Die Münchner Bohème und ihre Gräfin Franziska zu Rewentlow


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

19 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. München um 1900
2.1 Die Entstehung der Großstadt
2.2 Der Jugendstil
2.3 Schwabing – das Künstlerviertel

3. Die Münchner Bohème
3.1 Die Bohème – eine Definition
3.2 Der Bohèmien
3.3 Die Schwabinger Szene

4. Franziska zu Reventlow
4.1 Leben und Werk
4.2 Die Gräfin und die Kosmiker
4.3 Das berühmte Eckhaus in der Kaulbachstraße
4.4 Die Gräfin – eine Bohèmienne?

5. Schluss

1. Einleitung

Meine Hausarbeit beschäftigt sich mit der Münchner Bohème und einer ihrer bemerkenswertesten Figuren, Franziska Gräfin zu Reventlow. Ich beginne mit einer allgemeinen Einführung in das München um 1900. Die wirtschaftlich-politische und soziale Vorgeschichte der Großstadt soll vorerst Gründe und Zahlen für die Entstehung von München liefern. Um die Jahrhundertwende avancierte München zu einer der Kulturstätten Europas. Auch wenn der Jugendstil nicht direkt mit dem Thema der Münchner Bohème um Franziska zu Reventlow in Verbindung steht, so halte ich ihn dennoch für erwähnenswert, da er eine Grundhaltung der damaligen Künstler bezeichnete. Weiterhin wird einem im Zusammenhang mit München und Kunst sofort der Stadtteil Schwabing ins Gedächtnis gerufen. Dieses Künstlerviertel galt als Umschlagplatz der zahlreichen Maler, Schriftsteller und anderer Bohèmiens. Was genau die Bohème bedeutet soll in den nächsten Punkten geklärt werden. Zunächst soll eine vage Definition dieses Begriffs gegeben werden. Anschließend werden Aspekte behandelt, die einen klassischen Bohèmien auszeichnen. Letztendlich verbinde ich das Phänomen der Bohème mit München und beschreibe speziell die Schwabinger Szene. Eine der schillerndsten und bekanntesten Mitglieder dieser Bewegung war Franziska zu Reventlow. Sie war nicht nur eine der wenigen Frauen, die sich in der Männerdomäne der Kunst durchzusetzen vermochte. Gräfin zu Reventlow wurde zu einem Mythos. Ich möchte in dieser Arbeit kurz ihr Leben und Werk nachzeichnen. Auch ihre Kontakte zur Bohème, speziell zum Kosmiker-Kreis, und ihre eigene Wohngemeinschaft mit dem polnischen Kunstmaler Bohdan von Suchocki und dem Schriftsteller Franz Hessel, sollen untersucht werden. Die entscheidende Frage ist, ob die von allen nur Gräfin genannte Franziska zu Reventlow wirklich eine Bohèmienne im typischen Stil war. Ein Versuch, dies zu klären, ist der Inhalt des letzten Kapitels dieser Arbeit.

