Über die Naturzustände bei Thomas Hobbes und John Locke. Eine vergleichende Analyse


Hausarbeit, 2012

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Bruch mit der Aristotelischen Tradition

3. Thomas Hobbes´ Leben und Philosophie

4. Der Naturzustand bei Thomas Hobbes
4.1 Objektive und subjektive Bedingungen des Naturzustandes
4.2 Der Naturzustand als Kriegszustand
4.3 Natürliches Recht und natürliche Gesetze

5. John Lockes Leben und Philosophie

6. Der Naturzustand bei Locke im Vergleich zum Hobbesschen Naturzustand
6.1 Der Naturzustand als Friedenszustand
6.2 Selbstjustiz im Naturzustand
6.3 Das Verhältnis von Naturzustand und Kriegszustand
6.4 Eigentum im Naturzustand

7.Fazit

8. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Das Konzept des menschlichen Naturzustandes gilt als eines der wesentlichen Charaktermerkmale der staatsphilosophischen Theorien des 17. Jahrhunderts. Der Naturzustand bildet den Ausgangspunkt der Argumentation für ein Gesellschafts- modell und fungiert somit als gedankliches Fundament für viele Staatstheorien. Thomas Hobbes hat den Begriff „Naturzustand“ wesentlich geprägt und endgültig in die philosophische Diskussion eingeführt, die von Autoren, wie Hugo Grotius, Samuel Putendorf, John Locke und Baruch de Spinoza fortgeführt wurde. Rousseau und Kant entwickelten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts berühmte Beschreibungen des Naturzustands, der in naher Vergangenheit von John Rawls in seiner „Theorie der Gerechtigkeit“ wieder aufgegriffen wurde.1 Doch was genau ist überhaupt ein Naturzustand?

Im Allgemeinen versteht man unter dem Naturzustand die gedankliche Fiktion eines apolitischen Zustands: „ Der Staat wird in die ihn konstruierenden, im Gedankenexperiment aber als isoliert ( … ) gedachten Einzelsubjekte zerlegt, und es wird gefragt, was ein solcher » status naturae « für diese Einzelsubjekte bedeuten würde. “ 2 Bei genauerer Betrachtung entwerfen die Autoren, trotz Anwendung derselben naturwissenschaftlichen Methode, sehr unterschiedliche Naturzustandskonzeptionen. Grund dafür sind unterschiedliche Menschenbilder: Die Anthropologie eines Thomas Hobbes geht von einem von Grund auf egoistischen, nach Macht und Herrschaft strebenden Menschenbild aus, wogegen ein John Locke den Menschen nicht als grundlegend böse und gesellschaftsunfähig einstuft.

In der vorliegenden Arbeit werde ich die Naturzustandskonzeptionen dieser beiden Philosophen in einer vergleichenden Analyse3 genauer darstellen. Die jeweilige Naturzustandsbeschreibung wird in eine kurze Einführung in Leben, Philosophie und den jeweils bestehenden Gesellschaftskontext eingebettet, denn sowohl bei Hobbes als auch bei Locke bedingen sich diese drei Elemente wechselseitig: Hobbes absolutistisches Herrschaftsmodell ist sicherlich durch das Miterleben der chaotischen Zustände des Englischen Bürgerkrieges von 1642-1649 zunehmende geprägt worden. Und Locke wäre bestimmt nicht zum Verteidiger der Freiheits- und Bürgerrechte gegen eine übermäßige Staatsgewalt geworden, wenn er nicht selber aus dem Bürgertum stammen würde. Beide Denker adaptieren die in der Neuzeit erstarkende Methodik der Naturwissenschaften und wenden sie in revolutionärer Weise auf das Feld der Staatstheorie an. Durch die neuartige Anwendung der sogenannten geometrischen Methode (more geometrico) wird die auf der Aristotelischen Tradition aufbauende Scholastik endgültig überwunden, was sich auch in einem modernen, weitestgehend auf Bibelzitate verzichtenden, gut verständlichen Schreibstil niederschlägt.

Ich beginne meine Ausführungen mit der knappen Darstellung der Überwindung vergangener gedanklicher Überzeugungen und möchte sie in Form eines zusammenfassenden Fazits mit der Diskussion der gegenwärtigen Relevanz der aus dem Naturzustandskonstrukt hervorgehenden Gedanken beenden.

