. Online- Verzeichnis

1. Einführung in den aktuellen Diskurs über Ziele des Literaturunterrichts und die Rolle der Literaturinterpretation

Wie allgemein im Unterricht, gibt es auch für das spezifische Unterrichtsfeld der Literatur viele unterschiedliche Teilziele. Kaspar H. Spinner beispielsweise hat für den Literaturunterricht eine Einteilung in sechs Unterziele vorgenommen, die sich wie folgt zusammensetzen: Förderung der Lesefreude, Literarische Bildung, Förderung von Imagination und Kreativität, Auseinandersetzung mit anthropologischen Grundfragen, Identitätsfindung und Fremdverstehen, sowie die Texterschließungskompetenz.[1]

Im Zuge dieser Ausarbeitung steht vor allem die Texterschließungskompetenz im Mittelpunkt. Den Sinn eines Textes zu entnehmen, beziehungsweise einen Text verstehen zu können, ist eine zentrale Aufgabe von jeder schulischen Beschäftigung mit einem Text. Häufig kommt es im schulischen Alltag bedauerlicherweise dazu, dass das Verfolgen dieser Zielebene dazu führt, dass die Texterschließung zu einer Suchaufgabe degradiert wird und wenig auf sinnvolle unterrichtliche Textanschlusshandlungen geachtet wird. Einen Text zu erschließen heißt nicht nur die zentralen Textelemente zu erkennen, sondern auch ihn zu deuten, oder sogar weiterführend, ihn mit der Wirklichkeit in Bezug zu setzen.

In Anlehnung an die Ziele von Spinner, sollte hier auch das klassische „Drei-Säulen-Modell“ nicht unerwähnt bleiben. Die Ziele des Literaturunterrichts werden im sogenannten „Drei-Säulen-Modell“ unter Textverstehen, Wissen über Literatur und ihre Kontexte, sowie der Lesefreude beziehungsweise Lesemotivation zusammengefasst. Die Literaturinterpretation ist hier unter dem Begriff „Textverstehen“ gefasst, der neben Erkennen von Textelementen und ihren Zusammenhängen, auch die Deutung selbst als ein zentrales Ziel beinhaltet. Die zunehmend größer werdende Rolle der Kompetenzorientierung im Unterricht allgemein und ebenso im Literaturunterricht führt zu einer Unverträglichkeit mit den über viele Jahre als normativ geltenden Zielen des Literaturunterrichts. Im Mittelpunkt dieser normativen Ziele des Literaturunterrichts stehen primär Lesefreude und Lesemotivation, sowie das Wissen über Literatur und ihre Kontexte. Das Textverstehen als explizites Ziel spielte hier bislang keine Rolle.

Die heute vielgeforderten Kompetenzen hingegen zielen im Literaturunterricht eher auf überprüfbare Teilkompetenzen, die vor allem anwendungsorientiert sind. Diese Anwendungsorientierung soll im Idealfall die Schüler und Schülerinnen[2] dazu befähigen, bestimmte Probleme selbstständig zu lösen. Diese überprüfbaren Kompetenzen stehen im Kontrast zu dem Ziel einer Bildung, die auch auf die Persönlichkeitsbildung ausgelegt ist. Das „Drei-Säulen-Modell“[3] hat diese beiden klassischen Ziele also um ein weiteres wichtiges Element, gleichzeitig einer Teilkompetenz, erweitert: dem Textverstehen.

