Weiblichkeitsdarstellungen in Disney-Animationsfilmen. Die Prinzessinnenrollen in "Schneewittchen und die sieben Zwerge" und "Die Eiskönigin - Völlig unverfroren"


Bachelorarbeit, 2015

42 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Wandel der Figuren innerhalb des Disney-Konzerns

3. Darstellung von Schneewittchen im Märchen

4. Darstellung von Schneewittchen im Disney-Film

5. Darstellung von der Schneekönigin im Märchen

6. Darstellung der Schneekönigin im Disney-Film

7. Fazit

8. Bibliographie

1. Einleitung

Die „The Walt Disney Company“ zählt zu den größten Unterhaltungs(misch-)konzernen der Welt, speziell im Bereich der Kinderunterhaltung ist der Disney-Konzern führend. Damit nimmt dieser Konzern eine besondere Rolle bei der Darstellung von Geschlecht und Vermittlung von Geschlechterrollen im Kindesalter ein. Deshalb muss auch untersucht werden, wie die Hauptcharaktere in der der breiten Masse bekannten Filmen dargestellt werden, da sie ein hohes Identifikationspotential für die Kinder darstellen. Märchen sind nach wie vor eine beliebte Unterhaltungsform, daher kommen nach wie vor Prinzessinnen als Akteure in Medien für Kinder vor.

In der folgenden Hausarbeit wird daher versucht, die Darstellung von Weiblichkeit in Disney-Animationsfilmen anhand der Akteursrolle „Prinzessin“ aufzuzeigen. Dazu wird der älteste abendfüllende Disney-Animationsfilm mit einer Prinzessin, „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ (Snow White and the Seven Dwarfs, 1937) mit dem neuesten, „Die Eiskönigin - Völlig unverfroren“ (Frozen - 2013), verglichen. Während in dem ersten Disney-Film in Spielfilmlänge eine Prinzessin auftritt (Schneewittchen), finden sich im neusten Märchenfilm zwei Prinzessinnen, Anna und Elsa, wobei letztere im Verlauf der Handlung zur Königin gekrönt wird. Hauptaugenmerk wird in dieser Arbeit auf Elsa liegen. Eine Analyse weiterer Disney-Prinzessinnen wird nicht stattfinden, dies würde den Rahmen der Arbeit überschreiten. Soweit es aber sinnvoll ist, diese bei der Analyse von Schneewittchen und Anna / Elsa zu erwähnen, werden sie kurz angeschnitten. Da der Disney-Konzern sich in sehr viele Firmen aufteilt, werden nachfolgend nur alle jene Filme betrachtet, die als Teil der Meisterwerke-Reihe gelten und auch definitiv öffentlich mit der Marke Disney beworben und identifiziert werden. An diese Filme angeschlossene (Direct-to-Video) Fortsetzungen und Fernsehserien werden mit in die Betrachtung einfließen, sind jedoch nicht Hauptbestandteil der Untersuchung. Untersuchungsgegenstand sind auch nicht Prinzessinnen aus den zuletzt von Disney akquirierten Unterhaltungskonzernen Marvel und Star Wars. Es wird nicht diskutiert, ob und inwieweit Märchen bzw. fiktionale Geschichten eine fördernde oder heilende Wirkung auf Kinder haben.

Diese Arbeit bewegt sich in verschiedenen Untersuchungsbereichen. Für die Analyse der Weiblichkeitsdarstellungen ist es notwendig, den Ursprung der Geschichten miteinzubeziehen, also festzustellen, inwieweit in den klassischen Märchen die Prinzessinnen dargestellt werden bzw. welche Rolle ihnen beigemessen wird. Dann wird der Prozess der „Disneyfizierung“ dargestellt, damit wird beschrieben, wie die Prinzessinnen für den Animationsfilm adaptiert werden. Es wird gezeigt, was es für Anforderungen in der Animation gibt, was für Techniken zur Darstellung von Weiblichkeit verwendet werden. Außerdem soll gezeigt werden, welches Frauenbild zur Produktionszeit herrschte. Schließlich wird auch die Entwicklung der Charaktere während des Handlungsverlauf mit in die Analyse einbezogen.

