Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Grundlagen
2.1 Begriffsdefinition
2.2 Ausmaß Häuslicher Gewalt
2.3 Formen Häuslicher Gewalt
2.4 Auswirkungen Häuslicher Gewalt
3. Vergleich Häuslicher Gewalt in hetero-und homosexuellen Paarbeziehungen
3.1 Die britische Studie von 2006
3.2 Erfahrungen Häuslicher Gewalt bei gleichgeschlechtlichen Paaren
3.3 Vergleich Häuslicher Gewalt in gleichgeschlechtlichen und heterosexuellen Paarbeziehungen
3.3.1 Gemeinsamkeiten
3.3.2 Unterschiede
3.3.3 Fokus: Unterschiede bei der Suche nach Hilfe
3.4 Zusammenfassung
4. Gewalt im Geschlechterverhältnis: Einbettung der Problematik in einen geschlechtertheoretischen Kontext
4.1 Ursachen Häuslicher Gewalt mit geschlechtssensibler Perspektive
4.2 Der geschlechtertheoretische Kontext: Strukturelle Diskriminierung von LSBTI Menschen
4.2.1 Rechtliche Grundlagen
4.2.2 Lebenswelten der Betroffenen. Wie denkt die Mehrheitsgesellschaft? Was sagen die Betroffenen?
4.2.3 Theoretischer Hintergrund der strukturellen Diskriminierung. Heteronormativität und Heterosexualität als gesellschaftliche Norm
4.2.4 Wie beeinflusst das in der Gesellschaft verankerte heterosexuelle Verständnis von Häuslicher Gewalt Schutz- und Hilfemaßnahmen?
5. Möglichkeiten der Prävention und Intervention
5.1 Allgemein
5.2 Forderungen an Politik, Behörden und soziale Dienste
6. Fazit: Empfehlungen für die Praxis in der Sozialen Arbeit. Haltungen und Werte
7. Quellenverzeichnis
8. Abbildungsverzeichnis
9. Anhang
1. Einleitung
Vor dem Hintergrund geschlechtertheoretischer Ansätze und Überlegungen setzt sich diese Arbeit mit dem Thema Häuslicher Gewalt in homosexuellen Paarbeziehungen auseinander. Durch einen Vergleich von Gewalterfahrungen hetero- und homosexueller Paare wird sich der zentralen Fragestellung angenähert: Gibt es Unterschiede und/oder Gemeinsamkeiten bei der Manifestation von Häuslicher Gewalt bei hetero-und homosexuellen Paaren? Wie sehen diese Unterschiede/Gemeinsamkeiten aus und welche Ursachen liegen zugrunde? Durch die Diskussion relevanter Gendertheorien (Heteronormativität, Heterosexismus, Homophobie, Dekonstruktivismus und die Bedeutung der Zweigeschlechterordnung) werden die abgeleiteten Ergebnisse in einen übergeordneten Zusammenhang gebracht.
Die Definition themenrelevanter Begriffe und die Darstellung von Ausmaß, Formen/Dimensionen und Auswirkungen Häuslicher Gewalt legen in Kapitel 2 wesentliche Grundsteine für diese Arbeit. Das 3. Kapitel stellt mit der Vorstellung und Diskussion von relevanten Studien- und Forschungsergebnissen einen der beiden Schwerpunkte dar. Mithilfe anschaulicher Beispiele aus Interviews und Fragebögen werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede Häuslicher Gewalt in hetero-und homosexuellen Paarbeziehungen miteinander verglichen. Da Häusliche Gewalt immer vor dem Hintergrund von Gewalt im Geschlechterverhältnis betrachtet werden muss, wird die Thematik im 4. Kapitel auf der Grundlage einer geschlechtssensiblen Perspektive in einen größeren Kontext gesetzt.
Aus gendersensibler Perspektive wird sich der Frage nach Ursachen Häuslicher Gewalt angenähert. Formen struktureller Diskriminierung in der Gesellschaft, aktuelle Rechtslage und Rechtsschutz sexueller Minderheiten, Homophobie in der Gesellschaft und Reaktionen der Betroffenen werden in Ausschnitten besprochen. Schließlich wird der theoretische Hintergrund von struktureller Diskriminierung erläutert: Wie beeinflusst das in der Gesellschaft verankerte heterosexuelle Verständnis von Häuslicher Gewalt Schutz- und Hilfemaßnahmen? Die Arbeit schließt im 5. Kapitel mit Überlegungen, Forderungen und Handlungsempfehlungen zur Prävention und Intervention auf den Ebenen von Politik, Justiz, Behörden und sozialen Einrichtungen. Im Fazit werden Empfehlungen f[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]r d[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]e Praxis in der Sozialen Arbeit formuliert.