2. München um 1900

2.1 Die Entstehung der Großstadt

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde bestimmt von Technisierung und Industrialisierung. Kennzeichnend hierfür sind die Entwicklung der Großstädte und die Entstehung von Fabriken und Industrieanlagen.[1] Auch die technischen Innovationen und naturwissenschaftlichen Erfindungen dieser Zeit sind beachtlich. Das 19. Jahrhundert ist das Jahrhundert der wissenschaftlichen Entdeckungen.[2] Es war die Zeit von Beobachtung und Experiment. Der Darwinismus wurde zur „Schlüssellehre des 19. Jahrhunderts“.[3] Die Geburt der Automobilindustrie ist auf die Erfindung des Benzin- und Dieselmotors in den Jahren 1887 und 1893 zurückzuführen. Hinzu kommen die Entdeckung der Röntgenstrahlen (1895) und der Atomphysik (1899). Das Aufblühen des Baugewerbes entsteht durch die gesteigerte Stahlproduktion und die dadurch mögliche Stahlbetonbauweise. Dies sind alles Neuerungen, die zu jener Zeit die Wirtschaft ankurbelten.[4] In dieser Phase der Hochindustrialisierung erlebten viele Städte ein starkes Wachstum. „Natürliche Bevölkerungsüberschüsse, Wanderungen und Eingemeindungen“ führten auch in München dazu, dass die Bewohneranzahl zwischen 1871 und 1914 von 170 000 Menschen auf 630 000 Menschen anstieg. Hierdurch wurden der bayerischen Metropole zwar viele wirtschaftliche und kulturelle Möglichkeiten eröffnet, jedoch kamen aber auch viele soziale Probleme auf. Schließlich musste für Menschen jeden Alters und aller Schichten Wohnraum geschaffen werden. Zwischen 1885 und 1910 entstanden ca. 70 000 Wohnungen.[5] Wie in allen Großstädten wurden nun die einzelnen Schichten auf verschiedene Stadtteile verteilt. So kam es, dass die Unterschicht mit ihren Arbeitern und Handwerkern sich vorwiegend in Giesing und Westend ansiedelte, während die Oberschicht, zu der Akademiker gehörten, vor allem im Wiesen- und Universitätsviertel zu finden waren.[6] Die Künstler, also Musiker, Schauspieler, Schriftsteller und Maler, gehörten zur oberen Mittelschicht und suchten sich als ihr Zentrum den Stadtteil Schwabing aus.[7]

2.2 Der Jugendstil

Obwohl der Jugendstil keinen großen Einfluss auf das Werk von Franziska zu Reventlow hatte, so war er doch die prägende Stilrichtung für das München um 1900. Er entstand um die Jahrhundertwende vom 19. ins 20. Jahrhundert und umfasst ungefähr die zwei Jahrzehnte zwischen 1890 und 1910.[8] Es gab nicht klar trennbare Übergänge vom Historismus, der den Zeitraum von 1820 bis ca. zum Ende des Ersten Weltkriegs umfasst[9], über den Jugendstil zur Moderne. Jugendstil war also ein Zwischenglied, da er einerseits als Überwindung des Historismus galt, aber auch gleichzeitig den Aufbruch in die Moderne einläutete.[10] Er war „eine Reaktion auf die Wiederholung früherer Stilformen“[11], wie sie der Historismus propagierte. Der Begriff Jugendstil leitet sich vermutlich von der 1896 erstmals in München erschienen Zeitschrift „Jugend“ ab.[12] Diese „Illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben“ beschäftigte sich mit der Moderne und war nicht nur auf den Jugendstil eingeschworen. Vielmehr war sie sämtlichen Kunstrichtungen offen.[13] Der Jugendstil steht für eine „geistige Erneuerungsbewegung“, die nicht nur neue Formen in der Kunst suchte, sondern mit dem Wort „Jugend“ eine „treibende Kraft des gesamten, nach Erneuerung drängenden Lebens“ bezeichnete.[14]

2.3 Schwabing – das Künstlerviertel

München war im ausgehenden 19. Jahrhundert zu einer der angesehensten Kunstmetropolen Europas avanciert. „Unter dem Einfluss der Bestrebungen Ludwigs I., Förderers der Universität und Gründers mehrerer Museen, entwickelte sich die Stadt neben Paris, Wien und Berlin zu einem der wichtigsten Zentren des Kunsthandels.“[15] Zwischen 3 500 und 4 000 Haushalte in München konnten von ihren Kunstprodukten gut leben.[16]

