Der "Kieler Leseaufbau" als Förderkonzept für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund


Hausarbeit, 2015

21 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Entwicklung der Lesekompetenz von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund
2.1. Einflussfaktoren auf die Lese- und Schreibentwicklung
2.2. Migrationsbedingte Lernverzögerungen im Lesen und Schreiben
2.3. Das phonetische Problem

3. Leseförderung mit Migrantenkindern
3.1. Generelle Maßnahmen zur Förderung sprachlicher Kompetenzen
3.2. Förderung der phonologischen Bewusstheit

4. Förderkonzept Kieler Leseaufbau
4.1. Einleitung
4.2. Aufbau
4.3. Material

5. Vorschläge für eine empirische Forschungsarbeit zum Nachweis der Anwendbarkeit des Kieler Leseaufbau s für Kinder mit Migrationshintergrund
5.1. Einleitung
5.2. Methode
5.2.1. Stichprobe
5.2.2. Untersuchungsverfahren
5.3. Durchführung

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Wird das Lesen in den ersten beiden Schuljahren nicht erlernt, so wirkt sich das ein Leben lang auf die Lesegenauigkeit und auf das Lesetempo aus. Die Ursache, ob es sich dabei um Behinderungen der zentralen Wahrnehmungsverarbeitung oder behebbare Bedingungen handelt, spielt dabei keine Rolle. Dem zu Grunde liegt eine ganz einfache Formel: fehlender Leselernerfolg führt zu Verlust von Lernmotivation und Selbstbewusstsein, der Verlust von Lernmotivation und Selbstbewusstsein verhindert Schulerfolg und fehlender Schulerfolg erschwert die berufliche und soziale Eingliederung. Aus der fehlenden Lesefertigkeit lassen sich nachhaltige Beeinträchtigungen der Schülerinnen und Schüler sowohl in der Schullaufbahn als auch in Ausbildungs- und Berufschancen sowie in der Persönlichkeitsentwicklung erkennen.[1]

Ungefähr die Hälfte der schwächsten Leser sind Kinder mit nicht-deutscher Erstsprache. Das liegt daran, dass sie durch die Besonderheiten der Lautbildung ihrer eigenen Sprache das Lesen nicht erlernen können, bevor sie die deutsche Sprache nicht beherrschen. Aus diesem Grund kann bei L2 Lernern der Leseprozess nicht durch eine veränderte Lesemethodik verbessert werden. Durch den Kieler Leseaufbau können den Schülerinnen und Schülern jedoch entscheidende Leselernhilfen gegeben werden. Der Kieler Leseaufbau wird jedoch hauptsächlich für Schülerinnen und Schüler mit einer Lese- und Rechtschreibschwäche eingesetzt.

Aus diesem Grund werde ich im Rahmen dieser Hausarbeit der Fragestellung nachgehen, ob der Kieler Leseaufbau auch für die Lesekompetenz von Kindern mit Migrationshintergrund ein effektives Förderprogramm darstellt. Zuerst werde ich mich mit der Entwicklung der Lesekompetenz von Kindern mit Migrationshintergrund beschäftigen. Dabei werde ich mich auf Einflussfaktoren und migrationsbedingte Verzögerungen beziehen. Zudem werde ich auf das phonetische Problem, das diese Kinder zu überwinden haben, beziehen. Anschließend werde ich die Leseförderung von Kindern mit Migrationshintergrund thematisieren. Dieses Kapitel beginnt allgemein mit den generellen Maßnahmen und wird dann durch die Auseinandersetzung mit der Förderung der phonologischen Bewusstheit spezifiziert. Ich habe mich auf sprachlicher Ebene bewusst ausschließlich auf die phonologische Bewusstheit bezogen, da diese durch den Kieler Leseaufbau gefördert wird.

Im zweiten Teil werde ich das Förderprogramm Kieler Leseaufbau vorstellen. Leider war es nicht möglich eine eigene empirische Studie durchzuführen, daher wird in dieser Hausarbeit ein Design für eine Studie erstellt, so dass sie jederzeit durchgeführt werden könnte. Diese Studie soll die Wirksamkeit des Kieler Leseaufbau s bei Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund überprüfen. Dies wird der letzte Teil der Hausarbeit sein. Abschließend werde ich in einem Fazit meine Ergebnisse zusammenfassen und verdeutlichen, inwiefern sich meine zu Beginn gestellte Frage beantworten lässt.