2. Grundlagen
2.1 Begriffsdefinition
Den Begriff Häusliche Gewalt beschreibt Stövesand im Wörterbuch „Soziale Arbeit und Geschlecht“ als hauptsächlich männliche Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen (vgl. Stövesand 2011, S. 194).
Häusliche Gewalt ist nach Stövesand „die in intimen Paarbeziehungen ausgeübte Gewalt und wird häufig synonym verwandt mit den Begriffen ‚Partnergewalt‘ oder ‚Beziehungsgewalt‘. Gelegentlich steht der Begriff auch generell für ‚Gewalt im sozialen Nahbereich‘, d.h. von Beziehungspartnern, Eltern, Geschwistern oder anderen Verwandten“ (Ebd.).
Es wird kritisiert, dass diese Begriffe die geschlechtliche Dimension der Gewalt ausblenden und die Gewalt im privaten Bereich verorten und somit ein verkürztes Verständnis dieser Form von Gewalt vermitteln. Stövesand bevorzugt die Bezeichnung „Gewalt gegen Frauen“, die durch die zweite Frauenbewegung geprägt wurde, wodurch die Problematik auf der Grundlage eines patriarchatskritischen Gewaltverständnisses in den öffentlichen Raum getragen wurde (vgl. ebd.). Hagemann-White definiert Gewalt im Geschlechterverhältnis als jede Verletzung der körperlichen oder seelischen Integrität einer Person, die in Verbindung steht mit der Geschlechtlichkeit von Opfer und Täter_in undzwar unter Ausnutzung eines Machtverhältnisses durch die strukturell stärkere Pe[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]son (vgl. Hagemann-White 1997, S. 29).
In dieser Arbeit wird der Begriff Häusliche Gewalt verwendet, da der Fokus nicht nur auf der Gewalt gegen Frauen liegt, sondern auf der Beziehungsgewalt gegen männliche und weibliche Partner_innen. Die geschlechtliche Dimension und die Ambivalenz zwischen Öffentlichkeit-Privatheit fließen aber auf der Grundlage eines feministischen Gewaltverständnisses in die Bearbeitung mit ein. In diesem Sinne geht es um Häusliche Gewalt unter besonderer Berücksichtigung von Hagemann-Whites Definition von Gewalt im Geschlechterverhältnis. In dieser Arbeit werden darüber hinaus u.a. die Begriffe sexuelle Orientierung, Homosexualität und LGBTI verwendet und folgendermaßen definiert: Sexuelle Orientierung ist die Fähigkeit, vertraute und sexuelle Beziehungen mit e[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]ner Person desselben oder eines anderen Geschlechts zu führen. D.h. sie bezieht sich auf ein oder beide Geschlechter, so fallen weder Pädophilie noch andere sexuelle Neigungen unter diesen Begriff (vgl. Wiemann 2013, S. 25f.). Homosexualität bezeichnet die gleichgeschlechtliche Liebe zwischen Männern und Frauen (vgl. ebd., S. 28f.). Das Akronym LGBTI steht für „Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Intersexual“ (Lesbisch, Schwul, Bisexuell, Transgender, Intersexuell)[1]. LGBTI ist im englischen und deutschen Sprachgebrauch weit verbreitet und mit keiner negativen pathologischen Konnotierung verbunden, wie z.B. Homosexualität. Darüber hinaus ist er aufgrund vom Zusatz „BT“ auch die weitaus umfassendere Bezeichnung. Soziale Dienste, Beratungseinrichtungen und[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]nde[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]e NGO’s befassen sich mit allen im Akronym enthaltenen Themen.
2.2 Ausmaß Häuslicher Gewalt
Eine mittlerweile in der Forschung behauptete Gendersymmetrie, die davon ausgeht, dass Häusliche Gewalt sukzessive sowohl von Männern als auch von Frauen ausgeht, lässt sich nach Stövesand nicht wissenschaftlich belegen (vgl. Stövesand 2011, S. 195). Männer in Paarbeziehungen erleben neuen Studien zufolge zwar ähnlich häufig körperliche Gewalt wie Frauen. Sie werden sogar nachweislich häufiger Opfer von körperlicher Gewalt, allerdings nicht im privaten sondern im öffentlichen Raum und nicht durch Frauen sondern durch andere Männer (vgl. ebd.).