Darüber hinaus werden keine Theorien unterstützt, die dem Disney-Konzern eine Strategie unterstellen, eine bestimmte Moralvorstellung durchsetzen zu wollen. Es wird erwartet, dass sich der Disney-Konzern einer Wandlung unterzieht, die sich größtenteils den Wertvorstellungen und Sehgewohnheiten der westlichen Gesellschaft anpasst. Ein zu erwartendes Ergebnis wäre eine Modernisierungstendenz hin zu einem differenzierten, offenem Frauenbild.

Die Kategorien Rasse, Klasse und Heteronormativität sowie eine intersektionale Betrachtungsweise werden nur kurz angesprochen, eine genauere Betrachtung würde hier ebenfalls den Rahmen der Arbeit überschreiten.

Sowohl bei den Originalmärchen wie auch bei Disney-Filmen herrscht eine gewisse Grundlagenproblematik: Es ist schwierig festzumachen, was wirklich die genaue Intention bei den Geschichten ist; bei Märchen wird zum Teil überhaupt bestritten, sie hätten eine moralisierende Wirkung1 und damit auch keine spezielle Darstellungen von Frauen. Zudem kommt es auch immer auf die Version des Märchens an. Bei Disney-Filmen arbeiten tausende Menschen an einem Werk, es fließen zwangsweise unterschiedliche Vorstellungen zusammen, wobei natürlich die Regisseure und Produzenten immer noch ein Machtwort sprechen können. Man kann jedoch zumindest sagen, dass bei „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ Walt Disney selbst immer die letzte Entscheidungsgewalt hatte: „Bei den Besprechungen des Films, den Story-Konferenzen, herrschte eine freie und ungezwungene Atmosphäre, und doch gab es einen Unterschied: Disneys Vorschläge waren Befehle und die der Autoren und Zeichner bedurften seiner Zustimmung .“2 Während auch bei einem Buch die eigene Vorstellungskraft angeregt wird, muss bei einem Film alles vorgegeben und damit vorweg entschieden werden, wie sich eine Person anhört oder wie sie aussieht. Daher ist die Darstellung der Prinzessinnen in den Filmen wesentlich stärker durch andere Personen vorgegeben.

Diese Arbeit bewegt sich damit an Schnittstellen zwischen historischen, feministischen, soziologischen Theorien, wobei die Auseinandersetzung mit Märchen in der feministischen Theorie bereits eine längere Tradition hat. „After all, feminist scholarship and modern fairy-tale studies emerged in tandem during the early 1970s, with both asking important questions about sociocultural institutions and the process of socialization.“3 Daher werden nicht alle Aspekte aus der feministischen Betrachtung von Märchen vorgestellt werden können. Zudem beziehen sich diese Arbeiten auf lange mündliche tradierte Märchen und nicht wie im Fall der zweiten hier zu analysierenden Geschichte, „Schneekönigin“, um ein Kunstmärchen.

Es handelt sich hierbei um eine deskriptive Arbeit, bei der nicht eine abschließende medienethische Bewertung vorgenommen werden soll. Es soll herausgearbeitet werden, ob es ein einheitliches Disney-Frauenbild gibt, ob eine Wandlung in der Darstellung von Frauen stattgefunden hat und welche Merkmale Frauen in Disney-Filmen aufweisen. In dieser Arbeit wird „Disney“ verwendet, um den Konzern in seiner Gesamtheit zu beschreiben, „Walt Disney“, wenn es um die Person geht. Mitarbeiter werden direkt benannt und nicht mit „Disney“ bezeichnet. Soweit es bei spezifischen Begriffen nur das englische Wort gibt oder die deutsche Übersetzung zu irreführend ist, werden die original englischen Begriffe verwendet.

2. Wandel der Figuren innerhalb des Disney-Konzerns

„The fact that women and girls pose as models for Disney artists, perform in theme parks and ice shows, and dress in costumes sanctioned by the brand suggests that the Disney Princess is much more than a cartoon.“4