2. Bruch mit der Aristotelischen Tradition

Um sich der revolutionären Neubegründung der politischen Philosophie, aufbauend auf den neuartigen Naturzustandstheorien von Hobbes und Locke bewusst zu werden, gilt es kurz das alteuropäische Politikverständnis, von dem sich diese zwei neuzeitlichen Denker lossagen, zu beleuchten. Das klassische, bis ins Mittelalter reichende Politikverständnis, ist maßgeblich von Aristoteles Werk Politik beeinflusst. Der Grundsatz des politischen Aristotelismus lautet: „ Der Mensch ist von Natur aus ein staatliches Wesen. “ 4 Die seiner Natur angemessene Lebensweise erfährt der Mensch somit in der gemeinschaftlichen Sorge um das Funktionieren der Polis. Das politische Agieren ist ein Lebensprinzip, eine Grundbedingung der Existenz. So schreibt Aristoteles, dass die Polis „ sowohl von Natur besteht, wie auch früher ist als der Einzelne. “ 5 Diese Vorstellung ist konträr zu denen der Vertragstheoretiker, wie Hobbes, Locke oder Rousseau, die von einem grundsätzlich apolitischen Anfangszustand der Menschheit ausgehen. Die Menschen müssen sich den politischen Raum in Form des Staates erst einmal erschaffen. Bei Aristoteles ist dieser immer schon gegeben und die zentrale Frage gilt nunmehr der Qualität der politischen Herrschaft durch eine Abwägung von unterschiedlichen Staatsformen und Verfassungen.6 Da der Staat von Beginn an existiert, bedarf es keiner Legitimation desselben. Anderes bei den Konstruktualisten, die den Naturzustand postulieren, der eine Staatsgründung notwendigerweise legitimiert.

3. Thomas Hobbes´ Leben und Philosophie

Thomas Hobbes wurde am 5. April 1588 als Sohn eines ungebildeten und trunksüchtigen Landpfarrers bei Malmsbury geboren. Seine Mutter brachte ihn, bedingt durch die schockierende Nachricht vom Eindringen der spanischen Armada in britische Hoheitsgewässer, frühzeitig auf die Welt. So heißt es in seiner poetische verfassten Autobiografie: „She did bring fort Twins at once, both Me, and Fear.“7 Das Moment der Angst steht nicht nur symbolisch am Beginn seines Lebens, sondern ist auch eine Grundbedingung seiner politischen Philosophie. Für die Konstruktion des Naturzustandes ist die Angst eine Hauptbedingung.

Als 14jähriger begann er an der Universität Oxford das Studium der Logik und Physik in scholastischer Tradition. Nach Abschluss des ihm langweilig und wertlos erscheinenden Studiums bemühte er sich nicht um eine universitäre Laufbahn, sondern begann die zeitlebens geführte Tätigkeit als Hauslehrer von royalistischen Familien bei den Cavindishs. Im Rahmen dieser Tätigkeit reiste Hobbes nach Italien und Frankreich, kam in Kontakt zur geistigen Elite seiner Zeit (Marin Mersenne, Pierre Gassendi, Galileo Galilei) und stieß zufällig auf Euklids „Elemente“. Überwältigt von der strengen Beweisführung innerhalb dieses Werks, entdeckte er die für ihn zukünftig geltende Maxime der klaren analytischen und kompositorischen Methode, die beispielsweise auch im Leviathan angewendet wird. 1640 veröffentlichte er anonym sein erstes Werk zu politischen Theorie Element of Law, dicht gefolgt von De Cive (1642). Beide Werke sollten der bröckelnden Monarchie gedanklichen Rückhalt gewähren. Nach elfjährigem Exil in Paris kehrte Hobbes 1652 wieder nach England zurück, wo von 1642-1649 der Englische Bürgerkrieg gewütet hatte. Die Veröffentlichung des Leviathan 1651 hatte die Verbannung vom Hofe des Prinzen von Wales zur Folge. Ein Grund dafür war vor allem die kämpferische Haltung gegenüber der katholischen Kirche, die Hobbes im vierten Teil des Leviathans als „Reich der Finsternis“ apostrophiert. Eine Abwendung von theologisch gestützten Ordnungskonzeptionen in Form eines Materialismus manifestierte Hobbes 1655 mit der Veröffentlichung von De Corpore. Das 1658 veröffentlichte Werk De Homine vervollständigte die philosophische Trias Körper-Mensch-Bürger. Bedingt durch die Restauration der Stuartherrschaft verbrachte Hobbes einen ruhigen Lebensabend auf den Landgütern der Cavendishs und starb 1679 im Alter von 91 Jahren.8 Die politische Philosophie des Thomas Hobbes ist im Wesentlichen durch zwei Interessengebiete bedingt: die zeitgenössische Entwicklung der Naturwissenschaften und das politische Zeitgeschehen. Zusammen mit Denkern wie Galilei und Descartes ging es Hobbes um eine Überwindung der scholastischen Philosophie, die sich in ihrer Argumentation immer nur auf Autoritäten, wie Augustinus, Thomas, Platon oder Aristoteles beruft. An Stelle dieser Berufung wurde eine systematische und stringente Argumentation gesetzt, die sich in ihrer Methode an der Geometrie (more geometrico) orientiert. Im 17. Jahrhundert galt die Geometrie, die den Gegenstand zuerst analysiert und in Form eine Synthese wieder zusammensetzt, als exakteste und fortschrittlichste Wissenschaft. Vollkommen neu war das Hobbessche Unterfangen die geometrische Methode auf die politische Philosophie zu übertragen. In der Hoffnung den chaotischen, kriegerischen Zuständen, die in England und Europa herrschten, ein Ende zu bereiten, ging es Hobbes um die Begründung einer sicheren und brauchbaren Friedenswissenschaft, die nicht wie alle Moralphilosophie vor ihr nur mit leeren Worthülsen um sich wirft, und damit in ihrer Mangelhaftigkeit noch mehr Meinungsverschiedenheiten und Konflikte schürt.9 Als „ Begründer der politischen Philosophie der Neuzeit “ 10 entwirft Hobbes innerhalb der drei Darstellungen seiner Staatsphilosophie Element of Law, De Cive und Leviathan eine Staatsmodell, das ganz im Sinne der Neuzeit auf dem vernunftbegabten Individuum aufbaut. Seine Philosophie ist somit Zeugnis für die die Neuzeit prägende menschliche Selbstermächtigung: Gott und Natur sind entmachtet. Der Mensch ist Grundlage allen Denkens und Handelns, das Maß alles Richtigen und Ziel des individuellen und kollektiven Bestrebens.11 Hobbes gilt durch seine genaue Betrachtung des Menschen als Materialist. Der Mensch als Material aus dem sich der Staat formt, muss vorerst genau verstanden werden. Indem er sich bei der Darstellung des Naturzustandes auf sinnlich dargebotene Informationen, wie beispielsweise Überlieferungen der Lebensumstände von Ureinwohnern in Amerika beruft, gilt er auch als Empirist. In erster Linie ist Hobbes aber Rationalist, der mit Hilfe der geometrischen Methode, die Staatsbildung als logische Schlussfolgerung aus der natürlichen Bedingtheit der Menschen ableitet.

4. Der Naturzustand bei Thomas Hobbes

4.1 Objektive und subjektive Bedingungen des Naturzustandes

Im 13. Kapitel des Leviathan 12 stellt Hobbes die positiven (empirischen) Bedingungen des Naturzustandes dar, die sich laut Schmidt und Zintl in objektive und subjektive Bedingungen unterteilen lassen. Der Naturzustand ist objektiv von einer natürlichen Güterknappheit und einer natürlichen Gleichheit der Menschen geprägt. Gleich sind die Menschen in der Hinsicht, dass jeder, trotz aller Unterschieden der körperlichen und geistigen Fähigkeiten, in der Lage ist seinen Mitmenschen zu töten: „ Denn was die Körperstärke betrifft, so ist der Schwächste stark genug, den Stärksten zu töten - entweder durch Hinterlist oder durch ein Bündnis mit anderen. “ 13

Unter den subjektiven Bedingungen lässt sich die psychische Verfassung des Menschen im Naturzustand verstehen. Könnte man ein Psychogramm des „Naturmenschen“ erstellen, so würde das Handlungsmotiv der Selbsterhaltung die wichtigste Rolle spielen: Das eigene Leben, welches möglichst genussvoll verbracht werden möchte, hat oberste Priorität! Gleichsam ist das eigene Dasein immer von der Angst geprägt, von anderen verwundet oder gar getötet zu werden.

[...]


1 vgl. Eggers, Daniel: Die Naturzustandstheorie des Thomas Hobbes, Verlag Walter de Gruyter, Berlin, 2008, S.24

2 Baudach, Frank: Planeten der Unschuld-Kinder der Natur, Niemeyer Verlag, Tübingen, 1993, S.62

3 Der eigentliche Vergleich wird erst mit dem 5. Kapitel beginnen.

4 Aristoteles: Politik, Übers.: Rolfes, Eugen, Felix Meiner Verlag, Hamburg, 1981, S.4

5 Aristoteles, Anm.4, S.5

6 vgl. Kersting, Wolfgang: Thomas Hobbes zur Einführung, Junius Verlag, Hamburg, 1992, S.16

7 Hobbes, Thomas: The Life of Mr. Thomas Hobbes of Malmesbury, Written by Himself in a Latine Poem, and now Translated into English, London, S.2

8 vgl. Fetscher, Iring: Einleitung. In Hobbes, Thomas: Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates, Hrsg. Fetscher, Iring, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1992, S.XI-XVII

9 vgl. Chwaszcza, Christine: Thomas Hobbes. In: Maier, Hans und Denzer, Horst (Hrsg): Klassiker des politischen Denkens. Erster Band, Verlag C. H. Beck, München, 2007, S.210-212

10 Kersting, Anm.6, S.9

11 vgl. Kersting, Wolfgang: Thomas Hobbes: Leviathan. In : Brocker, Manfred (Hrsg): Geschichte des politischen Denkens, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 2006, S.212-213

12 In der folgenden Darstellung beziehe ich mich ausschließlich auf die englische Ausgabe des Leviathan von 1651.

13 Hobbes, Thomas: Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates, Hrsg. Fetscher, Iring, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1992, S.94

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Details

Titel
Über die Naturzustände bei Thomas Hobbes und John Locke. Eine vergleichende Analyse
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover  (Institut für Philosophie)
Note
1,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
19
Katalognummer
V318749
ISBN (eBook)
9783668178762
ISBN (Buch)
9783668178779
Dateigröße
535 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Naturzustand, Leviathan, Hobbes, Locke
Arbeit zitieren
Ansgar Ruppert (Autor:in), 2012, Über die Naturzustände bei Thomas Hobbes und John Locke. Eine vergleichende Analyse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/318749

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