Das Ende der nordischen Zollunion und die Entstehung der EFTA. Die Pariser Verhandlungen und Gespräche über einen gemeinsamen Markt in Skandinavien


Seminararbeit, 2004

16 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Vorgeschichte der institutionalisierten Zusammenarbeit in Skandinavien

III. Die Verhandlungen zur skandinavischen Zollunion und deren Konfliktlinien
III. a) Innerskandinavische Konfliktlinien
III. b) Innerstaatliche/Gesellschaftliche Konfliktlinien
III. c) Weltpolitische Konfliktlinien

IV. Der FTA-Vorschlag

V. Der Pariser Einfluss auf die Gespräche im NECC

VI. Von der FTA zur EFTA

VII. Norwegen und Schweden verabschieden sich von der Zollunion

VIII. Der nordische Einfluss auf die Stockholmer Konvention

IX. Fazit

Abkürzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

I. Einleitung

„Alternativen, die seinerzeit nicht zum Zuge kamen, regen die Phantasie an und schärfen zugleich den Blick für die Schwierigkeiten, mit denen sich die Integrationspolitik auseinandersetzen muss.“[1] Diese Feststellung, die Wilfried Loth gleich zu Beginn seines Handbuchs über die Anfänge der europäischen Integrationsbestrebungen macht, ist die Grundlage für die in dieser Hausarbeit bearbeitete Fragestellung. Eine dieser Alternativen ist nämlich der Versuch der nordeuropäischen Staaten die bereits 1952 begonnene, wenn auch schwach institutionalisierte, Zusammenarbeit im Nordischen Rat zu einer Zollunion auszuweiten. Als jedoch das Konzept der European Free Trade Association (EFTA) Mitte 1959 auf dem Tisch lag, wandte man sich von dieser stärker integrativen Schiene der Zusammenarbeit ab, um der intergouvernmentalen European Free Trade Association beizutreten. Nun stellt sich folgende Frage, deren Beantwortung sicherlich einen Einblick in die komplexen Prozesse der Integrationsgeschichte ermöglicht:

Inwieweit und vor allem aus welchen Gründen wurde das Konzept der geplanten nordischen Zollunion für die Schaffung der EFTA zurückgestellt, und inwiefern war diese Schwerpunktverlagerung in der skandinavischen Integrationspolitik nach den Beitrittsgesuchen der Briten und Dänen bereits zwei Jahre nach der Gründung der Freihandelszone falsch? Und wohl noch schlimmer: Irreversibel? Hierbei soll der Text der Stockholmer Konvention von 1960[2] als Anhaltspunkt dienen, um die Rückkoppelungseffekte der (E)FTA-Verhandlungen auf die Zollunionsverhandlungen zu verdeutlichen. Norwegen wird bei dieser Untersuchung im Vordergrund stehen.

II. Vorgeschichte der institutionalisierten Zusammenarbeit in Skandinavien

Es soll hierbei jedoch keinesfalls der Eindruck entstehen, dass der Umkehrschluss (d.h. dass die Schaffung der nordischen Zollunion eine sichere Angelegenheit gewesen wäre, die nur durch den britischen Vorschlag der FTA aus den Angeln gehoben wurde) bei einer Bejahung der hier untersuchten Frage richtig sei. Trotzdem wirkt die Umorientierung zur Freihandelszone wie ein Bruch vor dem Hintergrund der

vergleichsweise linearen Geschichte der Zusammenarbeit der skandinavischen Staaten, die im 18. und 19. Jahrhundert begann, als man versuchte die nordischen Staaten durch

die Betonung der Gemeinsamkeiten in einer Allianz gegen äußere Feinde zusammenzuschweißen und ein nordisches Bewusstsein schuf.