Wenn München die „Hauptstadt der Künste“ war, war Schwabing das „Weltdorf der Bohème“.[17] Schwabing ist nach Hans Brandenburg „ein lebendiger Organismus aus Kreisen“ gewesen, „die sich willkürlich und unwillkürlich, willig und unwillig berührten, anzogen und abstießen, überschnitten und durchkreuzten“. Damit meinte er die verschiedenen Kreise der Münchner Bohème, wie beispielsweise den Kosmiker-Kreis oder auch den Reventlow-Kreis.[18] Dass Schwabing den Ruf des Mittelpunkts der kulturellen Moderne Münchens trägt, liegt zunächst daran, dass hier viele Künstler lebten. Die Mieten waren niedriger als im Zentrum der Stadt[19], was dazu führte, dass sich die Einwohnerzahl zwischen 1850 und 1890 verachtfachte.[20] Schwabing wurde zum bevölkerungsreichsten Stadtteil Münchens.[21] Andererseits war Schwabing nahe an der Kunstakademie und der Universität. Viele Studenten und Schriftsteller, unter ihnen Thomas Mann und Rainer Maria Rilke, zog es vor allem deswegen seit 1890 vermehrt hierher.[22] Neueröffnungen von Cafés und Lokalen ermöglichten der künstlerischen Bohème die Zusammenkünfte zum Austauschen und gemeinsamen Philosophieren und Diskutieren.[23] Es entstanden Kleinkunstbühnen wie die Bühne der „Elf Scharfrichter“ oder das 1891 gegründete „Cinematographen-Wandertheater“.[24] Doch Schwabing wurde weniger zu einem geographischen als einem kulturellen Begriff, der Bohèmien zum „Schwabinger Schlawiner“. „Unter diesen Sammelbegriff fiel alles, was hinter den tausend Atelierfenstern malte und Ton knetete, in den Mansarden dichtete, sang oder Noten schrieb, in kleinen Gasthäusern Schulden machte und in Cafés Nihilismus oder Ästhetentum verkündete“. Charakteristisch für den „Schwabinger Schlawiner“ war provokante Kleidung und unbürgerliches Gehabe.[25] Renommierte Maler wie Franz von Lenbach und Wilhelm von Kaulbach lebten und arbeiteten in München. Sie zogen zahlreiche weitere Maler an. Auch für Malerinnen war die Kunststadt interessant. Da ihnen eine Ausbildung an der staatlich und künstlerisch anerkannten Akademie untersagt war, hatten sie durch die hohe Dichte an Künstlern, die Möglichkeit auf privaten Unterricht.[26] Sehr viele talentierte und untalentierte Menschen kamen zu jener Zeit nach München und gestalteten so das künstlerische Flair der Stadt. Doch zum Teil resultierte es mehr aus einer Quantität als aus einer Qualität der entstehenden Kunstwerke.[27] Neben der bildenden Kunst rückte auch immer mehr die Literatur in den Vordergrund. Viele verschiedene Zeitschriften und Verlage werden in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts gegründet und verliehen der Literatur Münchens ein neues Profil. Neben der bereits in 2.2 erwähnten Zeitschrift „Jugend“ von Georg Hirth, die dem Art Nouveau den deutschen Namen verpasste, erschien beispielsweise auch die Zeitschrift „Die Insel“. Sie wurde von Rudolf A. Schröder, Alfred Walter Heymel und Otto Julius Bierbaum herausgegeben. Aus ihr entwickelte sich der Insel-Verlag. Albert Langen prägte ebenfalls das München um 1900. Seit 1893 veröffentlichte er in seinem Verlag moderne Literatur, vor allem Übersetzungen aus dem Französischen und dem Skandinavischen. Diese vielen neuen Foren und Möglichkeiten des Ausdrucks ermöglichten es den Bohèmiens ihre Meinungen und Ideologien nach außen hin zu vertreten. Verschiedene Ansichten prallten aufeinander, was zu heftigen Diskussionen führte. „Von asketisch lebenden Vegetariern wie Karl Wilhelm Diefenbach bis zu Anarchisten wie Erich Mühsam oder der esoterischen Kosmiker-Runde um Ludwig Klages. Alle zusammen bildeten sie den legendären ‚Mythos Schwabing’.“ [28]

[...]


[1] Gerhardus, Maly und Gerhardus, Dietfried: Bildkunst des 20. Jahrhunderts. Symbolismus und Jugendstil. Krisenbewusstsein, Verfeinerung sinnlichen Handelns und die Erneuerung des Lebens in Schönheit. Freiburg im Breisgau 1977, S. 17

[2] Denis, Prof. Dr. V. und de Vries, Tj. (Hgg.): Kunst und Kultur aller Zeiten. Von der Renaissance bis heute. Hanau, S. 161

[3] Gerhardus, Maly und Gerhardus, Dietfried: Bildkunst des 20. Jahrhunderts. Symbolismus und Jugendstil. Krisenbewusstsein, Verfeinerung sinnlichen Handelns und die Erneuerung des Lebens in Schönheit. Freiburg im Breisgau 1977, S. 17

[4] Lieb, Stefanie: Was ist Jugendstil, Darmstadt 2000, S. 14 ff.