Innerhalb der Literaturwissenschaft, sowie der Deutschdidaktik zeichnet sich inzwischen ein Konsens darüber ab, dass das Verstehen von Texten neben dem sogenannten „basalen Lesen“, was die Dekodierung von einzelnen Wörter und Sätzen beschreibt, weitere zwei Teilkompetenzen beinhaltet, die unabdingbar sind. Diese Teilkompetenzen bestehen zum einen aus dem Erkennen von Textelementen, und zum anderen aus der Deutung.[4]

Das Erkennen von Textelementen könnte man auch als das Erfassen von einer tendenziell objektiven Textbedeutung bezeichnen. Diese Bedeutung ist dem Text zwar in den meisten Fällen nicht wörtlich zu entnehmen, wird aber in der Regel vom Leser durch das Identifizieren von verschiedenen Textinformationen in Verbindung mit Sprach- und Weltwissen, gebildet. Idealerweise wird diese objektive Bedeutungsebene in einem Kulturkreis von allen kompetenten Lesern gleichermaßen gebildet. Die eigentliche Deutung geht allerdings über diese objektive Textbedeutung hinaus und wird beispielsweise von dem Literaturwissenschaftler Klaus Weimar wie folgt beschrieben:

Die Leser finden heraus, was in einem Text „klar“ ist oder durch eine Textuntersuchung „klar“ wird. Das, was nicht „klar“ ist oder werden kann, wird dann gedeutet.[5]

Diese Deutung ist dann letztlich als subjektiv zu bezeichnen. Das literarische Werk bietet dem Leser eine Phantasie, die er als eigene erfährt, da er sie mit seinen eigenen Bedürfnissen und Ängsten in Verbindung bringt.

Auch wenn dieser objektivistische, sowie der subjektivistische Diskurs auf den ersten Blick innerhalb des Textverstehens in einem Widerspruch zu stehen scheinen, ist es doch bereits Norman N. Holland mit seiner Psychoanalytischen Literaturwissenschaft gelungen, diese beiden Diskurse miteinander zu verbinden und aufzuzeigen, dass sie aufeinander aufbauen.

Einerseits wird die Textrezeption bei Holland als eine dargestellt, die wesentlich durch individuelle Phantasien geprägt ist. Auf der anderen Seite kommt der Form des literarischen Werks eine bedeutende Funktion zu, weil ihr die Kanalisierung und Rhythmisierung der mit der Phantasie einhergehenden emotionalen Erregung obliegt. Für Holland ist die Form im Wesentlichen eine Defensivstruktur „ durch die im Werk selbst die Turbulenz der erwachten Triebphantasie wieder gezähmt und distanziert werden kann[6]. Das spiegelt die bereits erwähnte objektive Bedeutungsebene wieder, die ein Text vorgibt und die in einem bestimmten Kulturkreis von allen kompetenten Lesern nahezu gleich verstanden wird. Diese auf Klarheit zielende Leistung des Verstehens wird beispielsweise „Entschlüsselung“, „Kohärenzbildung“ oder eben „Erkennen von zentralen Textelementen und ihren Zusammenhängen“ genannt. Das Erkennen von Textelementen ist also eine grundlegende Teilleistung des Textverstehens. Die Ebenen des Inhalts, der Form und der Sprache legen hierbei das Bedeutungspotential eines Textes fest. Trotzdem bleibt die finale Deutung äußerst subjektiv, da es sich auch immer um ganz persönliche, unbewusst ablaufende Prozesse des Individuums handelt.

Wir alle benutzen als Leser das literarische Werk um in ihm ein Symbol unseres Selbst und schließlich unser Ebenbild zu entdecken. Mithilfe des Textes arbeiten wir unsere charakteristischen Bedürfnis- und Anpassungsmuster durch. Wir interagieren mit dem Werk, machen es zum Bestandteil unseres psychischen Haushalts und uns zum Bestandteil des literarischen Werks, während wir es interpretieren[7]

Wie man letztlich all dieses Wissen um die Ziele des Literaturunterrichts, insbesondere die Rolle von Literaturinterpretation und Deutung im Literaturunterricht umsetzen könnte, werde ich im Folgenden anhand eines konkreten Beispiels darstellen.