Die Disney-Prinzessinnen spielen durch ihre intermediale Präsenz eine wichtige Rolle in Lebenswelt von Kinder und damit auch bei der Darstellung von Frauen. Als Produzent von Kinderunterhaltung muss sich der Konzern auch sehr bewusst sein, wie die Figuren agieren sollen, da ansonsten starker Protest erfolgt (siehe dazu die Veränderung von Micky Maus weiter unten). Außerdem stellt Disney auch Lernmaterial her; die Wirkung der Figuren auf Kinder greift also auch direkt in ihren Lernprozess ein. Disney begann bereits sehr früh, auch Lehrbücher für Kinder zu produzieren. 1939 erschien z.B. „School Days in Disneyville“5, wo erzählt wird wie Disney-Charaktere ihren Schulalltag erleben, oder das Buch „Micky sees the U.S.A.“6 wo Micky Maus zusammen mit Minnie Maus und Donald Duck die USA bereist. Es werden Landstriche, Sehenswürdigkeiten und Volksfeste vorgestellt. Auch heute gibt es Lernbücher, wie etwa „Disney Prinzessinnen - Magische Wörter“, welches zum Lernen von englischen Wörtern dienen soll. Auch in Comics wird spielerisch Wissen vermittelt, wie etwa im Lustigen Taschenbuch 465, wo mit Hilfe der Charaktere der Bau von Hochhäusern erläutert wird.7

Zudem ist eine umfassende Auswertung der Charaktere seit den Anfängen des Konzerns Teil der Unternehmensstrategie. Dies zeigte sich bereits in den 1930er Jahren, wo Micky Maus zur größeren Auswertung auf vielen Produkten auftauchte.

„1935 war die Zweitauswertung der Mickey Mouse und der anderen Disney-Figuren bereits ein Multimillionenunternehmen. […] Ende der dreißiger Jahre gab es praktisch kein Produkt mehr, das nicht auch mit dem verkaufsfördernden Bildnis einer Maus geschmückt war. In England aß man Mickey-Marmelade, und in den USA trugen Frauen Korsetts mit aufgestickten Disney-Figuren.“8

Dieses Prinzip hat der Konzern immer weiter vorangetrieben. Durch die Expansion in andere Konsumbereiche neben dem Film konnte er weitere Einnahmequellen erschließen. Damit ist der Disney-Konzern praktisch der einzige US-amerikanische Unterhaltungskonzern, der sich nicht mit anderen zusammenschließen oder Konglomerate bilden musste.9

„Ein gutes Beispiel für eine extrem funktionale Value Chain stellt die der Disney Company dar. Diese besitzt innerhalb ihres Konzerns die Möglichkeit aus der Immaterialität ihrer fiktionalen Filmprodukte, Erlebnisprodukte in Themenparks zu konstruieren, durch Spin-offs TV-Serien aus Kinofilmen abzuleiten und diese dann über hauseigene Sender zu verbreiten. Auch der Vertrieb von Merchandisingprodukten wird über Tochterunternehmen vorgenommen.“10

Es bleibt also nicht bei Darstellung der Disney-Prinzessin im Film, auch wenn meist alles auf diesem aufbaut. Durch Spielzeug, das persönliche Treffen mit den Figuren in den Themenparks, Comics und Büchern können die Prinzessinnen ein großer Teil der Lebenswelt von Kindern werden. Die Marke „Disney Princess“ vereint zudem alle Disney-Prinzessinnen und ist in mannigfaltigen Produktkategorien erhältlich. Dabei verdrängen sie die original Geschichten und verleihen ihr einen neuen Charakter.11

Offizielle, direkte Aussagen vom Disney-Konzern bezüglich des Frauenbildes bzw. allgemein von Geschlechtern gibt es kaum. Auch wie die Mitarbeiter sich bei der Darstellung von Frauen zu verhalten haben, wenn sie an der Entwicklung einer Geschichte arbeiten, ist unklar. An den berühmtesten Disney-Comicfiguren wie Micky Maus und Donald Duck kann man aber kurz aufgezeigen, wie sich die Darstellung der Figuren verändert hat. In dem Comic-Department, aus dem auch Zeichner aus dem Animations-Department des Studios wechselten, liegt die Entwicklung der Geschichten meist bei wenigen bis einer Person. Bei der Storyentwicklung sind die Autoren grundsätzlich frei.

„Es existieren keine festen Regeln, wohl aber Vorstellungen darüber, was man machen kann und was nicht. Wichtig ist, daß wir uns an dem orientieren, was bislang produziert wurde.“12

Zum Teil unterliegen die Zeichner aber durch ihre Vorgesetzten einer gewissen Zensur.

„Allein schon der kleinste Hinweis darauf, daß Donald mit Daisy zusammenlebt oder daß sie gar zusammen schlafen - oder wie auch immer die Enten das tun -, ist absolut untersagt. Oder ein anderes Beispiel: Ich habe letztens einen Vorschlag für Winnie the Pooh gezeichnet, auf dem so ein kleines altmodisches Toilettenhäuschen zu sehen war, aber sogar das Häuschen war schon zu verfänglich.“13

In einem der aktuellsten Cartoons dagegen gesteht Donald Micky, er trage nur ein Matrosenoutfit, weil Daisy Männer in Uniformen liebt.14 Zudem gab es im ersten Micky-Short „Plane Crazy“ ein Toilettenhäuschen, das für eine Szene Mittelpunkt der Handlung war (daraus tritt auch ein anthropomorphes Tier mit hinten geöffnetem Hosenlatz, das aufgeregt herumläuft).15 An den Micky-Maus-Cartoon sieht man einen starken moralischen Wandel. Während in den ersten Cartoons Micky Tiere als Instrumente benutzte (und einem der Zeit entsprechenden hämischen Humor hatte), musste er später immer moralischer handeln.

„Micky war ein Star, der auf ein bestimmtes Image als Vorbild der Kinder bedacht sein mußte, und so wurden die Gags mit zum Teil sadistischer Schadenfreude immer mehr auf neue Nebendarsteller wie Donald oder Pluto verteilt […].“16

In den neuen Mick-Maus-Cartoons wird Micky wieder mehr Spielraum zugestanden: Er darf wütend ausrasten17 und sagen, dass Minnie Maus „heiß“ ist.18 Diese Anspielungen sind doppeldeutig und sollen wohl dazu dienen, Kinder wie Erwachsene gleichermaßen zu unterhalten.19

Auch die Disney-Prinzessinnen unterliegen schon aufgrund des technischen Fortschritts und dem veränderten Musikgeschmack einem Wandel. „The Disney Princess can divided into three periods, each defined by a distinct singing style and animation technique.“20 Der ersten handgezeichneten Generation mit operettenhaften Gesang gehören neben Schneewittchen Cinderella und Dornröschen an. Danach folgen die computergestützten kolorierten Prinzessinnen mit Broadway-Gesangseinlagen (Arielle, Belle, Jasmin, Pocahontas, Mulan und Tiana). Die aktuellen CGI-Produktionen mit Rapunzel oder Elsa / Anna singen noch verstärkt Pop-Songs.21 Aufgrund dieses Hintergrunds ist der Ausgangspunkt dieser Arbeit, dass allgemein die Darstellung des Frauenbilds im Disney-Konzern einen Wandel erlebt haben muss.

3. Darstellung von Schneewittchen im Märchen

Die Interpretation von klassischen Märchen in ihren verschiedenen Variationen ist ein eigener Forschungszweig, zur Übersicht soll hier aber etwas darauf eingegangen werden. Schneewittchen existiert in verschiedenen Variationen, wobei die Grimm-Version alle anderen verdrängt hat. Auch haben die Gebrüder Grimm mit ihrer Sammlung „Kinder- und Hausmärchen“ (KHM) praktisch einen Maßstab gesetzt für das, was als Märchen gilt.22

Es wird davon ausgegangen, dass die Grimm-Brüder bei der Bearbeitung der Märchen ihre eigenen Vorstellungen von Frauen und Weiblichkeit mit eingearbeitet hatten. Dabei waren sie natürlich durch die zu ihrer Lebenszeit vorherrschenden Normen und Wertvorstellungen geprägt. Bei der Betrachtung ihrer Lebens- und Umgangsweise mit Frauen lässt sich eine Richtung ausmachen, in der die Brüder gedacht haben.

„Der sich unterordnende angepasste Frauentyp, der dem Klischee der biedermeierlichen Hausfrau entspricht, stellt für beide die ideale Besetzung weiblicher Werte dar. Die Bekanntschaft und Hochachtung von außergewöhnlichen Frauen wie Bettine von Arnim lassen darauf schließen, dass sich Jacob und Wilhelm ein Stück weit für ein progressives Geschlechterdenken öffnen konnten.“23

Dabei muss man auch den Weg der Märchen zu den Brüdern Grimm berücksichtigen. Die genauere Entstehungsweise lässt sich aufgrund der mündlichen Überlieferung nicht zurückverfolgen und gerade durch diese Weitergabe veränderten sich Märchen auch stets. Aber die Quellen der Grimms ließen sich noch ausmachen:

„Daß sich in den KHM so viele liebenswerte und geduldige Märchen- und Frauengestalten finden, liegt wohl an den vorwiegend weiblichen, bürgerlichen Kreisen angehörenden Informanten der Brüder Grimm, die sich am ehesten mit diesen Figuren identifizieren konnten.“24

Somit bilden die KHM durch die Quellen und die Verfasser einerseits das zur damaligen Zeit herrschende Frauenbild wieder. Andererseits zeigen viele Märchen emanzipierte Frauen, sie propagieren ein modernes Frauenbild.25 So finden sich viele intelligente Heldinnen, die eigenständig agieren.26 Diese unterschiedlichen Frauenbilder ergeben sich dadurch, dass es nicht das Märchen gibt, dementsprechend auch nicht das Frauenbild.27

„Da Volksmärchen überhaupt nur dann tradiert wurden, wenn sie das Verlangen vieler Menschen enthielten, sind sie in hohem Maß das Ergebnis allgemeiner (bewußter wie unbewußter) Inhalte, geformt von vielen Menschen, die darin übereinstimmten, was sie als universelle menschliche Probleme und wünschenswerte Lösungen erachteten.“28

Die Abweichung in den Geschichten kann man dahin deuten, dass je nach Kultur und dem spezifischen Erzählerkreis andere Aspekte des Märchens von Bedeutung sind. „The resonance of the Snow White narrative seems to transcend national identity, language, and culture and allows the critic to examine Snow White not just as a narrative, but as an archetype.“29

Allein zu Schneewittchen gibt es mehrere Werke, die sich mit der Interpretation und Deutung des Märchens beschäftigen. Wilhelm Solms kritisiert dabei, dass die unterschiedlichen Ansätze bereits das Ergebnis vorweg nehmen, wenn etwa bei einer psychoanalytischen Herangehensweise nur nach sexuellen Motiven gesucht wird.30 Iring Fetscher parodierte die ausufernde Interpretation von Märchen, indem er sie um eine kommunistische Lesart erweiterte, wo „[…] Schneewittchen als marxistische orientierte Klassenkämpferin, die Zwerge als Partisanenkollektiv, der Spiegel als königliche Geheimpolizei“ verstanden wird.31 Wendet man aber die psychologische Sichtweise an, so stehen die Zwerge etwa für eine reduzierte Form des Männlichen, sie dienen als erste Annäherung an einen vollwertigen Mann und Sexualpartner. Auffallend ist dabei, dass kaum bis keine weiblichen Zwerge in Märchen auftauchen. Sie sind unreife Wesen, die auf einer vorödipalen Ebene verharren.32 Die vereinfachte Form von Männlichkeit wird durch ihr siebenfaches Auftreten wiederum kompensiert. Diese psycho-sexuelle Sichtweise lässt sich grundsätzlich bei vielen Varianten des Märchens anwenden, auch wenn es manchmal Drachen oder Räuber sind, die Schneewittchen aufnehmen: Erst ist Schneewittchen sehr schüchtern gegenüber dem Prinzen, nach der Begegnung mit den Zwergen / Drachen / Räubern (dem Angewöhnen an das Männliche) ist sie dem Prinzen aber sehr aufgeschlossen, obwohl sie ihn nicht viel näher kennengelernt hat. Mädchen werden so behutsam an das Leben als Hausfrau und Ehefrau herangeführt. Dabei scheinen Märchen wesentlich mehr Aufmerksamkeit auf den Reifungsprozess vom Mädchen zur Frau zu legen als vom Jungen zum Mann.33

Bei Schneewittchen bilden zwei Frauen den Mittelpunkt der Handlung, die beide gegensätzliche Frauentypen vertreten („angel-woman and the monster woman“34 ). Sie symbolisieren, welche Tugenden erstrebenswert sind:

„[…] the one fair, young, pale, the other just as fair, but older, fiercer; the one a daughter, the other a mother; the one sweet, ignorant, passive, the other both artful and active, the one a sort of angel, the other an undeniable witch.“35

Dies zeigt sich auch im Verlauf des Märchens: Schneewittchen wird zum Beispiel von dem Jäger verschont, weil sie so hübsch sei36, und darf bei den Zwergen sein, weil sie sich nützlich macht. Sie ist eine passive Heldin.37 Die Königin dagegen ist sehr aktiv, was als negativ dargestellt wird.

4. Darstellung von Schneewittchen im Disney-Film

Im vorherigen Abschnitt wurde aufgearbeitet, dass Schneewittchen im Märchen ein klassisches Frauenbild repräsentiert. Nun soll gezeigt werden, wie die Disney-Verfilmung die Vorlage adaptiert. Das Schneewittchen als erster abendfüllender Animationsfilm umgesetzt wurde, lag dabei auch vor allem an der großen Popularität des Stoffes.38 Dabei sind Abänderungen nicht nur im Hinblick auf das Medium Film normal, sondern auch, weil Märchen „[…] weniger als statische Narrationen zu verstehen sind […], sondern ihre Überlieferungs- und Mediengeschichte belegt vielmehr komplexe Hybridisierungen ihrer Narrative und Motive durch kulturelle Aneignungen.“39 Neben einer sehr mimetischen Umsetzung bietet sich also auch die Weiterentwicklung des Märchens an, indem es etwa aktuelle ästhetische Strömungen oder Problematiken aufgreift.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

„Trotz seiner Zeitlosigkeit ist Snow White natürlich auch stark seiner Entstehungszeit in den dreißiger Jahren verhaftet, was bei einer heutigen Bewertung immer berücksichtigt werden muß. […] Der Prinz selbst sollte ein junger Douglas Fairbanks werden, und Schneewittchen wurde in Aussehen und Frisur von dem Filmstar Janet Gaynor angeregt.“40 Den Kurzhaarschnitt von Schneewittchen kann man also auf die Entstehungszeit des Animationsfilms zurückführen. Sie ist auch die einzige Disney-Prinzessin, die eine Kurzhaarfrisur trägt (Rapunzel hat ebenfalls am Ende des Films kurze Haare, weil ihr Flynn Raider diese zu ihrer Rettung abschneidet; Mulan schneidet sich ihre Haare kurz, um wie ein Mann auszusehen: lange Haare müssen hier für ein höheres Ziel geopfert werden). Abgesehen vom Vorbild Janet Gaynor, die im Bild links mit Schneewittchen41 verglichen wurde, wurden auch Models gecastet. Der Disney-Konzern behauptet selbst, dass sie eine sehr realistische Animation anstreben; dabei werden u.a. als Hilfsmittel Videomaterial verwendet, dass reale Personen bei den Handlungen zeigt, die animiert werden sollen. Grund dafür ist, dass bei der Produktion der Silly Symphonies sich Schwierigkeiten zeigten, Menschen realistisch zu animieren. Vorher belief sich ein Großteil der Produktion auf die Darstellung von „Funny Animals“. Aufgrund des Silly Symphony „Der Raub der Frühlingsgöttin“ („The Goddess of Spring“)42 von 1934, der sehr „schwammige“ Menschen ohne richtige Skelettstruktur zeigte, wurden Schauspieler herangezogen, die Szenen von den Storyboards darstellen sollten, damit sich die Zeichner daran orientieren konnten. Die „echte“ Schneewittchen war die Tänzerin Marge Belcher43, die als Schneewittchen verkleidet tanzte und posierte. 44 So sollte sichergestellt werden, dass Schneewittchen eine glaubwürdige und realistische Person sei.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...]


1 Vgl. Solms, Wilhelm: Die Moral von Grimms Märchen. S.3

2 Reitberger, Reinhold: Walt Disney. S. 72

3 Hasse, Donald: Fairy Tales and Feminism. S. 31

4 Fleeger, Jennifer: Mismatched Women. S. 107

5 Emerson, Caroline Dwight: School Days in Disneyville.

6 Emerson, Caroline Dwight: Mickey sees the U.S.A.

7 Vgl. Lustiges Taschenbuch 465, S. 78-81

8 Reitberger, Reinhold: Walt Disney. S. 60

9 Vgl. Vogelgesang, Marlon: Rahmenbedingungen und Instrumente der Filmfinanzierung in Deutschland und den USA. S. 5

10 Ebd. S. 36f.

11 Gille, Mirjam: Die adoleszenten Jungfrauen in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm. S. 176

12 Strzyz, Klaus: Disney von Innen. S. 257

13 Ebd. S. 99

14 Disney Mickey Mouse Season 2, Episode 7: Captain Donald. Donald erklärt Micky das er nicht segeln kann: „Look, Daisy bought me this suit. I only wear it because she loves a man in uniform. As she find out i can’t sail it’s over.“

15 Walt Disney Kostbarkeiten - Micky Maus in schwarz-weiß - Volume 1: 1928-1935 (Kurzfilm „Plane Crazy“)

16 Reitberger, Reinhold: Walt Disney. S. 50

17 Disney Mickey Mouse Season 1, Episode 4: New York Weenie.

18 Disney Mickey Mouse Season 2, Episode 2: Fire Escape.

19 In dem aktuellsten Disney-Animationsfilm, „Baymax - Riesiges Robowabohu“ gibt es zudem eine Anspielung auf aufkommende Schambehaarung im Teenageralter.