In einer Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend von 2004 wurden 10.000 Frauen in der Bundesrepublik zu ihren Gewalterfahrungen befragt (vgl. Lenz 2011, S. 206 f.). Die Ergebnisse zeigen, dass insgesamt 40 % der Frauen zwischen 16-85 Jahren körperliche oder sexuelle Übergriffe durch Männer in der Paarbeziehung erlebt haben. 37 % aller Befragten haben mindestens eine Form von Häuslicher Gewalt erlebt. 13 % wurden seit dem 16. Lebensjahr mindestens einmal zu sexuellen Handlungen gezwungen. Sexuelle Belästigung erlebten 58 % der Frauen und Formen psychischer Gewalt haben 24 % erfahren. In jedem zweiten Fall sind es die Männer, welche die Gewalt ausüben. Quantitativ sind Frauen erheblich stärker Häuslicher Gewalt ausges[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]tzt[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]v.a. wenn man Häufigkeit, Bedrohungslage und die Schwere der körperlichen Misshandlungen miteinbezieht. (Vgl. ebd., S. 207)
Sowohl im Hinblick auf die Untersuchung von Männern als Opfer in Paarbeziehungen, als auch in Bezug auf Gewalt in gleichgeschlechtlichen Beziehungen gibt es noch große Forschungslücken, die nur langsam geschlossen werden (vgl. Stövesand 2011, S. 195). Für Deutschland liegen bisher keine repräsentativen Daten dazu vor. Ergebnisse aus Studien anderer Länder zeigen aber: Das Gewaltaufkommen entspricht weitgehend dem Ausmaß von Gewalt in heterosexuellen Beziehungen. In einer britischen Studie von 2006, auf die im Schwerpunktteil (vgl. das dritte Kapitel) noch detailliert eingegangen wird, wurden 800 homosexuelle Frauen und Männer nach ihren Gewalterfahrungen in der Paarbeziehung befragt. 40,1 % dieser Frauen und 35,2 % dieser Männer erlebten Formen H[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]usl[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]cher Gewalt (vgl. Kavemann 2009, S. 110). Eine Pilotstudie von 2004 zeigt, dass etwa 12-20 % der homosexuellen Männer Opfer von Häuslicher Gewalt werden (vgl. GIGnet 2008, S. 37). Studien deuten darauf hin, dass für homosexuelle Männer das Risiko, Gewalt in gleichgeschlechtlichen Paarbeziehungen zu erleben, höher ist, als in heterosexuellen Beziehungen (vgl. ebd.). Es ist zu befürchten, dass die Dunkelfelder in Bezug auf Häusliche Gewalt in gleichgeschlechtlichen Paarbeziehungen sehr hoch sind.
2.3 Formen Häuslicher Gewalt
Stövesand nennt fünf Dimensionen direkter Häuslicher Gewalt: Körperliche (physische Übergriffe), sexualisierte (Vergewaltigung, Nötigung), psychische (Abwertungen, Drohungen), ökonomische (Kontrolle des Haushaltsgeldes, Arbeitsverbote) und soziale (Einsperren, Kontrolle der sozialen Kontakte) Gewaltformen (vgl. Stövesand 2011, S. 195).
Darüber hinaus zählen hierzu indirekte, also strukturell und kulturell bedingte Gewaltformen, die sich latent oder vollkommen sichtbar gesellschaftlich, sozial und politisch manifestieren und auswirken (z.B. die Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern oder die niedrige Frauenquote in Führungspositionen). In dieser Arbeit liegt der Fokus auf der Besprechung direkter Formen Häuslicher Gewalt.
2.4 Auswirkungen Häuslicher Gewalt
Gesundheitliche Folgen: Stövesand nennt körperliche Folgen wie Verletzungen (bis zum Tod), chronische Schmerzsyndrome, psychische Folgen wie posttraumatische Belastungsstörungen, Scham- und Schuldgefühle sowie Verlust von Selbstwertgefühl und Suizid. Tabak, Alkohol- und Drogenmissbrauch sowie riskantes Sexualverhalten und Beziehungs- und Sexualitätsprobleme können zu gesundheitsschädlichen Bewältigungsstrategien werden. (Vgl. ebd.)