2. Gegenstandsorientierte Betrachtung - Wolfgang Borchert : „An diesem Dienstag“

Um eindringlich auf Konzepte und Methoden für die Literaturinterpretation des hier ausgewählten Werkes von Wolfgang Borchert eingehen zu können, ist es vorab nötig eine Sachanalyse durchzuführen. Hierfür ist im Folgenden kurz das Leben von Wolfgang Borchert skizziert, sowie sein literarisches Wirken dargestellt. Dieses Wirken steht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Gattung der Kurzgeschichte, weshalb auch diese hier ausreichend erläutert werden soll. Abschließend soll ein kurzer Überblick über die ausgewählte Kurzgeschichte Borcherts „An diesem Dienstag“ gegeben werden.[8]

2.1. Das Leben von Wolfgang Borchert

Gegenstand der Konzepte einer Unterrichtssequenz soll im Verlauf dieser Arbeit die Kurzgeschichte „An diesem Dienstag“ von Wolfgang Borchert sein. Die Kurzgeschichte wurde im Jahr 1947 veröffentlicht. Borchert selbst wurde 1921 geboren und konnte bereits im Jahr 1938 die ersten einzelnen Gedichte veröffentlichen. Nachdem er die Oberrealschule besucht hatte, begann er 1939 eine Lehre in einer Buchhandlung, um nebenbei als Schauspieler ausgebildet zu werden. Im Jahr 1940 stieß Borchert zum ersten Mal auf Widerstand, dadurch dass er an literarischen Diskussionsabenden teilnahm, auf denen expressionistische Gedichte vorgetragen wurden. Die Konsequenz dessen war, dass er eine Nacht in Haft verbringen musste. Bevor er 1941 an die Ostfront einberufen wurde, erhielt er ein Engagement an der Landesbühne Osthannover. Auf einem Postengang verliert er den Mittelfinger und erkrankt an Diphterie, sowie Gelbsucht. Ihm wird vorgeworfen, dass er sich selbst verstümmelt habe, weshalb es daraufhin zu einer Hausdurchsuchung kommt, in der belastendes Material gefunden wird, sodass er drei Monate in Einzeluntersuchungshaft verbringen muss. Er kann zwar der beantragten Todesstrafe entgehen, wird jedoch trotzdem zu vier Monaten Gefängnis verurteilt. Auf eigenen Wunsch wird das Urteil in sechs Wochen verschärften Arrest mit anschließender Frontbewährung umgewandelt, sodass er bereits im November 1942 wieder an der Ostfront ist. Borchert trägt an der Ostfront Erfrierungen an den Füßen davon und wird mit Fleckfieberverdacht ins Seuchenlazarett Smolensk eingeliefert. Als er bereits im Oktober 1943 erneute Fieberanfälle und zusätzliche Leberbeschwerden bekommt, soll er wegen Dienstunfähigkeit zum Fronttheater abgestellt werden. Dort wirkt er an einer Parodie auf Goebbels mit und wird deswegen erneut verhaftet. Neun Monate wartet er auf den Prozess, der ihm weitere neun Monate Haft einbringt, die allerdings aufgeschoben wird zu Gunsten der Frontbewährung. Aus französischer Gefangenschaft gelingt es ihm rund 600 Kilometer nach Hamburg zu fliehen, wo er als Regieassistent arbeitet und ein „Zimmertheater“ gründet. Dies ist der Zeitpunkt, an dem er seine schriftstellerische Aktivität wieder aufnimmt. Bei einem Krankenhausaufenthalt gegen Ende des Jahres 1945 wird eine Leberentzündung diagnostiziert – eine Fehldiagnose, wie sich später herausstellen sollte. Borcherts Leber ist aufgrund von Mangelernährung bereits nahezu außer Funktion, sodass sich sein Gesundheitszustand 1947 erneut drastisch verschlechtert. Gönner ermöglichen ihm eine Kur, die allerdings kein Erfolg mehr hat, da er dort im November 1941 an inneren Blutungen verstirbt.