“The Scandinavian languages, the Protestant religion and common judicial system, Viking history, pre-Christian mythology and joint – albeit disputed – territories […] have combined to create the basis for a common Nordic identity.”[3]

In Norwegen fruchtete diese kulturelle Identitätsbildung als „Skandinavier“ besonders gut, da Norwegen etwa vier Jahrhunderte lang unter dänischer Vorherrschaft stand und die norwegische Gesellschaft in dieser Phase erheblich von den Dänen beeinflusst und geprägt wurde. In einer bekannten Rede der ehemaligen norwegischen Premierministerin Brundtland wird die Geschichte der so genannten Kalmarer Union mit folgenden Worten zusammengefasst:

„In ihren ersten paar Jahrzehnten gab es einen großen Widerstand gegen die [dänisch-norwegische] Union in Norwegen. […] [Aber] gegen Ende ihres vierten Jahrhunderts war die Union fast schon eine Selbstverständlichkeit. […] [Kopenhagen] war nicht nur die Residenz des Königs, der dann ja auch der König der Norweger war, sondern der Ort, an dem führende Norweger ausgebildet und inspiriert wurden.“ [Übersetzung des Verfassers][4]

Diese Prägung der norwegischen Elite durch Dänemark hatte dann auch zur Folge, dass sich Norwegen nach der Unabhängigkeit von Schweden Anfang des 20. Jahrhunderts wieder zurück nach Süden orientierte.

Die Vergangenheit in der Kalmarer Union führte jedoch neben diesen positiven Effekten auf der anderen Seite zu großem Misstrauen, wenn es um die Beschneidung der erst seit 1905 unabhängigen eigenen Macht ging: Sei es durch eine supranationale Organisation, oder durch die zum Ende des 19. Jahrhunderts gestarteten Versuche, einen gesamt-skandinavischen Staat unter der schwedischen Führung zu gründen. Dieses Unterfangen scheiterte daran, dass Schweden, obwohl es den anderen skandinavischen Staaten militärisch weit überlegen war, den Dänen und Norwegern nicht die Sicherheit gewährleisten konnte, die etwas südlicher der Staat Preußen in einem vergleichbaren Fall von „nation-building“ im entstehenden Deutschland bot. Diese „Halbstärke“ der

Schweden wurde in den folgenden Jahrzehnten noch einige Male sichtbar, als sie wiederholt die skandinavischen Nachbarn im Stich ließen und bei Angriffen keine militärische Hilfe leisteten (zuletzt beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs). Dadurch

bröckelte konsequenterweise die sicherheitsbezogene Integrationsmotivation, da auf Schweden scheinbar kein Verlass war.[5]

Trotz dieser Enttäuschungen verfolgte man weiterhin die Zusammenarbeit – aber eben nur auf nicht-sicherheitsrelevanten Ebenen – nachdem man sich in Norwegen und Dänemark von der scheinbar gescheiterten Neutralitätspolitik verabschiedete und die NATO mitbegründete. 1947 rief man die „Nordische Kulturkommission“ ins Leben und später (1954) wurde ein gemeinsamer Arbeitsmarkt für die nordischen Staaten etabliert, wodurch auch die Sozialpolitik eine überstaatliche Dimension gewann. Um auch eine wirtschaftliche und politische Komponente einzuführen, gründeten Delegationen aus Dänemark, Island, Norwegen und Schweden 1952 den Nordischen Rat, dem 1956 auch Finnland beitrat. Trotz der schwachen Stellung des Rats (er hatte rein konsultativen Charakter) spielte er eine große Rolle bei der nun folgenden Koordinierung und Ausarbeitung von weiteren Integrationsschritten auf wirtschaftlicher Ebene.