2. Entwicklung der Lesekompetenz von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund

2.1. Einflussfaktoren auf die Lese- und Schreibentwicklung

Ohne eine Aussage über Entwicklungsmodelle der literalen Fähigkeiten kann keine Aussage über die Förderung der Lese-/Rechtschreibfähigkeiten gemacht werden. Die Literaturrecherche hat gezeigt, dass es sich als äußerst schwierig erweist, Entwicklungsmodelle der literalen Kompetenzen von Migrantenkindern zu finden. Das liegt unter anderem daran, dass eine Vielzahl von Variablen die Lese- und Schreibentwicklung von Migrantenkindern beeinflusst und es somit sehr anspruchsvoll ist, den Überblick über ein komplexes Kausalgeschehen mit seinen vielen Wechselbeziehungen zu behalten. Ein anderer Grund ist die Forschung selbst, da sie sachfremden Einflüssen unterliegt und demnach nicht zwingend gradlinig, systematisch und zielgerichtet verläuft.[2]

Drei Einsichten sind dennoch von besonderer Bedeutung. Erstens lässt sich festhalten, dass die Begriffe „Lesefähigkeit“ und „Schreibfähigkeit“ zu kurz greifen. Zwar wird Lesen als die Kompetenz verstanden, von Buchstaben auf Laute zu schließen und daraus Rückschlüsse auf die zu erlesenden Worte und Sätze zu ziehen, jedoch besitzen diese Kompetenz Leseanfänger genauso wie Menschen, die bereits seit Jahren problemlos lesen und schreiben können. Das gleiche gilt für die Fähigkeit, Gedachtes oder Gehörtes nach allgemein anerkannten Regeln niederzuschreiben.[3]

Zweitens muss sich von dem Gedanken verabschiedet werden, dass Kinder lesen und schreiben erst in der Schule lernen, denn wesentliche Entwicklungsschritte beginnen weit vor der Einschulung. Die sprachliche Sozialisation im Elternhaus ist der Ausgangspunkt der Lese-und Schreibentwicklung. Diese gestaltet sich sehr unterschiedlich, je nachdem, ob in dem Haushalt ständig gelesen und geschrieben wird, oder ob dieses selten bis gar nicht der Fall ist. Um das zu verdeutlichen wird das Bild des Baumes genutzt, bei dem der Boden den Einfluss auf das Wachstum des Baumes darstellt. Dieses Bild soll widerspiegeln, wie viel Einfluss die Literacy-Umgebungsvariablen auf die Entwicklung im Lesen und Schreiben nehmen.[4]

Dabei sollte jedoch bedacht werden, dass sich diese Beziehung weder als Kausalbeziehung, noch als notwendige Voraussetzung verstehen lässt. Kinder, die in einem Haushalt aufwachsen, in dem es keine Bücher gibt, können durchaus kompetente Leser und Schreiber werden. Gewiss ist jedoch, dass Kinder in ihren Familien sprechen lernen, was als wesentliche Voraussetzung der weiteren Entwicklung gesehen werden kann. Drittens muss beachtet werden, dass sich die Entwicklung von Lesen und Schreiben in qualitativ und quantitativ verschiedenen Phasen unterscheidet. Erstklässler lesen und schreiben grundsätzlich anders als Viertklässler.[5]

Wie die Lese- und Schreibentwicklung bei einem Kind abläuft wird unter anderem auch durch genetische Anlagen bestimmt. Da sich diese Hausarbeit mit den Auswirkungen von Migration befasst, sollte sich eher die Frage nach der Beziehung zwischen den genetischen Studien der Legasthenieforschung und der Bilingualismus-Forschung gestellt werden. Als erstes wird dabei festgehalten, dass sich Legasthenie und Bilingualität nicht gegenseitig ausschließen. Das Problem liegt aber in der unzureichenden Forschung des Themas.[6] Durch die Übersichtsarbeit von Johansson wurde bewiesen, dass der Zweitspracherwerb möglicherweise „spezifische kortikale Veränderungen bewirken kann“[7]. Er zieht aus seiner Untersuchung die Schlussfolgerung, dass die gleichen Regionen im Gehirn beim Erst- und Zweitspracherwerb beteiligt sind. Die Unterschiede, die in seiner Arbeit gefunden wurden, können so erklärt werden, dass unterschiedliche Sprachen dem Sprecher unterschiedliche Aufgaben abverlangen, die sich je nach Zeitpunkt des Erwerbs und Kompetenzniveaus deutlich unterscheiden. Es kann davon ausgegangen werden, dass der Verlauf der Sprachentwicklung von den sprachlichen Anlagen beeinflusst wird, wodurch jeder Lerner mit einem anderen Ausgangspunkt startet.[8]