2.2. Das literarische Wirken von Wolfgang Borchert / Die Gattung der Kurzgeschichte

Borchert gilt heute als ein Exponent einer Blüte der deutschen Kurzgeschichte, die etwa während der ersten zehn Nachkriegsjahre anzusiedeln ist.[9] Mitverursacht wurde diese Blüte allerdings auch durch die sich vermehrt ausbreitende ausländische Literatur, insbesondere der amerikanischen „short stories“, mit denen die deutsche Kurzgeschichte allerdings nicht unmittelbar gleichgesetzt werden kann.[10] Die Kurzgeschichte wird innerhalb der Wissenschaft ohnehin kontrovers diskutiert und man ist sich nicht einig, welches die Kriterien der Abgrenzung und die Ursprünge ihrer Entwicklung sind. Es herrscht allerdings ein Konsens über gewisse Grundkriterien, die die Einstufung in die Gattung der Kurzgeschichte ermöglichen. In der Regel handelt es sich um folgende Kriterien:[11]

- Offenheit = unmittelbares Einsetzen und Enden der Geschichte
- Kürze = stoffliche und sprachliche Verdichtung
- Fehlen von einer konkreten Handlung = eher Skizze einer Momentaufnahme
- Hauptfigur = um die alles durch ein meist ungewöhnliches Ereignis kreist
- Exemplarizität = Mehrdeutigkeit und Typisierung von Raum und Figuren
- Sprache = sachlich, kühl, alltäglich, beiordnend, hintergründig

Die Kurzgeschichte ist vor allem in der Nachkriegszeit äußerst beliebt, da sie dem Mitteilungsbedürfnis der Schriftsteller gerecht zu werden scheint. Viele der Geschichten beschäftigen sich zunächst mit den leidvollen Erfahrungen des Krieges und der Not der Nachkriegszeit. Sie zeigen jedoch auch eine inhaltliche Wandelbarkeit, die bis in die jüngste Vergangenheit anhält. Kurzgeschichten dienen als Stimme, die die sozialen, politischen und allgemeinen menschlichen Verhältnisse, kritisch hinterfragen. Autoren von Kurzgeschichten schreiben in der Regel, weil ihnen etwas missfällt. Der Transport von Moral steht hier über dem literarischen Ehrgeiz, trotzdem hat die Kurzgeschichte eine literarische Qualität ausgebildet, die sie vor Diskriminierung und Kritik schützt.[12]

2.3. Ausgewählte Kurzgeschichte Wolfgang Borcherts : „An diesem Dienstag“

Die ausgewählte Kurzgeschichte Borcherts handelt von dem Schicksal des Hauptmanns Hesse an einem bestimmten Tag.[13] [14] Dieses besagte Schicksal wird in neun Episoden geschildert, in denen abwechselnd das Front- und Heimatgeschehen dargestellt wird. Als Rahmen fungiert hierbei die Schreibübung Ullas, welche beispielsweise auch den Tod des Hauptmanns („ G wie Grube[15] ) vorausdeutet und ihm Exemplarizität („ wie oft habe ich das schon gesagt[16] ) verleiht. Dies dient unter anderem auch dazu, das erste Mal auf eine Art von Beschränktheit im Blick des Einzelnen und auf die Unterordnung des Individuums unter das Korrekte, hinzuweisen. Die stark eingeschränkte Sicht bekommt durch die Brille der Lehrerin materiellen Ausdruck verliehen. Angelehnt an den verzerrten Blick findet hier außerdem eine gestörte Kommunikation statt, die durch verstärkt herunterspielendes, nicht adäquat erscheinendes Verhalten untermauert wird. Die Nachbarinnen reden in der Kurzgeschichte aneinander vorbei – Frau Hesse feiert, als ihr Mann stirbt, was die erwähnte Kommunikationsstörung auch formal unterstreicht. Borchert wendet die Technik der Collage an, zeigt den Abriss von Verbindungen, das Verlorengehen von Zusammenhängen, aber auch die Gleichgültigkeit gegenüber Fakten (Herr Hansen im Gespräch mit Frau Severin[17] ) auf. Die Verbindungen werden nur knapp aufgezeigt und es findet eine Kontrastierung statt, was sich daran erkennen lässt, dass Hansen annimmt, dass Hesse viel lacht, dieser allerdings zu diesem Zeitpunkt bereits in Ohnmacht liegt.