[5] Neumeier, Gerhard: München um 1900. Frankfurt am Main 1995, S. 11

[6] Neumeier, Gerhard: München um 1900. Frankfurt am Main 1995, S. 63

[7] Neumeier, Gerhard: München um 1900. Frankfurt am Main 1995, S. 57

[8] Steinmetz-Oppelland, Angelika: Apolda. Jugendstil. Horb am Neckar 2002, S. 7

[9] Steinmetz-Oppelland, Angelika: Apolda. Jugendstil. Horb am Neckar 2002, S. 9

[10] http://www.buurman.de/1999/1658.html

[11] Denis, Prof. Dr. V. und de Vries, Tj. (Hgg.): Kunst und Kultur aller Zeiten. Von der Renaissance bis heute. Hanau, S. 198

[12] Kammerlohr, Otto: Epochen der Kunst. Band 4: Vom Klassizismus zu den Wegbereitern der Moderne, 5 Bände, Werner Broer u. a. (Hgg.), München 1999, S. 246

[13] Linnenkamp, Rolf: Jugendstil. München 1982, S. 7

[14] Kammerlohr, Otto: Epochen der Kunst. Band 4: Vom Klassizismus zu den Wegbereitern der Moderne, 5 Bände, Werner Broer u. a. (Hgg.), München 1999, S. 246

[15] Egbringhoff, Ulla: Franziska zu Reventlow. Hamburg 2000, S. 43

[16] Neumeier, Gerhard: München um 1900. Frankfurt am Main 1995, S. 57

[17] Faber, Richard: Europäische Kulturstudien. Bd.3: Franziska zu Reventlow und die Schwabinger Gegenkultur, Klaus Garber u. a. (Hg.), Böhlau 1993, S. 7

[18] Faber, Richard: Europäische Kulturstudien. Bd.3: Franziska zu Reventlow und die Schwabinger Gegenkultur, Klaus Garber u. a. (Hg.), Böhlau 1993, S. 5

[19] Egbringhoff, Ulla: Franziska zu Reventlow. Hamburg 2000, S. 45

[20] Neumeier, Gerhard: München um 1900. Frankfurt am Main 1995, S. 119

[21] Neumeier, Gerhard: München um 1900. Frankfurt am Main 1995, S. 121

[22] Neumeier, Gerhard: München um 1900. Frankfurt am Main 1995, S. 120

[23] Egbringhoff, Ulla: Franziska zu Reventlow. Hamburg 2000, S. 45

[24] Egbringhoff, Ulla: Franziska zu Reventlow. Hamburg 2000, S. 43

[25] Egbringhoff, Ulla: Franziska zu Reventlow. Hamburg 2000, S. 45 ff.

[26] Egbringhoff, Ulla: Franziska zu Reventlow. Hamburg 2000, S. 45

[27] Egbringhoff, Ulla: Franziska zu Reventlow. Hamburg 2000, S. 44

[28] Egbringhoff, Ulla: Franziska zu Reventlow. Hamburg 2000, S. 45

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die Münchner Bohème und ihre Gräfin Franziska zu Rewentlow
Hochschule
Universität Karlsruhe (TH)
Veranstaltung
Hauptseminar Franziska zu Reventlow und Franz Hessel - Gestalten und Beobachter der Münchner Moderne
Note
2,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
19
Katalognummer
V31842
ISBN (eBook)
9783638327343
Dateigröße
488 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Münchner, Bohème, Gräfin, Franziska, Rewentlow, Hauptseminar, Franziska, Reventlow, Franz, Hessel, Gestalten, Beobachter, Münchner, Moderne
Arbeit zitieren
Suzana Dulabic (Autor:in), 2004, Die Münchner Bohème und ihre Gräfin Franziska zu Rewentlow, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/31842

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Die Münchner Bohème und ihre Gräfin Franziska zu Rewentlow



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden