Anionische 1,3-H-Verschiebungen an Homoallylethern und Homoallylaminen


Diplomarbeit, 1995

85 Seiten, Note: 1.0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Danksagung

Abkürzungen

ALLGEMEINER TEIL

1 Einleitung
1.1 Theoretische Grundlagen
1.2 Bisherige Ergebnisse über 1,3-H-Shifts an Homoallylethern
1.3 Themenstellung

SPEZIELLER TEIL

2 Ergebnisse der mechanistischen Untersuchungen des 1,3-H-Shifts
2.1 Synthese des Standardsubstrats
2.2 Umlagerungsversuch ohne Benzylschutzgruppe
2.3 Modellvorstellung zur 1,3-H-Verschiebung an Homoallylethern
2.4 Studien zur Natur der reagierenden Base
2.5 Untersuchung der Reaktionskinetik

3 Ergebnisse der Umlagerung an anderen Systemen
3.1 Umlagerung eines syn -konfigurierten Homoallylethers
3.2 Erweiterung des 1,3-H-Shifts auf Stickstoffsysteme
3.3 Versuch einer 1,3/3,3-Tandemreaktion

4 Diskussion
4.1 Diskussion des Modells für den Mechanismus des 1,3-H-Shifts
4.2 Diskussion der Ergebnisse aus der NMR-Untersuchung
4.2 Weiterführende Versuche

5 Zusammenfassung

EXPERIMENTELLER TEIL

6 Material und Methoden
6.1 Analytische Verfahren
6.2 Chromatographische Verfahren

7 Synthesevorschriften
7.1 Standardprozeduren
7.2 Versuche zur mechanistischen Untersuchung
7.3 Versuche zur 1,3-H-Verschiebung an anderen Systemen

ANHANG

8 Spektren und Graphiken
8.1 Spektren der Abfangexperimente (2.4.1)
8.2 Spektren der NMR-Untersuchung (2.3.4)
8.3 Ergebnisse der kinetischen Messungen (2.5)

9 Literatur

Danksagung

Die vorliegende Diplomarbeit wurde von Januar bis September 1995 im Arbeitskreis von Herrn Prof. Dr. Johann Mulzer angefertigt. Herrn Prof. Mulzer danke ich für die interessante Themenstellung, die stete Diskussionsbereitschaft und seinen kom- petenten fachlichen Rat. Durch seine Initiative wurde ich im Studium mit einem Stipendium der Schering AG gefördert.

Bei den Herren Dr. Stephen Hashmi und Dr. Udo Nubbemeyer möchte ich mich für ihre wertvollen Ratschläge während der Arbeit bedanken.

Mein Dank gebührt ferner allen Mitarbeitern der Serviceabteilungen am Institut für die Anfertigung ungezählter Spektren. Besonders erwähnen möchte ich die Herren Winfried Münch und Dr. Andreas Schäfer, die mehrere aufwendige NMR-Experi- mente (NOE- bzw. Hochtemperaturmessungen) für mich durchführten. Von Frau Ursula Ostwald wurde ich bei speziellen massenspektroskopischen Untersuchungen außerordentlich freundlich unterstützt.

Mit meinen Laborkollegen Horst Dau und Dr. Robert Maguire sowie mit Susanne Kaufmann, Frank Schülzchen und Thomas Speck aus dem Nachbarlabor ergab sich eine angenehme Zusammenarbeit, wofür ich ebenfalls sehr dankbar bin. Einen ent- scheidenden Beitrag zum Gelingen dieser Arbeit leistete Herr Dr. Jörn Bilow durch Chemikalienspenden.

Nicht unerwähnt bleiben dürfen meine Eltern, die mir dieses Studium ermöglichten, und meine Freunde Sabine Dieluweit, Christoph Eisenhardt, Siegmar Kardinal sowie Andreas Mantoulidis, die mich bis zum Examen begleiteten.

Abkürzungen

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ALLGEMEINER TEIL

1 Einleitung

Baseninduzierte Doppelbindungsisomerisierungen an reinen Kohlenwasserstoffen sind vielfach beschrieben worden1. Triebkräfte solcher Reaktionen sind die Aus- bildung konjugierter Systeme oder/und der Aufbau höher substituierter Olefine. Ein Beispiel für eine solche Reaktion unter 1,3-H-Verschiebung wurde 1962 von Cram et al. publiziert2 (Abb. 1.1). Wie durch Deuterierungsexperimente festgestellt werden konnte, verläuft die Reaktion bis zu 54 % intramolekular, d.h. der wandernde Wasserstoff verbleibt zu einem beträchtlichen Anteil im Molekül.

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Abb. 1.1: Doppelbindungsisomerisierung nach Cram et al.

Der Befund von Cram et al. ist erstaunlich, da intramolekulare 1,3-H- Verschiebungen aufgrund orbitalsymmetrischer Überlegungen unwahrscheinliche Prozesse sind (vgl. Abschnitt 1.1). 1986 wurden im AK Prof. Mulzer basenindu- zierte 1,3-H-Verschiebungen an Homoallylethern entdeckt (Abb. 1.2), die streng intramolekular und überwiegend suprafacial ablaufen (vgl. Abschnitt 1.2). Auch dieser Befund widerspricht den orbitalsymmetrischen Beschreibungen solcher Reaktionen. Bemerkenswert ist ferner, daß ein komplexes Substrat, wie der chirale Homoallylether, die drastischen Reaktionsbedingungen unbeschadet übersteht.

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Abb. 1.2: Baseninduzierte 1,3-H-Verschiebung an einem Homoallylether.

Der praktische Wert dieser Umlagerung liegt in der definierten Anlage einer syn- thetisch anspruchsvollen trisubstituierten Doppelbindung. Daher soll in dieser Arbeit geprüft werden, ob auch andere Systeme außer Homoallylethern (z.B. Homoallyl- amine) zur 1,3-H-Verschiebung befähigt sind. Daneben soll ein Beitrag zum Verständnis des Mechanismus dieser ungewöhnlichen Reaktion geleistet werden.

1.1 Theoretische Grundlagen

Eine Grenzorbitalanalyse behandelt das Problem der 1,3-sigmatropen H-Verschie- bung als Wechselwirkung von einem H-Atom mit einem Allylradikal3. Die Grenz- orbitale sind dabei das 1s-Orbital des Wasserstoffs und das SOMO des Allylradikals (Y2 in Abb. 1.3).

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Abb. 1.3: Grenzorbitalmodell der 1,3-sigmatropen H-Verschiebung.

Die Wanderung des Wasserstoffs auf der Ebene des Allylgerüstes kann dabei supra- facial oder antarafacial erfolgen. Je nach Art der Wanderung tritt das 1s-Orbital mit unterschiedlichen Vorzeichen der p-Orbitallappen in Wechselwirkung (Abb. 1.4).

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Abb. 1.4: Reaktionsgleichungen beider Shiftmechanismen mit erforderlicher Orbitalwechselwirkung.

Eine bindende Wechselwirkung kommt dabei nur im antarafacialen Modell zustande; die suprafaciale Wanderung ist nach orbitalsymmetrischer Kontrolle verboten4. Ob- wohl die antarafaciale Wanderung nach orbitalsymmetrischer Kontrolle erlaubt ist, er- fordert sie eine derart verzerrte Molekülgeometrie, daß auch dieser Mechanismus kaum realisierbar ist. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß intramolekulare 1,3-H-Verschiebungen durch einen orbitalsymmetrie-kontrollierten Mechanismus nicht beschrieben werden können (anders als 1,5- oder 1,7-H-Verschiebungen!).

Ein alternativer Mechanismus zum suprafacialen 1,3-H-Shift wäre das Aufeinander- folgen zweier suprafacialer 1,2-H-Verschiebungen (Abb. 1.5).

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Abb 1.5: 1,3-H-Shift durch doppelten 1,2-H-Shift mit möglicher Nebenreaktion des Diradikals.

Für den in Abb. 1.5 postulierten Mechanismus ergaben theoretische Berechnungen (MC-SCF-Studien) folgende Ergebnisse5:

- Das Diradikal liegt energetisch um ca. 160 kJ/mol tiefer als der Übergangszustand ÜZ 1, welcher beim zweiten 1,2-H-Shift erneut durchlaufen werden müßte. Das Diradikal wird also eher cyclisieren, als erneut umzulagern, wie auch frühere Untersuchungen gezeigt haben6.
- Beim Vergleich des 1,2-H-Shifts mit dem antarafacialen 1,3-H-Shift zeigte sich, daß der 1,2-H-Shift rund 42 kJ/mol günstiger ist. Beide können jedoch nur unter Aufwendung von Energiebeträgen realisiert werden, die bereits nahe an der Dissoziation liegen.

Die MC-SCF-Studie bestätigt damit die theoretischen Überlegungen, wonach reine sigmatrope 1,3-H-Verschiebungen nicht ablaufen sollten. Anstelle einer direkten Wasserstoff-Wanderung muß es sich bei der im folgenden zu untersuchenden Umla- gerung um einen anderen Prozeß handeln. Ein rein ionischer Mechanismus erscheint dabei aufgrund der nachgewiesenen Intramolekularität ebenfalls unwahrscheinlich. Im Verlauf eines solchen Deprotonierung/Reprotonierung-Mechanismus könnte ein Austausch von Wasserstoff gegen das gebundene Deuterium erfolgen*.

*Da es sich bei der gefundenen Umlagerung aber formal um das Produkt eines 1,3-H-Shifts handelt, wird diese Bezeichnung (synonym für 1,3-H-Verschiebung) weiterverwendet.

1.2 Bisherige Ergebnisse über 1,3-H-Shifts an Homoallylethern

Eine besondere Form der 1,3-H-Verschiebung beobachtete de Lasalle beim Versuch, einen Homoallylalkohol durch eine Benzylgruppe zu schützen7. Neben der er- folgreichen Einführung der Schutzgruppe trat bei erhöhter Temperatur die Isomerisie- rung einer endständigen Doppelbindung zum trisubstituierten Olefin in wechselnden Ausbeuten ein (Abb. 1.6).

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Abb. 1.6: Erster 1,3-H-Shift eines Homoallyl-Benzylethers nach de Lasalle; Reaktionsbedingungen: BnCl, NaH, DMSO, 60 °C.

Der Versuch, höhere Ausbeuten des Umlagerungsprodukts durch vermehrte Zugabe von Natriumhydrid und noch höhere Temperatur zu erhalten, führte beim System DMSO/NaH lediglich zur Zersetzung des Substrats. Quantitativen Umsatz erreichte Funk durch die Umsetzung eines bereits benzylierten Alkohols mit 2 eq. NaH in DMF bei 80-90 °C über 15 Stunden8. Auch Versuche, in denen der Alkohol zunächst ungeschützt vorlag und mit 1.5 eq. BnCl und weiteren 2 eq. NaH zunächst geschützt wurde (Eintopfreaktion), führten zum Erfolg (Abb. 1.7). BuLi ist bei -78 °C zur Deprotonierung und Umlagerung in der Eintopfvariante ungeeignet (es kommt zur Zersetzung).

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Abb. 1.7: Eintopfvariante des Standardsystems zur Untersuchung der 1,3-H-Verschiebung; Ausbeute: 80-90 %, 95 % syn -Olefin

Die detaillierten Reaktionsbedingungen für die Umlagerung und die kombinierte Umlagerung mit vorheriger Einführung der Schutzgruppe sind unter 7.1.2 und 7.1.3 aufgeführt. Beide Varianten werden im folgenden als "Standardbedingungen des 1,3-H-Shifts" bezeichnet.

Die in Abb. 1.8 dargestellten Verbindungen lieferten ebenfalls das Umlagerungspro- dukt in Ausbeuten zwischen 70 und 90 %, wofür allerdings in den Fällen A und B längere Reaktionszeiten nötig waren8.

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Abb. 1.8: Div. Umlagerungen mit NaH in DMF bei 80 °C über 15 Stunden.

Bis auf B zeigen alle Produkte eine einheitliche trans -Olefingeometrie. Bei B wird eine 4:1-Mischung zugunsten des trans -Isomers erhalten. Wie Graske zeigen konnte9, ist die Umlagerung zu 5B auch mit einer n-Butylgruppe an C-4 (statt der Methylgruppe) möglich.

Dupré verwendete in einer Synthese des Naturstoffs (-)-ACRL Toxin III B erstmalig ein Substrat, welches anstelle des Sauerstoffsubstituenten, eine CH3-Gruppe in

a-Stellung zum Benzylether trägt10 (Abb. 1.9).

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Abb. 1.9: Synthese von (-)-ACRL Toxin III B nach Dupré. Im Naturstoff ist das durch den 1,3-H-Shift aufgebaute Fragment markiert.

Umfangreiche Untersuchungen zum mechanistischen Verlauf des 1,3-H-Shifts wur- den von Bilow unternommen11. Die wichtigsten Erkenntnisse sind:

- Die Reaktion verläuft streng intramolekular, wie durch Deuterierungs- und Kreu- zungsexperimente gezeigt werden konnte (Abb. 1.10). Zum Nachweis der Intramolekularität wurde ein Gemisch aus einem undeuterierten Homoallylether

(A) mit einem Homoallylether verwendet in dem die H-Atome an C-4 und C-5 durch Deuterium ersetzt waren (B). Nach Abschluß der Reaktion konnte nur eine Mischung aus di- und undeuteriertem Reaktionsprodukt isoliert werden (C und D). Da die Produkte E und F nicht gefunden wurden, muß der durch Pfeile angedeutete intermolekulare Mechanismus ausgeschlossen werden.

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Abb. 1.10: Kreuzungsexperiment zur Klärung der Intramolekularität des 1,3-H-Shifts; R = Dimethyldioxolanring

- Die Suprafacialität der Reaktion wurde durch eine neue Synthese der chiralen Methylgruppe an Essigsäure demonstriert (Abb. 1.11). Je nach verwendetem Startmaterial (4A oder 4B) konnten beide Enantiomere von CHDTCOOH erhal- ten werden. Die Konfiguration der chiralen Essigsäure wurde durch enzymatische Tests bestimmt12.

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Abb. 1.11: Synthese der chiralen Essigsäure durch suprafacialen 1,3-H-Shift Gesamtausbeute: 30.0 %; ee-Wert: 34-38 %.

- Lediglich endständige Doppelbindungen sind zur Umlagerung befähigt. Wie in Abb. 1.12 gezeigt ist, tritt für R = Phenyl nur Eliminierung zum Dien ein, wäh- rend für R = CH3 keine Reaktion abläuft (unabhängig von der Olefingeometrie).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1.12: Eliminierung statt Umlagerung wird für R = Phenyl beobachtet

- In einer Versuchsreihe wurden von Bilow Substanzen aufgebaut, in denen die Benzylschutzgruppe durch einen anderen Rest (R) ersetzt war. Die Umlagerung dieser Verbindungen lieferte folgende Ausbeuten:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bei keinem Versuch konnte das Edukt zurückgewonnen werden (neben der Um- lagerung trat Zersetzung ein).

- Erfolglos verliefen Umlagerungsversuche, bei denen anstelle von NaH in DMF folgende Kombinationen von Base und Lösungsmittel verwendet wurden:

NaH in Xylol oder THF LDA/THF Natriummethanolat/Methanol DABCO Natriumethanolat/Ethanol DBU

Kalium-tert.-butylat/DMF Natriumdimethylamid/DMF KOH oder NaOH/DMF

In allen Fällen konnte lediglich das Edukt zurückgewonnen werden.

- Im Verlauf der Reaktion wurde die Entwicklung von einem Äquivalent Wasser- stoffgas festgestellt. Offenbar wird das DMF an der Methylgruppe deprotoniert. Eine Deprotonierung am Carbonyl-C-Atoms kann ausgeschlossen werden, da die Reaktionsführung in Tetramethylharnstoff ebenfalls den 1,3-H-Shift in guten Ausbeuten bewirkt. Der Versuch, die anionische Spezies mit D2O abzufangen, ergab jedoch nur Dimethylamin als Zersetzungsprodukt des DMF. Auch in das

verwendete Substrat wurde kein Deuterium eingebaut.

- Nach Abbruch der Reaktion tritt ein starker Amingeruch auf.

1.3 Themenstellung

Offenbar handelt es sich bei der 1,3-H-Verschiebung an Homoallylethern um eine Reaktion, die ganz extreme Ansprüche an Substratbeschaffenheit und Reaktionsbe- dingungen stellt, um erfolgreich abzulaufen. In den bisherigen Untersuchungen wurden in erster Linie Substrate verwendet, deren Umlagerungsprodukt für eine weitere Naturstoffsynthese benötigt wurde, oder es kamen spezielle Verbindungen zum Einsatz, um die Eigenschaften der Reaktion (Intramolekularität und Supra- facilalität) zu belegen.

Allerdings wurden noch keine Untersuchungen darüber angestellt, warum die Reaktion nur unter den sehr speziellen Bedingungen abläuft und worin die Gründe für die bemerkenswerten Eigenschafften liegen. Ein erster Ansatz zur Deutung des Reaktionsverlaufs auf der Grundlage eines entsprechenden Übergangszustandes ist Gegenstand dieser Arbeit.

1. Mechanistische Untersuchungen
- Die besten Ausbeuten werden mit dem Benzylether in der Homoallyl-Position er- reicht. Durch Modifizierung des Aromaten und Variation der Stellung dieser Schutzgruppe innerhalb des Moleküls soll versucht werden, ihren Einfluß auf den Reaktionsverlauf zu klären. Ferner sollen Aufschlüsse über den Wanderungs- mechanismus mit Hilfe physikalischer Meßmethoden gewonnen werden (Abschnitte 2.2 und 2.3).
- Einen entscheidenden Einfluß auf das Reaktionsgeschehen scheint die aus DMF und NaH gebildete Spezies zu haben. Mit Hilfe von Abfang- und Simulations- experimenten soll versucht werden, Aufschluß über diese Verbindung(en) zu erhalten (Abschnitt 2.4).

Bei der oben dargestellten 1,3-H-Verschiebung handelt es sich um eine leistungsfä- hige Methode zur definierten Anlage trisubstituierter Doppelbindungen. Aus diesem Grunde soll außerdem untersucht werden, ob die Reaktion auch auf andere Systeme als die bisher untersuchten Homoallylether angewendet werden kann.

2. Erprobung der 1,3-H-Verschiebung an anderen Systemen
- In allen oben aufgeführten Beispielen sind der Homoallyl-Benzylether und der Substituent in der Allyl-Position anti zueinander angeordnet. Es soll daher geprüft werden, ob auch eine Umlagerung der syn -konfigurierten Diastereomere möglich ist. Bei einer erfolgreichen Umlagerung könnten aufwendige Diastereomeren- trennungen vor der Umlagerung entfallen, sofern die Konfiguration des Benzyl- ethers im weiteren Syntheseverlauf keine Rolle mehr spielt (Abschnitt 3.1).
- Gelingt der 1,3-H-Shift auch an geschützten Homoallylaminen? (Abschnitt 3.2)
- Kann die Reaktion als Tandem 1,3-H/3,3-Tandem-Claisen-Reaktion genutzt werden, wenn der Sauerstoffsubstituent aus einer Vinylgruppe besteht? (Abschnitt 3.3)

SPEZIELLER TEIL

2 Ergebnisse der mechanistischen Untersuchungen des 1,3-H-Shifts

Als Standardverbindung für die mechanistische Erforschung dient (2R, 3R, 4R)-1,2- O-Isopropyliden-3-benzyloxy-4-methyl-hex-5-en-1,2-diol (4A). Vor der eigent- lichen Untersuchung der 1,3-H-Verschiebung soll dessen Synthese kurz erläutert werden.

2.1 Synthese des Standardsubstrats

Bei der Herstellung des Zuckerersatzstoffes D-Sorbit fällt D-Mannit als wohlfeiles Nebenprodukt in großen Mengen an. Die selektive Acetalisierung der endständigen Hydroxylgruppen mit Dimethoxypropan unter Lewis-Säure-Katalyse ergibt den kristallinen 1,2;5,6-Di-O-isopropylidenmannit (1). Die Spaltung der mittleren Diol- einheit mit Bleitetraacetat liefert aufgrund der C2-Symmetrie des Substrats zwei Mole- küle des homochiralen (R)-2,3-O-Isopropylidenglycerinaldehyds13 (2).

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In einer Hiyama-Nozaki-Reaktion wird 2 mit Crotylbromid in Gegenwart von Chrom-(II)-chlorid umgesetzt14. Die diastereomeren Produkte 3A, 3B und 3C ent- stehen im Verhältnis 54:2:44 und sind mittels präparativer HPLC trennbar. Aufgrund einer Doppelbindungsisomerisierung im Verlauf der Additionsreaktion kann das Crotylbromid als E/Z-Gemisch verwendet werden15.

Die Hiyama-Nozaki-Reaktion von Crotylbromid an Isopropylidenglycerinaldehyd 2:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.2 Umlagerungsversuch ohne Benzylschutzgruppe

Da der Substituent in der 3-Position offenbar einen entscheidenden Einfluß auf den 1,3-H-Shift hat, wurde zunächst ein System aufgebaut, dem diese Gruppierung gänzlich fehlt (7). Damit sollte geklärt werden, ob hier nur ein ohnehin vorhandener Effekt verstärkt wird, der durch NaH in DMF erzeugt wird, oder ob die Hetero- gruppierung zur Umlagerung essentiell ist.

Beim Versuch, den Xantogenatester von 3A mit Tributylzinnhydrid16 zu desoxy- genieren, tritt bereits nach wenigen Minuten vollständige Zersetzung des Edukts ein.

Erfolgreicher verläuft die Tosylierung von 3A zu 6 mit anschließender Reduktion durch LiAlH4 in konz. Lösung17 zum (leicht flüchtigen!) Aliphaten 7.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bei der 1,3-H-Verschiebung mit NaH in DMF handelt es sich also um eine Reaktion, die einen Alkoxy- oder Aryloxysubstituenten in der Homoallylposition erfordert.

2.3 Modellvorstellung zur 1,3-H-Verschiebung an Homoallylethern

1991 publizierten Weiss et al. die Synthese von Koordinationsverbindungen aus Na+-Ionen mit Allyl- und Phenylliganden18 im komplexierenden Lösungsmittel Pentamethyldiethylentriamin (PMDTA) bei Raumtemperatur. Das Kation reagiert bei der Wahl des Liganden (Allyl vs. Phenyl) äußerst empfindlich auf sterische Einflüße im Substrat . Bei Umsetzung von Allylbenzol (vgl. auch Abb. 1.1 in Abschnitt 1) mit n-BuNa konnten Kristalle von h3-koordiniertem [Na(1-PhC3H4)(pmdta)] erhalten werden (A in Abb. 2.1).

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Abb. 2.1: Bildung des h3-koordinierten [Na(1-PhC3H4)(pmdta)] nach Weiss et al.

Bei Verwendung von 1-Phenylcyclohexen und n-BuNa wird das Kation durch die sterisch anspruchsvollere Cyclohexylgruppe zum Aromaten gedrängt und geht eine h6-Koordination ein (B in Abb. 2.2). Auch Verbindung B wurde durch Röntgen- strukturanalysen charakterisiert.

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Abb. 2.2: h6-Koordination von Na+ an den Phenylring des 1-Phenylcyclohexen-Anions.

Die Annahme ähnlicher Wechselwirkungen wie in den Komplexen A und B führten zur Formulierung eines Modells für den Übergangszustand der 1,3-H-Verschiebung an Homoallylethern (Abb. 2.3). Zur Wechselwirkung mit der positiven Ladung des Na+ bieten sich im Molekül 4A drei Elektronendonorzentren an: Das Lone-Pair am Sauerstoffatom des Benzylethers, die Elektronenwolke des Aromaten und die p-Elek- tronen der Doppelbindung. Zwar handelt es sich bei den Liganden der Komplexe A und B um echte Anionen, doch gelang ihre Synthese und Isolierung als Kristalle bereits bei 25 °C, während für die 1,3-H-Verschiebung 60-80 °C nötig sind. Denkbar wäre daher, daß sich während der Umlagerung zumindest schwache Wechsel- wirkungen zwischen den Donorzentren und dem Metall ausbilden, die die Umlager- ung ermöglichen. Der Übergangszustand ÜZ 2 ist als ein vorläufiges Arbeitsmodell anzusehen, das im folgenden auf seine Richtigkeit geprüft werden soll.

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Abb. 2.3: Mögliche Komplexierung von Na+ durch Elektronendonorzentren in 4A;

R = Dimethyldioxolan, L = zusätzlicher Ligand aus DMF/NaH oder solvatisierendes DMF

Neben den Donorzentren aus dem Substrat wird das Na+ natürlich noch von weiteren DMF-Molekülen solvatisiert sein (durch L in Abb. 2.3 dargestellt). Der mögliche Einfluß einer kurzlebigen Verbindung, die aus der DMF/NaH-Mischung gebildet wird und als essentieller Zusatzligand wirkt, wird in Abschnitt 2.4 untersucht.

2.3.1 Variation der Position der Benzylschutzgruppe

Sollte eine Komplexierung des Metalls durch die freien Elektronenpaare am Sauer- stoff für die 1,3-H-Verschiebung essentiell sein, so könnte die Reaktion nicht mehr ablaufen, wenn sich der Ether um eine Methylengruppe von der Homoallylposition entfernt. Zur Prüfung dieser These wurde aus 7 eine Verbindung aufgebaut, die den Benzylether in der 2-Position trägt (11).

Das Entfernen der Acetonidschutzgruppe von 7 mit Trifluoressigsäure liefert 9 in guter Ausbeute. Durch selektiven Schutz der primären OH-Gruppe mit Tritylchlo- rid19 wurde Verbindung 10 erhalten*.

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Unter den Standardbedingungen zur kombinierten Veretherung mit 1,3-H-Shift tritt lediglich Benzylschutz (11) ohne Umlagerung zu 12 ein.

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Mit diesem Ergebnis wird demonstriert, daß der Benzylether in der Homoallylposi- tion stehen muß.

2.3.2 Variation des Sauerstoffsubstituenten

Die in ÜZ 2 postulierte Wechselwirkung des Metalls mit der Elektronenwolke des Aromaten sollte mit der Elektronendichte im Phenylring abnehmen. Für einen Ben- zylether mit elektronenziehendem Substituenten (z.B. para -Chlorbenzylgruppe20) ist daher eine geringere Reaktivität zu erwarten.

*Ursprünglich war geplant, noch andere Schutzgruppen auf der sekundären Alkoholposition einzu- führen. Darum wurde die primäre Position zunächst selektiv mit Tritylchlorid geschützt.

Um diese Hypothese zu überprüfen, wurde ein zu 4A analoger Ether aus 3A und

para -Chlorbenzylbromid aufgebaut (13).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

a: para -Chlorbenzylbromid, NaH, DMF, 0° C, 78 %; b: NaH, DMF, 80 °C, 62 %.

Die Umlagerung von 13 zu 14 unter den Standardbedingungen des 1,3-H-Shifts ergibt mit 62 % tatsächlich geringere Ausbeuten als von 4A zu 5A (> 90 %).

2.3.3 Variation des Kations

In allen bisher beschriebenen 1,3-H-Verschiebungen wurde Natriumhydrid in DMF verwendet. Im postulierten Übergangszustand ÜZ 2 spielt das Metallion die zentrale Rolle. Es ist zu vermuten, daß der Ionenradius des Na+ genau den sterischen An- forderungen in ÜZ 2 genügt und Na+ die richtige Bindungsstärke zu den Elektro- nendonatoren hat. Da für die Umlagerung mit NaH optimaler Umsatz erreicht wird, sollte sich ein Kationenwechsel zum größeren K+ auf den Verlauf der Umlagerung negativ auswirken. Unter den Standardbedingungen des 1,3-H-Shifts, aber mit Ka- liumhydrid statt Natriumhydrid, werden in der Tat nur Ausbeuten von 43 % für die Umsetzung von 4A zu 5A erzielt; daneben tritt Zersetzung des Substrats ein.

2.3.4 Untersuchung des 1,3-H-Shift mit Hilfe der NMR-Spektroskopie

Im Verlauf der Umlagerung von 4A zu 5 A muß sich die elektronische Struktur des Allylgerüstes ändern. Würde das H-Atom an C-4 beispielsweise als Proton nach C-6 wandern, so wäre die Elektronendichte am Kohlenstoffgerüst erhöht (Allylanion).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Eine Wechselwirkung des Na+ mit den p-Elektronen des Aromaten und der Doppel- bindung, wie sie in ÜZ 2 postuliert ist, würde außerdem die Elektronendichte an diesen Donatoren beeinflussen. Solche Veränderungen der Elektronenstruktur hätten Auswirkungen auf das Resonanzverhalten der benachbarten Protonen im 1H-NMR- Spektrum. Um den Reaktionsverlauf genau verfolgen zu können, wurde ein kompletter Ansatz von 4A /DMF-d7/NaH in einem NMR-Röhrchen eingeschmolzen und im NMR-Gerät auf 80 °C erwärmt. In regelmäßigen Abständen wurden Spektren aufgenommen (zur Probenbereitung vgl. 7.2.9).

In Anhang 8.2 sind (neben den NMR-Spektren von Edukt und Produkt zum Ver- gleich) vier ausgewählte Spektren gezeigt, die im Verlauf der Reaktion von 4A zu 5A unter folgenden Bedingungen aufgenommen wurden:

- Spektrum 1: Unmittelbar nach Reaktionsbeginn; Meßtemperatur: 25 °C
- Spektrum 2: Reaktionszeit: 2 Stunden; Meßtemperatur: 80 °C
- Spektrum 3: Reaktionszeit: 4 Stunden; Meßtemperatur: 25 °C
- Spektrum 4: Unmittelbar nach der Aufnahme von Spektrum 3 wurde die Reak- tion mit D2O abgebrochen; die Aufnahme von Spektrum 4 erfolgte 15 min. nach diesem Abbruch; Meßtemperatur: 25 °C
- Spektrum 5: Isoliertes Edukt 4A in CDCl3; Meßtemperatur: 25 °C
- Spektrum 6: Isoliertes Produkt 5A in CDCl3; Meßtemperatur: 25 °C

Bei der Analyse der NMR-Spektren sind besonders die Peaks interessant, welche nach D2O-Zugabe wieder verschwinden. Solche Signale gehören möglicherweise zu der im Reaktionsverlauf gebildeten Zwischenstufe, die sich nach Reaktionsabbruch zersetzt. Da die Stationärkonzentration dieser Zwischenstufe im Vergleich zu den Produkt- und Eduktkonzentrationen gering sein wird, sind besonders die wenig intensiven Peaks zu beachten. In Abb. 2.4 sind die Bereiche der Spektren 1-4 zusam- mengefaßt, die nicht von Signalen aus Edukt oder Produkt überlagert werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2.4: Ausschnitte aus den 1H-NMR-Spektren 1-4, die während der Umlagerung von 4A zu 5A aufgenommen wurden. Komplette Spektren mit Spreizung befinden sich im Anhang 8.2.

[...]

Ende der Leseprobe aus 85 Seiten

Details

Titel
Anionische 1,3-H-Verschiebungen an Homoallylethern und Homoallylaminen
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Institut für Organische Chemie)
Note
1.0
Autor
Jahr
1995
Seiten
85
Katalognummer
V319
ISBN (eBook)
9783638102308
Dateigröße
809 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Umlagerungen, 3-H-Shift, Alipahten
Arbeit zitieren
Gregor Wille, Dr. (Autor:in), 1995, Anionische 1,3-H-Verschiebungen an Homoallylethern und Homoallylaminen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/319

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