2.2. Migrationsbedingte Lernverzögerungen im Lesen und Schreiben

Sehr häufig kommt es bei Schülerinnen und Schülern mit Deutsch als Zweitsprache zu Lern- und Entwicklungsverzögerungen im Lesen oder Schreiben. Es kommt sogar nicht selten vor, dass Kinder dauerhaft auf den ersten Stufen der Lese- oder Schreibentwicklung stecken bleiben. Das liegt daran, dass die Alphabetisierung von Kindern bzw. der Wechsel in eine neue Sprachumgebung zusätzliche Anforderungen beinhaltet, die für die meisten Kinder zu anspruchsvoll sind. „Nach Befunden der PISA-Studie erreichen derzeit 9,9% der untersuchten Fünfzehnjährigen nicht die unterste Stufe der Gesamtskala Lesen“[9]. Diese Probleme bestehen beispielsweise darin, gegebene Informationen aus einem Text zu filtern, den zentralen Gedanken des Textes zu finden, die Hauptaussage des Autors zu erkennen oder Informationen aus dem Text mit dem Alltagswissen zu verbinden. Weitere wichtige Daten besagen, dass 20% der Jugendlichen mit Migrationshintergrund unter der ersten Stufe der Lesekompetenz bleiben und 50% diese nicht überschreiten.[10]

Durch viele einschlägige Veröffentlichungen wird in der Öffentlichkeit der Eindruck vermittelt, dass Schulprobleme insbesondere als Folge von Migration entstehen und diese sich durch eine monokausale Beziehung auszeichnen. Diese Behauptung muss aber widerlegt werden, denn es gibt zwar viele Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, die auf einem niedrigen Lese- und Schreibniveau bleiben, aber das sind nicht alle. Es ist nicht der Migrationshintergrund an sich, der für Probleme im Lesen und Schreiben sorgt, sondern erst die Kombination mit weiteren Variablen. Einige dieser Variablen hängen davon ab, unter welchen Umständen die Migration erfolgt.[11]

So ist beispielsweise das Alter des Kindes bei der Einwanderung bedeutsam. Es gilt stets umstritten, ob der Zweitspracherwerb ab einem gewissen Alter durch neurologische Lerngrenzen behindert wird, was die Critical-Period-Hypothese besagt. Belegt werden konnte aber, dass auch Erwachsene eine Zweitsprache erfolgreich erwerben können. Es lässt sich jedoch sagen, dass ein hohes Alter bei der Einreise zu den Variablen gehören kann, die bei vielen Kindern für Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben sorgen. Das kann unter anderem daran liegen, dass kleinen Kindern das Erlernen einer zweiten Sprache leichter fällt als Jugendlichen und Erwachsenen. Der Aufwand, der betrieben werden muss, um eine zweite Sprache kompetent zu gebrauchen, steigt in Abhängigkeit des Alters. Zusätzlich kann ebenfalls in Betracht gezogen werden, dass der erforderliche Aufwand für den Erwerb einer fremden Sprache, die Mühe oder die Zeit übersteigt, die in den Spracherwerb investiert werden kann. Folglich verläuft der Spracherwerb nicht angemessen und es entwickeln sich Probleme im Lesen und Schreiben.[12]

Eine weitere Variable ergibt sich dadurch, dass der Aufwand für den vollständigen Erwerb der Zweitsprache sich weiter vergrößert, wenn die Sprache der Eltern die Umgangssprache zu Hause bleibt. Eine Studie von Bleakley und Chin stellte fest, dass sich das Einreisealter der Eltern indirekt auf die Kinder auswirken kann. Sie fanden heraus, dass sich eine späte Einreise und daraus resultierende schlechte Kenntnisse in der Zweitsprache in Kombination mit dem Gebrauch der ersten Sprache im Alltag negativ auf den Zweitspracherwerb der Kinder auswirken. Es ist aber auch möglich, dass Erst- und Zweitsprache in gleichem Maße gesprochen werden. In diesem Fall ist möglicherweise nur ein Elternteil sprachlich marginalisiert.[13]

Es können ebenfalls kulturelle und soziale Variablen identifiziert werden. Diese können der Grund dafür sein, dass der erforderliche Aufwand für den Zweitspracherwerb sinkt, oder dass andersherum mehr Aufwand betrieben werden muss. Ein ebenfalls wichtiger Faktor ist der, dass es Migrantenfamilien, im Gegensatz zu Deutschen, nicht möglich ist, ihr kulturelles Kapital in ökonomisches zu verwandeln. Es besteht bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund nur ein sehr geringer Zusammenhang zwischen Bildungserfolg und dem ökonomischen Kapital der Eltern. Migration ist demnach als ein Einschnitt im Lebenslauf zu sehen, der einen Verlust von Kapital bewirkt.[14]

[...]


[1] Vgl. Lisa Dummer-Smoch / Renate Hackethal: Kieler Leseaufbau. Kiel 2011. S. 8.

[2] Vgl. Johannes Mand : Lese-Rechtschreibförderung für Migrantenkinder: Grundlagen, Diagnostik, Methoden. Stuttgart 2012. S. 10.

[3] Vgl. Johannes Mand : Lese-Rechtschreibförderung für Migrantenkinder: Grundlagen, Diagnostik, Methoden. Stuttgart 2012. S. 11.

[4] Vgl. Johannes Mand : Lese-Rechtschreibförderung für Migrantenkinder: Grundlagen, Diagnostik, Methoden. Stuttgart 2012. S. 12 f.

[5] Vgl. Johannes Mand : Lese-Rechtschreibförderung für Migrantenkinder: Grundlagen, Diagnostik, Methoden. Stuttgart 2012. S.13.

[6] Vgl. Johannes Mand : Lese-Rechtschreibförderung für Migrantenkinder: Grundlagen, Diagnostik, Methoden. Stuttgart 2012. S. 26.

[7] Johannes Mand : Lese-Rechtschreibförderung für Migrantenkinder: Grundlagen, Diagnostik, Methoden. Stuttgart 2012. S. 27.

[8] Vgl. Johannes Mand : Lese-Rechtschreibförderung für Migrantenkinder: Grundlagen, Diagnostik, Methoden. Stuttgart 2012. S. 27.

[9] Johannes Mand: Lese- und Rechtschreibförderung in Kita, Schule und in der Therapie: Entwicklungsmodelle, diagnostische Methoden, Förderkonzepte. Stuttgart 2008. S. 22.

[10] Vgl. Johannes Mand: Lese- und Rechtschreibförderung in Kita, Schule und in der Therapie: Entwicklungsmodelle, diagnostische Methoden, Förderkonzepte. Stuttgart 2008. S. 22.

[11] Vgl. Johannes Mand: Lese- und Rechtschreibförderung in Kita, Schule und in der Therapie: Entwicklungsmodelle, diagnostische Methoden, Förderkonzepte. Stuttgart 2008. S. 23.

[12] Vgl. Johannes Mand: Lese- und Rechtschreibförderung in Kita, Schule und in der Therapie: Entwicklungsmodelle, diagnostische Methoden, Förderkonzepte. Stuttgart 2008. S.23 f.

[13] Vgl. Johannes Mand: Lese- und Rechtschreibförderung in Kita, Schule und in der Therapie: Entwicklungsmodelle, diagnostische Methoden, Förderkonzepte. Stuttgart 2008. S.24.

[14] Vgl. Johannes Mand: Lese- und Rechtschreibförderung in Kita, Schule und in der Therapie: Entwicklungsmodelle, diagnostische Methoden, Förderkonzepte. Stuttgart 2008. S. 25 ff.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Der "Kieler Leseaufbau" als Förderkonzept für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund
Note
2,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
21
Katalognummer
V318289
ISBN (eBook)
9783668175433
ISBN (Buch)
9783668175440
Dateigröße
462 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
kieler, leseaufbau, förderkonzept, schülerinnen, schüler, migrationshintergrund
Arbeit zitieren
Nathalie Fiore (Autor:in), 2015, Der "Kieler Leseaufbau" als Förderkonzept für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/318289

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