20 Fleeger, Jennifer: Mismatched Women: The Siren’s Song Through the Machine. S. 108

21 Vgl. ebd.

22 Vgl. Jolles, André: Einfache Formen, S. 219

23 Gille, Mirjam: Die adoleszenten Jungfrauen in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm. S. 26

24 Röhrich, Lutz: Das Bild der Frau im Märchen und im Volkslied. S. 85

25 Vgl. Timo Stein - „Märchen sind zutiefst emanzipatorisch“. http://www.cicero.de/salon/maerchen-sind-zutiefst-emanzipatorisch/52330

26 Vgl. Röhrich, Lutz: Das Bild der Frau im Märchen und im Volkslied. S. 90

27 Vgl. ebd. S. 91

28 Kummer, Elke: Hexen her! Die Zeit, 08.04.1977, Nr. 15

29 Saunders, John Hanson (2008): The evolution of Snow White. S. 9

30 Solms, Wilhelm: Die Moral von Grimms Märchen. S. 4

31 Ruf, Theodor: Die Schöne aus dem Glassarg. S. 104. Der Originaltext von Fetscher findet sich in Rumold, Barbara :Schneewittchen total. S. 30-34

32 Vgl. Bettelheim, Bruno: Kinder brauchen Märchen. S. 199

33 Vgl. Rölleke, Heinz: Die Frau in den Märchen der Brüder Grimm. S. 82

34 Gilbert, Sandra M.: The Madwoman in the Attic. S. 80

35 Ebd.

36 Vgl. Grimm, Jacob und Wilhelm: KHM (Sneewittchen), S.237.

37 Vgl. Lüthi, Max: So leben sie noch heute: Betrachtungen zum Volksmärchen. S. 56

38 Siehe zum Verlauf der verschiedenen Adaptionen vom Märchen bis zu Disney’s Zeichentrickfilm auch Kaufman, J.B.: Fairest One of All. S. 14-30.

39 Geilert, Sabine: Zur Diskursivität klassischer Märchen in aktuellen TV-Produktionen und im Gegenwartskino. S. 166

40 Reitberger, Reinhold: Walt Disney. S. 72f.

41 Télérama hors | séries - Disney Au Grand Palais. S. 57

42 Walt Disney Animation Collection - Volume 4. Die Schildkröte und der Hase UND weitere Kurzfilm-Klassiker. Auch mit einleitendem Kommentar auf der Blu-ray von Schneewittchen.

43 Wird auch als „Marjorie Belcher“ und mit ihrem späterem Namen „Marge Champion“ angegeben.

44 Extra auf der Blu-ray von Schneewittchen, darüber hinaus gibt es von CBS News einen kurzen Beitrag über Marge Beichel bzw. Champion, „The Real-Life Snow White“, abrufbar über https://www.youtube.com/watch?v=Hjt13WdEkZc. Kostümiert zu sehen in Kaufman, J.B.: Fairest One of All. S. 49.

Ende der Leseprobe aus 42 Seiten

Details

Titel
Weiblichkeitsdarstellungen in Disney-Animationsfilmen. Die Prinzessinnenrollen in "Schneewittchen und die sieben Zwerge" und "Die Eiskönigin - Völlig unverfroren"
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover  (Institut für Politische Wissenschaft)
Note
1,0
Autor
Jahr
2015
Seiten
42
Katalognummer
V319003
ISBN (eBook)
9783668182042
ISBN (Buch)
9783668182059
Dateigröße
758 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Disney, Gender, Studies, Frauenrolle, Schneewittchen, Frozen, Eiskönigin, Märchen, Feminismus, Film, Prinzessin, Medienethik, Frauenbild, Moral, Kinder, Soziologie
Arbeit zitieren
Moritz Heinz Brylski (Autor:in), 2015, Weiblichkeitsdarstellungen in Disney-Animationsfilmen. Die Prinzessinnenrollen in "Schneewittchen und die sieben Zwerge" und "Die Eiskönigin - Völlig unverfroren", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/319003

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