Autor_innen der Publikation „Gewalt im Geschlechterverhältnis“ (GIGnet) nennen körperliche, psychosomatische und psychische Folgen sowie gesundheitsgefährdende Überlebensstrategien als Folgen (z.B. Selbstverletzung) und Folgen für die reproduktive Gesundheit (z.B. ungewollte Schwangerschaften oder sexuell übertragbare Krankheiten) (vgl. GIGnet 2008, S. 50-58).
Sozio-ökonomische Folgen: Auf der individuellen Ebene reichen die sozio-ökonomischen Folgen Häuslicher Gewalt von Wohnungslosigkeit über den Verlust des Arbeitsplatzes bis hin zu einem steigenden Armutsrisiko (vgl. Stövesand 2011, S. 195 und GIGnet 2008, S. 65f. und S. 67f.). Das Ausmaß der sozio-ökonomischen Folgen auf die Gesundheits- und Sozialsysteme der Staaten ist enorm. Auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene umfassen die Auswirkungen Wohnungslosigkeit, wirtschaftliche Verluste und Kosten im Gesundheits-, Sozial- und Justizsystem. Studien schätzen den sozio-ökonomischen Verlust für die USA auf 4,8 Mrd. Euro und für Großbritannien auf 33 Mrd. Euro (vgl. Stövesand 2011, S. 195 und GIGnet 2008, S. 69-73).
3. Vergleich Häuslicher Gewalt in hetero-und homosexuellen Paarbeziehungen
„Gewalt ist nicht geschlechtsneutral“ (GIGnet 2008, S. 19)
Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit der Diskussion relevanter Studien- und Forschungsergebnisse zur genannten Thematik, unter besonderer Berücksichtigung der Studie: „Comparing Domestic Abuse in Same Sex and Heterosexual Relationships“ (nachfolgend Bristol-Studie genannt) der Universitäten Sunderland und Bristol. Ziel ist die Herausarbeitung von Gewalterfahrungen in gleichgeschlechtlichen Paarbeziehungen und der Vergleich mit Erfahrungen heterosexueller Paare. Die Ergebnisse werden im vierten Kapitel in einen größeren Kontext übertragen und aus einem gendertheoretischen Blickwinkel beleuchtet.
3.1 Die britische Studie von 2006
„Domestic abuse is understood in Britain and by our respondents as a problem largely of heterosexual women being physically abused by their male partners. In consequence, most respondents had not understood their experience at the time as domestic abuse and it had not occurred to most of them to report their experiences to any agency, that they were in a difficult relationship that they had to work out by themselves” (Bristol-Studie 2006, S. 19).
Die Bristol-Studie „Comparing Domestic Abuse in Same Sex and Heterosexual Relationships“ der Universitäten Sunderland und Bristol erschien 2006 und ist die erste seinesgleichen in Großbritannien, die Häusliche Gewalt in hetero- und homosexuellen Paarbeziehungen untersucht und miteinander vergleicht. Ziele waren die Generierung von Wissen und Verständnis von Formen Häuslicher Gewalt und die Analyse von Hilfestrukturen im Strafjustizsystem (vgl. ebd., S. 2). Häusliche Gewalt in heterosexuellen Paarbeziehungen stand bereits seit den 1970er Jahren auf der Agenda des öffentlichen Interesses, wobei die Problematik in homosexuellen Paarbeziehungen erst später sichtbar wurde. Laut der Studie ist der Grund für diese Verborgenheit vor allem die Furcht, sic[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]in einer homophoben Gesellschaft zu offenbaren (vgl. ebd.).
Aktueller Stand in Großbritannien: In der Studie wird der aktuelle Stand der Behandlung des Themas sowohl in der Forschung als auch in der Politik in Großbritannien beschrieben. Es wird Bezug genommen auf die „Sigma surveys“ von 2003 und andere Studien, die aufzeigen, dass Häusliche Gewalt in hetero- (Gewalt gegen Frauen) sowie in homosexuellen Paarbeziehungen gleichhäufig auftritt (vgl. ebd.). Auch in der Politik rückt das Thema langsam in den Fokus: Gesetze und Verfügungen der Regierung wurden erlassen und Projekte der Polizei und Gemeinden initiiert, um das kollektive Bewusstsein für die Problematik in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken und um die Opfer zu schützen (vgl. ebd.).
Methoden: Es wurde ein multi-methodischer Ansatz gewählt, der eine landesweite Studie[2] (800 Fragebogen), fünf Fokusgruppen[3] (darunter 21 Personen lesbischer, schwuler und heterosexueller Orientierung verschiedener Altersgruppen und ethnischer Herkunft) und teilstrukturelle Interviews[4] (67 Personen, die sich als schwul, lesbisch, heterosexuell, bisexuell oder queer identifizieren) umfasst[5]. Es wird zugegeben, dass man vor methodologische Probleme gestellt war, die ein repräsentatives Ergebnis erschwerten: Das sensible Thema ist erst kürzlich als solches in den LGBTI-Gemeinschaften Großbritanniens sichtbar geworden und die Suche nach Studienteilnehmer_innen wird durch die Verborgenheit der homosexuellen Lebenswelten in einer homophoben Gese[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]lsc[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]aft behindert (vgl. ebd., S. 3). Aus diesen Gründen wurde ein landesweiter Fragebogen erstellt, der über lokale Netzwerke, Organisationen und relevante Webseiten verteilt wurde. Die Ergebnisse zeigen kein repräsentatives Bild über Häusliche Gewalt in homosexuellen Paarbeziehungen. D.h. die Resultate repräsentieren nicht zwangsläufig das Gewaltvorkommen in diesen Gruppen.
Definition von Häuslicher Gewalt für die Studie: Häusliche Gewalt wird sowohl in homo- als auch in heterosexuellen Paarbeziehungen als „ongoing coercive control by one partner against the other using emotional, physcial and/or sexually abusive behaviours to ensure power and control“ (vgl. ebd., S. 8) definiert. D.h. es handelt sich um laufende Kontrolle mittels emotionaler, physischer und/oder sexuell missbräuchlicher Verhaltensmuster, um Macht und Kontrolle zu sichern. Es wird beschrieben, dass die Befragten ihre eigene Definition von Häuslicher Gewalt im Zuge der Studie neu auslegten und umdefinierten (vgl. ebd., S. 7). So werden z.B. einige Elemente wie psychische Gewalt und Kontrollelemente erst im Zuge der Befragung als Erfahrung Häuslicher[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]ewa[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]t identifiziert.
3.2 Erfahrungen Häuslicher Gewalt bei gleichgeschlechtlichen Paaren
Erfahrungen Häuslicher Gewalt: Mehr als ein Drittel der Befragten gab an, Häusliche Gewalt in der gleichgeschlechtlichen Paarbeziehung erfahren zu haben (ca. 38 %). Das sind ca. 40 % der weiblichen und 35 % der männlichen Befragten. Fast 78 % aller Befragten berichten von emotionaler und jeweils 40 % von physischer und sexueller Gewalt (vgl. ebd., S. 8 und vgl. im Anhang Abb. 1: Gewalterfahrungen).
Emotionale Gewalt: Mehr als drei Viertel aller Befragten berichten von mindestens einer Form von emotionaler Gewalt, die Hälfte davon machte diese Erfahrungen in den letzten zwölf Monaten. Dies gilt gleichermaßen für Männer und Frauen mit homosexueller Orientierung. Wobei aber Befragte mit bisexueller Orientierung und Personen unter 25 Jahren häufiger von emotional missbräuchlichem Verhalten in der gleichgeschlechtlichen Partner_innenschaft berichten (vgl. ebd., S. 9). Es zeigt sich, dass Männer in homosexuellen Partner_innenschaften häufiger im Bereich der Finanzen kontrolliert werden. Frauen dieser Gruppe berichten häufiger von sexueller Kontrolle, Bedrohung ihrer Kinder oder über das Ausnutzen der Kinder gegen sie (vgl. ebd. und ebd., S. 17).[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]änn[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]r erlebten mehr Nötigung durch Kontaktsuche und Telefonanrufe, als Frauen.
Physische Gewalt: Fast die Hälfte aller Befragten berichten von physischer Gewalt, die gegen sie eingesetzt wurde, darunter ein Fünftel in den letzten zwölf Monaten (ca. 17 %). Dies gilt wieder nahezu gleichermaßen für Männer und Frauen mit homosexueller Orientierung. Männer sind laut der Studie häufiger von physischer Gewalt betroffen, als Frauen. Befragte mit bisexueller Orientierung sowie Personen unter 25 Jahren berichten ebenfalls häufiger von physischer Gewalt durch gleichgeschlechtliche Partner_innen. (Vgl. ebd., S. 10)
Sexuelle Gewalt: Der Anteil der Befragten mit Erfahrungen physischer und sexueller Gewalt ist nahezu gleich hoch. Fast die Hälfte berichtet von sexueller Gewalt, darunter ca. 21 % in den letzten zwölf Monaten. In dieser Kategorie gibt es aber die größten Gender-Unterschiede: Männliche Befragte wurden wesentlich häufiger zu sexuellen Handlungen gezwungen, als Frauen. Darunter zählen: Verletzungen beim Sex, sexuelle Übergriffe, das Ablehnen von Safer-Sex oder es wurden safe-words und andere Grenzen ignoriert. Männer in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften und Befragte mit bisexueller Orientierung berichten wesentlich häufiger von sexueller Gewalt in den letzten zwölf Monaten als Frauen oder Personen unter 25 Jahren. (Vgl. ebd.)
Des Weiteren zeigen die Interviews, dass Männer Schwierigkeiten damit haben, Erfahrungen als „Vergewaltigung“ zu bezeichnen. Stattdessen werden diese als „forced sexual activity“ (Ebd.) ausgelegt. Daraus folgt, dass Vergewaltigungsdelikte verkannt und unterschätzt werden.
Gewalt nach der Trennung in gleichgeschlechtlichen Paarbeziehungen: Gewaltformen nach der Trennung reichen von Nötigung über Telefon, SMS und Email über das Auftauchen am Arbeitsplatz, in Pubs und Clubs oder in der Wohnung von Opfern und ihren Familien/Freunden bis hin zu physischen Gewaltepisoden. Um finanzielle Abfindungen oder Leistungen durchzusetzen, werden Gerichtsverfahren eingeleitet. Außerdem werden evtl. bestehende Sorgerechtsvereinbarungen bez. eigener Kinder angefechtet. (Vgl. ebd., S. 17f.)
3.3 Vergleich Häuslicher Gewalt in gleichgeschlechtlichen und heterosexuellen Paarbeziehungen
Die große Mehrheit aller Befragten in der Bristol-Studie (69 %) glaubt nicht, dass es Unterschiede von Häuslicher Gewalt zwischen gleichgeschlechtlichen und heterosexuellen Partner_innenschaften gibt. Sie stimmen aber weitgehend darüber ein, dass Häusliche Gewalt in gleichgeschlechtlichen Beziehungen versteckter, weniger anerkannt oder öffentlich ist und dass vergleichbare Hilfestrukturen und Dienstleistungen für Menschen dieser Gruppe nicht existieren (vgl. ebd., S. 12). Einer der männlichen Befragten mit homosexueller Orientierung sagt dazu: „,I don’t believe it is [different] – it is perhaps a little more hidden and with less support offered to those who experience it’” (Ebd.).
Laut dem Fact Sheet: „Domestic Violence in the LGBT Community” (nachfolgend Fact Sheet genannt) des US-amerikanischen Center for American Progress zeigen Studien, dass Häusliche Gewalt bei gleichgeschlechtlichen Paaren ähnlich häufig auftritt wie bei heterosexuellen Paaren.[6] Als NGO mit Sitz in Washington versteht sich das Zentrum als thinktank, der aktuelle Probleme im politischen Zeitgeschehen beurteilt und versucht, sich in den politischen Entscheidungsprozess einzubringen, um progressive Lösungen voranzubringen. Im Fact Sheet dieser NGO wird erläutert, dass Häusliche Gewalt bei gleichgeschlechtlichen Paaren etwas häufiger auftritt: Bei einem Drittel bis zu einem Viertel aller befragten gleichgeschlechtlichen Paare wird Häusliche Gewalt ausg[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]übt[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]Bei heterosexuellen Frauen sind es „nur“ eine von vier, die davon berichten. Die Opfer aus beiden Gruppen erfahren ähnliche Misshandlungsmuster, wobei es aber diverse Unterschiede gibt, auf die im Folgenden eingegangen werden soll (vgl. Center for American Progress 2016, S. 1).
3.3.1 Gemeinsamkeiten
Misshandlungsmuster beinhalten immer einen Kreislauf von physischer, emotionaler und psychologischer Gewalt (Gewaltspirale) und lösen Angst, Isolation und Schuldgefühle bei Opfern aus. Täter_innen haben oft schwere psychische Erkrankungen und/oder wurden selbst in der Kindheit misshandelt. Psychologische Gewalt ist die häufigste Form der Misshandlung, physische Gewalttäter_innen setzen oft Erpressung ein, um die Partner_innen zu kontrollieren. Physische und sexuelle Misshandlung treten oft gleichzeitig auf (vgl. ebd., S. 2). In Bezug auf die Kategorie „Alter“ wird festgehalten, dass Personen unter 25 Jahren am häufigsten Gewalt ausgesetzt sind. Diese Ergebnisse sind im Vergleich zu heterosexuellen Paarbeziehungen ähnlich (vgl. Bristol-Studie 2006[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]S. 22). Faktoren wie ethnische Herkunft, Rasse oder sozio-ökonomischer Status haben dagegen keinen Einfluss auf die Häufigkeit (vgl. Center for American Progress 2016, S.2).
[...]
[1] Die Begriffe lesbisch und schwul beziehen sich auf Personen, die sich körperlich, romantisch und emotional vom gleichen Geschlecht angezogen fühlen (vgl. ebd., S. 29f.). Transgender bezeichnen sich Personen, dessen geschlechtliche Identität nicht mit derjenigen übereinstimmt, die nach der Geburt festgelegt wurde (vgl. ebd.). Dies bezeichnet demnach keine sexuelle Orientierung, sondern bezieht sich vielmehr auf die geschlechtliche Identität. Menschen, die sich biologisch nicht eindeutig einem Geschlecht zuordnen können oder wollen, bezeichnen sich als Intersexuell (vgl. ebd., S. 30).
[2] Der Fragebogen enthält Fragen zur eigenen Paarbeziehung und zu Erfahrungen emotionaler, physischer oder sexueller Gewalt, die in den letzten zwölf Monaten von den Partner_innen ausgeübt wurde. Des Weiteren wurde nach den Auswirkungen des missbräuchlichen Verhaltens, dem eigenen gewaltausübenden Verhalten und nach Erfahrungen mit Hilfestrukturen gefragt (vgl. ebd.).
[3] Diese dienen als Wegbereiter für die Einzelinterviews, um erste allgemeine Vorstellungen von Häuslicher Gewalt zu sondieren und um diese dann miteinander zu vergleichen auf der Basis von den individuellen Erfahrungen der gleichgeschlechtlichen und heterosexuellen Paare (vgl. ebd., S. 4).
[4] Durch die zielgerichteten Interviews können noch detailliertere Ergebnisse erzielt werden. Die meisten der Befragten mit gleichgeschlechtlicher Paarbeziehung wurden durch die Fragebögen und die restlichen Befragten durch Netzwerke und andere Gruppen gewonnen. Es war die Absicht, eine Stichprobe zu generieren, die eine möglichst gleiche Anzahl von Befragten mit schwuler, lesbischer und heterosexueller Orientierung enthält und des Weiteren eine Reihe von vielfältiger ethnischer und geografischer Herkunft bietet, um so ein repräsentatives Ergebnis zu erzielen (vgl. ebd., S. 4).
[5] Das Durchschnittsalter der Befragten war 35 Jahre, die meisten waren zwischen 20 und 30 Jahre alt (vgl. ebd., S. 5). In Bezug auf die ethnische Herkunft reflektiert die Studie die Zusammensetzung der britischen Bevölkerung, d.h. 94 % der Befragten identifizieren sich als Weiße. Der Anteil der Befragten mit Behinderung ist 11 %. Das Einkommensniveau der Befragten ist leicht höher, als im Bevölkerungsdurchschnitt. Die Einkommensverteilung reflektiert die Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen in Großbritannien. 16% der Befragten sind Eltern (ca. 21 % der Frauen und ca. 7 % der Männer) (vgl. ebd.).
[6] Das „LGBT Domestic Violence Fact Sheet” des American Center for Progress bezieht sich hauptsächlich auf Häusliche Gewalt bei Paaren mit schwuler oder lesbischer sexueller Orientierung, aber viele Schemata und Gewaltformen können sich überschneiden und demnach auch auf bisexuelle oder transgender Überlebende übertragen werden (vgl. Center for American Progress 2016, S. 1).