III. Die Verhandlungen zur skandinavischen Zollunion und deren Konfliktlinien

Die schon 1947-48 vage entwickelte Idee einer nordischen Zollunion wurde erneut aufgegriffen und die ersten vorbereitenden Gespräche begannen direkt nach der Schaffung des „Nordic Council”. Die Beweggründe zur Zollunion waren vielschichtig: Einerseits führten die Mängel der OEEC dazu, dass die skandinavischen Niedrigtarifländer im europäischen Vergleich benachteiligt und die protektionistischen Maßnahmen nicht eingedämmt wurden, andererseits wuchs der Druck und Zugzwang auf die Skandinavier durch den wirtschaftlich immer stärker werdenden Block der sechs EGKS-Staaten.[6] Außerdem wurde man sich der Tatsache bewusst, dass eine wirtschaftliche Genesung nur bei größerer wirtschaftlicher Zusammenarbeit möglich war. In Norwegen wuchs das jährliche BIP nur langsam bei etwa konstanten 4% im Jahr während man in Dänemark bereits in einer richtigen Wirtschaftskrise steckte. Die Verhandlungen erfuhren jedoch schnell immer wieder Rückschläge, da sehr unterschiedliche Interessen auf drei verschiedenen Ebenen aufeinander trafen:

III. a) Innerskandinavische Konfliktlinien

“Norway stressed the investment and production cooperation. Denmark and Sweden stressed the free trade.”[7] Norwegen legte viel Wert auf die Koordination der Wirtschaften und Investitionen einer zu schaffenden „Nordic Investment Bank“, um den heimischen Kapitalmangel zu überbrücken, der die Expansion der exportorientierten Wirtschaft hemmte.[8] Die Schweden und Dänen sahen ihre Priorität bei einem uneingeschränkten Markt, der unter anderem auch den Zugang zur norwegischen Energie ermöglichen und die schwedische Stahlproduktion fördern sollte, die nur mit einem größeren Absatzmarkt anzukurbeln war.[9] Hierbei war es letztlich gerade die von dem 1954 gegründeten NECC (Nordic Economic Cooperation Committee) beschlossene Kombination aus Koordinierung und gemeinsamen Markt, die zu großen Streitereien führte:

Je nachdem, ob ihre heimische Industrie in einer bestimmten Branche konkurrenzfähig war, forderten die einzelnen Länder eine Kooperation oder verweigerten sie. Die schwedische Stahlindustrie befürchtete beispielsweise, dass die von Norwegen geforderte Kooperation bei der Herstellung von Eisen und Stahl zu einer „interference by the government in the production process and its conditions“[10] führen würde und verlangte deshalb in diesem Bereich ausschließlich einen gemeinsamen Markt ohne eine „further going production cooperation.“[11] Auch die Forderungen der Dänen gingen ihnen zu weit, diese gingen nämlich gleich einen Schritt weiter und verlangten außerdem noch, dass es keine Außenzölle geben darf, um das Verhältnis zur benachbarten EGKS, bzw. EWG nicht zu stören.[12]

Auf der anderen Seite weigerten sich die Norweger beispielsweise eine engere Zusammenarbeit bei der Energieherstellung zu ermöglichen, verlangten aber gleichzeitig den vollen Zugang zum skandinavischen Energiemarkt, einem der wenigen Sektoren, bei dem man in Oslo keine Schwierigkeiten bei einer Öffnung nach Außen befürchtete. Überhaupt war das wirtschaftlich schwache Norwegen, mit den im skandinavischen Vergleich hohen Außenzöllen, das Land, das einem gemeinsamen

Markt am skeptischsten gegenüber stand. Auch der Supranationalität der Zollunion begegnete man auf Grund der erst kürzlich erhaltenen Unabhängigkeit mit Kritik, und

akzeptierte sie im Endeffekt nur, um die Schaffung der gewünschten Investitionsbank nicht zu torpedieren.

Zuletzt erschwerte auch noch der Zeitdruck, den vor allem die Dänen auf Grund der heimischen Wirtschaftskrise ausübten, die Gespräche.[13] So gab es schon bei der Ausarbeitung der Herangehensweise Streit:

“Sweden wanted to stress on an investigation branch by branch […]. Instead Denmark wanted to elaborate rapidly a draft to a common Nordic tariff and if possible isolate this work from the branch investigations […].”[14]

Erst Anfang 1955 konnte man sich zu der schnelleren Variante durchringen und versuchte, die Einigung zu einem gemeinsamen Markt zu verabschieden, ohne die allgemeinen Regelungen und die Verfahrensweise bei der Kooperation einzelner Branchen zu konkretisieren. Diese versuchte Forcierung der Gespräche scheiterte jedoch klaglos, wie ein Jahr später aus einem Bereicht des NECC hervorging:

“In spite of the decision a year earlier to avoid to get stuck in branch investigations, the report distinctly shows that they had landed exactly in branch investigations. A rapid progress had not been made.”[15]

Es schien einfach aussichtslos, alle Länder zu einer prinzipiellen Zusage zur Zollunion zu bewegen: Ohne die branchenspezifischen Regelungen lief nichts, da kein Staat bereit war, das Risiko für die heimische Industrie einzugehen, das die Schaffung eines gemeinsamen Marktes begleiten würde.

[...]


[1] Loth, Wilfried, Der Weg nach Europa: Geschichte der europäischen Integration 1939-1957, Göttingen, 1996 (3. Auflage), Seite 6

[2] Convention establishing the European Free Trade Association, http://secretariat.efta.int/EFTASec/Web/EFTAConvention/EFTAConventionTexts/EFTAConvention2001.pdf, Stockholm, 1960

[3] Tunander, Ola, Nordic Cooperation, http://odin.dep.no/odin/engelsk/norway/foreign/032005-990418/index-dok000-b-f-a.html, 1999, Seite 2

[4] “I sine første par sekler var det stor motstand mot unionen i Norge. [...] Mot slutten av sitt fjerde århundre var unionen blitt nesten en Etterhvert som dansk overtok det norske språks rolle, blomstret vårt kulturliv i den nordeuropeiske tradisjon som vi møtte via København, som ikke bare var kongens by, men også stedet der ledende nordmenn fikk utdanning og inspirasjon.” aus: Brundtland, Gro Harlem, Dansk-norsk samarbeid – hva nå?, http://odin.dep.no/odinarkiv/norsk/dep/smk/1995/taler/099005-991525/index-dok000-b-n-a.html, 1995, Seite 1

[5] vgl. Tunander; 1999; Seite 2

[6] vgl. Laursen, Johnny/Malmborg, Mikael, The Creation of EFTA, in: Olesen, Thorsten B. (Hrsg.), Interdependence Versus Integration: Denmark, Scandinavia and Western Europe, 1945-1960, Odense, 1995, Seite 198

[7] Stråth, Bo, Nordic Industry and Nordic Economic Cooperation: The Nordic Industrial Federations and the Nordic Customs Union Negotiations 1947-1959, Stockholm, 1978, Seite 123

[8] vgl. Stråth, 1978, Seite 119

[9] vgl. Stråth, 1978, Seite 121

[10] Stråth, 1978, Seite 128

[11] Stråth, 1978, Seite 128

[12] vgl. Stråth, 1978, Seite 129

[13] vgl. Laursen/Malborg, 1995, Seite 199

[14] Stråth, 1978, Seite 127

[15] Stråth, 1978, Seite 130

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Das Ende der nordischen Zollunion und die Entstehung der EFTA. Die Pariser Verhandlungen und Gespräche über einen gemeinsamen Markt in Skandinavien
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Geschichtswissenschaften)
Veranstaltung
PS "Let Europe arise!" - Die Anfänge der europäischen Integration (1945-1958)
Note
1,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
16
Katalognummer
V31861
ISBN (eBook)
9783638327497
ISBN (Buch)
9783656830467
Dateigröße
529 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Das Ende der nordischen Zollunion und die Entstehung der EFTA - Die Zusammenhänge zwischen den Pariser Verhandlungen und den Gesprächen zur Schaffung eines gemeinsamen Markts in Skandinavien
Schlagworte
Ende, Zollunion, Entstehung, EFTA, Zusammenhänge, Pariser, Verhandlungen, Gesprächen, Schaffung, Markts, Skandinavien, Europe, Anfänge, Integration
Arbeit zitieren
Martin Meingast (Autor:in), 2004, Das Ende der nordischen Zollunion und die Entstehung der EFTA. Die Pariser Verhandlungen und Gespräche über einen gemeinsamen Markt in Skandinavien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/31861

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