Es gibt in Borcherts Kurzgeschichte weitere antithetische Verbindungslinien, wie beispielsweise was „ Kann dieser Hessen lachen[18], „ Fieber 41,6 Grad Celsius – Brief -40 Grad Celsius[19], „ Tote bumsen auf die Erde – G wie Grube [20] “ oder allgemein der Kunstkonsum als eine Art Flucht aus der Wirklichkeit (Frau Hesse / Herr Hansen : W.Busch[21] ). Die Kurzgeschichte verweist neben der bereits erläuterten Brille auf weitere symbolhaft erscheinende Gegenstände. Die Brille[22] als Zeichen von Gedämpftheit, der Schal[23] als Zeichen von Individualität und das „Buch des Lebens“[24], in dem die Namen abgehakt werden. Innerhalb der Kurzgeschichte bleiben Raum und Zeit ungenau, was die Einordnung der Geschichte in die Gattung der Kurzgeschichte unterstreicht. Figuren sind typisiert dargestellt und die Sprache grenzt an „Alltagssprache“. Mit all diesen Raffinessen in der Kurzgeschichte wollte Borchert vermutlich die Absurdität und sinnzerstörende Macht des Krieges darstellen. Durch diesen Krieg wurde scheinbar außerdem die normale Verständigung der Menschen aufgehoben, was sich in der besagten Kommunikationsstören wiederspiegelt.

3. Didaktische Überlegungen - Potentiale der Kurzgeschichte „An diesem Dienstag“

Nach Thomas Zabka ist mit der didaktischen Analyse von literarischen Texten die kognitive Operation der Unterrichtsplanung gemeint. Die Lehrerinnen und Lehrer sollen hierfür einen bestimmten Text daraufhin beurteilen, welches für den Text notwendig erachtete Verständnis alle zu unterrichtenden SuS erzielen können und sollen. Aber auch welche Verstehensprozesse unter Umständen initiiert werden sollen, damit sich ein solches Verständnis einstellt. Außerdem beurteilt welches Verständnis bestimmte, aber nicht unbedingt alle SuS erzielen sollten (weil es nicht für unabdingbar erachtet wird). Abschließend müsste nach Zabka noch die Frage geklärt werden, welches erwartbare Verständnis überschritten werden sollt, weil es beispielsweise in Bezug auf den Text als inkohärent gilt oder einem im Unterricht angestrebten Verstehenskontext nicht entspricht. Diese Beurteilung ist abhängig von der besonderen Schülerschaft sowie von den gesellschaftlichen Bildungszielen.[25]

Zunächst ist es also notwendig die zu behandelnde Kurzgeschichte einer besonderen Schülerschaft zuzuordnen. In diesem konkreten Beispiel lege ich mich auf die 10. Jahrgangsstufe fest. Dies liegt nicht nur daran, dass es den gesellschaftlichen Bildungszielen entsprechend ist, sondern kann eher damit begründet werden kann, dass ich denke, dass in dieser auf den ersten Blick simplen Kurzgeschichte, tiefe emotionale und auch problematische Kontexte der Vergangenheit verborgen sind. Die SuS sollten somit erst ein gewisses Alter erreicht haben, um diese Komplexität überhaupt begreifen zu können. Meine später folgenden methodischen Ansätze beziehen sich dabei demnach immer auf eine 10. Klasse der Realschule.

Ziel sollte also zunächst die Erkennung von Gattungsmerkmalen einer Kurzgeschichte sein. Zabka fasst diesen Aspekt auch unter „ Textgestaltung interpretieren[26] zusammen, die in diesem konkreten Beispiel eine besondere Rolle spielt. Man sollte begreifen, dass der Text in 9 Abschnitte, beziehungsweise Episoden, unterteilt ist und dass ein Wechsel zwischen Front- und Heimatgeschehen vorgenommen wird. Die Episoden 1 und 9 können als Rahmenhandlung betrachtet werden. Im Verlauf der Unterrichtssequenz zu dieser Kurzgeschichte sollten die SuS daher außerdem verinnerlichen, dass diese Struktur auch eine konkrete Funktion besitzt und dazu dient, dass die Auswirkungen des Krieges auf die Menschen aufgezeigt werden, auch dort, wo man weit entfernt vom eigentlichen Kampfgeschehen ist. Die Montagetechnik sollte deshalb erkannt, wenn auch nicht konkret benannt werden können und das vermittelte Gefühl von „Gleichzeitigkeit“ identifiziert werden. Diese Gleichzeitigkeit ist es allerdings auch, die den bedeutsamen und drastisch erscheinenden Kontrast zwischen Leid, Tod und Grausamkeit im Krieg einerseits und dem scheinbar friedlichen Leben der Zurückgebliebenen andererseits, verdeutlichen soll. Dies spiegelt sich darin wieder, dass Frau Hesse nach einem Beschriebenen Massentot in die Oper geht.[27] Die Klasse sollte dazu in der Lage sein, die Sprache des Erzählers beschreiben zu können. Es sollte auffallen, dass die Sprache einfach gehalten ist und auf Ausschmücken nahezu gänzlich verzichtet, was bedeutet, dass die Dinge viel mehr beim Namen benannt werden. Borchert arbeitet hier somit auf der Grundlage von Eigentlichkeit, was die Geschichte deutlich von einer klassischen Parabel unterscheidet, da diese SuS mit vermehrter Uneigentlichkeit konfrontiert. Die nahezu schon kindlich wirkende Sprache, sollte eine emotionale Wirkung erkennbar machen. Wieso diese Sprache und letztlich auch die Thematik von Wolfgang Borchert derart gewählt worden ist, sollte spätestens bei näherer Betrachtung seiner biografischen Daten den SuS verständlich werden. Die Sprache ist an vielen Stellen stark durch die nationalsozialistische Diktatur geprägt und insbesondere die dazugehörige Ostfront, die Borchert selbst erleben musste und die daher seine Schreibweise beeinflusst hat. Hier sollten die SuS durchaus dazu in der Lage sein einen Zusammenhang mit der behandelten Epoche des Nationalsozialismus durch den Geschichtsunterricht herstellen zu können. Es bietet sich an dies bezüglich Rücksprache mit dem zuständigen Geschichtslehrer zu halten und die Kontextualisierung, genauer die Einbettung in den historischen Kontext für die SuS zu vereinfachen oder sicherzustellen. Zabka fasst diesen Aspekt der Kontextualisierung, beziehungsweise das Erkennen von Orten, Dingen und Prozessen im Zusammenhang mit der Wirklichkeit, unter dem Aspekt des „ Textinhalte konzeptuell bündeln[28] zusammen. Gerade die Ostfront, die eine konkrete Verbindung zu Borcherts Biografie aufweist, kann außerdem als explizite Information verstanden werden, die lediglich die implizite Information der Ostfront im Text als Ankerpunkt hat. Die kurz gehaltene Satzstruktur, die auf Faktenvermittlung zielt, schafft eine grau und trist wirkende Atmosphäre, die Borcherts Ideologie verkörpert, da er großen Wert darauf legte, Dinge nicht zu beschönigen. Sollte im Unterricht bereits eine Kurzgeschichte Borcherts behandelt worden sein, ist es an dieser Stelle auch von enormer Wichtigkeit diese unmittelbar miteinander zu vergleichen und im Idealfall zu bemerken, dass Borchert trotz der kalt und kühl wirkenden Erzählweise, in all seinen Geschichten einen Hoffnungsschimmer versteckt. Bei der Kurzgeschichte „Die Küchenuhr“ ist dies die kaputte Uhr bei der der Zeiger 2:30 Uhr nachts stehen geblieben ist, weshalb der Mann sie besonders zu schätzen begann oder aber der alte Mann in der Kurzgeschichte „Nachts schlafen die Ratten doch“, der den Jungen mitnimmt. In der vorliegenden Kurzgeschichte dient vor allem eine Aussage der Krankenschwester als eine Art Hoffnungsschimmer: „ Ohne Gott hält man das hier nicht durch.“[29]

[...]


[1] Spinner, Kaspar H.: Zielsetzungen des Literaturunterrichts. In: Franzmann, Bode (u.a.): Handbuch Lesen. München 1999, S.597-601

[2] Im Folgenden verwende ich den Begriff „SuS“ synonym für „Schülerinnen und Schüler“. Sollte eine Unterscheidung notwendig sein, so wird dies kenntlich gemacht.

[3] Leubner, Martin; Saupe, Anja und Richter, Matthias (2010). Literaturdidaktik. Berlin: Akademie Verlag 2010, S.39

[4] Leubner; Saupe; Richter, 2010, S.45-48

[5] Leubner; Saupe; Richter, 2010, S.47

[6] Huber, Florian: Durch Lesen sich selbst verstehen: Zum Verhältnis von Literatur und Identitätsbildung, München 2007, S.74-76

[7] Huber, 2007, S.78

[8] Vgl.: Große, Wilhelm: Oldenbourg Interpretationen – Wolfgang Borchert, Kurzgeschichten. München 1995, S.59

[9] Vgl.: Große, 1995, S.59-60

[10] Wolfdietrich Schnurre in: T.Pelster / K.Krebs / D.Schrey : Deutsch Oberstufe: Sprache und Literatur / Ausgabe B, München² 1999., S.96-98

[11] Vgl.: Gelfert, Hans-Dieter, Wie interpretiert man eine Novelle und eine Kurzgeschiche?, Stuttgart 1993.

[12] Vgl.: P. Nentwig: Die moderne Kurzgeschichte im Unterricht, Aachen-Hahn 1990.

[13] Borchert, Wolfgang, An diesem Dienstag, in: Wolfgang Borchert, Das Gesamtwerk. Reinbek bei Hamburg 2004, S.191-194

[14] Vorab möchte ich feststellen, dass auf eine ausführliche Inhaltsangabe der Kurzgeschichte verzichtet wird, um im vorgegebenen Rahmen dieser Arbeit zu bleiben.

[15] An diesem Dienstag, Z.13

[16] Ebenda, Z.14

[17] Ebenda, Z.43-51

[18] An diesem Dienstag, Z.50

[19] Ebenda, Z.60, Z.72

[20] Ebenda, Z.90-91, Z.102

[21] Vgl.: Ebenda, Z.48/49

[22] Vgl.: Ebenda, Z.5

[23] Vgl.: Ebenda, Z.50

[24] Vgl.: Ebenda, Z.61

[25] Vgl.: Zabka, Thomas (2012). Didaktische Analyse literarischer Texte. Theoretische Überlegungen zu einer Lehrerkompetenz. In: Frickel, Daniela; Kammler, Clemens und Rupp, Gerhard (Hrsg.). Literaturdidaktik im Zeichen von Kompetenzorientierung und Empirie. Freiburg i. Br.: Fillibach 2012, S.139-161

[26] Zabka, 2012

[27] An diesem Dienstag, Z.74-82

[28] Zabka, 2012

[29] An diesem Dienstag, Z.84

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Ansätze für einen Umgang mit der Kurzgeschichte „An diesem Dienstag“ von Wolfgang Borchert im Unterricht
Note
1,3
Autor
Jahr
2013
Seiten
23
Katalognummer
V317764
ISBN (eBook)
9783668169845
ISBN (Buch)
9783668169852
Dateigröße
972 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
ansätze, umgang, kurzgeschichte, dienstag, wolfgang, borchert, unterricht
Arbeit zitieren
Laura Krüger (Autor:in), 2013, Ansätze für einen Umgang mit der Kurzgeschichte „An diesem Dienstag“ von Wolfgang Borchert im Unterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/317764

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